Der Hauptstadtsenat will seine maroden Lehranstalten in Schuss bringen. Nicht für die einst geplanten 5,5 Milliarden Euro, sondern für vielleicht dreimal so viel Geld – mindestens. Allein die 40 Projekte in Regie der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Howoge könnten zwölf Mal so teuer werden – mindestens. Dafür gingen die Arbeiten reichlich verspätet los und werden wohl bis 2031 andauern – mindestens. Das ist der Preis, den die Berliner zahlen müssen, für eine Privatisierung, von der die Macher sagen, es sei gar keine. Baulöwen, Banken, Versicherer und Hedgefonds können sich freuen – maximal. Von Ralf Wurzbacher.
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Endlich wieder Schule. Oder: Endlich überhaupt eine Schule. Und was für eine! Am Montag öffnete die erste Lehranstalt made by Howoge ihre Pforten in Berlin Lichtenberg, an der Allee der Kosmonauten – wie passend. Das Ding strebt wahrlich hoch hinaus, auf fünf Stockwerken und 21.000 Quadratmetern bietet es modernste Lernumgebung für 1.600 Kinder und Jugendliche. Das Monstrum ist so wuchtig, dass es gleich zwei Schulen Platz bietet, einer Integrierten Sekundarschule und einem Gymnasium, und es ist, man höre und staune: „der bislang größte Schulneubau der Berliner Schulbauoffensive (BSO)“.
Die Macher legen Wert darauf zu betonen, dass der Trakt in „weniger als drei Jahren“ aus dem Boden erwachsen ist. Zur Wahrheit gehört aber: Die BSO wurde 2016 aufgelegt, also vor acht Jahren, und fünf Jahre lang hat die Howoge damit zugebracht, mit dem Senat und den Bezirken Verträge zu machen – 120 Stück an der Zahl –, damit die Bauerei überhaupt losgehen kann. Dabei galt es ursprünglich doch eigentlich als so wichtig, dass es mit dem Schulneubau ganz schnell geht und der jahrzehntelange Investitions- und Sanierungsstau endlich ein Ende hat. Die Sache muss und wird mit Hochdruck angegangen, war eines der vielen schönen Versprechen der damals rot-rot-grünen Landesregierung.
Verträge haben Vorrang
Und genau deshalb holte man sich mit der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Howoge ja auch einen Partner ins Boot, der zwar mit Schulbau bis dahin nichts am Hut hatte, aber eben kräftig und zügig anpacken kann. Nun ja!? Während der ewigen Verhandlungen haben die, die sich aufs Schulbauen verstehen, allen voran die zwölf Berliner Bezirke, mal eben rund 40.000 neue Schulplätze geschaffen – womit sie ihren Part am Gesamtwerk bereits zum Großteil abgearbeitet haben. Die Howoge dagegen steht erst am Anfang, und läuft alles nach „Plan“, ist sie „schon“ 2031 mit allem durch.
Der zweite Grund, auf die Howoge zu bauen, war angeblich der, nur so in großem Stil bauen zu können. Die verflixte Schuldenbremse verbietet bekanntlich allzu ehrgeizige Investitionsprojekte des Staates, weil die öffentliche Hand gefälligst zu sparen hat und das Geld nicht mit beiden Händen ausgeben darf. Also bediente man sich der Dienste der Howoge, weil sie als städtische, jedoch privatrechtliche Gesellschaft Schulden im Überfluss machen kann. Ihr übertrug man ein Drittel des Projektvolumens – knapp 40 Neubauten und Sanierungen – und nannte den Deal öffentlich-öffentliche Partnerschaft (ÖÖP). Dazu präsentierte man eine Hausnummer: Zusammen werde das Ganze 5,5 Milliarden Euro kosten. Vier Milliarden Euro sollten auf den Beitrag der Bezirke sowie der noch beteiligten Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM) entfallen und 1,5 Milliarden Euro auf die Howoge. Ganz am Anfang war gar von bloß einer Milliarde Euro die Rede.
Sechs Milliarden für Zinsen
Und heute? Inzwischen weiß man, dass die Howoge nicht nur extrem lahm baut, sondern auch extrem teuer. Im vergangenen November meldete die Berliner Finanzverwaltung auf Anfrage der mittlerweile oppositionellen Linke- und Grünen-Fraktionen einen „Bedarf an Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von circa 11,7 Milliarden Euro“ an. Wohlgemerkt geht es dabei allein um die Howoge. Die veranschlagt fürs reine Bauen 5,6 Milliarden Euro, während der große Rest, knapp sechs Milliarden Euro, für die Refinanzierung der Kredite draufgeht. Unterstellt wird dabei ein Zinssatz von vier Prozent, es könnten aber auch sechs oder sieben Prozent werden. Läuft es schlecht, kommen also mithin noch ein paar Milliarden Euro obendrauf – für den Steuerzahler.
Zum Mitschreiben: Aus einer Milliarde Euro werden, Stand jetzt, knapp zwölf Milliarden Euro. Damit handele es sich, wie der Verein Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB) festhält, „um die deutschlandweit größte Kostenexplosion in einem Infrastrukturprojekt seit 20 Jahren“, oder anders: den „BER des Schulbaus“. Der Hauptstadtflughafen verschlang jedoch „nur“ geschätzt sieben Milliarden Euro. Die gesamte BSO wird mindestens das Doppelte kosten.
Finanzstaatssekretär Torsten Kühne sieht das ganz unverbissen. Eine Milliarde Euro pro Howoge sei seinerzeit nur eine grobe Kalkulation gewesen, „keine seriöse Summe“, gab er Mitte Mai Bescheid. Und warum machen es die Bezirke um vieles günstiger, trotz der enorm gestiegenen Baukosten? Die lieferten nur Arbeit von der Stange ab, in „Typenbauweise“, so der CDU-Politiker. Hingegen nehme sich die Howoge nur die großen Projekte vor und jedes Mal werde ein „individueller Architekturwettbewerb“ ausgeschrieben.
CDU-Märchenonkel
Aha, so etwas braucht Berlin natürlich, und das geht natürlich ins Geld. Aber in dieser Größenordnung? Von den ersten 25.000 in klassischer Finanzierung und in Regie der Bezirke entstandenen Schulplätzen ist die Endsumme auf Anfrage der CDU-Fraktion im Jahr 2022 bekannt: 907,7 Millionen Euro. Die Howoge will 28.000 Plätze beisteuern und kalkulierte auf Basis des 2022-Kostenansatzes im Neubau pro Schulplatz mit 123.513 Euro. Auf Grundlage der neuen Senatszahlen sind es jetzt 215.385 Euro. Die Bezirke gaben gerade einmal 36.600 Euro pro Platz aus. Nach GiB-Recherchen wird ein Platz im Howoge-Betrieb teilweise mit dem Zehnfachen des Bundesdurchschnitts zu Buche schlagen, obwohl sich die reinen Baukosten auf vergleichbarem Niveau bewegten.
Die Diskrepanz kann nicht einmal der kühne Märchenonkel aus dem Finanzsenat erklären. Glaubhafter erscheint das, was GiB-Sprecher Carl Waßmuth dazu einfällt:
„In Berlin findet gerade einer der größten Banküberfälle der Geschichte statt. Gelingt es den Tätern, zu entkommen, steht die Stadt vor der Pleite. Dabei ist es nicht die Bank, die überfallen wird, sondern Banken und Baufirmen überfallen gemeinsam die Stadt. Sie haben Geiseln genommen, insgesamt 40 Schulen in ihre Gewalt gebracht. Und die landeseigene Howoge schleppt die Geldsäcke aus der Staatskasse zu den Privaten.“
Das ist keine Räuberpistole, sondern Haushaltspolitik nach Machart und Gusto von Finanzindustriellen. Bei der BSO läuft das im Groben so: Das Land Berlin überträgt der Howoge für passende Grundstücke ein Erbbaurecht, um dort auf eigene Faust Schulen zu bauen oder instand zu setzen. Nach Fertigstellung vermietet die Howoge die Gebäude ans Land zurück und begleicht aus den Einnahmen die Zinsen für die Kredite, die sie teuer am freien Kapitalmarkt aufgenommen hat. Erst nach 25 Jahren gehen die Objekte wieder in Landeshand über. Der Senat „spart“ sich damit zwar zunächst hohe Investitionskosten, muss aber für dieselbe Leistung auf lange Sicht sehr viel mehr Geld berappen. Im Matheunterricht liefe so etwas unter Milchmädchenrechnung. In Berlin nennt man das seriöse Haushaltspolitik.
Sigmar lässt vordenken
Es war anno 2016 vorneweg Die Linke in Person von Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher, die das Modell als tollste Errungenschaft pries. Was sie vielleicht nicht ahnte: Die Vorarbeiten wurden schon zwei Jahre davor geleistet, durch Handlanger von Banken, Versicherungen und anderen Investoren, die nach neuen profitablen Anlageformen fahndeten. Allerdings waren allzu raubeinige Privatisierungen, etwa in der Art öffentlich-privater Partnerschaften (ÖPP), ziemlich in Verruf geraten. Gebraucht wurden Privatisierungen, die nicht so heißen und nicht so aussehen dürfen, speziell in den Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge, die bislang von Übergriffen der Reichen und Mächtigen verschont geblieben waren.
Die 2014 vom früheren Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) bestellte Fratzscher-Kommission aus marktliberalen Ökonomen und Vertretern der Finanzbranche (benannt nach dem Präsidenten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher) fungierte als die „Denkfabrik“, die beispielsweise die spätere Quasiprivatisierung der Fernstraßenbauverwaltung in Gestalt der zentralisierten „Autobahn GmbH des Bundes“ auf den Weg brachte. Aber die Damen und Herren schmiedeten weitere Pläne, darunter den, Schulen zu Kapitalanlagen zu machen.
Gabriel beauftragte dafür diverse Gutachten bei den Unternehmensberatern von PricewaterhouseCoopers (PwC) und der Wirtschaftskanzlei Graf von Westphalen (GvW). Darin wird beschrieben, wie sich neben Fernstraßen auch staatliche Schulen in hochprofitable Anlagen für die unter Niedrigzinsen ächzenden Banken und Versicherungen verwandeln lassen.
Die Autoren postulierten dabei die Notwendigkeit eines „Intermediärs“ in Gestalt eines staatseigenen, aber privatwirtschaftlichen Unternehmens, das die fraglichen Infrastrukturprojekte im Sinne der Anleger bündeln und strukturieren müsse. Flugs erblickte ein eigentlich altes Konzept, nämlich ÖPP, unter neuem Namen, jetzt ÖÖP, das Licht der Welt und wartete auf Umsetzung.
Made by PricewaterhouseCoopers
Die Berliner Schulbaumisere kam da wie gerufen, und es traf sich noch besser, dass der bis November 2014 bei PwC als Senior Advisor wirkende Matthias Kollatz (SPD) nahtlos Finanzsenator der Hauptstadt wurde und seiner Parteikollegin, der bei der BSO federführenden Bildungssenatorin Sandra Scheeres, mit Rat und Tat zur Seite stehen durfte. Jedenfalls stellte die mittels einer Kommission für mehr Schulraumqualität fest, dass es dringend mehr Platz für jeden Schüler brauche, und schätzte den Bedarf für das nächste Jahrzehnt auf zusätzliche 84.000 Plätze. Die Ansage war maßlos übertrieben, mitunter um 30.000 zu hoch gegriffen, weil sie einfach die Flüchtlingszahlen von 2015 auf die folgenden Jahre extrapolierte. Das war zwar Unsinn, half allerdings, den politischen Handlungsdruck zu erhöhen und den Berlinern die Howoge als unverzichtbaren „Intermediär“ mit Ö-Label, für vermeintlich öffentlich, aufzutischen.
„Und so schuf man einen Schattenhaushalt per ÖPP, pardon, ÖÖP, nach dem Rezept von PwC“, sagt Waßmuth. Und man schloss Verträge mit dem Senat und den Bezirken ab, um 40 Schulen, die womöglich erst über ein Jahrzehnt später alle errichtet sein werden, an Banken, Versicherungen, Hedgefonds und andere „Heuschrecken“ zu verpfänden. „Wenn die Howoge ihre exorbitant teuren Schulen, die viel größer als üblich sind, fertig hat, sinken übrigens die Schülerzahlen in Berlin wieder“, legt der GiB-Sprecher nach. „Was nicht sinkt, sind die Zahlungen an die privaten Baukonzerne und die Banken – Bankraub eben.“
Regieren macht vergesslich
Ach ja: GiB wollte auf Basis des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) Einblick in die Verträge nehmen und ist abgeblitzt. Nach acht Wochen Bedenkzeit war der Finanzverwaltung aufgefallen, dass durch die Offenlegung der Inhalte Betriebs- oder Geschäftsinterna der Howoge berührt würden. Dadurch könne dieser „ein nicht nur unwesentlicher wirtschaftlicher Schaden entstehen“, verlautete aus der Behörde von Finanzsenator Stefan Evers (CDU). „Wenn das stimmt, was am Howoge-Schulbau ist dann bitte schön öffentlich?“, fragt sich Waßmuth.
Und warum hält mit der CDU jetzt eine Partei die schützende Hand über das Projekt, obwohl sie die Howoge-Einbindung vor Jahren selbst in Zweifel gezogen hatte? Nun heißt es, mit der Konstruktion sei „ein Parallelstrang ausgerollt“, daran gebe es auch in der schwarz-roten Koalition keine Abstriche.
Bald auch noch ÖPPs?
Es soll sogar noch „besser“ kommen. Staatssekretär Kühne kann sich vorstellen, dass auch private Unternehmen in den Schulbau und sogar den Unterhalt der Schulgebäude einsteigen. Die Senatsbildungsverwaltung wolle eigens eine Studie in Auftrag geben, um Potenziale von Public-Private-Partnership-Modellen im Schulbau zu prüfen. Dafür seien 100.000 Euro reserviert.
Ein Blick zum Kreis Offenbach sollte ihm die Augen öffnen. Dort ist ÖPP im Schulbau krachend gescheitert. Die hoch verschuldete Kommune blieb auf gewaltigen Mehrkosten sitzen, und die beteiligten Unternehmen strichen 120 Millionen Euro Gewinn ein. Der Irrsinn endete 2019. Daraus zu lernen, hieße, umgehend die Berliner Schulbauverträge zu kündigen, so wie es GiB fordert und jeder Berliner fordern müsste. Man ahnt es: Kühne und Konsorten werden sich lernunwillig zeigen. Zurücktreten, sechs!
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