Die mutmaßlich vom israelischen Geheimdienst am 17. September gleichzeitig zur Explosion gebrachten Pager-Kommunikationsmittel im Libanon, denen über 2.800 Personen zum Opfer fielen, darunter auch Kinder und Diplomaten, war zentrales Thema bei der aktuellen Bundespressekonferenz. Die Bundesregierung wollte dazu grundsätzlich nicht Stellung nehmen, da man vorgeblich keine eigenen Informationen hätte und sich daher „nicht an irgendwelchen Spekulationen“ beteiligen wolle. Die NachDenkSeiten wollten in Folge wissen, ob die Bundesregierung den Vorgang grundsätzlich, unabhängig vom tatsächlichen Täter, als Terrorakt bezeichnet und ob sie alle Hisbollah-Mitglieder, also auch die Parlamentsabgeordneten und Minister, als „Terroristen“ bewertet. Von Florian Warweg.
Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 18. September 2024 zur Thematik der Pager-Explosionen im Libanon
Frage Pentz (Korrespondent ARD-Hauptstadtstudio)
Ich würde gerne wissen, wie die Bundesregierung allgemein diese Pager-Explosion bewertet. Sollte sich herausstellen, dass Israel da in irgendeiner Art und Weise involviert ist, was würde das konkret für die deutsch-israelischen Beziehungen bedeuten?
Vize-Regierungssprecher Büchner
Nach jetzigem Stand kann ich dazu erst einmal sagen, dass wir Medienberichte dazu zur Kenntnis genommen haben, aber dass wir uns nach dem Stand von hier und heute nicht an irgendwelchen Spekulationen beteiligen werden.
Zusatzfrage Pentz
Wie bewerten Sie denn, was da passiert ist? Es gab ja mehrere Opfer einer Terrororganisation, aber auch zivile Opfer. War das ein legitimer Akt gegen eine Terrororganisation, oder war das nicht in Ordnung? Wie sieht die Bundesregierung das?
Büchner
Ich komme zurück auf den Satz, den ich gerade gesagt habe, dass ich mich jetzt hier nicht an Spekulationen beteilige.
Deschauer (AA)
Auch da kann ich vielleicht ganz grundsätzlich sagen: Ich kann mich dem anschließen, was der stellvertretende Regierungssprecher gesagt hat. Wir haben entsprechende Berichte ebenfalls gesehen und zur Kenntnis genommen. Wir haben keine eigenen Erkenntnisse, die wir hier mit Ihnen teilen könnten, vorliegen. Die sind aber immer auch relevant, um eine entsprechende Einordnung, auch eine völkerrechtliche Einordnung, vornehmen zu können. – Das wäre die Antwort auf Ihre Frage, weswegen wir das von dieser Stelle aus nicht tun können.
Frage Dr. Rinke (Reuters)
Meine Frage richtet sich an Frau Kock und Herrn Stempfle, nämlich was die Auswirkungen für Deutschland angeht. Wenn Pager so manipuliert werden können, was heißt das eigentlich für die Ausrüstung der Angestellten des Bundes, egal ob Soldaten, Sicherheitsbehörden oder Politiker? Muss man jetzt die ganze Lieferkette überwachen, um sicherzustellen, dass an keiner Stelle zum Beispiel Sprengstoff eingebaut werden kann?
Stempfle (BMVg)
Es gibt natürlich schon Maßnahmen, die gelten. Die Endgeräte sind im Rahmen der Lieferung durch besondere Maßnahmen so gesichert, dass Manipulationen erkannt werden. Darauf wird grundsätzlich geachtet. Darüber hinaus gibt es bei uns im Haus natürlich Sensibilisierungsmaßnahmen. Jeder und jede ist angehalten, dienstliche IT nicht unbeaufsichtigt zu lassen – solche Dinge. Wenn doch einmal etwas auffallen sollte, dann gibt es natürlich sofort die Aufforderung, das prüfen zu lassen. Dann gibt es forensische Analysen etc. Diese Maßnahmen haben wir sowieso.
Vielleicht noch ein Satz zu der Lieferkette: Die Lieferkette ist der Institution bei uns im Haus, die dafür zuständig ist, bekannt. Da werden auch die Unterauftragnehmer benannt. Da wird es im Einzelfall auch Genehmigungen geben, damit alles seinen rechten Gang geht. Eine zentrale Beschaffung von Pager-Systemen bei uns gibt es in der Bundeswehr nicht. Ob es jemals eine Einzelfallbestellung gab, kann ich nicht beurteilen. Aber eine zentrale Beschaffung gibt es nicht.
Dr. Kock (BMI)
Das hat mein Kollege Herr Stempfle so gut ausgeführt, dem kann ich mich vollumfänglich anschließen.
Zusatzfrage Dr. Rinke
Herr Stempfle, Sie haben jetzt die Lieferkette erwähnt. Aber mir ging es darum – abgesehen von den Verträgen und Ihrer Kenntnis, wer da die Subkontraktoren sind -, ob Sie überlegen, dass Sie möglicherweise auch noch die einzelnen Schritte überwachen müssen. Denn ich nehme einmal an – hier gab es ja auch Verträge; das sagt ja auch die Firma aus Taiwan -, dass diese Produkte normal geliefert wurden, und an irgendeiner Stelle gab es aber höchstwahrscheinlich eine Unterbrechung der Lieferkette, an der dann Manipulationen vorgenommen wurden. Könnten Sie das eigentlich erkennen? Haben Sie so viel Überblick über die Lieferkette?
Stempfle (BMVg)
Ich habe jetzt das gesagt, was ich sagen kann. Es gibt Maßnahmen, die natürlich auch den Bereich der militärischen Sicherheit betreffen. Die will ich hier nicht nennen. Die Maßnahmen, die ich nennen kann, habe ich genannt.
Frage Jung (jung&naiv)
Ich habe noch eine Lernfrage: Wenn Hunderte Pager zeitgleich explodieren und Tausende Menschen – davon viele Unschuldige – verletzt und einige getötet werden, ist das aus Sicht der Bundesregierung ein Terrorakt? Wir wissen ja noch nicht, wer es war. Oder kommt es darauf an, wer es war, um zu sagen, ob das ein Terrorakt war?
Deschauer (AA)
Herr Jung, ich gehe jetzt nicht auf die Einzeldetails Ihrer Fragestellung ein, sondern verweise noch einmal auf das, was ich sagte. Die Bundesregierung – das hat der stellvertretende Regierungssprecher gesagt; ich habe das gesagt – hat entsprechende Berichterstattung zur Kenntnis genommen, aber keine eigene Erkenntnis, die wir hier mit Ihnen teilen können. Diese ist aber notwendig, um eine entsprechende Einordnung bzw. Bewertung einschließlich der völkerrechtlichen Bewertung vorzunehmen. Das können wir von dieser Stelle aus leider nicht tun.
Zusatzfrage Jung
In der Vergangenheit haben Sie sonst immer auch vor einer Eskalation im Nahen Osten gewarnt – jetzt aber zwischen Libanon und Israel heute bisher nicht. Warum nicht?
Deschauer (AA)
Das eine schließt das andere nicht aus. Sie fragten ja gerade nach einer Bewertung als terroristischer Akt. Darauf habe ich Ihnen geantwortet, dass das eine völkerrechtliche Bewertung wäre, die ich aufgrund der Erkenntnislage von dieser Bank aus nicht vornehmen kann. Das andere ist eine politische Einordnung, die wir natürlich seit Beginn dieser Auseinandersetzungen und der sehr schwierigen Lage weiter so sehen. Die Lage gerade im Norden Israels und an der Grenze an der Blue Line ist extrem angespannt. Wir betrachten das fortgesetzt mit sehr großer Sorge und fordern alle Beteiligten in dieser Situation auf, zur Deeskalation beizutragen. Das hat die Außenministerin kürzlich auch in der Region noch einmal betont. Das machen wir auch von dieser Bank.
Frage Jäckels (ND)
Sie sagen, Sie wollen sich jetzt nicht an Spekulationen beteiligen. Aber es müssten ja keine Spekulationen sein. Deutschland ist einer der engsten Partner Israels. Auch die Geheimdienste arbeiten eng zusammen. Gab es bisher irgendwelche Gespräche mit den israelischen Partnern, um eine Bestätigung oder eine Entkräftung der Vorwürfe zu suchen?
Büchner
Mir ist dazu nichts bekannt. Ich möchte aber allgemein noch einmal das unterstützen, was Frau Deschauer gerade gesagt hat. Wir sehen, dass es im Nahen Osten eine große Gefahr für eine Eskalation gibt. Die ist weiter sehr real. Daran sollte niemand Interesse haben. Die Bundesregierung setzt sich mit ihren Partnern weiter intensiv dafür ein, eine Eskalation und einen regionalen Flächenbrand zu verhindern.
Die Bundesregierung hat gemeinsam mit den Partnern in der EU und den G7-Staats- und -Regierungschefs und -chefinnen im Übrigen immer schon deutlich gemacht, dass sie über die Lage an der israelisch-libanesischen Grenze sehr besorgt ist. Die Menschen auf beiden Seiten der Grenze sollten dort ohne Angst um ihr Leben friedlich leben können. Mehr denn je kommt es jetzt darauf an, diese destruktive Spirale der Gewalt zu durchbrechen, Spannungen abzubauen und sich konstruktiv für die Deeskalation einzusetzen. Das kann nur auf diplomatischem Weg erfolgen. Insofern kann ich das nur unterstützen und verstärken.
Zusatz Jäckels
Sie haben jetzt meine Frage nicht beantwortet, ob es diesbezüglich Kontakt zur israelischen Regierung oder zum israelischen Geheimdienst gab.
Büchner
Mir ist dazu nichts bekannt.
Zusatzfrage Jäckels
Meine zweite Nachfrage wäre, ob Sie diese offenbar menschenrechtswidrige Attacke trotzdem verurteilen, egal ob Sie wissen, wer das war oder nicht. Dass sie völkerrechtswidrig ist, ist ja anhand der Berichte, die wir gesehen haben, schon bekannt.
Büchner
Ich habe vorhin schon gesagt, dass ich mich jetzt nicht an irgendwelchen Spekulationen beteilige, und dabei bleibe ich.
Frage Nehls (freier Journalist, zuvor WDR)
Ich versuche es auch noch einmal. Es gibt ja nicht nur Zeitungs-, Radio- und Fernseh-, also Medienberichte – die Sie nicht kommentieren, wie ausdrücklich gesagt wurde, auch von Frau Deschauer. Aber in Ihrer Morgenbesprechung ist ja möglicherweise auch die eine oder andere Erkenntnis von deutschen und anderen Nachrichtendiensten auf den Tisch gekommen. Haben die zumindest den Vorgang bestätigt? Könnte uns das zu einer differenzierten Aussage verhelfen, ob es nun ein Cybercrime, ein terrorverdächtiger Akt oder eine ganz bloße Selbstverteidigung war – unterstellt, es war doch ein Staat, der diese verübt hat? Vielleicht können Sie uns da auf die Sprünge helfen.
Büchner
Auch diesen Versuch verstehe ich natürlich. Aber Sie wissen ja genau, dass ich, selbst wenn nachrichtendienstliche Erkenntnisse zu irgendeinem Fall vorliegen, diese hier nie teilen würde, weil sie ja geheim sind.
Zusatzfrage Nehls
Dann bleibe ich trotzdem bei den möglichen geheimen Quellen: Gibt es denn Hinweise – was wir auch schon vernehmen konnten, und zwar wiederum aus den Medien, aber mit Zitat amerikanischer Nachrichtendienste -, dass diese manipulierten Pager – wie und womit auch immer sie manipuliert wurden – nicht direkt aus Taiwan kamen, sondern aus Ungarn und dort auch produziert wurden? Dann hätte das ja auch eine EU-Variante. Hat das möglicherweise Weiterungen, oder ist Ihnen das schon wieder zu hypothetisch?
Büchner
Das wäre sozusagen eine Spekulation innerhalb der Spekulation. Deshalb kann ich auch dazu nichts sagen.
Frage Warweg
Frau Deschauer, habe ich Sie richtig verstanden, dass die Bundesregierung nicht grundsätzlich von einem Terrorakt spricht, wenn – das ist ja der Status quo; so weit ist der Wissensstand ja – Tausende von Pagern zur Explosion gebracht werden bei Menschen, die gerade ihre Kinder von der Schule abgeholt haben, die Krankenhausbesuche abgestattet oder im Supermarkt eingekauft haben? Das heißt, dieser Akt, tausende Pager zur Explosion zu bringen, wird von der Bundesregierung nicht per se als völkerrechtswidrig bezeichnet?
Deschauer (AA)
Ich glaube, Sie haben mich offenkundig nicht richtig verstanden. Ich verweise aber gerne noch einmal auf das, was ich gesagt habe: Wir haben keine eigenen Erkenntnisse, die hier zu teilen sind und die ich hier teilen kann, und entsprechend kann diese Ableitung und können auch alle völkerrechtlichen Implikationen – darauf spielen Sie ja an – hier nicht vorgenommen werden. Insofern mache ich mir Ihre Aussage oder Interpretation meiner Antwort nicht zu eigen und verweise auf das, was wir hier jetzt in verschiedenen Ausführungen gesagt haben.
Zusatzfrage Warweg
Israelische und auch andere Quellen – wenn auch nicht offizielle – verweisen darauf, dass angeblich nur Terroristen getroffen worden sind, mit Verweis auf die Hisbollah-Mitgliedschaft. Jetzt ist die Hisbollah ja auch eine politische Partei, die auch Teil einer Regierungskoalition ist. Da würde mich ganz grundsätzlich interessieren, ob die Bundesregierung jedes Hisbollah-Mitglied, auch Parlamentarier oder Minister, als Terroristen bewertet.
Deschauer (AA)
Herr Warweg, ich bin mir nicht so sicher, auf was Sie hinauswollen. Ich verweise noch einmal auf die Aussagen, die wir hier getätigt haben. Sie wissen, dass wir von einer auch gelisteten Terrororganisation sprechen, was die militärische Organisation angeht. Insofern glaube ich, Sie kennen den aktuellen Stand. Das haben wir hier mehrfach geteilt, und ich belasse es dabei.
Frage Jessen (freier Journalist, zuvor ARD-Hauptstadtstudio)
Herr Büchner, das ist jetzt keine rechtliche Frage: Zum gesicherten Erkenntnisstand gehört, dass hunderte bis tausende Pager nicht zufällig explodiert sind, sondern gezielt koordiniert zur Explosion gebracht wurden, von wem auch immer. Halten Sie es für ethisch zulässig, diese Art von faktischen Antipersonenminen einzusetzen?
Büchner
Ich bleibe bei dem, was ich gesagt habe.
Zusatzfrage Jessen
Aber Sie haben bisher gesagt, das seien Spekulationen bzw. rechtliche Fragen, auf die Sie nicht eingehen. Meine Frage ist weder Spekulation noch eine rechtliche Frage. Warum mögen Sie die nicht beantworten?
Büchner
Weil es für uns keinen gesicherten Erkenntnisstand über das, was dort wirklich vorgefallen ist, gibt.
Frage Steiner (DLF)
Da die Bundesregierung keinerlei eigene Erkenntnisse hat, die sie mit uns teilen kann, möchte ich noch nachfragen: Ist sichergestellt, dass die Kunden des einen Pager-Betreibers, den es in Deutschland gibt, die jetzt momentan vielleicht mit einem Pager in einem Krankenhaus stehen, keine Angst haben müssen, dieses Gerät in diesen Tagen in ihrer Hosentasche mit sich zu tragen?
Dr. Kock (BMI)
Ich kann gerne grundsätzlich etwas zur Sicherheit derartiger Geräte in Deutschland sagen. Aus technischer Sicht des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik können Akkus in solchen oder auch vergleichbaren Geräten nicht ferngesteuert zur Explosion gebracht werden, wenn diese Geräte nicht vorher manipuliert wurden.
Zusatzfrage Steiner
Das heißt, Sie gehen momentan davon aus, dass es keinerlei Gefahr gibt für Menschen, die in Deutschland mit einem Pager herumlaufen, sofern er nicht ein Direktimport aus dem Libanon ist?
Dr. Kock (BMI)
Ich habe dem, was ich gerade gesagt habe, nichts hinzuzufügen.
Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 18.09.2024