Corona-Urteil von Osnabrück: „Das alleine hätte noch vor einem Jahr (…) die Richter in die Querdenker-Ecke gestellt“

Corona-Urteil von Osnabrück: „Das alleine hätte noch vor einem Jahr (…) die Richter in die Querdenker-Ecke gestellt“

Corona-Urteil von Osnabrück: „Das alleine hätte noch vor einem Jahr (…) die Richter in die Querdenker-Ecke gestellt“

Tobias Riegel
Ein Artikel von: Tobias Riegel

Das Verwaltungsgericht Osnabrück hatte vergangene Woche Teile des Infektionsschutzgesetzes als möglicherweise verfassungswidrig und die Unabhängigkeit des RKI als fraglich bezeichnet – auch unter Berufung auf die RKI-Protokolle. Kann das Urteil und der Verweis der Sache ans Bundesverfassungsgericht den verantwortungslosen Widerstand gegen die Corona-Aufarbeitung schwächen? Ein Kommentar von Tobias Riegel.

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Das Verwaltungsgericht Osnabrück hatte bereits vergangene Woche auch unter Bezugnahme auf die RKI-Protokolle befunden, dass die während der Corona-Politik eingeführte einrichtungsbezogene Impfpflicht und Teile des „Infektionsschutzgesetzes“ möglicherweise verfassungswidrig waren, wie etwa der BSW-EU-Abgeordnete Friedrich Pürner in der Berliner Zeitung schreibt. Der Präsident des Gerichts, Gert-Arnim Neuhäuser, sagte bei der Verhandlung unter anderem:

„Die Kammer hat nicht bloß Zweifel, sie ist überzeugt, dass bestimmte Grundrechtsbegriffe in der Pandemie verfassungswidrig waren.“

Und weiter:

„Aufgrund der nunmehr vorliegenden Protokolle des COVID-19-Krisenstabs des Robert-Koch-Instituts (RKI) sowie der in diesem Zusammenhang heute durchgeführten Zeugenvernehmung von Prof. Dr. Schaade, Präsident des RKI, sei die Unabhängigkeit der behördlichen Entscheidungsfindung infrage zu stellen.“

Nach Überzeugung der 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Osnabrück, die den Fall verhandelte, sei der damalige § 20a des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) im Laufe des Jahres 2022 „in die Verfassungswidrigkeit hineingewachsen“, wobei eine verfassungskonforme Auslegung nicht möglich sei, wie Bastian Barucker zitiert.

„Die Kammer wird das Verfahren nunmehr dem Bundesverfassungsgericht vorlegen“

Verhandelt wurde laut Medien die Klage einer Frau aus Quakenbrück, die im Jahr 2022 nicht weiter ihrem Beruf als Pflegehelferin nachgehen durfte. Grund: Sie hatte keinen Nachweis vorgelegt, laut dem sie gegen Corona geimpft oder von dem Virus genesen gewesen sei. Es ging um die sogenannte einrichtungsbezogene Impfpflicht. Das Verfahren soll nun dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt werden, wie es in einer Pressemitteilung des Verwaltungsgerichts Osnabrück heißt:

„Die Kammer wird das Verfahren nunmehr dem Bundesverfassungsgericht vorlegen und ihm die Frage stellen, ob § 20a Infektionsschutzgesetz (IfSG, in der Fassung vom 18. März 2022) mit Art. 2 Abs. 2 S. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar gewesen ist.“

„RKI-Protokolle erreichen endlich auch die Welt der Richter“

Friedrich Pürner schreibt über die potenzielle Bedeutung des Aufsehen erregenden Beschlusses von Osnabrück, auch im Zusammenhang mit den bei der Verhandlung thematisierten RKI-Protokollen:

„Das weckt Hoffnung. Hoffnung, weil sich Richter jetzt trauen, das Vorgehen in der Corona-Zeit ehrlich und ungeschönt anzusprechen. Da ist eine Kammer, die mit drei Berufsrichtern, also ausgezeichneten Juristen, die einrichtungsbezogene Impfpflicht für verfassungswidrig hält. Das alleine hätte noch vor einem Jahr für einen Skandal gesorgt und die Richter in die Querdenker-Ecke gestellt. Wenn sich diese Richter überhaupt getraut hätten, so einen Beschluss zu fassen. Jetzt aber erreichen die RKI-Protokolle endlich auch die Welt der Richter und anderer Juristen. Die ersten Berührungsängste sollten abgebaut sein.“

Ein Fazit daraus lautet:

Die Versuche vieler Politiker und einiger Medien, den Skandal um die Bedeutung der RKI-Protokolle kleinzureden, sind damit offiziell gescheitert. Das Bundesverfassungsgericht kann jetzt zum Schauplatz der Aufarbeitung werden.“

Im Artikel werden weitere juristische Hintergründe geschildert – und er erinnert daran, dass sich das Bundesverfassungsgericht mit der Verfassungsmäßigkeit des § 20a Infektionsschutzgesetz (IfSG), der von Dezember 2021 bis Ende 2022 galt, bereits beschäftigt hatte: Mit Beschluss vom 27.4.2022 sei das Gericht zu dem Ergebnis gekommen, dass das angegriffene Gesetz verfassungsgemäß sei. Eine Entscheidung, so Pürner, die weitreichende Auswirkungen hatte, „Leid und Unverständnis verursachte und in vielen gerichtlichen Entscheidungen als Begründung herangezogen wurde“. Auf andere Entscheidungen des Verfassungsgerichts zur Corona-Politik waren die NachDenkSeiten etwa 2021 unter anderem in dem Artikel „Verfassungsgericht: Rückenwind für autoritäre Politik“ eingegangen.

„Ja, selbstverständlich, Weisungen nehmen wir entgegen“

Der Autor und Daten-Analyst Tom Lausen zitiert bei Nius einige Dialoge zwischen dem als Zeugen vernommenen RKI-Chef Lars Schaade und dem Osnabrücker Richter, der etwa fragt: „War die wissenschaftliche Freiheit des RKI intern eingeschränkt?“ Schaades Antwort: „Ich kann mich nicht genau erinnern, aus damaliger Sicht habe ich das so gesehen.“ In einem weiteren Wortwechsel fragte der Vorsitzende Richter: „Gab es direkte Einflussnahme?“ Die Antwort von Schaade:

„Ja, selbstverständlich, Weisungen nehmen wir entgegen.“

Verantwortungsloser Widerstand gegen Corona-Aufarbeitung

Ich begrüße das Urteil von Osnabrück. Zwar bin ich wegen der bisherigen Erfahrung mit der nicht stattfindenden Aufarbeitung der unangemessenen und gefährlichen Corona-Politik sowie der sie begleitenden Hetze gegen Andersdenkende nicht ganz so optimistisch wie etwa der in diesem Artikel zitierte Friedrich Pürner.

Aber das Urteil und die möglicherweise kommende Behandlung des Themas duch das Bundesverfassungsgericht – dann nicht mehr in einer Atmosphäre der akuten Corona-Propaganda und auf Basis der zugänglichen RKI-Protokolle — kann das Zeug haben, den verantwortungslosen Widerstand gegen eine angemessene Corona-Aufarbeitung ein Stück weiter zu schwächen.

Titelbild: Faizal Ramli / Shutterstock