Stimmen aus Lateinamerika: US-Soft Power und „demokratischer Wandel”

Stimmen aus Lateinamerika: US-Soft Power und „demokratischer Wandel”

Stimmen aus Lateinamerika: US-Soft Power und „demokratischer Wandel”

Ein Artikel von amerika21

Wenn ich Ihnen eine Pistole an den Kopf hielte und verlangte, dass Sie mir Ihr ganzes Geld geben, wäre das ein schwerer Raubüberfall. Wenn ich Sie mit einem Trick dazu bringen würde, mir Ihr ganzes Geld auszuhändigen, indem ich Sie dazu verführe, meinem Schneeballsystem beizutreten, wäre das ebenfalls ein Raub. Bei dem einen handelt es sich um stumpfe Gewalt, bei dem anderen um Manipulation, aber beide verfolgen denselben kriminellen Zweck. Wenn wir diese Szenarien auf die Art und Weise übertragen, wie die USA andere Nationen nötigen, um einen Regime Change zu erreichen und ihre Ressourcen zu stehlen, würde man das erste Beispiel als „harte Macht” (Pistole an den Kopf) und das zweite als „sanfte Macht” bezeichnen. Sie sind zwei Seiten derselben Medaille, die von den USA eingesetzt werden, um das gleiche Ziel zu erreichen. Von Andreína Chávez Alava.

Die Konzepte der harten und weichen Macht wurden erstmals in den 1990er-Jahren von Joseph S. Nye, dem ehemaligen stellvertretenden US-Verteidigungsminister, vorgestellt. Nye schreibt immer noch Artikel über die Politik von Zuckerbrot und Peitsche und rät Washington, die sanfte Macht nicht zu untergraben, denn: „Kurzfristig sind Schwerter mächtiger als Worte, aber langfristig leiten Worte die Schwerter.” Seine süffisanten (aber durchaus zutreffenden) Bemerkungen stammen aus einem seiner jüngsten Artikel.

Laut Nye wird harte Macht durch militärische Interventionen, Zwangsdiplomatie und Wirtschaftssanktionen ausgeübt. Im Gegensatz dazu wird weiche Macht ausgeübt, indem Kultur, politische Werte und Initiativen der „Zivilgesellschaft” genutzt werden, um Veränderungen zu bewirken. So haben die USA zum Beispiel Soft-Power-Strategien eingesetzt, um Länder mit linken Regierungen politisch und wirtschaftlich zu destabilisieren.

Venezuela ist ein Paradebeispiel für diese tödliche Kombination aus harter und weicher Macht. Im jüngsten Fall der „Pistole an den Kopf”-Taktik hat Washington seit 2017 versucht, einen Regime Change herbeizuführen, indem es Sanktionen gegen jeden Sektor der venezolanischen Wirtschaft, insbesondere die Ölindustrie, verhängte und umfassende diplomatische Bemühungen unternahm, um die Regierung von Nicolás Maduro zu isolieren.

Die Sanktionsstrategie hat der Wirtschaft des Landes und der Bevölkerung große Schäden zugefügt und zu schweren Engpässen bei Lebensmitteln, Medikamenten und Treibstoff geführt. Es brauchte Jahre, sie zu überwinden.

Die diplomatische Isolation bröckelte jedoch, nachdem die selbst ernannte „Interimsregierung” unter Juan Guaidó endete, ohne einen Regime Change zu erreichen. Zuvor kam sie jedoch in den Genuss jährlicher Budgets von rund 50 Millionen US-Dollar, die aus eingefrorenen venezolanischen Staatsgeldern stammen und vom US-Finanzministerium genehmigt wurden.

Zwar ist es Venezuela bisher gelungen, einer militärischen Intervention zu entgehen, es gab jedoch eine Reihe nennenswerter Versuche. Beispiele hierfür sind der 2019 unternommene Versuch, eine ausländische Intervention mit Hilfe eines betrügerischen humanitären Konvois zu inszenieren, und der 2020 vereitelte Vorstoß von Söldnern, bekannt als „Operation Gideon”.

Verständlicherweise stechen diese Hard-Power-Strategien aufgrund ihres zerstörerischen Charakters immer am meisten hervor, aber es ist die Soft Power, die unerbittlich und stillschweigend weiter Regime-Change-Pläne vorantreibt. Wie kleine Lecks in einer Rohrleitung können sie großen Schaden anrichten, wenn sie unbeachtet bleiben.

Ein berüchtigtes Beispiel für verstärkte Soft Power ist der US-Kulturimperialismus (Hollywood, Musikindustrie usw.), der dazu dient, den Einfluss der USA weltweit auszuweiten.

Es gibt jedoch auch direktere Formen, die speziell zur Durchsetzung der Agenda Washingtons im globalen Süden eingesetzt werden.

In Venezuela ist eine gängige Methode die Finanzierung von Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Obwohl sie als Menschenrechtsinitiativen getarnt sind, dienen sie in Wirklichkeit den Interessen der USA, helfen bei der Umsetzung der Destabilisierungsmaßnahmen des rechten Sektors und tragen zur Manipulation der Realität des Landes seitens der Konzernmedien bei.

Allein in diesem Jahr bewilligte die US-Auslandshilfe für Lateinamerika und die Karibik 54 Millionen Dollar „zur Unterstützung von demokratischen Akteuren, Menschenrechtsverfechtern und anderen Organisationen der Zivilgesellschaft”. Außerdem wurden zusätzliche Mittel für lateinamerikanische Länder bewilligt, die venezolanische Migranten aufgenommen haben, die „vor der humanitären Krise im Land geflohen sind”.

Der Bericht führt aus, dass Washington seit zwei Jahrzehnten „Demokratiehilfe für die venezolanische Zivilgesellschaft” leistet, die in den letzten Jahren angesichts der „autoritären Herrschaft von Nicolás Maduro” verstärkt wurde. Das Schlüsselwort ist „Demokratie”, denn jede „Hilfe” muss dem Zweck dienen, den angeblichen Mangel an Demokratie in dem Zielland zu unterstreichen.

Über die Verwendung dieser Gelder wurde nie Rechenschaft abgelegt, und sie dienen häufig der Finanzierung regierungsfeindlicher Propaganda. Letztendlich arbeiten diese NGOs in bedürftigen Gemeinden und bieten irgendeine Form von materieller Hilfe an, die später dazu benutzt wird, das Narrativ voranzutreiben, dass die Wirtschaftskrise Venezuelas ausschließlich mit der gescheiterten sozialistischen Politik zusammenhängt und dass eine ausländische Intervention und ein „demokratischer Wandel” notwendig sind.

Ein berüchtigtes Beispiel (aus einer ganzen Flut von Beispielen) ist Provea, eine seit Langem existierende NGO, deren jährliche Berichte über die Menschenrechte von den Mainstream-Medien häufig zitiert werden. Diese Organisation wird von Open Society, der Ford Foundation, der britischen Botschaft und anderen internationalen Institutionen finanziert.

In ihrem Jahresbericht 2023 folgte Provea Zeile für Zeile dem Drehbuch Washingtons und prangerte Maduros Amtszeit als „dunkles Jahrzehnt der Verarmung und Unterdrückung” an. Und gleichzeitig stellte sie fest, dass die US-Sanktionen nur geringe Auswirkungen auf die Wirtschaftskrise des Karibiklandes und die daraus resultierende Migrationswelle hatten.

Ein weiterer Fall ist die Nichtregierungsorganisation Control Ciudadano, deren Präsidentin Rocío San Miguel im Februar wegen mutmaßlicher Beteiligung an einem Terroranschlag festgenommen wurde. Die Organisation, die seit 2017 mit der US-Behörde für internationale Entwicklung (USAID) in Verbindung steht, ist dafür bekannt, Informationen über Fragen der nationalen Sicherheit preiszugeben.

Es ist keine Überraschung, dass Venezuelas Nationalversammlung derzeit ein Gesetz zur Regulierung und Überprüfung von NGOs, insbesondere ihrer Finanzierungsquellen vorantreibt, um weitere verdeckte politische Destabilisierung im Dienste des westlichen Imperialismus zu verhindern.

Eine weitere Soft-Power-Strategie, die während des gesamten Bolivarischen Prozesses durchgängig angewandt worden ist, ist die Finanzierung von regierungsfeindlichen Medien.

Wie Declassified UK im Jahr 2021 enthüllte, unterstützt die britische Regierung mehrere venezolanische Medien wie El Pitazo, Efecto Cocuyo und Caraota Digital im Rahmen eines Programms zur „Demokratieförderung” finanziell.

Die US-amerikanische National Endowment for Democracy (NED), die weithin als Soft-Power-Variante des Auslandsgeheimdienstes CIA gilt, hat ebenfalls immer wieder oppositionelle Medien finanziert.

Schließlich ist eine der verführerischsten (und manchmal schwer zu erkennenden) Soft-Power-Strategien das Angebot von Stipendien und Zuschüssen, um Menschen für akademische Arbeiten zu gewinnen, die den Diskurs über den „demokratischen Wandel” fördern und sie den sogenannten „westlichen Werten” näher bringen – was heißt, kapitalistischen Idealen und der „regelbasierten Ordnung”.

Ein aktuelles Beispiel ist ein US-Stipendienprogramm, für das bis zum 30. Juni Bewerbungen eingereicht werden konnten. Die Initiative bot 25.000 Dollar für venezolanische Forschungskräfte, die Projekte zur „Stärkung unabhängiger Medien” und zur „Förderung demokratischer Werte” vorschlugen.

Das Programm wird von der Venezuela Affairs Unit (VAU) im Rahmen ihres Public Diplomacy Grants Program lanciert. Und die Ankündigung wurde auf der Website der real nicht existierenden US-Botschaft für Venezuela veröffentlicht (Caracas hat die diplomatischen Beziehungen zu den USA im Jahr 2019 abgebrochen). Nach Angaben des US-Außenministeriums ist die VAU ein enger Partner, und ihre „oberste Priorität ist die Wiederherstellung der Demokratie in Venezuela”.

Für den Fall, dass es irgendeine Verwirrung darüber gab, dass diese Stipendien einen Regime Change zum Ziel haben, erklärt die VAU ausdrücklich, dass die Vorschläge „eine amerikanische Komponente” enthalten müssen, sei es „US-Kultur, Geschichte und/oder gemeinsame Werte”. Alles, was die Nähe zwischen venezolanischen Forschern und US-Institutionen und -Experten garantiert, die „ein besseres Verständnis der US-Politik und -Perspektiven fördern”.

Es handelt sich um eine Gehirnwäscheoperation, die nach Opfern sucht. Das venezolanische Ministerium für Wissenschaft und Technologie prangerte zu Recht die „betrügerischen Angebote” an, die von einem „Phantombüro” ausgehen, und bezeichnete sie als einen weiteren Einmischungsversuch der USA, getarnt als finanzielle akademische Unterstützung.

Diese Soft-Power-Schläge sind nicht leicht abzuwehren, und der Schaden, den sie verursachen, ist oft viel schlimmer, als wir uns vorstellen können. Während „hard power” Menschen tötet (im Falle Venezuelas hauptsächlich durch Sanktionen), korrumpiert und manipuliert „soft power”: Worte und Schwerter, die genauso tief schneiden.

In vielerlei Hinsicht ist das Beste, was wir tun können, um westliche Soft-Power-Strategien zu bekämpfen, die Bekräftigung der nationalen Identität, der kulturellen Wurzeln und des politischen Projekts, das unsere Länder in erster Linie dazu gebracht hat, ein Feind des US-Imperialismus zu sein.

Und natürlich muss die ständige Entlarvung und Bekämpfung dieser Soft-Power-Taktiken, um ihre Auswirkungen zu minimieren und ihre Tentakel abzuschneiden – wie es dieser Artikel zu tun hofft –, eine ständige Priorität bleiben.

Andreína Chávez Alava wurde in Maracaibo geboren und studierte Journalismus an der Universität von Zulia. Sie arbeitete zunächst als Autorin und Produzentin bei einem lokalen Radiosender, 2014 wechselte sie zu Telesur. Seit März 2021 arbeitet sie als Autorin und Social-Media-Managerin bei Venezuelanalysis und ist Mitglied des venezolanischen Künstlerkollektivs Utopix. Sie lebt in Caracas.

Übersetzung: Vilma Guzmán, Amerika21.

Titelbild: Shutterstock / Save nature and wildlife

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