Bundesregierung und ihre eklatante Doppelmoral: Gute israelische Bomben, böse iranische Raketen

Bundesregierung und ihre eklatante Doppelmoral: Gute israelische Bomben, böse iranische Raketen

Bundesregierung und ihre eklatante Doppelmoral: Gute israelische Bomben, böse iranische Raketen

Florian Warweg
Ein Artikel von: Florian Warweg

Die fortgesetzten Bombardements Israels von zumeist ziviler Infrastruktur im Libanon sowie der iranische Raketenangriff auf israelisches Gebiet waren zentrale Themen auf der Bundespressekonferenz. Die NachDenkSeiten wollten unter anderem wissen, wieso die Bundesregierung iranische Angriffe auf explizit militärische Ziele wie Luftwaffenbasen und das Mossad-Hauptquartier verurteilt, aber nicht israelische Bombenteppiche auf Wohngebäude in dichtbesiedelten Vierteln von Beirut. Ebenso kam die Frage auf, warum die Bundesregierung zwar von „völkerrechtswidrigen Vergeltungsschlägen“ des Irans spricht, aber im Falle von Israel, obwohl dort höchste Regierungsvertreter von „Rache“ als Motiv der Angriffe gegen Gaza und Libanon sprachen, diese als „legitime Selbstverteidigung“ bewerten. Von Florian Warweg.

Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 2. Oktober 2024

Frage Towfigh Nia (freier Journalist)

Herr Fischer, es fällt auf, dass die Außenministerin explizit Israel nicht zur Zurückhaltung aufgefordert hat. In ähnlichen Fällen, in denen Israel Hisbollah-Stellungen oder iranische Stellungen angegriffen hat, sind der Iran bzw. die Hisbollah immer zur Zurückhaltung aufgefordert worden. Warum ist das so?

Fischer (AA)

Lassen Sie mich vielleicht erst einmal sagen: Wir haben – Herr Jung hatte das vorhin angedeutet – Kenntnis von den Planungen gehabt, und die Außenministerin hatte deswegen gestern auch noch einmal Kontakt mit ihrem iranischen Kollegen und hat da noch einmal auf Zurückhaltung gedrängt und darauf gedrängt, diese Art von Angriff zu unterlassen. Ich habe dann vorhin gesehen, dass die iranische Seite verbreitet hat, es habe danach gestern Abend noch ein Telefonat gegeben. Das ist so nicht richtig. Die iranische Seite hat eine Sprachnachricht des iranischen Außenministers an unsere Botschaft übermittelt, die diese dann weitergeleitet hat. Darin hat die iranische Seite bzw. der iranische Außenminister noch einmal versucht hat, den nicht zu rechtfertigenden Angriff doch irgendwie zu rechtfertigen.

Was unsere Haltung angeht: Es ist doch ganz klar, dass dieser Angriff letztlich vollständig grundlos war. Israel hat Iran nicht angegriffen, aber der Iran hat Israel angegriffen, und das mittlerweile schon zum zweiten Mal.

Zusatzfrage Towfigh Nia

Es gab Angriffe auf iranische Generäle, es gab Angriffe auf die iranische Botschaft in Damaskus – das war iranisches Staatsgebiet – und es wurden auch Hisbollah-Stellungen bombardiert. Gefühlt bombardiert Israel den halben Nahen und Mittleren Osten. Wieso fordern Sie Israel nicht zur Zurückhaltung auf, wenn Sie wissen, dass das in einem Flächenbrand enden kann?

Fischer (AA)

Wir sehen alle, dass wir in der Region in eine Eskalationsspirale abrutschen können; deshalb sind wir auch im Gespräch mit allen Seiten, deshalb finden diese Quintschalten statt, deshalb findet das G7-Gespräch statt, deshalb hatte die Außenministerin am Rande der Vereinten Nationen ein Gespräch mit dem iranischen Außenminister, deshalb hatte sie gestern noch einmal Kontakt und deshalb sind wir mit der israelischen Seite im Kontakt.

Ich glaube, wenn es gestern eine gute Nachricht oder einen Lichtblick gab, dann war das, dass es gelungen ist, diese Angriffe in beeindruckender Weise durch die israelische Luftabwehr und verbündete Kräfte abzuwehren, sodass es zu keinen Personenschäden gekommen ist. Ich glaube, wichtig ist auch festzuhalten, dass Besonnenheit eben auch Stärke ist.

Frage Warweg

Ich habe auch noch eine Verständnisfrage: Herr Fischer, Sie haben gesagt, dass Israel Iran nicht angegriffen habe. Zum einen wurde das Gesicht des iranischen Botschafters im Libanon durch eine mutmaßlich israelische Sprengfalle zerfetzt. Außerdem gab es das politische Attentat mitten in Teheran im Juli, woraufhin die Iraner auf Vergeltung verzichtet haben – zumindest nach eigener Darstellung -, weil sowohl die USA als auch die EU zugesichert haben, dass es zu Friedensverhandlungen in Gaza und auch mit Libanon kommen sollte. Deswegen bin ich ein bisschen irritiert, in welcher Einseitigkeit Sie hier sozusagen auf den Iran zeigen, während Sie bisher kein einziges kritisches Wort zur Rolle Israels verloren haben. Könnten Sie noch einmal darlegen, wieso Sie Israel da komplett aus der Verantwortung nehmen?

Fischer (AA)

Ich glaube, was wir gestern gesehen haben, war ein massiver iranischer Angriff auf israelisches Staatsgebiet in einer präzedenzlosen Weise, der sogar noch eine andere Qualität hatte als der erste Angriff Irans auf Israel. Damals waren es ja zunächst Drohnen, die losgeschickt worden sind, und das mit ganz anderen Vorwarnzeiten. Ich glaube, das sollte man alles nicht unterschätzen.

Was die Dinge betrifft, die im Libanon passiert sind, sehe ich jetzt nicht, wie diese den Iran betreffen würden. Dass möglicherweise ein iranischer General bei einem Treffen mit dem Führer der Hisbollah zugegen war, also eine terroristische Organisation unterstützt hat, kann man jetzt nicht Israel vorhalten, würde ich einmal sagen.

Zusatzfrage Warweg

Zum einen habe ich davon gesprochen, dass Israel mit einer Sprengfalle das Gesicht des iranischen Botschafters zerfetzt hat; das ist mitnichten ein Militär gewesen. Zum anderen gab es den mutmaßlichen Angriff Israels bei der Tötung des Hamas-Führers in Teheran, der zumindest indirekt auch bestätigt wurde. Das war sicherlich auch nicht völkerrechtswidrig, auch nicht aus Sicht der Bundesregierung.

Meine Frage zielt aber auf einen anderen Aspekt: Wenn man sich die Ziele anschaut, die vom Iran anvisiert wurden, dann sieht man, dass das nach aktuellem Stand zwei Luftwaffenbasen, das Mossad-Hauptquartier und eine weitere militärische Installation waren, also ausschließlich militärische Ziele. Deswegen würde mich noch interessieren, wie das Auswärtige Amts das sieht. Einerseits wurden – zumindest soweit wir das wissen; widersprechen Sie mir gerne -, ausschließlich militärische Ziele vom Iran angezielt. Andererseits wurden von Israel im Libanon zivile Wohnhäuser in dicht besiedelten Wohnvierteln in Beirut und um Beirut herum beschossen. Wieso erscheint Ihnen die Inzielnahme von militärischen Objekten verurteilenswürdiger als Angriffe auf Wohngebiete in Beirut?

Fischer (AA)

Erst noch einmal zu den Pagern: Ich glaube, das war ein militärisches Kommunikationsinstrument der Hisbollah. Ich bin mir nicht sicher, ob man davon ausgehen kann, dass der iranische Botschafter solcherlei Kommunikationsinstrumente militärischer Art einer terroristischen Organisation bei sich trägt. Das würde ich einmal in den Raum stellen.

Iran hat sich zwar auf das Selbstverteidigungsrecht berufen, aber von Selbstverteidigung kann man eben nur sprechen, wenn es um die Abwehr eines andauernden oder unmittelbar bevorstehenden Angriffs geht. Sonst ist es Vergeltung. Dieses Vergeltungsmotiv haben wir ja gestern in den iranischen Stellungnahmen auch gesehen. Vergeltung ist aber eben keine Kategorie des Völkerrechts; Vergeltungsschläge sind nicht vom Völkerrecht gedeckt. Iran hat, wie ich gerade sagte, die militärische Aktion gestern Abend immer wieder auch als Rache, Vergeltung, Bestrafung bezeichnet. Schläge dieser Art sind aber völkerrechtswidrig. Das heißt, der Angriff des Iran ist durch nichts zu rechtfertigen. Das iranische Regime hatte keine völkerrechtliche Begründung, um Israel anzugreifen.

Frage Jung (Jung&Naiv)

Herr Fischer, Sie meinten gerade, dass es gestern zu keinem Personenschaden gekommen sei. Die IDF hat bekanntgegeben, dass ein 37-jähriger Palästinenser umgekommen ist. Zählen Sie Palästinenser nicht? Das kommt jetzt ein bisschen komisch rüber, darum frage ich.

Fischer (AA)

Herr Jung, dann ist mir da ein Lapsus unterlaufen. In der Tat, ich habe auch mitbekommen, dass offensichtlich in Hebron ein aus Gaza stammender Palästinenser von herabfallenden Trümmerteilen getroffen worden ist. Insofern ist es nicht richtig, dass es keine Opfer gab. Ich glaube aber, mit Blick auf die beabsichtigten Schäden und die beabsichtigten Opferzahlen, die man dahinter vermuten muss, wenn ein Land mit 180 massiven Raketen angegriffen wird, kann man sagen, dass die israelische Luftverteidigung gemeinsam mit der Unterstützung einiger Verbündeter sehr gut funktioniert hat und das Land vor wirklich noch viel schlimmerem Schaden bewahrt hat. Es ist auch wahr, dass es in Israel offensichtlich Verletzte durch herabfallende Trümmerteile gegeben hat. Es ist schrecklich, dass diese Dinge passiert sind, aber ich glaube, wenn man sich anschaut, was alles hätte passieren können, kann man sagen: Es hätte noch viel, viel, viel schlimmer kommen können.

Zusatzfrage Jung

Herr Müller, es wurde berichtet, dass gestern oder vorgestern ein A400M der Luftwaffe, ein Cargoflugzeug, in Tel Aviv gelandet sei. Können Sie uns die Hintergründe erklären? Was macht die Luftwaffe in Tel Aviv?

Müller (BMVg)

Wir hatten am Montag einen Flug im Rahmen einer diplomatischen Luftabholung zum Herausfliegen von Botschaftspersonal und anderem. Über den Einsatz eines A400M ist mir aktuell nichts bekannt.

Zusatzfrage Jung

Können Sie uns dazu vielleicht etwas nachreichen?

Müller (BMVg)

Wenn ich bis zum Ende der RegPK noch etwas erhalte, dann liefere ich das nach.

Frage Jessen (freier Journalist, kooperiert mit Jung & Naiv)

Herr Fischer, die israelische Regierung hat den UN-Generalsekretär zur unerwünschten Person erklärt und eine Einreisesperre verhängt, und zwar mit der Begründung, er stärke Mördern, Vergewaltigern und Terroristen den Rücken. Namentlich wird auch Iran erwähnt.

Wie bewertet die Bundesregierung diese Brüskierung des UN-Generalsekretärs, wenn man es so sagen will? Beschädigt oder erschwert das die Rolle der Vereinten Nationen bei der Suche nach einer friedlichen Konfliktlösung?

Fischer (AA)

Ich habe diese Meldungen zur Kenntnis genommen. Wir alle wissen von den bestehenden Spannungen zwischen Israel und den Institutionen der Vereinten Nationen. Ich glaube, dieser Schritt ist nicht besonders hilfreich. Denn am Ende braucht es mehr Gespräche und nicht weniger Gespräche. Wir sollten uns nicht selbst Gesprächskanäle nehmen, die möglicherweise dazu beitragen können, eine Lösung herbeizuführen.

Zusatzfrage Jessen

Bedeutet das, dass die Bundesregierung die israelische Regierung bittet oder auffordert, diese Einreiseverweigerung, diese Ernennung zur Persona non grata zurückzunehmen?

Fischer (AA)

Ich denke, Sie haben gehört, wie ich die Entscheidung eingeschätzt habe, nämlich als nicht sehr hilfreich. In diesem Sinne werden wir uns sicherlich auch in unseren Kontakten mit der israelischen Seite äußern.

Frage Warweg

Herr Fischer, Sie haben die Angriffe des Irans eben als Vergeltungsschläge bezeichnet und unter anderem auch auf entsprechende Äußerungen von iranischer Seite verwiesen. Sie seien daher völkerrechtswidrig gewesen. Nach dem 7. Oktober hat Israel seine Militäroperation – dafür gibt es zahlreiche Zeugnisse – ebenfalls in der Sprache der Vergeltung und Rache begleitet. Ihr sind bisher 40 000 Palästinenser zum Opfer gefallen, mehrheitlich Frauen und Kinder.

Können Sie mir darlegen, wieso Sie diesen Aspekt der Vergeltungsangriffe nicht für die militärische Operation der Israelis in Gaza benutzen?

Fischer (AA)

Der Unterschied liegt auf der Hand. Am 7. Oktober hat es einen brutalen Terrorangriff der Hamas auf Israel mit mehr als 1100 Todesopfern gegeben. Dass Israel darauf reagieren kann und dass Israel dagegen das Recht auf Selbstverteidigung im Rahmen des humanitären Völkerrechts zusteht, ist, denke ich, unzweifelhaft. Das Entscheidende ist, dass das humanitäre Völkerrecht bei den Operationen eingehalten wird und dass die Dinge, die getan werden, verhältnismäßig sind.

Das Gleiche gilt auch für die Hisbollah. Ich habe vorhin schon dargelegt, dass diese Terrororganisation am 8. Oktober vollständig unprovoziert mit Angriffen auf Nordisrael begonnen hat. Auch dagegen steht einem natürlich das Selbstverteidigungsrecht im Rahmen des Völkerrechts zu.

Zusatzfrage Warweg

Meine Frage zielte darauf, dass die israelische Regierung selbst auf ministerieller Ebene mehrmals von Rache und Vergeltung gesprochen hat. Auch die Art und Weise der Kriegsführung deutet darauf hin, dass es sich unter Umständen auch um Vergeltungsschläge und nicht um Selbstverteidigung gehandelt hat. Auch die hohe Zahl toter Zivilisten deutet darauf hin.

Deswegen will ich sichergehen: Die Bundesregierung sieht in dem israelischen Vorgehen in Gaza keine Form von Vergeltung, sondern nur von legitimer Selbstverteidigung. Richtig?

Fischer (AA)

Wir haben diese Äußerungen zur Kenntnis genommen, und wir haben sie auch hier immer wieder kritisiert. Aber wenn man sich sozusagen die völkerrechtliche Substanz anschaut, dann muss man feststellen, dass sich Israel auf Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen berufen kann und dass Iran das für diesen Angriff, den er durchgeführt hat, eben nicht kann. Das ist der entscheidende Unterschied.

Was die israelische Operationsführung in Gaza angeht, haben wir uns an dieser Stelle schon häufiger darüber unterhalten und haben auch schon häufiger dargestellt, dass wir erwarten, dass Israel die Zivilbevölkerung bei seinen Einsätzen schützt und zwar auch besser schützt, als es in der Vergangenheit der Fall war.

Frage Jung

Herr Fischer, fallen Invasionen unter Selbstverteidigung?

Fischer (AA)

Es geht darum, die Gefahr, die besteht, in angemessener Weise zu bekämpfen.

Zusatz Jung

Ich habe bisher noch nicht gehört, dass eine Invasion fremden Staatsgebiets unter Selbstverteidigung fällt.

Fischer (AA)

Ich weiß nicht, worauf Sie sich beziehen. Natürlich steht Israel gegenüber der Hamas das Selbstverteidigungsrecht zu. Wenn sich die Hamas nur in Gaza bekämpfen lässt, dann ist das durchaus vom Völkerrecht gedeckt. Wenn in Südlibanon entgegen Resolution 1701 der Vereinten Nationen Hisbollah-Kämpfer stationiert sind, die Israel auch immer wieder beschießen, dann kann man Artikel 51 zumindest nicht einfach vom Tisch wischen.

Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 02.10.2024

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