„Empört Euch“, hat einst Stephane Hessel, Unterzeichner der UN-Charta der Menschenrechte, eines seiner Bücher betitelt. Hessel hatte aufgerufen, sich für den Erhalt der Demokratie einzusetzen, nicht nur zu meckern, sondern zu machen, zu bewahren. Jetzt, im erneuten Angesicht von Kriegen, ist das Empören umso wichtiger, vor allem darüber, dass zu wenig bis nichts für den Frieden als essenzielle Grundlage unserer Demokratie unternommen wird. Ein Beispiel für engagiertes Empören mit Vorbildwirkung sei hier genannt: Im vogtländischen Plauen empören sich Menschen, sie agieren, machen, demonstrieren. Sie haben im Spätsommer einen Offenen Brief an den Bundeskanzler und die Regierung geschrieben. Mehr noch, sie gehen Woche für Woche auf die Straße – bislang erzielen sie (noch) nicht wirklich große Erfolge. Doch sie geben nicht auf. Von Frank Blenz.
Unterzeichner zitieren Gandhi: Es gibt keinen Weg zum Frieden, denn der Frieden ist der Weg
Die politische Aktion aus der Bürgerschaft der mittelgroßen Stadt in der Mitte Deutschlands namens Plauen hat vorbildwirkende Symbolkraft, scheint es in diesen unfriedlichen Zeiten doch an engagierten, beherzten Aktivitäten zu fehlen, dem Frieden Vorfahrt zu gewähren. Es sind Bürger Plauens, Kommunalpolitiker, politisch interessierte Aktivisten, Berufstätige, Rentner. Sie haben gemeinsam einen Offenen Brief verfasst und kritisieren darin den Bundeskanzler und die Bundesregierung.
Die Verfasser nehmen, so ihr Schreiben, die genannten Politiker „nur noch als militärische Unterstützer eines Krieges wahr; diplomatische Friedensinitiativen vonseiten der EU sind für uns nicht erkennbar“. Sie richten weitere eindringliche Worte an den Bundeskanzler: „Die Menschen wollen keinen Krieg. Sie erwarten von den Politikern, dass sie sich für den Frieden einsetzen! Dies fordert nach neuesten Umfragen mehr als die Hälfte der deutschen Bevölkerung.“ Sie erinnern den Kanzler an ein Zitat von Gandhi: „Es gibt keinen Weg zum Frieden, denn der Frieden ist der Weg.“
Den Kanzler anschreiben, demonstrieren – doch alles umsonst?
Ihr Engagement verlaufe scheinbar im Sand und bleibe bisher unbeachtet vor allem von den meinungsführenden Medien (Print, Rundfunk, TV), beklagen die Initiatoren der Plauener Demonstrationen (Mahnwachen) und des Offenen Briefes an den Bundeskanzler. Schon den einen Brief nicht zu beachten, zu achten (!), empfinden die Verfasser kritikwürdig und als ein Zeichen mangelnden Respekts unserer wertebasierten Demokratie.
Man stelle sich vor, es würden aus vielen Kommunen des Landes ähnliche Briefe an die Adresse des Bundeskanzleramtes gesendet und es würde darauf ebenso wie auf das eine bemerkenswerte Schreiben aus dem Vogtland mit Ignoranz und Schweigen reagiert werden. Ob es dennoch etwas einbrächte, vielfach zu schreiben? Ein einzelner Brief war wohl zu wenig.
Ja, zugegeben, eine wirkliche kraftvolle Friedensbewegung gibt es gerade nicht – eine, die ernst zu nehmen ist und ernst genommen wird. Umso wichtiger ist es, dass Anfänge gemacht werden, dass nicht aufgegeben wird, sich für Frieden und Verständigung einzusetzen. Es bleibt wichtig, sich zu empören. Umfragen belegen die Forderung der Mehrheit der Menschen im Land nach einer anderen Politik. Diese Tatsache stellt man dem grandios gegenteiligen Handeln der Entscheidungsträger und Volksvertreter gegenüber. Man muss zum Schluss kommen, dass dieses Handeln der politischen Klasse nichts mehr mit Demokratie zu tun hat. Dagegen muss gekämpft werden, mindestens muss immer wieder darauf aufmerksam gemacht werden – so wie in Plauen.
Doch es finden sich auch Formen von Ignoranz, Nichtbeachtung politischer Aktivitäten und auch Anzeichen von Resignation an der bürgerschaftlichen Basis in Plauen, erleben die Initiatoren. Sie beklagen: Weggucken statt Mitmachen scheint die Richtschnur des Handelns (Nichthandelns) in der Masse der Bevölkerung zu sein. Es stimmt, viele Menschen haben viele Sorgen und/oder haben es sich in einer Nische eingerichtet, die sie für komfortabel und sicher halten.
Es fühle sich leider auch so an, als wären viele Bürger zunehmend abgestumpft, als würden sie sagen: Das bringt alles nichts, es ändert sich nichts. Und es sei noch schlimmer, wie einer der Aktivisten, Dietmar Schlei, in einem Rundschreiben an seine „Mitdenker“ ausführt:
Leute auf der Straße ansprechen und sie gar zu einer Unterschrift zu bewegen, lief nicht wirklich gut. Viele wollten ihre Adresse nicht auf den Zettel schreiben, jene, die noch arbeiten, befürchteten Nachteile. So weit sind wir schon. Erwähnt sei aber, dass sie die im Brief angesprochenen Themen durchaus unterstützen – aber die besagte Angst sitzt ihnen halt im Nacken. Es ist frustrierend, seit mehr als zwei Jahren stehen wir, medial unbeachtet, samstags 15:00 Uhr bis 16:00 Uhr vorm Landratsamt und montags von 17:00 Uhr bis 18:00 Uhr vorm Wendedenkmal. Hinweise über unsere Anwesenheit, wie auch ein Bericht über friedensliebende Leute, die derzeit von Bitterfeld nach Monaco laufen, legen unsere „Qualitätsmedien“ offenbar in den Giftschrank.
Dietmar Schlei ist ein Plauener, der sich seit vielen Jahren fern von etablierten Parteien und Organisationen in seiner Heimatstadt politisch engagiert. Schlei ist Mitbegründer einer basisdemokratischen Interessenvertretung, die „Bürgerplattform für demokratische Erneuerung“ genannt wurde. Diese 2010 gegründete Plattform stellte sich schließlich sogar bei Kommunalwahlen der politischen Konkurrenz. Der Plauener Dietmar Schlei wird, nun im Jahr 2024, weiterhin nicht müde, Woche für Woche auf die Straße zu gehen – als Mitstreiter der Mahnwachen-Aktivisten.
Trotz alledem: Seit zwei Jahren montags und samstags Demokratie leben
Sie sind nicht mehr als ein Dutzend, die zweimal die Woche mit Transparenten auftreten – und das seit zwei Jahren. Montags stehen die „Mahnwachen-Aktivisten“ vor einem Wahrzeichen der Stadt Plauen, dem Wendedenkmal. Samstags stellt sich die Gruppe, Frauen und Männer verschiedener Generationen, vor das Eingangsportal des Landratsamtes im Zentrum der vogtländischen Hauptstadt. Die Passanten lesen auf den Plakaten Sätze wie: „Friedensvertrag statt Kriegseinsätze“, „Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht“, „Wer Krieg will, liefert Waffen, wer Frieden will, schickt Diplomaten“. Einen Film zu ihren Aktionen gibt es hier zu sehen:
Geradezu Alltag ist für die Teilnehmer der Aktionen, dass sie meist unbeachtet dastehen, dass Passanten wenig Aufmerksamkeit investieren, dass immerhin ab und an Menschen anhalten und im besten Fall Gespräche anfangen. Zwar stehen die Demonstranten in der Öffentlichkeit, doch wird ihnen wenig Beachtung geschenkt. Dieses „Abseitsstehen“ wird auch durch die mediale Ignoranz befördert. Die Lokalzeitung Freie Presse unterhält im Nachbargebäude des Landratsamtes ihre Redaktionsräume. Man stolpert, aus dem Haus kommend, geradezu über die Demonstranten, man kann von den Fenstern der oberen Etagen auf das Plauener Wendedenkmal blicken. Dennoch sucht die Leserschaft vergeblich Berichte, eine journalistische Wegbegleitung der politischen Aktivitäten Plauener Bürger. Schlei und seine Mitstreiter hätten sich die eine oder andere Reportage gewünscht, regelmäßige Berichterstattung halt. Eine Veröffentlichung gab es (wenigstens?) – ein Foto mit Bildtext zu einer politischen Aktion der Mahnwachen-Aktivisten: Diese stellten sich zu einem Friedenssymbol auf.
Einer der Unterzeichner des Offenen Briefes ist ein Held der Friedlichen Revolution
Unter dem zweiseitigen Offenen Brief an den Bundeskanzler und die Bundesregierung stehen 14 Unterschriften. Die Unterzeichner sind unter anderem auch Aktivisten, die schon im Wendeherbst 1989 zu den engagierten Bürgern Plauens gehörten, die die Friedliche Revolution mit in Gang setzten. Einer von ihnen ist Jörg Schneider, der in Plauen geradezu berühmt ist, hat er doch eines der wichtigen Schriftstücke dieser historischen Wochen verfasst: ein Flugblatt. Er vervielfältigte es heimlich und im vollen Bewusstsein, sich damit sehr in Gefahr zu bringen. Mehr noch, er verteilte es im ganzen Stadtgebiet in der Hoffnung, dass Passanten die Blätter aufheben, den Inhalt lesen und weiterverbreiten. Der Plan ging auf …
Nun, fast 35 Jahre später, empfindet Jörg Schneider, immer noch engagiert und mutig und nimmermüde, es als wichtig und richtig, den politischen Entscheidungsträgern entgegenzutreten und zu widersprechen. Falls diese es vergessen haben, hier nochmal: „Es gibt keinen Weg zum Frieden, denn der Frieden ist der Weg.“
Bildnachweis: Alle Bilder © Frank Blenz