Nur die „Guten“ dürfen Naziterror relativieren

Nur die „Guten“ dürfen Naziterror relativieren

Nur die „Guten“ dürfen Naziterror relativieren

Tobias Riegel
Ein Artikel von: Tobias Riegel

Ein Politologe, der unwidersprochen AfD und BSW in die Nähe von Parteiflügeln der NSDAP rückt; Ampelpolitiker, die politische Konkurrenten in eine Linie mit Joseph Goebbels stellen; Magazine mit den im Titelbild präsentierten Motiven – und so weiter: Die „Guten“ dürfen den historischen Naziterror unbehelligt relativieren und seine Symbolik ausschlachten. Aber wehe, man zieht ähnliche Vergleiche etwa bezüglich der Corona-Politik. Ein Kommentar von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Eine bemerkenswerte Verhandlung soll laut einem Bericht der Berliner Zeitung dieser Tage im Berliner Kammergericht vonstatten gehen. Es geht, so der Artikel, um die Frage, in welcher Form bei Regierungskritik ein Hakenkreuz verwendet werden darf. Das Zeigen des Hakenkreuzes ist eigentlich verboten. Wie auch der Artikel feststellt, darf das Symbol aber zu satirischen, journalistischen, wissenschaftlichen und künstlerischen Zwecken verwendet werden, wenn es dokumentierend und nicht verherrlichend im Sinne der NS-Propaganda verwendet werde.

Die Berliner Staatsanwaltschaft verfolgt den Publizisten CJ Hopkins laut dem Bericht nun trotzdem bereits in zweiter Instanz wegen einer im Internet veröffentlichten Fotomontage: Ein Hakenkreuz, das unter einem medizinischen Mund-Nasen-Schutz durchscheint. Dass mit dieser Grafik die Pandemie-Politik der Bundesregierung als totalitär kritisiert und nicht der Naziterror positiv bewertet werden soll, das erscheint selbstverständlich – eigentlich.

Hopkins wurde dennoch angezeigt, so die Berliner Zeitung. Im Januar 2024 kam es demnach zur Verhandlung vor dem Amtsgericht Berlin-Tiergarten: Damals wurde der Autor freigesprochen, darum nun der zweite Anlauf der Staatsanwaltschaft vor dem Berliner Kammergericht. Bei der Verhandlung im Januar habe der Staatsanwalt immerhin klargestellt, dass nicht Hopkins’ politische Gesinnung zur Debatte stehe, sondern die Symbolik des Bildes an sich: „Letztendlich geht es um die Frage, ob sich auf Anhieb ergibt, dass auf eine Gegnerschaft des Autors gegen den Nationalsozialismus zu schließen ist.“

Für die damalige Richterin war die Antwort auf diese Frage offensichtlich: „Wenn man sich auch nur ansatzweise eine Minute Gedanken macht“, sei angesichts der Grafik klar, dass der Angeklagte damit eine „innere Distanziertheit“ zum Nationalsozialismus ausdrücken wolle. Die Berliner Staatsanwaltschaft habe dagegen festgestellt:

Dass der durchschnittliche Internetbenutzer sofort und ohne besonderen Interpretationsaufwand eine Ablehnung des Nationalsozialismus durch die Posts des Angeklagten erkennen kann, ist auszuschließen.“

Gute Hakenkreuze, schlechte Hakenkreuze

Wie ist im Vergleich zu der hier beschriebenen missgünstigen Grundhaltung gegenüber Hopkins der staatsanwaltliche Umgang mit den Magazincovern von Spiegel und Stern, die im Titelbild gezeigt werden? Auf Anfrage der Berliner Zeitung habe die Hamburger Staatsanwaltschaft mitgeteilt, es seien zwar „zahlreiche Strafanzeigen“ gegen die beiden in Hamburg erscheinenden Magazine eingegangen. Zu einem Ermittlungsverfahren habe das aber nicht geführt, „weil ein Anfangsverdacht für eine Straftat nicht begründet werden konnte“. Die Staatsanwaltschaft führte laut dem Bericht aus, dass das Hakenkreuz in diesen Fällen „nicht zur Identifizierung mit rechtsextremistischem Gedankengut verwendet wurde“ und dass „das Symbol im Zusammenhang mit der Vermittlung von Wissen und Informationen stand“.

BSW wie NSDAP?

Ein anderer Vorgang: Handelt es sich (neben der schweren Beleidigung der Parteimitglieder) nicht um einen Fall von unredlicher Nazi-Relativierung, wenn man die neue Partei „Bündnis Sahra Wagenknecht“ in die Nähe eines Flügels der NSDAP rückt, wie das gerade der Politologie-Professor Ulrich Menzel in einem Interview mit der Goslarschen Zeitung unwidersprochen getan hat?

Und wie ist die (bereits ältere) dämonisierende Darstellung des Ex-US-Präsidenten Donald Trump mit Hitlergruß zu beurteilen, ganz zu schweigen vom Niveau der US-Berichterstattung des Stern, das sich aus der Kombination der beiden Titelbilder ablesen lässt?

Eine weitere Ebene bei der Frage der Nazisymbolik bilden die massiven Doppelstandards bezüglich der alarmistischen Beschreibung einer inländischen rechtsextremen Gefahr einerseits und der gleichzeitigen Verniedlichung von härtesten Neonazis, wie sie etwa bei Regimentern der ukrainischen Armee anzutreffen sind, einer Armee, die mit Unsummen von deutschen Steuergeldern unterstützt wird.

Folgenlosigkeit hier, Hausdurchsuchungen dort

Auch aus den Reihen der Ampelkoalition gibt es Äußerungen, mit denen aktuelle Politiker in die Nähe des historischen Naziterrors gerückt werden sollen, was zum einen eine schwere Beleidigung und zum anderen in meinen Augen eine Relativierung des Terrors darstellt – siehe dazu etwa die Artikel „Saskia Esken: pseudo-linke Pöbeleien” oder „„Nazis“ – Die letzte Patrone der Ampel” auf den NachDenkSeiten. Mir sind keine Konsequenzen bekannt, die solche Äußerungen nach sich gezogen hätten.

Erinnern wir uns anlässlich dieser toleranten Haltung an Vorgänge während der Corona-Politik. Die Süddeutsche Zeitung berichtete im Sommer 2021 über folgenden Fall:

Am Freitag haben Beamte bei einem 45 Jahre alten Münchner geklingelt und seine Wohnung durchsucht. Smartphones und Computer nahmen sie mit. Dem Mann wurde der Vorwurf der Volksverhetzung eröffnet. (…) Auf seiner Facebook-Seite hatte er ein zweigeteiltes Bild gepostet, auf dessen unterer Hälfte der Eingang des Konzentrationslagers Auschwitz mit den Worten ‚Arbeit macht frei‘ zu sehen war. Darüber eine Zeichnung mit ‚Impfen macht frei‘, sowie eine Reihe von schwarz Uniformierten mit riesigen Spritzen in der Hand. ‚Alles schon mal dagewesen‘, stand daneben. (…) Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe – das soll nun die Folge sein für diesen Post, der binnen weniger Tage 52-mal gelikt und 26-mal kommentiert wurde, die Generalstaatsanwaltschaft hat da genau mitgezählt.

Auch in diesem Artikel von Februar 2022 wird beschrieben, wie die Justiz damals in mehreren Bundesländern „verstärkt gegen Holocaust-relativierende Symbole und Äußerungen bei Corona-Protesten“ vorgegangen sei – etwa, weil dadurch der Straftatbestand der Volksverhetzung habe erfüllt sein können.

Vielleicht wird das aktuelle Verfahren gegen CJ Hopkins mit einem Freispruch enden, so wie auch einige der Verfahren wegen Nazisymbolik bei Corona-Protesten (zum Beispiel in diesem Fall).

Trotzdem bleibt eine starke Ungleichbehandlung bestehen – zum einen in der Kommunikation: Nutzen Regierungskritiker eine solche drastische Symbolik, werden sie oft in einer negativen Berichterstattung in die Nähe der Holocaust-Relativierung oder Volksverhetzung gestellt, während etwa dem Spiegel oder manchen Politikern eher edle Motive und eine innere Distanz zur Nazi-Symbolik unterstellt werden. Zum anderen in der Rechtspraxis: Auch wenn am Ende möglicherweise Freisprüche zu erwarten sind, treffen die Anklagen und der potenziell einschüchternde Verfolgungswille so mancher Staatsanwaltschaften offensichtlich in selektiver Weise regierungskritische Bürger, wenn es um die kritische oder künstlerische Nutzung von Nazisymbolik geht.

Was ist denn nun wann erlaubt – und für wen?

Problematisch an dieser Praxis, mit zweierlei Maß zu messen, ist auch, dass eine (vorsätzliche?) Verwirrung darüber entstehen kann, was denn nun wann erlaubt ist – und für wen. Es gibt ohnehin schon – unabhängig von den hier thematisierten Fragen – eine ungute aktuelle politische Tendenz, die Grenze zwischen dem eindeutigen Status „juristisch verboten“ und wachsweichen Definitionen wie „delegitimierend“ zu verunklaren.

Der Naziterror hat nicht mit Auschwitz begonnen, darum ist es gemäß dem Grundsatz „Wehret den Anfängen“ auch legitim, den Naziterror mahnend als extremen möglichen Endpunkt für etwaige aktuelle gesellschaftlich-politische Tendenzen zu benennen, auch wenn die betreffenden Zustände nicht den gleichen Charakter wie die 1930er-Jahre aufweisen. Das muss aber, wie gesagt, allen Seiten gleichermaßen gestattet sein.

Ich bin kein Freund von Nazi-Vergleichen – ich finde sie oft unangemessen und/oder strategisch unklug. Sie sollten aber im Sinne der Meinungsfreiheit prinzipiell erlaubt sein – für alle. Es ist einfach nicht akzeptabel, wenn bei der Beurteilung von Nazi-Relativierung oder der kritischen Nutzung von Nazisymbolik in der erlebten Form mit doppelten Standards gearbeitet wird.

Für kurzfristige Gewinne im Meinungskampf werden dadurch wichtige Prinzipien der Gleichbehandlung beschädigt.

Titelbild: Spiegel/Stern