Auswärtiges Amt: Kerngeschäft der Diplomatie ist das Führen von Gesprächen – außer mit Russland

Auswärtiges Amt: Kerngeschäft der Diplomatie ist das Führen von Gesprächen – außer mit Russland

Auswärtiges Amt: Kerngeschäft der Diplomatie ist das Führen von Gesprächen – außer mit Russland

Florian Warweg
Ein Artikel von: Florian Warweg

Bei der Regierungspressekonferenz am 4. September hatte die Sprecherin des Auswärtigen Amtes in Bezug auf Israel/Gaza betont, dass es das „Kerngeschäft der Diplomatie“ sei, mittels Gesprächen und Verhandlungen auf Lösungen von Konflikten hinzuwirken – auch wenn nur minimale Fortschritte möglich seien. Die NachDenkSeiten wollten vor dem Hintergrund dieser Aussage wissen, wieso für das Auswärtige Amt das Primat von Gespräch und Verhandlung im Falle von Israel/Gaza gilt, nicht aber im Umgang mit der russischen Regierung zur Beendigung des Ukrainekriegs. Die Antwort geriet zu einem Manifest der Doppelmoral. Von Florian Warweg.

Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 4. September 2024

Frage Jäckels (ND)
Frau Deschauer, Sie haben jetzt schon wieder betont, man setzt sich für die Freilassung der Geiseln ein. Können Sie mir erklären, warum man dann eine Regierung unterstützt, die sich ganz offensichtlich nicht für die Freilassung der Geiseln einsetzt?

Deschauer (AA)
Ich kann eigentlich direkt anknüpfen an das, was der stellvertretende Regierungssprecher gerade gesagt hat. Unsere Gespräche mit Ansprechpartnern der israelischen Regierung dienen ja gerade dazu, eine Lösung zu finden, wie ein Waffenstillstand, der humanitäre Hilfe in viel größerem Ausmaß und auch eine Befreiung der Geiseln ermöglicht, zustande kommen kann. Das heißt, wir setzen uns sehr konkret von Beginn an in vielen Gesprächen und mit Nachdruck ein. Genau in diesem Geiste reist die Außenministerin erneut in die Region und wird ihre Gespräche führen.

Zusatzfrage Jäckels
Sie nennen jetzt schon wieder Gespräche; das hören wir schon sehr lange. Was gedenkt denn die Bundesregierung konkret zu tun, wenn man diesen Aufforderungen nicht folgt, wie es in den letzten Monaten sehr oft passiert ist?

Deschauer (AA)
Ich muss noch einmal betonen, dass das Kerngeschäft der Diplomatie ist, gerade in Gesprächen darauf hinzuwirken, auch wenn nur minimale Fortschritte möglich sind, in einer sehr schwierigen und sehr dramatischen Lage. Genau dem widmen wir uns mit voller Kraft, mit voller Energie seit Beginn an, von Tag eins an. Dazu gehört natürlich, auch wenn es manchmal mühselig erscheint und die Fortschritte gering erscheinen, am Ball zu bleiben.

Ich glaube, wir waren hier schon mehrfach im Gespräch, dass es durchaus auch Situationen gibt, in denen man auch in einer dramatischen Lage kleine Erleichterungen verspüren kann. Ich möchte nur an die Kinder aus Gaza erinnern, an das SOS-Kinderdorf, das in einer sehr langwierigen Aktion dann doch aus dem Gazastreifen verlegt werden konnte, an Fortschritte bei humanitärer Hilfe, auch wenn sie manchmal nur in kleinem Maße vonstattengehen. Ich sehe, ehrlich gesagt, keine Alternative dazu, am Ball zu bleiben, als in intensiven Gesprächen weiter voranzuschreiten.

Frage Warweg
Ich habe eine ein bisschen generellere Verständnisfrage. Frau Deschauer, Sie haben gerade betont, Kernelement der Diplomatie sei das Führen von Gesprächen. Mich würde interessieren: Wieso gilt das für Israel und Nahost, aber nicht für Gespräche mit der russischen Regierung zur Beendigung des Ukrainekriegs?

Deschauer (AA)
Herr Warweg, wir sind gerade beim Themenkomplex Nahost. Aber da Sie es ja immer wieder versuchen: Ich glaube, die einzige Partei in diesem furchtbaren Angriffskrieg, den die russische Seite, und zwar Putin, gegen die Ukraine führt, die nicht gesprächsbereit ist und die auch auf eine entsprechende Gesprächsbereitschaft der ukrainischen Seite nicht eingegangen ist, sind die Russen doch selbst, ist Putin selbst. Insofern ist diese Frage von vornherein beantwortet. Im Übrigen könnte der Krieg sofort aufhören, indem Putin seine täglichen Bombardierungen einstellt.

Dass Sie genau jetzt diese Frage stellen, wundert mich doch ein bisschen, nämlich in einer Situation, in der wir gerade gestern einen furchtbaren Angriff auf Poltawa mit über 40 oder 50 Toten und über 200 Verletzten erlebt haben.

Thema Gesprächsbereitschaft: Ich glaube, wir haben von ukrainischer Seite gerade diese Thematik mehrfach auch hier im Raume besprochen. Diejenigen, die offenkundig an keinem Frieden und an keinen Gesprächen, die zu Frieden führen könnten, interessiert sind, sind doch die Russen. Wir sind aber, ehrlich gesagt, beim Themenkomplex Nahost. Ich konnte das jetzt nur nicht so stehen lassen.

Zusatzfrage Warweg
Ich bleibe bei Nahost, keine Sorge. – Apropos Verständnisfrage, um zum eigentlichen Thema zurückzukommen. Sie haben jetzt der Darstellung der Kollegin Jäckels, dass die israelische Regierung eigentlich keinerlei Interesse zeigt, die Geiseln tatsächlich zu befreien, zum ersten Mal nicht vehement widersprochen. Kann man davon ausgehen, dass mittlerweile auch die Bundesregierung zu dem Schluss gekommen ist, dass die israelische Regierung unter Herrn Netanjahu kein großes Interesse zeigt, tatsächlich Schritte zu einer Geiselbefreiung einzuleiten?

Deschauer (AA)
Ich schließe mich hier in diesem Raum sehr selten Ihren Schlussfolgerungen an. Genauso würde ich es auch in diesem Fall halten, Herr Warweg. Ich habe dargelegt, was die Bundesregierung umtreibt und antreibt, und das ist eine Lösung in der Sache. Dass das wahnsinnig schwierig ist, wissen wir alle. Wir arbeiten seit Monaten daran. Die Außenministerin reist heute genau mit diesem Zweck erneut in die Region vor Ort und wird Gespräche führen. Den vorderen Teil Ihrer Aussage mache ich mir schlicht nicht zu eigen.

Frage Jäckels
Auch ich möchte zu den Gesprächen noch etwas fragen, aber aus einer anderen Richtung. Gespräche sind ja nicht das einzige diplomatische Mittel, das der Bundesregierung zur Verfügung steht. Es gibt zum Beispiel das Mittel der Wirtschaftssanktionen und viele andere. Was muss denn passieren, damit man solche drastischeren Mittel in Betracht zieht und im Umgang mit Israel anwendet?

Deschauer (AA)
Ich glaube, auch das ist bekannt. Die Bundesregierung hat sich – wir sprachen vorhin über das Westjordanland – im Verbund mit den europäischen Partnern dafür eingesetzt, dass zum Beispiel extremistische Siedler, die Gewalt gegen Palästinenserinnen und Palästinenser im Westjordanland anwenden, sanktioniert werden. Beispielsweise das sind sehr konkrete Schritte, über die wir hier gesprochen haben.

Die Außenministerin war vor wenigen Tagen bei einem informellen Außenrat in Brüssel. Ich glaube, es war der 28. August. Da hat sie sich öffentlich geäußert. Das lese ich jetzt nicht vor, weil ich es jetzt nicht dabei bzw. nicht so schnell zur Hand habe. Darauf verweise ich noch einmal. Im EU-Kreis stimmt man sich regelmäßig ab. Man bespricht die Lage in Nahost. Dabei werden auch verschiedene Überlegungen angestellt. Es kann auch um Sanktionen gehen. Sie wissen, dass da grundsätzlich ein Einstimmigkeitsprinzip besteht. Es gibt, wie so oft ebenfalls in der Diplomatie, kein Wenn-dann, quasi einen Schalter, den man umlegt, sondern wir diskutieren im Partnerkreis, im G7-Kreis, im EU-Kreis, wie wir in dieser Lage vor allem den Menschen vor Ort – sprich: den Menschen in Gaza, aber auch den Geiseln und ihren Angehörigen – helfen können, was dazu führen kann.

Zusatzfrage Jäckels
Die Sanktionen gegen die extremistischen Siedler gelten unter Experten als sogenannte „low hanging fruits“. Es ist nicht unbedingt sehr schwierig, die umzusetzen. Die Frage ist: Setzt sich Deutschland im EU-Kreis auch für Sanktionen gegen Mitglieder der israelischen Regierung ein, die sich ja offensichtlich nicht für die Freilassung der Geiseln einsetzen und die mit ihrem Vorgehen in Gaza offenbar Menschenrechte verletzen? Gibt es da auch Bemühungen?

Deschauer (AA)
Genau diese Diskussion hatten wir hier vor wenigen Tagen. Mein Kollege hat sich dazu geäußert und auf die Äußerung der Außenministerin verwiesen. Wenn ich das im Laufe der Sitzung noch finde, komme ich gerne darauf zurück und zitiere das. Sie hat die Frage beantwortet. Insofern der Verweis auf das Protokoll und auf die Erklärung.

Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 04.09.2024