Als nimmermüder Radiohörer, der regelmäßig Sender wie beispielsweise den öffentlich-rechtlichen Deutschlandfunk (DLF) einschaltet, hat man es nicht leicht. Wiederholt zum Frösteln brachten mich Beiträge des DLF wie kürzlich nachmittags und am frühen Abend. Darin wurde unter anderem das Geschehen in Nahost besprochen. Sowohl in den Nachrichten als auch in Folgesendungen servierten die Rundfunkmacher neben den schlimmen Neuigkeiten einen meinem Empfinden nach unangenehmen Stil: Radio zum Frieren. Wenigstens eine Kommentatorin erwärmte mit einer emotionalen Aussage. Ein Zwischenruf von Frank Blenz.
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Die wirklich wichtige Nachricht kommt später
Diese Woche Dienstag, 17.30 Uhr. Zeit zum Radio hören. Deutschlandfunk-Nachrichten. Es ist als Erstes zu erfahren, dass die israelische Armee nach eigenen Angaben weitere Luftangriffe gegen den Libanon geflogen habe. Auch dürfe man der Hisbollah keine Pause gewähren, darum würden die Luftangriffe fortgesetzt. Das libanesische Gesundheitsministerium meldet, dass 560 Menschen getötet worden seien.
In der späteren Druckversion der DLF-Nachricht heißt es unter anderem weiter:
Straßen sind Berichten zufolge verstopft, Krankenhäuser überfüllt, es herrscht Panik. – Israel rief wie schon am Vortag die Bürger im Südlibanon zur Flucht auf, falls sie in der Nähe von Raketenabschussrampen oder Waffenlagern der Hisbollah wohnten. Israels Generalstabschef Halevi kündigte eine weitere Verschärfung der Angriffe an. (…) Mehr als 1.800 Menschen seien verletzt worden. – Die Hisbollah feuerte ihrerseits wieder zahlreiche Raketen auf Israel. Ein Kommandeur einer Raketeneinheit der Hisbollah wurde nach Angaben der israelischen Armee heute bei einem Angriff auf einen Vorort von Beirut getötet. Das libanesische Gesundheitsministerium meldete, dabei seien mindestens sechs Menschen getötet worden.
Auf das obige Grauen folgt dann die für mich eigentlich wichtigste Nachricht – die von einer Anklage, einer Forderung, die der UN-Generalsekretär Antonio Guterres formuliert:
UNO-Generalsekretär Guterres sagte in seiner Eröffnungsrede der Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York: Der Libanon stehe am Rand eines Abgrunds. Die Menschen in der Region und in der ganzen Welt könnten sich nicht leisten, dass das Land zu einem zweiten Gaza werde.
(Quelle: DLF)
Ich frage mich, warum so wenig (wie die Aussage des UN-Chefs) darüber im Radio zu hören ist, wie der Krieg im Nahen Osten beendet werden könnte, ja, dass er beendet werden muss. Warum stellt man die Rede des UN-Generalsekretärs nicht an den Anfang der Nachrichten?
Stattdessen: Kalt und unbeeindruckt folgen Nachrichten auf Nachrichten, Zahlen von Toten, Verletzten, Statistiken von Angriffen. Für mich ist dieses lapidare Durchsagen des ganzen Unglücks Zeichen dafür, dass die Medienmacher sich nicht betroffen fühlen, dass sie wenig nach Wegen, auch mittels publizistischer Arbeit, suchen, sich dem Elend, dem Versagen, dem ungenierten Treiben der Kriegstreiber, der etablierten politischen Klasse wo auch immer entgegenzustellen. Warum hören sich deutsche Nachrichten an, als wären diese ganzen sinnlosen Kriege schon irgendwie durchdacht und berechtigt und halt eine Art Naturgewalt?
Diplomatie das Einzige – klar, aber warum tut sich die ganze Zeit nichts?
Den DLF-Nachrichten folgt die Sendung „Information am Abend“. Themen sind unter anderem der Libanon und der Nahe Osten sowie die letzte Rede von US-Präsident Biden vor der UN.
Biden ist zu hören: Diplomatie sei der einzige Weg zu dauerhafter Sicherheit, die es den Menschen im Norden Israels und im Süden Libanons ermögliche, sicher in ihre Häuser zurückzukehren. Es hört sich für mich unglaubwürdig an, wenn der US-Präsident solche Worte in den Mund nimmt, wo doch weltweit ein ganz anderes Denken und Handeln made in USA zu erleben ist. Doch der Beitrag aus New York in den „Informationen am Abend“ klingt nicht danach, diesen Widerspruch offenzulegen, er ist Produkt einer Gefolgschaft.
Ich als Hörer werde in Kenntnis gesetzt: Biden zählt vor der UN die Herausforderungen und Krisen auf, mit denen die Welt in der Gegenwart konfrontiert sei, darunter die Zerrissenheit der eigenen amerikanischen Gesellschaft, die Bedrohungen der Demokratien, Kriege, Epidemien und künstliche Intelligenz. Voll von Selbstlob meint er: Seine ganze Erfahrung diente ihm als Beleg dafür, dass Fortschritt und Verbesserung der Lebensverhältnisse möglich seien. Biden beweihräuchert sich die ganze weitere Rede hindurch und zählt seine Errungenschaften auf. Biden erinnert an Vietnam und Afghanistan, diese hätten ihm gezeigt, dass Fortschritt möglich sei … Welche Fortschritte? Dass die USA diese Länder verlassen mussten?
Der Berichterstatter des DLF winkt das alles durch. Immerhin: Biden erinnert auch – sieh mal an – an die Not der Palästinenser … Irgendwie klingt das zynisch …
Der US-Präsident erwähnte die Möglichkeit von Fortschritt und der Verbesserung der Lebensverhältnisse. Warum beließ er es bei der Möglichkeit, ist er doch der mächtigste Mann der Welt?
Ein kaltes Telefonat mit dem Korrespondenten aus dem Nahen Osten
Der nächste Beitrag, ein Telefonat gen Nahost, wird vom Radiosprecher Thielko Grieß anmoderiert. Mir ist nicht wohl dabei, was Grieß da vom Stapel lässt, dass er vom Sichtbarwerden einer Strategie spricht. Wie kann man darauf kommen, davon zu sprechen, einen Krieg mal eben so „herunterzufahren“?
Es wird eine Strategie sichtbar, Schritte, die aufeinander folgen. Israel hat erst seinen Krieg im Gazastreifen heruntergefahren. Mutmaßlich Israel ließ dann Kommunikationsgeräte in Händen und Hosentaschen von Hisbollah-Mitgliedern explodieren, auch Zivilisten kamen ums Leben. Dann begann Israel Luftangriffe auf Hisbollah-Stellungen im Libanon. Wieder wird der Tod von Zivilisten in Kauf genommen. In diesem Stadium sind wir angekommen, und diese Luftangriffe haben heute auch angehalten. Mit unserem Korrespondenten Moritz Behrend war ich vor zehn Minuten verbunden. Meine erste Frage war, welchen Umfang die Luftangriffe inzwischen erreicht haben.
Der Korrespondent Moritz Behrend – in der Leitung – legt los und sagt, dass die israelischen Luftangriffe nicht so massiv wie gestern gewesen seien und es dabei sicher 150 Zivilisten, wenn nicht mehr Opfer gegeben habe. Bei einem Angriff auf Beirut sei die Hisbollah-Größe Ibrahim Gabizi, verantwortlich für Raketensysteme, ausgeschaltet worden. Die israelische Armee veröffentliche diese bebilderten Organigramme mit den Führungsköpfen der Hisbollah, so Behrend weiter. Und da stehe inzwischen bei ganz vielen ein ganz dicker roter Balken mit dem Wort „eliminated“ (ausgeschaltet).
Moderator Grieß will wissen: Verlässliche Infos? Behrend antwortet, dass die mit Sicherheit verlässlich seien, im großen Unterschied zu Gaza: Im Libanon seien ja ausländische Medien, die diesen Krieg beobachten können, und im Libanon gäbe es eine sehr vielfältige, sehr kritische Presse.
Was bekomme ich als Hörer aber nicht zu hören? Der Fragesteller vermied es konsequent, nachzuhaken, mehr wissen zu wollen. Behrend schwärmte einerseits geradezu davon, dass es im Libanon eine sehr kritische Presse gibt und in Gaza dagegen keine. Was die Presse jedoch Kritisches schreibt, davon erfahre ich als Hörer nichts. Möglicherweise kritisiert sie die Kriegsführung Israels, die fehlenden diplomatischen Bemühungen einer Befriedung und so weiter.
DLF-Mann Thielko Grieß will dann noch wissen: Welche Ziele will Israel erreichen? Und Behrend antwortet: Die Hisbollah so zu schwächen, dass sie keine Bedrohung mehr für den Norden Israels sind. Behrend stellt fest, dass die Hisbollah geschwächt sei. Die dramatische Lage erwähnt er kurz: Die Fluchtbewegungen seien chaotisch, Fluchtbewegungen gäbe es innerhalb des Landes und auch gen Syrien. Moderator Grieß: Wie reagieren die Nachbarn? Behrend: Die Libanesen fühlten sich allein gelassen von Nachbarn wie Ägypten und anderen Ländern.
Mein Eindruck zu den zwei Gesprächspartnern festigt sich: Da sind zwei, die keine Zweifel am kriegerischen Treiben Israels äußern. (Quelle: DLF)
Der emotionale Kommentar am Abend
Dienstag, 24. September 2024, 19.05 Uhr, Kommentare. Ich höre einen Kommentar von Nina Amin, „Israel und Hisbollah: Auswege aus der Eskalation“. Ich erfahre unter anderem: Der Libanon sei unter schwerem Beschuss. Hisbollah feuere gen Israel, aus Solidarität mit der Hamas in Gaza. Jetzt bombardierte Israel massiv Libanon, mache ganze Landstriche platt. Unter den vielen Opfern seien 90 Frauen, 50 Kinder. „50 Kinder!“, wiederholt die Kommentatorin. Israels Premier Netanjahu habe dem libanesischen Volk versichert, der Krieg richte sich nicht gegen das Volk. Kommentar: „Das ist zynisch.“ Nina Amin fragt schließlich: Wofür? Sie beschreibt das Drama drastisch und klagt: Niemand von außen scheint so richtig helfen zu wollen. Das haben die Menschen im Libanon nicht verdient. (Quelle: DLF)
Nachtrag: Ich schalte das Radio aus. Ich finde: Ja, das haben die Menschen im Libanon, in Gaza, überhaupt in ganz Nahost nicht verdient. Den ganzen Zynismus, die Verachtung, den Unwillen, Lösungen zu realisieren, die Frieden bringen. Wo bleibt nur die Diplomatie und wo die kritische, Druck ausübende Presse? Und noch was: Ich finde, man kann sich all die eloquenten, selbstgefälligen Reden wie beispielsweise die von Biden schenken – alles leere Worte.
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