„Ben dient Deutschland“ – von wegen! Ein Comic greift nach der Jugend

„Ben dient Deutschland“ – von wegen! Ein Comic greift nach der Jugend

„Ben dient Deutschland“ – von wegen! Ein Comic greift nach der Jugend

Ein Artikel von Marcus Klöckner

„Ben dient Deutschland“ – so heißt ein gerade auf dem Portal der Bundesregierung veröffentlichter Comic, der es in sich hat. Im Stile einer Graphic Novel gezeichnet, entfaltet sich die Geschichte eines Teenagers, der sich entscheidet, Soldat zu werden. Auf perfide Weise zeichnen die Macher den Weg des Jungen über Widersprüche und Konflikte hinweg zum fertig ausgebildeten Soldaten. Am Ende dient Ben seinem Land an der NATO-Ostflanke und ist bereit, gegen den „Feind“ zu kämpfen. Der Comic-Realität steht die reale Realität entgegen. Wenn nämlich „Ben“ unter dem Einfluss einer sogenannten Zeitenwende Soldat wird, dann dient er nicht Deutschland. Vielmehr wird er zum Diener einer bis in die Zellorganellen verlogenen Geo- und Tiefenpolitik. Ein Kommentar von Marcus Klöckner.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Wie kriegt der Staat Zugriff auf die Jugend? Wie kann es der Bundeswehr gelingen, Teenager für den Dienst am „Vaterland“ zu rekrutieren? Dazu gibt es viele Wege. Auch den über die Propaganda. Jugendlichen das Gefühl zu geben, etwas „Wichtiges“ zu leisten, sie mit dem Gefühl der „Ehre“ zu stimulieren – das kann sehr wirkungsvoll sein.

In dem Comic „Ben dient Deutschland“ wird einem Teenager mit Namen Ben dieses Gefühl vermittelt. Und das ist – das darf man den Machern zugestehen – klug gemacht. Der Comic blendet die Kritik, die sich einem Jungen, der überlegt, Soldat zu werden, entgegenstellen wird, nicht aus. Der Comic lässt eine Diskussion über den Sinn, über die Pro- und Contra-Argumente zu. Er richtet seinen Fokus sogar auf die Kriegsverbrechen und die Missetaten des US-Militärs. Damit bedienen die Macher zunächst die Kritiker. Sie versuchen, „Wind aus den Segeln“ zu nehmen. Sie zielen aber auch auf die jungen Leute, denen sich in der Realität eben vermutlich, hoffentlich, der ein oder andere kritische Freund oder ein kritisches Familienmitglied entgegenstellen wird. Vordergründig also spielen die Macher des Comics mit offenen Karten. Doch die Propaganda steckt auf einer tieferen Ebene. Als Beherrscher ihrer Fantasiewelt sind sie natürlich in der Lage, die Diskussionen und die Einlassungen der Kritiker zu lenken. Sie lenken die Gegenargumente so, wie sie die Gedanken von Ben lenken.

Wie das ausgehen wird, lässt sich schnell erkennen. Nach und nach lösen sich Bedenken, Widersprüche und Konflikte auf. Ben geht seinen Weg über den inneren Konflikt hinweg. Am Ende steht der fertig ausgebildete Soldat. Ausgebildet zum Kampf. Ausgebildet, um zu töten. Eines der letzten Bilder in dem Comic zeigt einen Kasernenhof. Nicht unerwartet befindet sich der Militärstützpunkt in Litauen – an der Grenze zu Russland. Das Bild zeigt aus der Vogelperspektive die Soldaten, die angetreten sind. Stramm stehen sie da. Vor ihnen der Vorgesetzte. Er sagt: „Wir wissen nicht, ob oder wie lange die Ukraine standhält. Und wir wissen nicht, wie die Lage weiter eskaliert. Es ist also ernst und wir sind nah dran. Aber falls es darauf ankommt, stehen wir hier zusammen, um das Recht und die Freiheit zu verteidigen. Man verlässt sich auf uns. Und ich weiß, ich kann mich auf Sie verlassen.“

Da ist er, der Gegenwartsbezug. Da ist sie, die Zeitenwende. Der ganze Comic ist eingebettet in die allgegenwärtige Erzählung vom Ukraine-Krieg. Wer schuld ist, daran gibt es keine Zweifel. Geo- und Tiefenpolitik der USA und der NATO kommen nicht vor. Und so sagt der ranghohe Militär vor den Soldaten eben das, was ein Realitätsbruch nun mal hervorbringen muss. Auch hier kommt die Perfidität zum Vorschein. „Aber falls es darauf ankommt, stehen wir hier zusammen, um das Recht und die Freiheit zu verteidigen. Man verlässt sich auf uns. Und ich weiß, ich kann mich auf Sie verlassen.“ Der Ton ist bestimmend, aber er hat zugleich auch etwas von Leutselig- und Väterlichkeit. Die Soldaten – sie werden hinterrücks manipuliert.

Die Währung des für uns Menschen so wichtigen Vertrauens, kommt in Spiel. Wer wollte sich schon als Soldat, als Mensch, als junger Mann, der hier mit geradem Rückgrat steht, die Blöße geben und diesen Vorgesetzten, diese Vertrauensperson, ja: diesem vielleicht für einige auch „Vaterersatz“ gegenüber einem Vertrauensbruch abliefern? Und es geht ja nicht nur um den, der da vorne steht. Das Vertrauen des gesamten Landes, der ganzen Nation lastet nun auf den trainierten Schultern der Soldaten. Ein Vertrauensbruch wäre Verrat an allen und an sich selbst. Auch wenn am Ende der eigene Tod auf dem „Feld der Ehre“ steht.

Ben und seine Kameraden haben ihre Ausbildung zu Kämpfern abgeschlossen. Ihr Körper ist gestählt. Das Wissen ihres Todeshandwerks sitzt. Aber wie sieht es mit ihrem Verstand aus? Hat die Bundeswehr auch den Verstand ihrer Soldaten so ausgebildet, dass sie nun auf dem Kasernenhof als Soldaten und Bürger mit einem kritischen Bewusstsein stehen? Begreifen „Kämpfer für die Gerechtigkeit“, dass die Zeitenwende ein verlogener Euphemismus einer global ausgerichteten Geo- und Tiefenpolitik ist? Begreifen sie, dass ihr angeblicher „Feind“ vielleicht gar nicht ihr Feind ist? Begreifen sie, dass der Angriff auf Litauen vielleicht nur deshalb irgendwann einmal stattfinden könnte, weil sie, die „Guten“, hier vor der Haustür Russlands bis an die Zähne bewaffnet stehen? Begreifen sie, dass sie als Soldaten Schachfiguren der Macht sind? Ein derartiger Perspektivenwechsel kommt in der Welt von „Ben dient Deutschland“ nicht vor. Das ist verständlich. Die Propagandawelt des Comics – sie zerfiele in Sekunden zu Staub.

General Carsten Breuer hat den Comic gerade auf der Plattform X angepriesen. „Zurecht“ werde dieser Comic „von der Bundesregierung unterstützt“. Hoffentlich begreifen Lehrer an Schulen, was es mit diesem Comic auf sich hat. Hoffentlich sind sie in der Lage, ihn kritisch zu dekonstruieren. Und hoffentlich haben sie und die Erwachsenen um die Zielgruppe der Teenager bessere Leseempfehlungen. Zum Beispiel Erich Maria Remarques Anti-Kriegsroman „Im Westen nichts Neues“. Darin heißt es: „Das erste Trommelfeuer zeigte uns unseren Irrtum, und unter ihm stürzte die Weltanschauung zusammen, die sie uns gelehrt hatten.”

Titelbild: Screenshot „Ben dient Deutschland“, BMVg