Am 2. September haben US-Behörden mit Verweis auf angebliche „Sanktionsverstöße und Misswirtschaft“ das Flugzeug des venezolanischen Präsidenten Nicolás Maduro, dem Äquivalent zur US-amerikanischen „Air Force One“ oder dem deutschen „Regierungsflieger“, bei einem Zwischenstopp in einem Drittland, der Dominikanischen Republik, gekapert und in die USA fliegen lassen. Die unilateral und ohne UN-Mandat verhangenen US-Sanktionen gelten allgemein als ebenso völkerrechtswidrig wie deren extraterritoriale Anwendung. Die NachDenkSeiten wollten vor diesem Hintergrund wissen, wie die Bundesregierung diesen Akt der de facto Luftpiraterie bewertet. Von Florian Warweg.
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Die Begründung der US-Regierung
Bei der von US-Behörden am vergangenen Sonntag gekaperten venezolanischen Präsidentenmaschine handelt es sich um eine Dassault Falcon 900EX des französischen Flugzeugherstellers Dassault Aviation und sie wurde laut Informationen des US-Fernsehsenders CNN, welcher zuerst über den Fall berichtet hatte, „für Maduros internationale Reisen genutzt“.
Ein US-Beamter erklärte gegenüber CNN auch das Ziel dieser aus völkerrechtlicher Perspektive höchst fragwürdigen Aktion:
„Das ist eine Botschaft bis ganz nach oben. Die Beschlagnahmung des Flugzeugs eines ausländischen Staatschefs ist unüblich. Wir senden hier eine klare Botschaft, dass niemand über dem Gesetz steht, niemand steht außerhalb der Reichweite der US-Sanktionen.“
Damit spielte der Beamte auf die von den USA gegen Venezuela verhängten einseitigen Wirtschaftssanktionen und deren extraterritoriale, also weltweite, Anwendung an.
In einer später veröffentlichten schriftlichen Stellungnahme erklärte US-Justizminister Merrick Garland, die Maschine sei angeblich „illegal von einer Scheinfirma für 13 Millionen Dollar gekauft und aus den Vereinigten Staaten geschmuggelt worden, zur Verwendung durch Nicolás Maduro und seine Kumpanen“. Dies würde unter anderem gegen die im Zuge der Sanktionen verhängten Exportverbote verstoßen.
Ein Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats der Vereinigten Staaten (United States National Security Council) begründete die „Beschlagnahmung“ des venezolanischen Regierungsfliegers wiederum wie folgt:
„Die Beschlagnahmung des Flugzeugs ist ein wichtiger Schritt, um sicherzustellen, dass Maduro weiterhin die Konsequenzen aus seiner Misswirtschaft in Venezuela zu spüren bekommt.“
Venezuela spricht von Piraterie
Die Reaktion aus Caracas ließ nicht lange auf sich warten. In einer Stellungnahme des venezolanischen Außenministeriums heißt es:
„Die Bolivarische Republik Venezuela prangert gegenüber der internationalen Gemeinschaft an, dass die Behörden der Vereinigten Staaten von Amerika in einer kriminellen Praxis, die nur als Piraterie bezeichnet werden kann, ein Flugzeug des Präsidenten der Republik illegal beschlagnahmt haben und dies mit den Zwangsmaßnahmen begründen, die sie einseitig und illegal in der ganzen Welt verhängen.“
USA halten wenig von „diplomatischer Immunität“ ihrer politischen Gegner
Der seit Jahrhunderten etablierte Status der „diplomatischen Immunität“ in den internationalen Beziehungen und praktiziertes „Völkergewohnheitsrecht“, welches selbst in Fällen von Kriegshandlungen noch Anwendung findet, schert die USA, zumindest im Umgang mit Venezuela, grundsätzlich wenig. Ein ähnlich eklatanter Fall wie jetzt mit dem Präsidentenjet ereignete sich im Juni 2020. Der venezolanische Diplomat Alex Saab war auf dem Weg zu Verhandlungen mit dem Iran am 12. Juni 2020 für einen Tankstopp auf den Kapverdischen Inseln zwischengelandet und dort auf Druck Washingtons erst festgenommen und dann im weiteren Verlauf in die USA verschleppt worden (Die NachDenkSeiten berichteten).
Eine der wenigen prominenten europäischen Stimmen, die sich damals für Saab einsetzten, war der britische Musiker und Songwriter Roger Waters. Er bezeichnete das Agieren der USA als einen Akt der Piraterie:
„Alex Saab wurde von einer ausländischen Regierung in einem Akt der Piraterie inhaftiert, nur weil er in seiner Eigenschaft als diplomatischer Vertreter dem venezolanischen Volk einen Dienst erwiesen hat. Das Verbrechen der Verhaftung in einem anderen Land, das nicht einmal die Vereinigten Staaten waren, ist entsetzlich. Wenn wir etwas tun können, damit sich die anderen Länder nach und nach bewusst werden und anfangen, ihre eigenen Entscheidungen darüber zu treffen, was sie mit ihren eigenen souveränen Ländern machen wollen, dann haben wir etwas getan und es hat sich gelohnt.“
Auswärtiges Amt weiß angeblich von nichts
Angesichts der umfassenden Berichterstattung über den Fall der venezolanischen Präsidentenmaschine – auch in dem Portfolio der im Auswärtigen Amt konsumierten deutschen „Leitmedien“ – kann es als ziemlich ausgeschlossen gelten, dass, wie die Sprecherin des Auswärtigen Amtes vorgab, diese nicht über den Vorgang informiert war. Wahrscheinlicher ist es, dass man sich im Wissen um die Illegalität des Vorgangs, eine Präsidentenmaschine verfügt über einen besonderen diplomatischen Schutzstatus, nicht öffentlich gegen den „engen Partner“ in Washington stellen wollte.
Es reicht sich vorzustellen, wie anders die Reaktion in der Bundespressekonferenz ausgefallen wäre, wenn Russland mit ähnlicher Argumentation die Air Force One oder eine Maschine der deutschen Flugbereitschaft bei einem Zwischenstopp in einem Drittland aufgebracht und nach Moskau geflogen hätte. Die Begründung des United States National Security Council, die „Beschlagnahmung“ der venezolanischen Präsidentenmaschine sei wegen Maduros „Misswirtschaft“ erfolgt, wäre bei konsequenter Umsetzung ja auch fast als Drohung an die Ampel-Regierung in Berlin zu verstehen.
Ausschnitt aus dem Wortprotokoll zur Regierungspressekonferenz am 4. September 2024
Frage Warweg
US-Behörden haben am 2. September die Maschine des venezolanischen Präsidenten beim Zwischenstopp in der Dominikanischen Republik gekapert und in die USA geflogen. Frau Deschauer, steht für die Bundesregierung dieses Vorgehen des US-Partners im Einklang mit dem geltenden Völkerrecht?
Deschauer (AA)
Herr Warweg, ich würde mich in dem Fall noch einmal kundig machen, ob der Informationsstand, den Sie hier mit uns teilen, derjenige ist, den auch wir zur Verfügung stehen haben, und dann gegebenenfalls auf Sie zukommen.
Zusatz Warweg
Das heißt, wenn ich Sie richtig verstanden habe, dass es für Sie ein völlig normaler Vorgang ist, dass die USA das Flugzeug eines ausländischen Startchefs in einem Drittland aufbringen und in die USA entführen.
Deschauer (AA)
Herr Warweg, Ihre zweite Wortmeldung beinhaltet lauter Aussagen, die ich von niemandem von dieser Regierungsbank gehört habe, auch nicht von mir, sondern ich habe Ihnen gesagt, dass ich den Erkenntnisstand, weil ich nicht jeden einzelnen Erkenntnisstand direkt zur Hand habe, nachrecherchieren werde und dann gegebenenfalls die Einschätzung mit Ihnen teilen werde, nichts mehr und nichts weniger. Damit müssen Sie sich jetzt begnügen. Da die Sitzung hier gleich zu Ende ist, besteht auch nicht mehr die Gelegenheit, dass die Kollegen, die fleißig zuschauen, mir noch etwas nachliefern.
Anmerkung der Redaktion: Die angesprochene Nachlieferung ist, zumindest bis zur Veröffentlichung dieses Artikels, nicht bei den NachDenkSeiten oder der BPK eingegangen. Falls noch eine erfolgen sollte, werden wir unsere Leser umgehend informieren und den Artikel aktualisieren.
Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 04.09.2024