Das 40 Jahre alte Russische Haus in Berlin ist vor allem nach 1990 starkem Gegenwind ausgesetzt. Trotz der Unsicherheiten durch die Corona-Krise und insbesondere durch die Ereignisse in der Ukraine steht es weiter im Herzen der Hauptstadt. In den vergangenen zwei Jahren ist es ins Visier jener geraten, die alles Russische verbieten wollen. Wir haben den Leiter des Hauses Pavel Izvolskij gefragt, wie die kulturelle Institution ins Jubiläumsjahr gekommen ist und wie es generell um das Haus steht. Das Interview mit Pavel Izvolskij führte Éva Péli.
Éva Péli: Herr Izvolskij, das Russische Haus feierte Anfang Juli den 40. Jahrestag seiner Einweihung. Was haben Sie für dieses Jubiläumsjahr vorbereitet?
Pavel Izvolskij: Wir haben eine Ausstellung unter dem Motto „40 Jahre im Herzen Berlins“ eröffnet. Darin erzählen wir über die Geschichte des Standortes, des Gebäudes und ab dem Jahr 1984 die des „Hauses der Sowjetischen Wissenschaft und Kultur“ bis zur Gegenwart des Russischen Hauses. Im Herbst wollen wir zwei weitere Ausstellungen eröffnen, die ebenfalls dem 40-jährigen Jubiläum gewidmet sind. Eine stammt aus der ziemlich großen Sammlung von Gemälden und Kunstgewerbe des Russischen Hauses. Außerdem stellen wir Arbeiten zeitgenössischer Künstler aus.
Welche Aufgabe hat heute das Haus der Russischen Kultur in Berlin? Hat es eine „Mission“?
Unsere „Mission“ ist in einem Abkommen zwischen den Regierungen Russlands und Deutschlands niedergeschrieben. Es beschreibt ganz klar die Aufgaben, die das Russische Haus in Berlin und das Goethe-Institut in Russland zu erfüllen haben, die wir auch erfüllen. Das ist die Förderung der Sprache, der Literatur und der Kultur. Der Unterschied: In dem einen Fall geht es um die russische Sprache und Kultur, im anderen Fall um die deutsche. Das tun wir auch durch Filmvorführungen, durch Ausstellungen, durch Konzerte und natürlich durch das Unterrichten der russischen Sprache, durch Prüfungen in russischer Sprache.
Der Leiter des Russischen Hauses Pavel Izvolskij – Quelle: Tilo Gräser
Sind Sie in Kontakt mit dem Goethe-Institut?
Wir haben gelegentlich miteinander gesprochen. Der Direktor des Münchener Hauptinstituts war vor einigen Jahren unser Gast, noch vor der Pandemie. Aber der Kontakt ist 2022 abgebrochen.
Seit 2011 wird die Arbeit des Hauses von der Regierungsagentur „Rossotrudnichestvo“ sichergestellt. Die Agentur wird seit 2022 von der EU sanktioniert. Zwei Banken hatten dem Russischen Haus deswegen vorerst die Konten eingefroren. Doch nach Klärung der Lage würden sie wieder funktionieren, haben Sie in einem Interview im Oktober 2022 gesagt. Kann das Haus seitdem ungestört arbeiten, oder haben Sie noch Schwierigkeiten?
Seit der Verhängung von Sanktionen gegen „Rossotrudnichestvo“ hat die Bundesbank die Führung von Konten des Russischen Hauses eingeschränkt, was unserer Meinung nach nicht gesetzeskonform ist, da das Russische Haus die Rechte einer juristischen Person besitzt und nicht auf der Sanktionsliste steht – und vor allem widerspricht die Anwendung von Sanktionen auf ein Kulturinstitut dem Wesen von Sanktionsbeschränkungen. Das Russische Haus klagt derzeit vor Gericht gegen das Vorgehen der Bundesbank.
Außerdem sind die Sanktionen gesamteuropäisch. Doch es gibt russische Häuser, die ruhig arbeiten können, zum Beispiel in Österreich. Aus irgendeinem Grund überzieht die Bundesbank von Deutschland und verlangt, dass wir keine Veranstaltungen abhalten, obwohl das Abkommen laut dem Auswärtigen Amt weiterhin in Kraft ist und wir diese Veranstaltungen dementsprechend abhalten sollen und können. Hier haben wir einen Widerspruch. Offenbar versteht die Bundesbank nicht, was das Russische Haus tut, oder will es nicht verstehen.
Das Russische Haus wird von einigen in Deutschland als Propagandamittel und gar als „Terrorgefahr“ angesehen, so vom CDU-Politiker Roderich Kiesewetter. Wie gehen Sie mit solchen Behauptungen um? Inwiefern beeinflussen sie den Betrieb des Hauses?
In der Tat, seit mehr als zwei Jahren sind wir Informationsangriffen ausgesetzt. In dieser Zeit gab es mehr als 40 Veröffentlichungen in großen Zeitungen. Einige davon können Sie im Erdgeschoss ausgestellt sehen. Im Großen und Ganzen gibt es in diesen Zeitungsartikeln nichts Neues, einer kopiert den anderen. Keiner von ihnen hat sich die Mühe gemacht, die Informationen zu überprüfen. Nur wenige von ihnen wandten sich mit Fragen an das Russische Haus, und wenn sie es taten, dann waren es Fragen wie diese: Sind Sie ein Spion, in welchem Dienst stehen Sie? Wir haben geantwortet, dass wir uns zu Gerüchten und Spekulationen in den Medien nicht äußern. Die anderen stellten einfach keine Fragen, besuchten nicht unsere Website und schauten nicht in unsere sozialen Netzwerke.
Nun, das einzige Ereignis, das den Verfassern dieser Veröffentlichungen zur Kenntnis gelangt ist, ist der Film mit dem Titel: „Holocaust: Fäden der Erinnerung“. Sie haben den vermutlich nicht gesehen, aber sie sind der Meinung, dass in diesem Film angeblich alle Ukrainer als Nazis bezeichnet werden – was absolut unwahr ist, es ist bloß eine Erfindung. Aber die ganzen Medienkonstrukte, dass wir Hochburg der Propaganda sind, basieren auf einem Film, den keiner von ihnen gesehen hat.
Von all den zahlreichen Aktivitäten des Hauses haben sie eine Veranstaltung rausgepickt, die sie nicht gesehen haben, und daraus machen sie eine Schlussfolgerung, die unsere gesamte Arbeit zusammenfassen soll. Wie kann man das betrachten? Gelinde gesagt, als schlechte journalistische Arbeit oder als Propaganda. Das konnten wir natürlich nicht ohne Antwort lassen. Wegen dieser Veröffentlichung verklagten wir auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung.
Was hat sich für das Haus seit dem 24. Februar 2022 sonst noch geändert?
Von Februar bis September 2022 war das Haus aus Sicherheitsgründen geschlossen. Danach haben wir unsere Arbeit wieder aufgenommen. Leider haben wir nicht die Kapazität, die wir vor der Pandemie hatten. Wir waren nach der Pandemie nur zwei Monate lang tätig – noch lange nicht wieder auf die Beine gekommen –, und prompt mussten wir wieder schließen. Zum Vergleich nehmen wir das Jahr vor der Pandemie, als es neun Flüge pro Tag von Moskau nach Berlin gab und ein Ticket 200 Euro kostete. Dementsprechend konnte man ein ganzes Orchester einladen, Künstler, Musiker, Schriftsteller unter anderen.
Jetzt sind die logistischen Probleme enorm, und wir können es uns nicht leisten, eine so große Anzahl von Künstlern zu transportieren, wie es im Jahr 2019 der Fall war. Das war der Höhepunkt der Aktivitäten, den wir zu diesem Zeitpunkt erreicht hatten.
Das größte Problem ist also: Visa und Logistik. Deshalb zeigen wir jetzt mehr Filme, dafür braucht man kein Visum, dafür muss niemand fliegen. Bei Filmübertragungen wird alles online abgewickelt. Wir fokussieren uns gegenwärtig auf die Ausstellungen, und wir versuchen, im Durchschnitt einmal in zwei Monaten Konzerte zu organisieren – leider nicht mehr so oft wie früher.
Und wie laufen die Russischkurse?
Die Sprachkurse funktionieren weiter, es gibt keine Änderungen – im Gegenteil, wir haben während der Pandemie sogar das Online-Format eingeführt. Außerdem haben wir unseren neuen Sprachklub „Russisch an der Spree“ für diejenigen, die unsere Sprache lernen beziehungsweise verbessern wollen oder die ihre Kenntnisse auffrischen wollen. Es sind nicht nur Deutsche, es sind auch Vertreter aus anderen europäischen Ländern, die hier in Berlin leben, Italiener, Bulgaren, Niederländer, Polen – eine bunte Mischung. Neben den Sprachkursen gibt es auch Klassen für Kinder im Haus, wo es Unterricht in Mathematik und anderen Schulfächern auf Russisch gibt. Außerdem gibt es eine Reihe von Klubs wie Zeichnen, Modellieren. Ungefähr 30 Prozent der Kinder sind ukrainischer Herkunft – von Eltern, die schon lange in Berlin leben oder die vor Kurzem hierhergekommen sind.
Die deutsch-russischen Beziehungen und damit das Haus als deren Repräsentant haben turbulente Zeiten hinter sich. Wie blicken Sie auf die letzten 40 Jahre zurück?
Das ist eine gute Frage. Ich werde über das Russische Haus und seine 40 Jahre als Spiegelbild der russisch-deutschen Beziehungen sprechen. Ich blicke auf diese Zeit zurück wie auf eine Achterbahn. Das Haus wurde 1984 eröffnet, die Beziehungen zur DDR waren hervorragend. Alles war gut. Dann fiel die Mauer 1989. Das Haus bekam Probleme mit der finanziellen Absicherung, weil die DDR-Mark durch die Deutsche Mark abgelöst wurde. Es war viel weniger Geld da. Es hieß also Personalabbau, das Haus ging in einen kleinen Winterschlaf. Dann Anfang der 90er-Jahre tauchten zwei Geschäfte auf, die es diesem Haus ermöglichten, weiterzuarbeiten. Das war ein kleiner Aufschwung. So kam das Haus in die 90er-Jahre und die Nullerjahre. Es gab mehrere Versuche, das Haus zu übernehmen: in den späten 90er-Jahren und dann nach 2010. Das hat natürlich die Arbeit des Hauses stark belastet.
Wie schon gesagt, 2019 haben wir den Höhepunkt erreicht, und dann hat die Pandemie eingeschlagen. Jetzt befinden wir uns irgendwo unten, aber ich glaube, wir sind auf der Achterbahn gerade am Aufsteigen. Ich sehe einen positiven Trend, trotz all dieser Veröffentlichungen, trotz der Gerichtsverfahren, trotz der Bundesbank, der Sanktionen, trotz all der Aktionen vor dem Russischen Haus. Diesen gewissen positiven Trend schaffen wir uns selbst. Das heißt, wir können nur aufsteigen, wenn wir an uns glauben, sonst bleiben wir weiter sitzen, die Dinge werden auf uns herfallen, und schließlich wird das Haus geschlossen. Der einzige Weg ist also, immer weiterzumachen, unsere Arbeit weiter auszuführen.
Was gibt Ihnen die Kraft, den Mut, als Russisches Haus weiterzumachen?
Einfach aus der inneren Gewissheit, dass das, was wir tun, notwendig und das Richtige ist. Denn in den Zeiten, in der politischen Situation, in der wir uns befinden, dürfen wir nicht zulassen, dass solche Anschuldigungen passieren, wir müssen uns dagegen wehren. Ich mag den Begriff „Abschaffung der Kultur“ nicht besonders, aber trotzdem ist das an einigen Stellen da.
Auf der anderen Seite kommen sehr viele Menschen zu uns, auch Kinder, um zu lernen. Sie kommen zu uns, um Filme zu sehen, zu den Ausstellungen, in den Sprachklub. Wir können diese Menschen nicht verraten. Sie sind heute gekommen, und Sie kommen zu unseren Veranstaltungen. Wir sind für die Menschen da, die sich dagegen wehren, alle Brücken zwischen den Ländern abzubrechen, sogar die kulturellen. Wir hören, dass die russische Sprache verboten werden sollte, dass das Café Moskau in Berlin in Café Kiew umbenannt werden sollte und noch eine Reihe von Unsinn.
Ich will nicht große Worte wie eine Art globale Mission benutzen. Aber wir sind hier und stellen uns in den Regen. Wir stehen hier herum, die Winde wehen, und nur unser inneres Vertrauen hilft uns, stehen zu bleiben. Ich bin mir sicher, wenn der Wind nachlässt, wenn „das Wetter“ wieder freundlicher wird und wir weitermachen, werden die Menschen anerkennen, dass wir nicht aufgegeben haben. Ein bisschen pathetisch, aber so ist mir grad zumute.
Die jährliche Besucherzahl gibt das Haus auf der Webseite mit 200.000 an. Wie hat sich die Besucherzahl seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine geändert? Wer besucht die Veranstaltungen?
200.000 Besucher waren es 2019, als wir eine sehr große Anzahl von Menschen hatten. Jetzt haben wir weniger große Veranstaltungen. Aber ich kann nicht sagen, dass der Besucherstrom stark abgenommen hat. Es kommen jetzt mehr Leute, zum Beispiel ins Kino, zu den Russischkursen – früher hatten wir keinen Sprachklub. Ich würde sagen, in absoluten Zahlen haben wir weniger Besucher, aber in Bezug auf die einzelnen Richtungen ist es fast das Gleiche. Das heißt, wir haben nur in der Sparte der großen Konzerte gelitten, wo 500 Leute auf einmal kommen.
Es ist auch wichtig zu erwähnen, dass das Online-Publikum stark zugenommen hat, vor allem dank der Arbeit der Russisch-Sprachkurse. Außerdem sind wir ziemlich stark auf den sozialen Netzwerken aktiv, auf Instagram, Facebook und anderen Kanälen.
Bei der Eröffnung der Ausstellung „Sergej Rachmaninow – Fjodor Schaljapin: Parallelen und Überschneidungen“ hat der Klavierspieler und Musikprofessor Juri Bogdanow nach dem Konzert gesagt: „Nach dem Zweiten Weltkrieg hat man in Russland Mozart und Beethoven gespielt.“ Damit verwies er auf den Boykott der russischen Kultur, der Künstler und ihrer Werke heute in Deutschland. Wie ist die Situation jetzt, und wie schätzen Sie die Aussichten ein?
Wir sind nicht speziell mit Verboten konfrontiert. Ich weiß, dass es einige Situationen gibt. Das auffälligste Beispiel sind wahrscheinlich die Proteste gegen Anna Netrebkos Auftritt im September in der Staatsoper vor einem Jahr. Aber wozu hat das geführt? Alle Opernvorführungen hatten volles Haus, stehende Ovationen. Für Oktober sind die Karten für Anna Netrebko bereits ausverkauft, ebenso für Mai 2025. Also ich denke, die Kultur wird gewinnen.
Welches Publikum nutzt das aktuelle Angebot des Hauses?
Das kommt ganz auf die Veranstaltung an. Ins Kino kommen meistens Russischsprachige, und wir wissen nicht, aus welchen Ländern sie kommen könnten. Sie können aus Russland sein, sie können aus der Ukraine sein oder aus Kasachstan, Lettland, Litauen und vielen anderen Ländern. Die meisten kommen natürlich aus Russland. Bei Konzerten haben wir wiederum 90 Prozent deutschsprachiges Publikum. Es sind Deutsche, die in Berlin leben oder in Potsdam und Umgebung wohnen. Viele Leute kommen aus anderen Städten, es gibt Vertreter anderer Länder, wie ich schon sagte. Wir versuchen, Veranstaltungen für verschiedene Zielgruppen zu organisieren: Kinder, Jugendliche, Erwachsene, verschiedene Nationalitäten, verschiedene Sprachen. Deshalb gibt es auch nicht den einen beispielhaften Besucher des Russischen Hauses. Es ist also ein ziemlich breites Spektrum.
Titelbild: Das Russische Haus in Berlin-Mitte – Quelle: Yury