Drei Jahre Ampel-Bahn: „Wir fahren sinnlos durch die Prärie.“

Drei Jahre Ampel-Bahn: „Wir fahren sinnlos durch die Prärie.“

Drei Jahre Ampel-Bahn: „Wir fahren sinnlos durch die Prärie.“

Ein Artikel von Ralf Wurzbacher

Bundesverkehrsminister Wissing verlangt „Besserung“ bei der DB und hat in seiner Amtszeit alles noch schlimmer gemacht. Er will „Sanierung“ und meint doch bloß die Zerschlagung des integrierten Konzerns mit Zielrichtung Privatisierung. Die Bürger sollten sich nicht täuschen lassen. Nur sie können den Laden retten. Ein Einwurf von Ralf Wurzbacher.

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Alle mal herhören! Jetzt haut der Chef auf den Putz. „Die Bahn muss besser werden“, polterte Volker Wissing, seines Zeichens Bundesverkehrsminister und direkter Vorgesetzter des DB-Vorstands am Mittwoch vor Pressevertretern in Berlin. Der Termin war kurzfristig angesetzt worden, um wohl den Eindruck zu verstärken: Hier ist einer mächtig sauer und muss mal dringend Dampf ablassen. Und wie! Bei der Fußball-EM geriet Deutschland international zur Lachnummer, im Juni war kaum noch jeder zweite Zug im Fernverkehr pünktlich. Das findet der FDP-Politiker „unerträglich“, und weiter: „Die Bahn muss wieder das Verkehrsmittel werden, das ankommt, unabhängig von der Witterung.“

Wovon träumt der Mann? Jüngst enthüllte die Süddeutsche Zeitung (SZ) unter Berufung auf ein Mitglied des DB-Aufsichtsrats, dass Fahrpläne „nicht mehr gerechnet, sondern nur noch geschätzt“ würden. Demnach sei allein in diesem Jahr „zwischen zwei und drei Millionen Mal“ vom regulären Kursbuch abgewichen worden. Die Folgen des „Kontrollverlustes“ wären „katastrophal“, bekannte der Bahn-Aufseher. Und Philipp Nagl, Leiter der neu geschaffenen Netzsparte InfraGO, weiß: „Deutschland hat heute die älteste Stellwerkslandschaft in Westeuropa.“ DB-Angestellte steckten der SZ, „museumsreife Schaltpulte“ würden „mit Tesafilm notdürftig zusammengeklebt“.

Däumchendreher

Flickschusterei, nach einer langen Rosskur mit Zielrichtung Privatisierung, ist das, was die Deutsche Bahn seit inzwischen Jahrzehnten prägt und immer weiter verrotten lässt. Es waren Bundesregierungen so gut wie jeder Couleur, die dem tatenlos beziehungsweise wohlwollend zugesehen haben. Und immer, wenn die Volksseele mal wieder hochkochte und Stopp rief, posaunten die politischen Macher „jetzt reichts“, versprachen „Besserung“, „Milliardeninvestitionen“, um dann weiter Däumchen zu drehen – während sie insgeheim hofften, „dass das irgendwann doch noch klappt mit dem Börsengang“.

Innerhalb der Ampel gibt es mit der FDP und den Grünen mindestens zwei Kräfte, die die Bahn lieber heute als morgen unter dem Hammer sehen wollen. Als es um die Frage der Trennung von Netz und Betrieb ging, liebäugelten beide mit einer kompletten Herauslösung der Bahninfrastruktur aus dem Gesamtkonzern, um so noch mehr Konkurrenz auf die Schiene zu lotsen und etwa das DB-Monopol im Fernverkehr zu knacken. Eine Demontage nach demselben Muster fordern mit der Monopolkommission, dem Bundeskartellamt und dem Bundesrechnungshof mittlerweile drei Bundesbehörden mit Rang. Und mit einer künftigen Bundesregierung unter Friedrich Merz (CDU) kann nach der Bundestagswahl zur Vollstreckung geschritten werden.

Alles Täuschung

Bis dahin wurstelt die Bahn weiter. Die Lösung mit der InfraGO war lediglich Auftakt zu mehr und ein Zugeständnis an die SPD mit ihrer Nähe zur Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG). Von den schönen Verheißungen – Verdopplung der Verkehrsleistung, mehr Güter auf die Schiene, Umsetzung des Deutschlandtakts – hat sich selbstredend noch nichts auch nur im Ansatz erfüllt. Stattdessen brachte der Konzernumbau nur alten Wein in neuen Schläuchen. Die DB-Führung kann übers Netz herrschen wie bisher, Gemeinwohlorientierung bleibt eine hohle Phrase, und das Ziel Klima- und Verkehrswende wird aus praktisch allen Rohren torpediert. Besieht man sich die Performance der neuen Netz-AG seit Jahresbeginn, wirkt die Bahn-Reform wie zum Scheitern gemacht.

Was wäre erforderlich, meinte die Regierung ihre eigenen Ansagen ernst? Um mehr Menschen und Waren auf die Schiene zu bekommen, braucht es neben einem intakten und leistungsstarken Schienennetz Verlässlich- und Pünktlichkeit, ein breiteres Angebot und günstige Preise. Aber alles, wirklich alles, was die Koalition und DB-Oberen seit Wochen und Monaten unternehmen, läuft diesen Ansprüchen diametral zuwider.

Preise hoch, Angebot schrumpfen

Beispiel: Die Ampel sagt, sie gebe der Bahn Geld in nie dagewesener Höhe, 27 Milliarden Euro bis 2029, um die marode Infrastruktur in Schuss zu bringen. Wegen der vielen Haushaltslöcher – infolge von „Zeitenwende“, Kriegsertüchtigung, Ukraine-Bewaffnung und des fatalen Karlsruher Haushaltsurteils – bekommt die Bahn vom Bund eine Geldspritze von 20 Milliarden Euro allerdings nicht in Form der sonst üblichen Baukostenzuschüsse, sondern zum Zweck einer Kapitalerhöhung. So umschifft Rot-Grün-Gelb die Schuldenbremse. Der Dreh mit dem Eigenkapital sorgt aufgrund einer merkwürdigen Rechtslage jedoch dafür, dass der Konzern höhere Umsätze erzielen und die InfraGO deswegen die Trassenpreise (Schienenmaut) erhöhen muss.

Die Kosten ziehen schon 2025 massiv an, ab 2026 noch stärker. Beantragt wurden bei der Bundesnetzagentur im Mittel 19,1 Prozent, für den Fernverkehr rund zehn Prozent, den Güterverkehr knapp 15 Prozent und den Regionalverkehr über 23 Prozent. Flankiert wird das Ganze noch mit einer Kürzung der Trassenpreisförderung durch den Bund im Umfang von 120 Millionen Euro im laufenden Jahr. In der Konsequenz werden die Fahrpreise weiter anziehen, noch mehr Menschen zurück ins Auto fliehen, noch mehr Strecken stillgelegt, noch mehr Waren auf der Straße befördert.

Dabei steht gerade die Frachtsparte DB-Cargo schon jetzt am Abgrund, türmte im ersten Halbjahr einen Verlust von einer Viertelmilliarde Euro auf. Auf Geheiß der EU-Kommission darf die Bahn-Tochter ab sofort nicht mehr durch die Mutter quersubventioniert werden und soll in zwei Jahren schwarze Zahlen schreiben. Ein Ding der Unmöglichkeit, aber Cargo-Chefin Sigrid Nikutta will es trotzdem versuchen, mit einem straffen Kürzungskurs, also 2.000 Arbeitsplätze weg, Preise anheben, unwirtschaftliche Fahrten streichen. Woraus einmal mehr folgt: Weniger Angebot, alles teurer, mehr Güter auf LKWs. Und wenn die Gewinnzone nicht bald erreicht wird, droht die Zerschlagung, wie bei den Franzosen. Dort musste sich die staatliche Eisenbahngesellschaft SNCF auf Druck Brüssels von großen Teilen ihrer Güterbahnen trennen.

Lonesome Rider

Weitere Beispiele: Das Deutschlandticket wird sehr wahrscheinlich teurer, im nächsten Jahr nicht länger 49 Euro, sondern 55 Euro oder gar 59 Euro kosten. Der Bund knausert nämlich bei den Zuschlägen für die Bundesländer. Ergo: Kunden springen ab, geringere Einnahmen, Einschränkungen beim Angebot. Stichwort Generalsanierung: Über sechs Jahre hinweg will die Bahn 40 Streckenabschnitte auf insgesamt 40.000 Kilometern Länge im Rahmen mehrmonatiger Vollsperrungen instand setzen. Das Projekt mutet wie ein Masterplan an, Kunden zu Hunderttausenden zu vertreiben. International ist es Standard, solche Reparaturarbeiten „unter rollendem Rad“, also bei laufendem Betrieb, zu erledigen. Nicht bei der Deutschen Bahn.

Was ist da überhaupt noch normal? Der Focus ließ jüngst DB-Mitarbeiter ihr Leid klagen. Einer schilderte, wie täglich etliche Züge ganz ohne Passagiere durchs Land rollen, es fehlten einfach Kapazitäten, Gleise seien zurückgebaut, Weichen durch Prellböcke ersetzt worden. Engpässe gebe es auch bei den Waschanlagen für die Züge. Also wären manchmal Hunderte Kilometer Leerfahrt nötig, um die Reinigung anderswo durchzuführen. „Das sind vergeudete Ressourcen“, bemerkte ein Lokführer, ein anderer beschied: „Wir fahren sinnlos durch die Prärie.“

Auf die Straße – zu Fuß!

Aber dank FDP-Wissing wird jetzt alles gut? Von Bahn-Chef Richard Lutz verlangt er zügig ein „Sanierungskonzept“, für die „marode Infrastruktur“, für die „betriebliche Situation, das heißt mehr Effizienz“ und „optimierte Betriebsabläufe“. „Und natürlich gehört dann auch eine engmaschige Kontrolle dazu.“ Der Minister fordert gar, „meinem Haus quartalsweise über den Fortschritt der Maßnahmen Bericht zu erstatten“. Gab es das bisher nicht? Jedenfalls wolle er künftig ganz konkrete Zielwerte, die sich Jahr für Jahr überprüfen ließen. „Ich persönlich werde sofort unterrichtet, wenn es eine Zielabweichung gibt.“

Im vom Minister präsentierten Sieben-Punkte-Papier sucht man indes vergeblich nach „Zielwerten“, stattdessen nur wolkige Ankündigungen der Sorte „Verbesserung bei der Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit“, „Verschlankung der Managementstrukturen bis hin zu einer Anpassungsstrategie an Extremwetterereignisse“. Und dann wird Wissing richtig ungemütlich: „Die Maßnahmen sollen innerhalb von drei Jahren Wirkung zeigen.“ So viel zu „höchste Eisenbahn“. Wissing selbst wird zum Stichtag kaum noch im Amt sein. Eher wird er eine passende Anschlussbeschäftigung gefunden haben – bei Daimler oder der Lufthansa.

Was bleibt an Hoffnung? Wer eine fahrtüchtige, verlässliche, klimafreundliche und erschwingliche Bahn mit breitem Angebot haben will, muss für eine Bahn in Gemeinnützigkeit kämpfen und dafür raus auf die Straße – nicht im Auto, sondern zu Fuß und in Massen. Ohne Proteste wird alles noch schlimmer, nach einer Konzernzerschlagung sowieso. Darauf wirken die Ampel-Parteien mit Hochdruck hin, mimen aber einstweilen noch den Retter. Nach der Bundestagswahl fallen die Hüllen. Und dann wird auch wieder „alles besser“ – jede Wette.

Titelbild: Alex Boc/shutterstock.com

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