Hinweise des Tages

Jens Berger
Ein Artikel von:

Hier finden Sie einen Überblick über interessante Beiträge aus anderen Medien und Veröffentlichungen. Wenn Sie auf “Mehr” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (WL/JB)

Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. 45 Millionen haben in Europa keinen Job
  2. Eurokrise
  3. Ethik-Regeln für Ökononomen
  4. Investieren gegen die Krise
  5. Kluft bei Einkommen wächst rasant
  6. Fabian Fritzsche – Erfolgsformel Lohnzurückhaltung?
  7. How Big Money Bought Our Democracy, Corrupted Both Parties, and Set Us Up for Another Financial Crisis
  8. Besserverdiener lange geschont
  9. Leschs Kosmos: Sind wir eigentlich wahnsinnig? Im Geschwindigkeitswahn
  10. Amerikanische Träume
  11. Hartz IV – Bedürftigkeit von Erwerbstätigen
  12. Der plötzliche Feind im Freund
  13. Motive der Forschung: Ist der Kandidat denn auch gut vernetzt?
  14. Berliner Polizei vertuschte Hintergründe des Ohnesorg-Todes
  15. Sogar Gustav Heinemann wurde bespitzelt
  16. Grotkamp erwirbt Mehrheit an WAZ-Gruppe
  17. Buchneuerscheinung: Der Globale Minotaurus

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. 45 Millionen haben in Europa keinen Job
    Weltweit sind nach Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) in Genf rund 1,1 Milliarden Menschen arbeitslos oder leben unterhalb der Armutsschwelle. Die Zahl der Arbeitslosen sei 2011 mit 197 Millionen unverändert geblieben, teilte die ILO in der Nacht zum Dienstag mit. Es seien damit fast 27 Millionen Personen mehr arbeitslos gewesen als 2007 vor der weltweiten Finanzkrise.
    Quelle 1: Der Standard
    Quelle 2: Global Employment Trends 2012: Preventing a deeper jobs crisis – ILO
  2. Eurokrise
    1. Paul De Grauwe – Mispricing of sovereign risk and multiple equilibria in the Eurozone
      Economists now agree that markets were wrong in placing the same risk premium on Greek bonds as on German bonds. But this column adds that today the same markets are also wrong in overestimating the risk that the periphery countries will default. Policymakers looking to calm such skittish markets should take note. […]
      The story of the Eurozone crisis is also a story of systematic mispricing of the sovereign debt, which in turn led to macroeconomic instability and multiple equilibria. During the 2001–08 period the systematic underpricing of the risk in the peripheral countries led to unsustainable booms in real estate and in consumption – that is, until the crash. Since 2010, however, the systematic overpricing of sovereign risk has had the effect of pushing these countries in a self-fulfilling way into bad equilibria characterised by solvency crises and deep recessions (Calvo 1988, Gros 2011, Corsetti and Dedola 2011). […]
      In that case policymakers should also try to stop countries from being driven into a bad equilibrium.
      This can be achieved by more active liquidity policies by the ECB that aim to prevent a liquidity crisis in government bond markets from leading to a self-fulfilling solvency crisis (see Wyplosz 2011 and De Grauwe 2011b on this site).
      Quelle: VOX

      Kurzzusammenfassung (JB): Der belgische Ökonom Paul De Grauwe weist darauf hin, die Zinsen der peripheren Eurostaaten seit der Einführung des Euros falsch bepreist waren. Waren die Risikoaufschläge bis zum Beginn der Finanzkrise zu gering, sind sie heute jedoch zu hoch. Dieser zu hohe Aufschlag führt jedoch zu tiefgreifenden Problemen. Als Korrektiv schlägt De Grauwe eine wesentliche aktivere Interventionspolitik durch die EZB vor.

    2. Eurogroup rejects PSI deal
      Eurozone finance ministers on Monday gave the thumbs-down to a plan for private sector involvement (PSI) in the writedown on Greek debt. […]
      “We told him [Venizelos] to continue the negotiations [with Dallara] until the interest rate comes down below 4 percent,” Eurogroup chairman Jean-Claude Juncker told a news conference in Brussels late on Monday.
      Juncker was referring to the average interest rate (annual coupon) of the new 30-year bonds that will be issued to bondholders after the haircut of 50 percent on the face value of their portfolio. […] Venizelos had agreed with Dallara to a rate of 4.25 percent before Athens was told that the EU would not accept anything above 3.5 percent during a euro working group teleconference with PSI negotiators on Saturday.
      At a rate of 4 percent or more, “even with a 100 percent PSI participation [of bondholders] the Greek debt won’t fall below 150 percent in 2020,” Juncker said, referring to an IMF debt sustainability report which said that any PSI deal must ensure that the Greek debt-to-GDP ratio reaches 120 percent in 2020.
      Quelle: Athens News
    3. Ständiger Rettungsschirm beschlossen
      Es soll der nächste Schritt aus der Schuldenkrise sein: Die Euroländer einigen sich auf den Krisenfonds ESM. 500 Milliarden Euro sind verfügbar, um klammen Ländern zu helfen – vorerst.
      Quelle: taz
  3. Ethik-Regeln für Ökononomen
    Ökonomen und Finanzwissenschaftler erklären uns die Krise oder empfehlen Verbrauchern eine Versicherung. Aber: Nicht immer sind sie unabhängig.
    Quelle: NDR mediathek

    Anmerkung unseres Lesers A.T.: Die bekannten und gern zitierten Ökonomen Raffelhüschen und Straubhaar werden gleich zu Beginn genannt und zu ihren Verbindungen in die Wirtschaft befragt. Beide rechtfertigen sich und führen an, dass gerade sie für Transparenz sorgen, weil sie ihre Mandate im Internet offenlegen. Außerdem sinniert Straubhaar ganz abenteuerlich über einen angeblich falsch verstandenen Begriff des unabhängigen Experten.
    Straubhaar versucht die Interessenabhängigkeit herunterzuspielen, indem er behauptet, dass jeder irgendwie parteiisch sei. Vom Anspruch einer objektiven Wissenschaft keine Spur.
    Die gefragten Experten geben an, ihre “Abhängigkeiten” im Web öffentlich gemacht zu haben und spielen den Ball durchaus berechtigt zu den Medien zurück, die das bisher nicht zur Kenntnis nehmen wollten.
    Die Frage, wie das Zusammenspiel zwischen PR-Ökonomen und den Medien funktioniert, bleibt daher auch unbeantwortet. Immerhin wird die Kritik gehört und redaktionell aufgegriffen. Ein Film aus den USA wird als Auslöser herangezogen. Bis zum Herbst will die Ökonomenvereinigung in Deutschland schärfere Transparenzregeln erarbeiten. Ich schlage aber schon jetzt vor, einfach die NachDenkSeiten zu lesen.

    Nochmals: Ökonomenkritik

    Unser Leser S.T. schreibt uns dazu: Erstens: Im Internet gibt es eine Linkliste zur aktuellen Debatte in der Ökonomik, ausgelöst u.a. vom Bachmann-Artikel auf Spiegel Online (Ein Uni-Ökonom teilt aus Lernt unsere Sprache, bevor ihr mitredet; auf oekonomenstimme.org: Haben die Uni-Ökonomen versagt?).
    Dem möchte ich noch zwei Links hinzufügen:

    Zweitens: Ein interessanter wie gut lesbarer, amüsanter und sehr deutlicher Kommentar von Prof. D. Löhr und Prof. W. Elsner [PDF – 30,3 KB] zum Artikel von Rüdiger Bachmann (siehe oben).

    Drittens: Es ist ja schön, dass Leute wie Michael Hüther, Dennis Snower oder Kenneth Rogoff zu der Erkenntnis gelangt sind, dass die “alten Modelle” ausgedient hätten. Ich frage mich aber, ob es die richtigen Leute sind, um tatsächlich Impulse für eine Neuorientierung oder eine Pluralität in der Lehre und Wissenschaft zu setzen.
    Meine Erfahrungen in den letzten fünf bis sieben Jahren sind eher ernüchternd: Es wird zwar recht medienwirksam eine gewisse Demut gezeigt, auch gibt es die ein oder anderen Veranstaltungen zur “Krise”, aber die tatsächlichen Änderungen im Studium wie in der Forschung halten sich im überschaubaren Rahmen.
    Die wesentlichen Änderungen kommen seitens der Studierenden! Beispielhaft dazu u.a. der AK Postautistische Ökonomie Heidelberg, der einzelne Veranstaltungen organisierte. Dummerweise sind es eben solche selbstorganisierten Veranstaltungen, die von Wissenschaftlern wie Rüdiger Bachmann madig gemacht werden.
    Davon abgesehen sprechen auch die wöchentlichen Stellenausschreiben z.B. der ZEIT eine deutliche Sprache. Im wirtschaftswissenschaftlichen Bereich sind nach wie vor Ökonometrie und Empirie, Modelle und Mikroökonomik gefragt. Von Pluralität, alternativen Ansätze usw. ist dort kaum eine Spur. “Interdisziplinarität” fristet meiner Erfahrung nach leider ein Dasein als gut klingendes Label ohne Inhalt.
    Dem gegenüber meinte Dennis Snower kürzlich in der Financial Times Deutschland:

    “Deshalb empfehle ich jungen Menschen, Ökonomie zusammen mit Soziologie, Anthropologie, Psychologie und Philosophie zu studieren. Daraus ergeben sich viele Einsichten, die hergebrachte ökonomische Modelle nicht bieten”.

    Ich bin wirklich gespannt, ob er tatsächlich dafür sorgt, dass an seinem Institut z.B. Ethnolog(inn)en quereinsteigen können; oder anderweitig z.B. ideengeschichtlich oder wirtschaftsethisch geforscht wird. Ehrlich gesagt habe ich so meine Zweifel!
    Kurz: Der Notwendigkeit von Änderungen in der Ökonomik wird ja schon seit Jahren immer wieder gefordert; ihr steht aber unser verkrustetes Uni-System sowie die kaum vorhandene und konservativ ausgeprägte Förderpolitik (in der Wissenschaft) entgegen. Etwas zu verändern erfordert mehr als nur Lippenbekenntnisse. Aus sich selbst heraus scheinen mir der Wirtschaftswissenschaft nur begrenzte Veränderungsmöglichkeiten zur Verfügung zu stehen.

  4. Investieren gegen die Krise
    Die deutsche Wirtschaft wird 2012 stagnieren, die Eurozone in die Rezession rutschen, so das IMK. Kurzfristig kann nur die EZB eine weitere Zuspitzung verhindern. Ein starrer Sparkurs schadet…
    Es sei gefährlich, wenn Euro-Länder mit hohen Leistungsbilanzüberschüssen zeitgleich mit den Krisenstaaten auf Sparkurs gehen. Stattdessen empfehlen die Forscher Deutschland, den Niederlanden, Finnland und Österreich stärkere öffentliche Investitionen, um die Konjunktur zu stabilisieren. Das IMK hält es für sinnvoll, notwendige zusätzliche Investitionen in Bildung und Infrastruktur durch höhere Steuern auf hohe Einkommen und große Vermögen zu finanzieren. Auf diese Weise ergäben sich positive Wirkungen auf Wachstum und Beschäftigung.

    Quelle: Böckler Impuls 01/2012 [PDF – 263 KB]

    dazu passend: IWF warnt Deutschland vor übertriebener Sparsamkeit
    Der Währungsfonds wendet sich gegen die Politik von Kanzlerin Merkel. Die Ökonomen fordern von starken Ländern Augenmaß bei der Haushaltskonsolidierung – und korrigieren die Wachstumsaussichten für Deutschland und Europa nach unten.
    Quelle: FTD

  5. Kluft bei Einkommen wächst rasant
    Die Schere zwischen arm und reich geht weiter auseinander. Das muss nicht so sein: Die OECD legt Vorschläge vor, wie die Politik soziale Ungleichheit bekämpfen und die Wirtschaft stärken kann. […]
    In Deutschland seien die unteren Einkommen besonders stark gesunken, berichtet Isabell Koske von der Wirtschaftsabteilung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Der Lohn eines Geringverdieners ist demnach heute nur noch halb so hoch wie der Lohn eines Beschäftigten mit mittlerem Einkommen. Eine größere Lohnkluft haben die Forscher nur noch in Südkorea und den USA entdeckt. In allen anderen der 25 untersuchten Industrieländer waren Geringverdiener nicht so weit abgehängt.
    Quelle: Frankfurter Rundschau

    dazu passend: Die Entwicklung der Spitzeneinkommen im 20. Jahrhundert
    Interessante Grafiken zur Entwicklung der Spitzeneinkommen verschiedener Länder finden Sie unter The World Top Incomes Database: z.B. für Deutschland.

  6. Fabian Fritzsche – Erfolgsformel Lohnzurückhaltung?
    Aufgrund der jüngsten Arbeitsmarktzahlen wurde Deutschland mit Hinweis auf die langjährige Lohnzurückhaltrung von einigen Ökonomen als Vorbild für die anderen Staaten der Eurozone empfohlen. Zu Recht? […]
    Der Versuch, als Volkswirtschaft über Kostensenkungen Exportüberschüsse gegenüber dem Ausland zu erzielen, wäre daher ein Kampf gegen Windmühlen. Darüber hinaus stellt sich die Frage, inwieweit es erstrebenswert ist, die inländische Nachfrage zu vernachlässigen, um außereuropäische Volkswirtschaften in die Lage zu bringen, in der sich aktuell die Peripherie der Eurozone befindet. Wie vom Autor schon vor zwei Jahren angemerkt (2) und jüngst von S&P betont (3), sind diese außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte ein Hauptgrund für die Krise der Eurozone. Die Idee, was für ein Land möglicherweise sinnvoll war, auf alle gleichzeitig zu übertragen, ist damit durchaus problematisch.
    Quelle: FTD
  7. How Big Money Bought Our Democracy, Corrupted Both Parties, and Set Us Up for Another Financial Crisis
    “Crony capitalism is about the aggressive and proactive use of political resources, lobbying, campaign contributions, influence-peddling of one type or another to gain something from the governmental process that wouldn’t otherwise be achievable in the market. And as the time has progressed over the last two or three decades, I think it’s gotten much worse. Money dominates politics.” Those are the words of former budget director for President Reagan, (David Stockman) talking to Bill Moyers in this week’s episode of Moyers & Company…
    As a result,” Stockman says, “we have neither capitalism nor democracy. We have crony capitalism.”
    He names –Larry Summers and Tim Geithner, General Electric’s Jeffrey Immelt, and more–who are deeply involved still in the Obama administration.
    Quelle: AlterNet
  8. Besserverdiener lange geschont
    Die rot-grünen Steuerreformen von 1999 bis 2005 ließen den Spitzensatz der Einkommensteuer von 53 auf 42 Prozent sinken. Seit 2007 gilt zwar für zu versteuernde Einkommen ab 250.000 Euro mit 45 Prozent wieder ein etwas höherer Satz. Dennoch bleibt die Steuerschuld für Steuerzahler mit sehr hohen Einkommen spürbar niedriger als 1998…
    In Folge der Finanzkrise haben sich inzwischen viele Staaten drastisch verschuldet. Einige haben deshalb in jüngster Zeit ihre Spitzensteuersätze angehoben, allen voran Großbritannien – auf 50 Prozent. Auch in Deutschland werden höhere “Reichensteuern” wieder verstärkt diskutiert. Die DIW-Forscher weisen darauf hin, dass wohlhabende Bürger dem Spitzensteuersatz nur teilweise unterliegen. Denn in Deutschland sei die “Dualisierung” der Einkommensteuer stark vorangetrieben worden. Unternehmenseinkünfte und Kapitaleinkommen wurden zunehmend aus der gemeinsamen Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer herausgenommen und gesonderten proportionalen Steuersätzen unterworfen, die deutlich niedriger sind als der Spitzensteuersatz.
    Dadurch greift der Höchstsatz nur noch bei Lohn- und Vermietungseinkommen, Unternehmenseinkommen der Selbstständigen, die nicht gleich wieder ins Unternehmen gesteckt werden, sowie Renten und Pensionen. Vom bestehenden “Reichensteuerzuschlag” in Höhe von drei Prozentpunkten sind nur etwa 45.000 Steuerpflichtige betroffen, rund 0,1 Prozent aller Steuerpflichtigen. Auf Grundlage des DIW-Mikrosimulationsmodells und der Einkommensteuerstatistiken der Jahre 2004 bis 2007 kommen Bach und Haan hier auf geschätzte Mehreinnahmen von jährlich 800 Millionen Euro.
    Von allen Oppositionsparteien liegen inzwischen Vorschläge zur Erhöhung des Spitzensteuersatzes vor. Die beiden Ökonomen haben verschiedene Szenarien durchgerechnet…
    Quelle: Böckler Impuls 01/2012
  9. Leschs Kosmos: Sind wir eigentlich wahnsinnig? Im Geschwindigkeitswahn
    Zwischen London und New York wird ein 6021 km langes Transatlantikkabel verlegt Kabel, dieses Kabel wird die Transaktionszeit zwischen beiden Börsen um sage und schreibe 6 Milisekunden verkürzen und das kostet 300 Millionen Dollar.
    Quelle: ZDFmediathek

    Anmerkung WL: Die Welt des Geldes handelt mit aberwitziger Geschwindigkeit.

    Ergänzende Anmerkung JB: Vollkommen unverständlich ist, dass diese „Betriebsausgaben“ des Finanzsektors auch noch zum Teil mit Steuergeldern finanziert werden.

    Anmerkung Orlando Pascheit: Ausgangspunkt der Ausführungen Leschs ist die Verlegung eines neuen Transatlantikkabels, welches die Zeit der Informationsübertragung zwischen London und New York um 6 Millisekunden verkürzt. Dieser Zeitgewinn soll vor allem den automatischen Transaktionen zwischen den Börsen in London und New York zugutekommen. Der Auftraggeber Hibernia Atlantica will für den neuen Datenkanal eine 50 Mal höhere Gebühr fordern als bei den bestehenden Verbindungen. Da der Geschwindigkeitsvorteil für große Hedge Fonds etwa 100 Millionen US-Dollar je Millisekunde und Jahr wert sein soll, dürften die Kosten des neuen Kabels in Höhe von 300 Millionen US-Dollar schnell eingespielt sein. Währungshändler und andere Trader stehen bereits Schlange. – Jenseits der Tatsache, dass der Austausch von Informationen und die Ausführung von Entscheidungen schneller (ein Drittel Lichtgeschwindigkeit) möglich ist, als wir mit unseren Sinnen folgen können, stelle man sich einmal vor, wie sich solche Millisekunden Zeitgewinn in ganz anderen Bereich auswirken, dass 6 Millisekunden z.B. kriegsentscheidend sein können.

  10. Amerikanische Träume
    Washington preist Zustand der eigenen Wirtschaft und verweist auf Probleme der Euro-Zone. Amerika habe sein Haus in Ordnung gebracht und die Banken, die überlebt haben, seien heute stärker denn je, so das Mantra. Das Gegenteil sei jedoch jenseits des Atlantik der Fall. Europa drohe bei einer immer wahrscheinlicher werdenden Staatspleite eines Mitglieds der Euro-Zone auf Grund der transatlantischen finanzwirtschaftlichen Verflechtungen die USA mit in den Abgrund zu reißen. Diese Befürchtungen haben in der Tat einen realen Hintergrund. Wie die US-Wirtschaftszeitung Forbes kürzlich unter Verweis auf eine Studie der Universtität Princeton berichtete, sind europäische und US-amerikanische Banken mit gegenseitigen Forderungen im Volumen von zehn Billionen (10000 Milliarden) Dollar meist über Finanzderivate miteinander verfilzt.
    Während US-Experten den europäischen Politikern vorwerfen, sie steckten ihren Kopf in den Sand und ignorierten die tatsächliche Größe der Probleme, merken sie überhaupt nicht, daß dies noch mehr auf ihr Land und sie selbst zutrifft. Daran können auch die geschönten Statistiken wie die angeblich sinkende Arbeitslosigkeit, kaum merkliche Inflationsraten trotz Monetarisierung der Staatsschulden durch die Banknotenpresse und angeblich kräftiges Wirtschaftswachstum nichts ändern. Derweil spitzt sich die Verschuldungskrise der US-Bundesstaaten und Kommunen gefährlich zu. Finanzanalystin Meredith Whitney, die 2007 als erste auf die Verwerfungen im US-Immobilienmarkt hingewiesen hatte, beklagt in einer umfassenden Studie, daß z.B. Kalifornien, Illinois und New Jersey nicht besser dran sind als Griechenland, Portugal und Spanien. Überall werden Angestellte entlassen, dringende Reparaturen der Infrastruktur aufgeschoben, Dienstleistungen gekürzt oder ganz eingestellt. In manchen Städten wurden sogar die meisten Polizisten entlassen und die Streifenfahrten komplett gestrichen. Mit wenigen Ausnahmen sind die US-Bundesstaaten und viele ihrer Städte faktisch pleite. Sie stellen laut Whitney ein »neues systemische Risiko für die Finanzmärkte dar«, deren fragiler Zustand lediglich durch die erst kürzlich eingeführten laxen Rechnungslegungsvorschriften versteckt wird.
    Quelle: junge Welt
  11. Hartz IV – Bedürftigkeit von Erwerbstätigen
    Gut zwei Milliarden Euro pro Jahr muss der Bund – nach Berechnungen des DGB – über Hartz IV jährlich aufwenden, um Geringverdienern mit Vollzeitjobs ein gesellschaftliches Existenzminimum zu garantieren. Der Staat subventioniert so auch Arbeitgeber, die Arbeitnehmer zu Hungerlöhnen beschäftigen. Rechnet man jene mit einem sozialversicherten Teilzeitjob hinzu, so kommt man auf etwa 4 Mrd. Euro Ausgaben im Hartz IV-System für Aufstocker mit sozialversichertem Job.
    Trotz (noch) steigender Beschäftigung und nomineller Lohnsteigerungen gab es Mitte 2011 570.000 Beschäftigte, die einen sozialversicherten Job ausübten und Sozialbeiträge zahlten, von ihrer Arbeit aber nicht leben konnten und auf Hartz IV angewiesen waren. Bundesweit waren dies 2,5 % aller sozialversichert Beschäftigten, die zu den Aufstockern zählen. Im Osten ist das Verarmungsrisiko Erwerbstätiger gut doppelt so hoch wie im Westen (4,5 % aller Beschäftigten im Osten gegenüber 2,0 % im Westen.).
    Von den Aufstockern mit sozialversichertem Job gingen rd. 330.000 einer Vollzeitbeschäftigung nach und knapp 240.000 übten sozialversicherte Teilzeit aus…
    Neben den Aufstockern mit sozialversichertem Job gehen viele Hartz IVEmpfänger aber auch einer geringfügigen Beschäftigung nach oder sind selbständig. Bezieht man diesen Personenkreis mit ein, so erhöht sich die Zahl der erwerbstätigen Hartz IV-Bezieher auf 1,36 Mio. Mitte 20112. Gegenüber 2007 hat sich die Zahl aller erwerbstätigen Hilfeempfänger um gut 100.000 erhöht. Dies entspricht einem Anteil von 29 Prozent aller Hartz IV-Empfänger im
    erwerbstätigen Alter von 15 bis 64 Jahren.
    Quelle: DGB arbeitsmarktaktuell [PDF – 471,4 KB]
  12. Der plötzliche Feind im Freund
    Wieder hat ein afghanischer Soldat plötzlich Isaf-Kollegen erschossen. Ursache dieser sich häufenden Fälle: Traumatisierung und gegenseitiges Misstrauen. Ähnliche Vorfälle hatten zuletzt wieder zugenommen. Im letzten Frühjahr tauchte kurz ein Bericht im Internet auf, den US-Sozialwissenschaftler für das Isaf-Regionalkommando Ost erstellt hatten. Er zählt mindestens 26 Angriffe von Mai 2007 bis Mai 2011 mit 58 Toten – 6 Prozent aller Isaf-Verluste in dieser Zeit. Nachdem Medien den Bericht aufgriffen, wurde er als geheim eingestuft, wohl auch, weil sein Fazit – es bestehe eine “rapide wachsende systematische Gefahr” solcher Angriffe – zu weit geht. Sicherlich haben die Nato-Staaten kein Interesse, ein Kernstück ihrer Strategie der Verantwortungsübergabe bis Ende 2014 an die Karsai-Regierung in Frage zu stellen, also Aufbau und Ausbildung afghanischer Streitkräfte. Doch dürften noch andere Faktoren wichtig sein. Laut Weltgesundheitsorganisation leidet “eine Mehrheit” aller Afghanen an Depressionen, Angstzuständen und “fast die Hälfte” an posttraumatischen Belastungsstörungen – somit auch Polizisten und Soldaten.
    Quelle: taz

    Anmerkung Orlando Pascheit: Depressionen, Angstzustände und Misstrauen dürften in jedem Krieg ganz selbstverständliche Phänomene sein, in dem Freund und Feind nicht mehr zu unterscheiden sind. Es gehört in die Geschichte der vielen Fehleinschätzungen, dass die USA und ihre Verbündeten meinten, in diesem Umfeld eine stabile und stabilisierende afghanische Armee aufbauen zu können.

  13. Motive der Forschung: Ist der Kandidat denn auch gut vernetzt?
    Die Curiositas war und ist die entscheidende Triebfeder der modernen Wissensgesellschaft. Bis ins 18. Jahrhundert hinein bedeutete die Neugierde eine Todsünde. Aus der Perspektive der Kirchen entsprang sie einem Verstoß gegen das göttliche Privileg der Allwissenheit. Hans Blumenberg hat gezeigt, wie sich die wissenschaftliche Modernisierung im Europa der Frühen Neuzeit über die Entfaltung der theoretischen Neugierde als gleichsam häretischer Prozess ausbildet. In dem Maße, in dem sich die Curiositas aus dem Bannkreis der kirchlichen Verbote befreien konnte, trieb sie eine Bewegung voran, die das Denken der Welt im wissenschaftlichen Maßstab ermöglichte.
    Quelle: FAZ
  14. Berliner Polizei vertuschte Hintergründe des Ohnesorg-Todes
    Es ist ein Schlüsselereignis der bundesdeutschen Geschichte: 1967 wurde bei einer Demonstration der Student Benno Ohnesorg erschossen. Offenbar gezielt. Die Polizei deckte den Schützen Karl-Heinz Kurras; sogar die Leiche des Opfers wurde manipuliert.
    Quelle: Spiegel Online

    Anmerkung Orlando Pascheit: Und es geht nicht einfach um diesen Mord – den man auch so benennen sollte, wenn die Recherche stimmt, sondern darum was dieser Mord auslöste: die Kriminalisierung der studentischen Proteste durch die Springer-Presse bis hin zur Radikalisierung des Protestes. “Wo Journalismus nur noch dazu da ist, Polizeieinsätze zu beschreiben, wo Polizeiknüppel, Wasserwerfer und Dienstpistole die logische, die ununterbrochene Fortsetzung von Journalismus sind …, da hat die Demokratie aufgehört. Da hat der Polizeistaat begonnen,” schrieb Ulrike Meinhof. Was wäre in der bundesrepublikanischen Geschichte anders gelaufen, wenn der Rechtstaat funktioniert hätte und Kurras angeklagt worden wäre?

    Ergänzende Anmerkung WL: Was wurden nicht alles für Legenden um diesen Mord geflochten, mal war er Auslöser der Studentenbewegung, mal steckte die Stasi dahinter, alle diese Legenden dienten immer dem gleichen Zweck, nämlich diejenigen, die die Öffentlichkeit gegen den studentischen Protest aufhetzten, zu entschuldigen.

  15. Sogar Gustav Heinemann wurde bespitzelt
    Die Abgeordneten der Linkspartei sind nicht alleine: Seit 60 Jahren bespitzelt der Geheimdienst Politiker. Otto Schily in seiner Zeit bei den Grünen und auch Bundespräsident Gustav Heinemann (SPD) standen im Fokus des Verfassungsschutzes.
    Im Visier des Verfassungsschutzes ist das linke Spektrum, seit es den Inlandsgeheimdienst gibt – also seit mehr als 60 Jahren…
    Es entwickelte sich eine Geschichte der Skandale – wobei der Ur-Skandal die massive Durchsetzung der Verfassungsschutzapparate mit früheren SS-Leuten und NS-Geheimdienstlern war. Klares Feindbild: der Kommunismus. Wer umstürzlerischer Aktivitäten verdächtig war, das wurde großzügig ausgelegt. Auch in der Zeit nach dem Kalten Krieg, sogar bis heute…Er war auch zur Stelle, als es in den 70er-Jahren die Berufsverbote durchzusetzen galt und als in der 80er-Jahren die Grünen auf den Plan traten. Nach der deutschen Vereinigung gerieten die PDS und später die Linke ins Visier.
    Quelle: FR

    Siehe dazu auch: Der zähe Kampf gegen das Berufsverbot
    40 Jahre Radikalenerlass – diese fast vergessene Geschichte muss einmal aufgeschrieben werden. Das Berufsverbot, besser bekannt als Radikalenerlass, beschlossen am 28. Januar 1972 unter Willy Brandt. Im Visier die Linken, so einer wie Klaus Lipps, heute 70 Jahre alt, aus Baden-Baden. Einer, der als junger Lehrer partout nicht von der DKP lassen wollte. Aber ein zäher, ein hartnäckiger Überzeugungshumanist, der die Ämter im Südweststaat jahrzehntelang in Atem hielt – bis er gewonnen hatte.
    Quelle: Kontext Wochenzeitung

    Anmerkung WL: 3,5 Millionen Bewerber für den öffentlichen Dienst wurden aufgrund der sogenannten Regelanfrage an den Verfassungsschutz auf Verfassungstreue durchleuchtet. Dies habe zu 11.000 offiziellen Berufsverbotsverfahren, 2.200 Disziplinarverfahren, 1.256 Ablehnungen von Bewerbungen und 265 Entlassungen aus dem öffentlichen Dienst geführt, heißt es in einem Antrag der Linksfraktion aus Anlass des 40. Jahrestags des sog. „Radikalenerlasses“.

    dazu auch: Heribert Prantl – Verfassungsschutz – eine Beleidigung für das Parlament
    Die Linke ist im Visier des Verfassungsschutzes. Das ist eine Farce – der Geheimdienst sollte sich lieber auf seine eigentlichen Aufgaben konzentrieren. Jetzt ist es am Bundesverfassungsgericht, die Ordnung wieder herzustellen.
    Quelle: Süddeutsche Zeitung

  16. Grotkamp erwirbt Mehrheit an WAZ-Gruppe
    Mehr als sechs Jahrzehnte lang gehörte die WAZ-Gruppe den Gründerfamilien Brost und Funke. Jetzt hat die Funke-Tochter Petra Grotkamp für geschätzte 500 Millionen Euro den Brost-Anteil übernommen – es ist einer der größten Medien-Deals seit Jahren.
    Die Tochter des zweiten Firmengründers Jakob Funke hält damit 66,6 Prozent, teilte Grotkamps Anwalt am Montagabend mit. Das Bundeskartellamt habe bereits zugestimmt. Damit endet die Ära der Verlagsgründer, während der keiner der Familienstämme ohne den anderen entscheiden konnte…
    Ex-Kanzleramtsminister Bodo Hombach, der für die Brost-Seite zehn Jahre lang WAZ-Geschäftsführer war, scheidet mit dem Abschluss aus dieser Position aus. Er werde die Mediengruppe aber weiter beraten und im Initiativkreis der Ruhr-Industrie vertreten, teilte Hombach mit. “Von Anfang an habe ich den Verkauf der WAZ-Anteile der Brost-Erben an Frau Grotkamp als richtig erachtet”, schreibt Hombach in einer Presseerklärung.
    Quelle: Süddeutsche Zeitung

    Anmerkung WL: Die WAZ-Gruppe war ja dafür bekannt, dass sie ohne Rücksicht auf die Linie des Blattes jede Zeitung hält und kauft, die Geld bringt. Dennoch ist mit dem Ausscheiden der ehemals eher für die sozialdemokratische Seite stehenden Brost-Gründerfamilie der Konzern damit komplett in konservativer Hand. Dadurch dass die Brost-Seite Bodo Hombach als Geschäftsführer einsetzte, ist zwar schon seit 10 Jahren nicht mehr viel an sozialdemokratischer Linie erkennbar gewesen. Merkwürdig ist allerdings, das Hombach – obwohl von der Brost-Seite bestellt – „von Anfang an“ den Verkauf an die Grotkamp-Familie für richtig erachtete und wohl auch betrieb.
    Hombach, der schon immer die Fähigkeit besaß, sich Wichtig zu machen, ließ sich schon letztes Jahr zum Präsidenten der „Bonner Akademie für Forschung und Lehre praktischer Politik GmbH“ (BAPP) wird sich nun wohl auch noch akademische Weihen an sein Revers hängen heften. Aus seinen Erfahrungen im Kanzleramt mit dem Lafontaine-Bashing kann er ja als Lehrer für praktische Politik am besten wohl die Kunst der Intrige in der Politik unterrichten.

  17. Buchneuerscheinung: Der Globale Minotaurus
    Globalisierung, Gier und fehlende Bankenregulierung – sie alle wurden für die Krise der Weltwirtschaft verantwortlich gemacht. In Wahrheit sind dies nur Nebenschauplätze eines weit größeren Dramas. Eines Dramas, das in der Weltwirtschaftskrise von 1929 wurzelt und bereits seit den 1970-Jahren auf offener Bühne spielt: als die Welt wider besseres Wissen begann, mit ihrem Geld den “Globalen Minotaurus” Amerika zu nähren – so wie einst die Athener dem mythischen Fabeltier auf Kreta Tribute zollten. Heute sind die USA, als Stabilisator der Weltwirtschaft, selbst nachhaltig geschwächt, und die Konsequenzen des Macht­vakuums zeigen sich allerorten. Sie machen vor allem eines klar: Stabilität in der Weltwirtschaft ist nicht umsonst zu haben; sie erfordert historische Entscheidungen – wie nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Hegemonialstellung Amerikas begann. Statt hektischer Rettungsaktionen mit immer kürzerem Verfallsdatum ist eine grundlegende Debatte über Stabilitätspolitik, ist ein Neuanfang unvermeidlich.
    Quelle: Yanis Varoufakis

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