So wird der Laden wieder flott! Deutsche Bahn verramscht bestes Pferd im Stall

So wird der Laden wieder flott! Deutsche Bahn verramscht bestes Pferd im Stall

So wird der Laden wieder flott! Deutsche Bahn verramscht bestes Pferd im Stall

Ein Artikel von Ralf Wurzbacher

Betriebswirtschaft paradox. Der DB-Konzern hat mit der Logistiktochter Schenker bloß noch einen echten Gewinnbringer. Und ausgerechnet der wird an die Konkurrenz in Dänemark verkauft. Das lässt sich nur verstehen im Lichte einer allgemeinen Kaputtstrategie, die das Staatsunternehmen endgültig reif für die Übernahme durch die Privaten macht. Die Verantwortlichen sagen das nicht und sprechen lieber von „Konzentration aufs Kerngeschäft“. Geschenkt. Von Ralf Wurzbacher.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Man stelle sich einen alten Mann mit einem goldenen Krückstock vor. Daneben besitzt er ein paar mehr Habseligkeiten, indes nichts von großem Wert. Bei der nächsten Gelegenheit verkauft er den Krückstock gegen viel Geld. Aber schon an der nächsten Ecke stürzt der Mann und stirbt. Die Deutsche Bahn (DB) ist gerade im Begriff, ihren goldenen Krückstock zu verkaufen. Mit ihrer Logistiktochter DB Schenker will sie ausgerechnet den Konzernteil loswerden, der zuletzt der einzig verbliebene Ertragsbringer war. Allein in den vergangenen zwei Jahren spielte die Sparte fast drei Milliarden Euro Gewinn ein. Ohne diesen Beitrag werden die ohnehin miesen Unternehmensbilanzen mit Sicherheit noch einmal mieser. Und der schon jetzt bedenklich wankende Riese wird noch stärker ins Taumeln geraten.

Unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten wirkt ein solches Vorgehen wie Harakiri. Die Bosse hacken ihr einzig gehfähiges Bein ab und warten darauf, zu verbluten. Nur will die Bahn, nachdem sie über Jahrzehnte als Aktiengesellschaft ihre privatwirtschaftliche Eigenständigkeit hochgehalten hatte, plötzlich nicht mehr nach dem Prinzip Profitmaximierung agieren, sondern für die Menschen da sein – angeblich. Kommuniziert wird das mit der wohlklingenden Formel: Wir kümmern uns ab sofort um unser Kerngeschäft, die Eisenbahn. „Ein Unternehmen wie Schenker muss sich international aufstellen, um wachsen zu können. Die Bahn hingegen muss sich wieder stärker auf ihre Kernaufgaben konzentrieren. Hier gibt es noch genug zu tun“, befand am Freitag Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP).

Zerschlagung leicht gemacht

Kurz davor hatte die Kunde von der bevorstehenden Veräußerung Schenkers an den dänischen Logistiker DSV die Runde gemacht. Die noch fällige Zustimmung durch Aufsichtsrat und Eigentümer, also den Bund, vorausgesetzt, soll das letzte flotte DB-Pferd für 14,3 Milliarden Euro – samt erhoffter Zinserträge für 14,8 Milliarden Euro – planmäßig im zweiten Quartal 2025 in den Stall der Konkurrenz im Norden Europas wechseln. Auch das soll gut für die Menschen sein: Ziel sei es, „eines der führenden Unternehmen der Transport- und Logistikbranche zu schaffen“ und Deutschland zu einem „noch wichtigeren Markt“ zu machen, verbreitete der DB-Medienstab. Und der Vorstandsvorsitzende Richard Lutz versprach eine rosige Zukunft: „Im Einklang mit unserer Starke-Schiene-Strategie konzentrieren wir uns geschäftlich auf die gemeinwohlorientierte Schieneninfrastruktur in Deutschland sowie klimafreundlichen Personen- und Güterverkehr in Deutschland und Europa.“

Es gibt Leute, die dem Braten nicht trauen. Victor Perli von der Bundestagsgruppe Die Linke sieht „eine groteske Fehlentscheidung zum Schaden der Bahn“. Den NachDenkSeiten sagte er:

„Die Ampel verscherbelt öffentliches Eigentum zum Spottpreis. Ohne Schenker werden die Bahn-Schulden künftig schneller steigen. Das ist im Interesse derjenigen, die die Bahn zerschlagen und weitere Filetstücke privatisieren wollen.“

Die allgemeine Sprachregelung lautet freilich auch bei diesem Punkt völlig anders: Die Schulden der DB, inzwischen weit über 30 Milliarden Euro, sollen durch den Erlös merklich gesenkt werden. Denn geringere Verbindlichkeiten verhinderten Einbußen bei der Kreditwürdigkeit und damit höhere Finanzierungskosten.

Beschleunigte Talfahrt

Das stimmt zwar, allerdings werden die möglichen Ersparnisse die drastischen Einschnitte in der Gesamtbilanz nicht annähernd kompensieren. 2023 ergab für die Bahn ein Defizit von 2,4 Milliarden Euro, trotz der 1,1 Milliarden Euro, die Schenker erwirtschaftete. Im Jahr davor betrug der Schenker-Überschuss sogar 1,8 Milliarden Euro. Alles spricht dafür, dass die DB-Talfahrt anhalten wird. Im Fernverkehr reiht sich ein Unpünktlichkeitsrekord an den nächsten. Der Pannenbetrieb bei kaputter Infrastruktur und historischem Personalmangel, dazu die große Generalsanierung der maroden Schiene mit monatelangen Komplettsperrungen werden noch mehr Fahrgäste vergraulen. Wie der Fernverkehr steht auch die Frachtsparte DB-Cargo tief in den roten Zahlen, wobei die Aussichten für die kommenden Jahre mehr als trüb sind. Dazu kommen Investitionen zum Zweck der Netzertüchtigung, die – selbst in der unzureichenden Kleckervariante der Ampelregierung – deutlich über denen der Vergangenheit liegen werden.

Und das alles will man meistern ohne den schönen Schenker-Segen? Bei einer nicht allzu pessimistischen Prognose dürfte der Verkaufserlös schon in fünf, sechs Jahren von neuen Verlusten aufgefressen sein und der Schuldenberg wieder steil in die Höhe schießen. Natürlich kennen die Verantwortlichen die Kennzahlen. Aber sie tun so, als hätten sie alles im Griff und als wäre alles wieder prima, wenn demnächst die Eisenbahn endlich wieder richtig Eisenbahn fährt – und nicht länger Brummi.

Für ‘n Appel und ein Ei

Natürlich soll der Schenker-Rückerwerb im Jahr 2002 (bis 1991 gehörte der Spediteur der Deutschen Bundesbahn) hier nicht verteidigt werden. Das Projekt war Teil der Größenwahnstrategie von Ex-DB-Chef Hartmut Mehdorn, der aus der Bahn einen global agierenden Logistikmulti zu Lande, zu Wasser und auf der Schiene machen wollte – mit grober Vernachlässigung der Schiene, wie sich bald zeigte. Angesagt war, dass sich die Geschäftsfelder gegenseitig befruchten und große Teile der Schenker-Fracht von der Straße auf Güterzüge verladen würden. Tatsächlich aber wuchs der Laden zur konzerninternen Konkurrenz von DB-Cargo heran, mit verheerenden Folgen für den deutschen Schienengüterverkehr und fürs Klima.

Das heißt: Ohne Schenker und ähnlich desaströse Auslandsabenteuer, mit denen man inzwischen abgeschlossen hat (zum Beispiel die britische Arriva), wäre die Bahn heute fraglos besser aufgestellt. Aber: Arriva war ein Minusgeschäft, während Schenker hochprofitabel ist und, bei entsprechendem politischen Willen, zu einem echten Schienenlogistiker hätte weiterentwickelt werden können. Stattdessen: Raus damit und ab damit nach Dänemark! Carl Waßmuth, Sprecher beim Bündnis „Bahn für alle“, ist bedient ob so viel Widersinn. „Die Deutsche Bahn liegt am Boden, aber Volker Wissing tritt noch nach“, äußerte er im Gespräch mit den NachDenkSeiten. „Verkauft, zurückgekauft, wieder verkauft – Schenker ist geradezu ein Symbol für den unsinnigen Handel mit Stücken der Bahn. Und immer nimmt dabei die DB Schaden und die Allgemeinheit, auch jetzt wieder“. Es gehe gar nicht um die ganzen LKWs und Frachtflugzeuge. „Aber wir benötigen für den Güterverkehr auf der Schiene dringend Know-how in Logistik und Lieferketten“, so Waßmuth. „Das geht jetzt alles an die Dänen für ‘n Appel und ein Ei.“

Heuschrecke bevorzugt

An die Dänen gehen auch die rund 75.000 Schenker-Beschäftigten – zunächst, aber wohl nur vorübergehend. DSV steht im Ruf, mit einer aggressiven Einkaufspolitik Wettbewerber aus dem Weg zu räumen und die Beute ohne Rücksicht auf die Belegschaften auf Maximalprofit zu trimmen. 2019 schluckte das Unternehmen den Schweizer Logistiker Panalpina und setzte anschließend ein Drittel der Mitarbeiter vor die Tür. Bis voraussichtlich 2027 greift bei Schenker zwar eine Kündigungsschutzklausel, aber danach dürfte kein Job mehr sicher sein. Bei ver.di fürchtet man, dass im Zuge des Abbaus von Doppelstrukturen Tausende der 15.000 Stellen in Deutschland auf der Kippe stehen.

Die Angst geht so weit, dass die Gewerkschaft zuletzt sogar dem geschlagenen Mitbieter die Daumen hielt. Capital Partners (CVC) ist eines der weltweit größten Private-Equity-Unternehmen, die gemeinhin als Heuschrecken verschrien sind. Ob die Macher die Arbeitsplätze geschont hätten, sei dahingestellt. Immerhin traten sie an, Schenker als Marke zu erhalten. Die Dänen dagegen werden wohl auch den traditionsreichen Namen ausradieren. In den Tagen vor der Entscheidung hatten Schenker-Mitarbeiter vor den Geschäftsstellen des Unternehmens gegen das drohende Unheil protestiert. Den Entscheidern bei Bahn-Vorstand und Bundesregierung war das egal. Den Ausschlag pro DSV soll ein geringfügig höheres Gebot gegeben haben. So viel zum Narrativ: alles zum Wohle der Menschen.

Bereit zum Filetieren

Die NachDenkSeiten hatten zuletzt an dieser Stelle aufgezeigt, dass sämtliche jüngeren, durch Bahn-Führung und Bundesregierung getroffenen und geplanten Maßnahmen zur „Rettung“ der Bahn das exakte Gegenteil bewirken. Kapitalerhöhung, Schienenmaut, Netzertüchtigung, Deutschland-Ticket, DB-Cargo-Sanierung – die Effekte sind immer dieselben: Die Angebote im Fern-, Regionalverkehr und Güterverkehr werden beschränkt, die Preise erhöht und die ökologische Verkehrswende sabotiert. Am Mittwoch folgt der nächste Akt der Kaputtstrategie. DB-Frontmann Lutz will ein umfassendes „Sanierungsprogramm“ vorlegen, von dem jetzt schon klar ist, was kommt: Arbeitsplatzabbau, Strecken streichen, Preise rauf.

Das Versagen ist so geballt und penetrant, dass es Absicht sein muss. Schenker zu „verschenken“, passt da nur ins Bild. Der Deal ist ein Puzzleteil des großen Ausverkaufs. In zwei Jahren soll DB-Cargo auf Geheiß der EU-Kommission schwarze Zahlen schreiben. Das ist ein Ding der Unmöglichkeit und eine Trennung mit Ansage. Auch in Frankreich musste die staatliche Eisenbahngesellschaft SNCF auf Druck Brüssels einen Großteil ihrer Güterbahnen an die Konkurrenz abtreten. Abgespeckt und ausgezehrt, werden bald auch die letzten Reste des integrierten DB-Konzerns zerfleddert. Spätestens bei Vorlage der Bilanzzahlen 2025, dann ohne Schenker-Profite, wird die Politik „einsehen“, dass „alle Anstrengungen umsonst“ waren und als Lösung nur mehr eine Privatisierung bleibt. Wahrscheinlich geht es schneller. Nach der Bundestagswahl wird Tacheles geredet.

Titelbild: cortex-film/shutterstock.com

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