Mediatheken des öffentlich-rechtlichen Fernsehens wie die der ARD zu durchstöbern, bringt mitunter einen interessanten Erkenntnisgewinn. So lassen sich unter der Überschrift „Wahlen im Osten“ zahlreiche Filme und Dokumentationen abrufen. Die Aufmacher dieser Rubrik und die darauffolgende Auswahl samt deren optischer Präsentation, die Wortwahl der Überschriften der Filmbeiträge und mutmaßlich die inhaltliche Ausrichtung und deren Wirkungsabsicht sind gelinde gesagt provokativ. Sie wirken von unterschwellig bis aggressiv so wie eine Art Vorführen und Anprangern Ostdeutschlands. Seht her, die da drüben im Spannungsfeld … Ein Zwischenruf von Frank Blenz.
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ARD: Der Osten wählt – das kann ja heiter werden
So sieht das also die ARD: Wenn der Osten wählt, dann befindet sich die Demokratie im Spannungsfeld. Diese miese Spannung und das so erzeugte unterschwellige Unbehagen, über den Osten Filme zu drehen, im Osten herumzufahren und dann, klar, zum Schluss zu kommen, da ist noch viel zu tun, bis der Osten vielleicht mal auf Augenhöhe zum Westen gelangt, gibt es gleich noch mit obendrauf. Das erfährt der Nutzer der ARD-Mediathek, sobald er sich durch das Angebot arbeitet und auf Dokumentationen zu den eben erfolgten Wahlen in zwei Bundesländern im Osten der vereinten Republik stößt. Die dritte Wahl im Osten folgt in wenigen Wochen.
Dem Zuschauer stehen bei der ARD verschiedene Produkte über die Ostwahlen zur Wahl. In Form von Foto-Collagen wird auf die jeweiligen Dokumentationen aufmerksam gemacht. Das Publikum muss bei dieser Präsentation auf der ARD-Seite den Eindruck gewinnen, so mein Eindruck, sich auf eine Reise in eine ganz wundersame, wenn nicht gar abgefahrene, sonderbare, rückständige Gegend zu begeben, in der renitente, vielleicht zurückgebliebene Menschen leben, die zwar den gleichen Pass wie alle anderen Bürger im ganzen Land haben, aber das mit dem Funktionieren der Demokratie nicht so recht zu kapieren scheinen.
Aus dem Angebot der Mediathek sei einmal eine Auswahl genannt: „Wut – eine Reise durch den zornigen Osten“, „Machen wir die Demokratie kaputt?“, „Der Osten vor der Wahl“ mit einem Foto eines Fahnenträgers, auf dessen Fahne „Wir sind das Volk“ steht, „Trotz und Reue“ mit dem Porträt in Schwarz-Weiß von Sahra Wagenknecht, eine geballte Faust, die Rote Fahne und optisch gestaltet wie eine Art historisches Plakat aus bösen, vergangenen Zeiten, „Höcke“ als Poster, als wäre der Leibhaftige nicht weit, „Manipulation – Wie wir im Netz bei Wahlen beeinflusst werden“, „Schicksalswahl Thüringen – Kann sich Geschichte wiederholen?“ – die Überschrift befindet sich vor dem Hintergrund eines Fotos vom KZ Buchenwald, „AfD und die Deutsche Geschichte“ samt Hitlerporträt und Menschenmassen auf der Berliner Mauer 1989. (Quelle: ARD)
Die einzelnen Filme anzuklicken – allein bei der beschriebenen Präsentation, der inhaltlichen Ausrichtung vergeht einem als ostdeutscher Bundesbürger die Lust, weiterzuschauen. Aber Fragen stellen sich schon. Was steckt dahinter, was wollen die Redakteure, Programmmacher bewirken, wen damit erreichen? Tatsächlich verfängt die Sammlung von Beiträgen mit einem andauernden negativen Unterton. Ja, negativ, abstempelnd. Wie so oft und immer und immer wieder vorkommend, erzeugt man damit eine Spaltung, mindestens das Aufsetzen eines Keiles, auf dass dieser zwischen die Menschen im ganzen Land getrieben werde. Der permanente Unterschied wird behauptet, herausgehoben, es wird darauf gepocht. Wenn das alles Ziel der Macher dieser öffentlich-rechtlichen Filmauflistung ist, dann wäre zu konstatieren: Aufgabe erfüllt. Doch kann das die Aufgabe der ÖRR sein, mit tendenziellen Filmen Stimmungen zu erzeugen und zu verfestigen, was Menschen nicht zusammenführt, die Menschengruppen, hier Bewohner ganzer Bundesländer per se negativ beschreibt, betrachtet, definiert?
Wo sind die Mediathek-Beiträge über das Versagen der Regierung?
Die Auswahl in der ARD-Mediathek zu „Demokratie im Spannungsfeld“ empfinde ich als sehr unausgewogen, einseitig, stimmungsmachend, unvollständig. Wo sind die Beiträge über das Versagen der Regierung? Wo findet sich ein Film, der beschreibt, dass die gemachten Krisen unserer vereinten Bundesrepublik Ursachen haben und die Verursacher die Entscheidungsträger sind, die vom Volk gewählten und beauftragten Repräsentanten? Wo kann ein Dokumentarfilm angeklickt werden, in dem der Zusammenhang zwischen Wahlverhalten und Politik erläutert wird? Manch‘ Filmemacher wird jetzt sagen, mal alle Filme anschauen, dann findet sich dazu etwas. Kann sein, doch geht es hier um die Tendenz der Einseitigkeit, die mit Optik der Sparte „Osten hat gewählt“ intensiv hervorgehoben wird. Und nein, keine Foto-Collage lockt den Zuschauer: Seht her, hier ein Beitrag, der der Seele, dem Innern der deutschen Bürger im Osten gerecht wird.
Bei der ARD: die gleichen Mittel wie bei Wahlkampfstrategen konservativer Parteien
Sondern lieber „Trotz und Reue“. So heißt (wie einst im Reich?) der reißerisch wie sarkastisch wirkende Titel eines Dokumentarfilms. Auch dessen optische Ankündigung in der ARD-Mediathek wirkt, als wäre die Protagonistin Sahra Wagenknecht eine historisch ambivalente Person. Seht her, sie ist eine, die der verlängerte Arm des Kremls ist, also gefährlich und abzulehnen, wie anerkannte und stets oft und gern in Hauptmedien zitierte bürgerliche Politiker aus diversen Volksparteien unwidersprochen tönen können. Das „Poster“ zum Film „Trotz und Reue“ – es sieht nicht anders aus als Plakate von Parteien, die mit der Ausgestaltung und Ansage solcher Werke etwas beim Betrachter bewirken wollen: Man soll auf Distanz gehen, es sollen Vorurteile geschürt und gefestigt werden. Sahra und ihre Gefolgschaft sind die fünfte Kolonne Russlands oder so. Dass ein öffentlich-rechtlicher Sender die gleichen Mittel wie Parteistrategen nutzt, stellt ihn auf die gleiche Stufe mit diesen Parteien. Das Verhalten widerspricht aber dem Rundfunkstaatsvertrag, das widerspricht den Rechten und Interessen der Zuschauer, und zwar im ganzen Land.
Plakatspruch: Wer Sachsen liebt, wählt nicht den Hass
Bis kurz vor dem Wahlkampffinale vor dem 1. September tauchte wie zum Beispiel im bundesdeutschen Freistaat Sachsen noch das eine oder andere neue, schnell vielleicht noch Stimmen von Unentschlossenen einbringende Wahlplakat auf – so eines der SPD. „Wer Sachsen liebt, wählt nicht den Hass“ stand darauf. Ich sage: Stimmt, Hass wählen geht gar nicht. Hass schüren geht nicht. Hass verbreiten geht nicht. Deshalb sei denjenigen wie den Programmmachern, Mediatheken-Redakteuren, Politikern von alteingesessenen Volksparteien umso deutlicher gesagt, dass sie mit ihren von mir beschriebenen Aktivitäten und Aussagen nicht verbindend, nicht aufeinander zugehend agieren. Dieses Verhalten wirkt negativ und schürt, schlimmstenfalls …
„Falsch“ Wählen ist ein Grundrecht in der Demokratie, auch für Ostdeutsche
Die heiße Phase des vergangenen Wahlkampfes, der medialen Begleitung wie mittels der Dokumentationen der ARD und der Diskussionen in den sozialen Medien bis hinein in die Familien, in die Freundeskreise, ins Kollegium erlebte man als Beobachter einmal mehr als Beleg dafür, dass die Deutsche Einheit von einer gelungenen Gesellschaft noch weit entfernt scheint oder wohl vielleicht nicht erreicht wird. Leider. Das erscheint mir so, weil der Ostdeutsche, also der Bundesbürger gebürtig fern von Westkoordinaten, von seinem Landsmann, dem westdeutschen Bundesbürger, eher als eine Art ihm untergeordneter, nachgeordneter Bürger betrachtet wird denn als einer auf Augenhöhe. Dazu passt eben auch die kritisierte Präsentation in einer Mediathek, die zwar unser aller Mediathek ist, doch aus der Brille westdeutscher Macher betrachtet funktioniert.
In den Medien wurde viel über die Sorge, die Vorahnung usw. geschrieben, dass die Wähler in ostdeutschen Bundesländern falsch wählten, wählten sie, so wie sie es tun könnten. Doch die jüngst besprochene Aussage, dass falsch Wählen zur Demokratie gehört, tröstet den einen oder anderen Falschwähler immerhin und lässt ihn lächeln, vielleicht doch demokratisch, statt nur ostdeutsch zu sein.
Die Frage sei immer wieder erlaubt: Woher kommt das Diskreditieren bis Vorführen und Belächeln ostdeutscher Bundesbürger, also derer, die dort geboren sind? Ich beobachte, es hat etwas mit „der eine ist besser als der andere“ zu tun, ein fester Bestandteil unserer Leistungsgesellschaft, der Gesellschaft der Sieger und Verlierer, des Oben und Unten. Der Einsatz der Ellenbogen gehört schlicht dazu. Den kleinen Mitbürger von drüben, territorial, menschenmengenmäßig, Eigentum, Wissen, Erfahrungen, Positionen, Vernetzungen, Einflüsse betreffend, sieht man folgerichtig geringschätziger an, selbst wenn es nicht zugegeben wird. Die Betrachtung ist Ergebnis einer mächtigen Überhöhung, die permanent gehegt und gepflegt wird. Man kann sich immerhin aussuchen, wer sich als besser einschätzt. Nebenbei: Ostdeutsche sind keine homogene Einheit, Westdeutsche auch nicht. Doch Stempel sind aber schnell aufgedrückt.
Ich las einen wichtigen Satz der Ostdeutschen Jessy Wellmer, die berühmte Tagesthemen-Moderatorin, die in Wahlzeiten den Osten bereiste und sich umhörte: Sie habe keine Menschen getroffen, die ein Ende der Demokratie fordern würden. Nachzuhören und zu erleben ist ihre Reise in der ARD-Dokumentation „Machen wir die Demokratie kaputt?“.
Anhang: Screenshots Mediathek