Jetzt tut die herrschende Ökonomie so, als sei ihr Versagen nicht vorhersehbar gewesen.
Seit der Weltwirtschaftskrise von 1929 wissen wir, dass es keinen Sinn macht, in einer makroökonomischen Krise weiter sparen zu wollen. Weil man mit dieser pro-zyklischen Politik die Krise verschärft. Wir wissen, dass es in einem gemeinsamen Währungsraum nur gut ausgehen kann, wenn sich auf mittlere Sicht Leistungsbilanzüberschüsse und -defizite angleichen. Deshalb war von vornherein klar, dass die gemeinsame Währung Euro nur gerettet werden kann, wenn die Entwicklung der Lohnstückkosten und der Wettbewerbsfähigkeit in der Eurozone nicht weiter auseinander getrieben, sondern angeglichen werden. Und dennoch haben sich die herrschende Ökonomie und die herrschende Wirtschaftspolitik in Deutschland diesen und anderen Einsichten verweigert. Das herrschende Elend und die große Gefahr für die Eurozone ist ein Ergebnis der Ignoranz. Man konnte wissen was zu tun ist, wenn man wollte. Albrecht Müller.
Man konnte seit langem wissen, was zu tun ist
Heiner Flassbeck mahnt im Grunde seit über einem Jahrzehnt, das mögliche Wissen über ökonomische Zusammenhänge in der Wirtschafts- und Finanzpolitik anzuwenden. (Aktuell siehe hier) Ähnlich Peter Bofinger und Gustav Horn.
Auf den NachDenkSeiten konnten Sie immer wieder und zwar von Anfang an, also von Ende 2003 an, lesen, was richtig und was falsch ist. In meinen Büchern „Die Reformlüge“ von 2004 (Seite 214) und „Machtwahn“ vom März 2006 wird das Problem auseinander laufender Leistungsbilanzen in einem gemeinsamen Währungsraum ausführlich erläutert. Heiner Flassbeck hat immer wieder darauf aufmerksam gemacht, dass die Politik, die wesentlich von Angela Merkel bestimmt wird, das Projekt Euro und damit auch das Projekt eines gemeinsamen Europa nachdrücklich beschädigen kann.
Ich weise darauf nicht aus Rechthaberei hin, sondern weil sich akut wieder einmal die Gefahr abzeichnet, dass die bisher herrschenden Kreise in der ökonomischen Wissenschaft und Politik mit ein bisschen Wendehalserei davon kommen und ansonsten weitermachen wie bisher.
„Ökonomie steht vor totaler Neuorientierung“
So lautet die Überschrift über einem Beitrag im Handelsblatt zum Bericht über eine am 23. Januar begonnene Konferenz „Ökonomie neu denken“ in Frankfurt. Sie wird getragen vom Stifterverband der deutschen Wissenschaft und vom Handelsblatt. (Siehe hier und hier und Rogoff hier).
In diesen Artikeln wird behauptet, bewährte Antworten auf volkswirtschaftliche Fragen würden nicht mehr gelten, man müsse die Ökonomie neu denken, so der Titel der Konferenz. Der Konsens der vergangenen zwei Jahrzehnte darüber, wie die Gesamtwirtschaft funktioniert, sei erschüttert. In der Makroökonomie werde es in den nächsten Jahren zu einer grundlegenden Neuorientierung kommen, so die britische Ökonomin Diane Coyle. Nun sei die Zeit gekommen für die Erforschung der Unvollkommenheit von Märkten, so der Harvard Professor und Ex-IWF-Volkswirt Rogoff. Und immer wieder wird so getan, als sei das Scheitern der herrschenden Ökonomie die Folge der Finanzkrise, des „großen Schocks“.
Das meiste, was hier im Vorfeld und begleitend zu dieser Konferenz geschrieben wurde, ist ziemlich komisch. Es ist weit gehend falsch:
- Die herrschende Ökonomie hat sich nicht bewährt. Zum Beispiel: die Kapazitäten der deutschen Volkswirtschaft sind zumindest seit 1993 unter-ausgelastet; die Reallöhne stagnieren seit 20 Jahren; die Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaften im Euro Raum entwickelten sich extrem auseinander; Deutschland hat seine Arbeitslosigkeit exportiert; insbesondere die neoliberal geprägten Empfehlungen des Washington Consensus (Deregulierung, Privatisierung, et cetera) haben in vielen Ländern zur Verschwendung und zu sozialen Schieflagen geführt.
- Was makroökonomisch hierzulande zu tun gewesen wäre, wusste man seit langem. Ich zitiere den Nobelpreisträger Robert Solow, der in der „Wirtschaftswoche“ vom 9.September 2004 auf die Frage nach den Perspektiven für Deutschland gesagt hat:
„Die deutsche Wirtschaft schwächelt nun schon seit einer Dekade. Wenn ich ein Manager wäre, würde ich meine Produktion auch nicht ausweiten, solange die Märkte nicht erkennbar expandieren. Klar, Makropolitik beherrscht vermutlich niemand perfekt. Aber mir scheint offensichtlich: in Deutschland könnte man sie wesentlich besser machen.“
Das ist jetzt fast acht Jahre her. Solow hat bis heute recht. Um das Richtige zu tun, muss man die Makroökonomie nicht neu orientieren, man muss anwenden, was man weiß, und sich nicht von Vorurteilen leiten lassen, im konkreten Fall vom Vorurteil, Keynes sei out.
- Dass die Märkte unvollkommen sind, weiß man seit langem. Dass die ideologisch und politisch vorherrschenden Ökonomen glaubten, man könne die Arbeitslosigkeit beseitigen und Beschäftigung schaffen, in dem man die Löhne senkt, ist doch deren Dummheit zu verdanken und nicht dem allgemeinen Nichtwissen. Dass die Märkte ökologische Probleme nicht lösen, weiß man seit Pareto, also seit den 20iger-Jahren des letzten Jahrhunderts. Dass die Gefahr einer zerstörerischen Spekulation besteht, wenn man Kapital- und Grundstücksmärkte unreguliert laufen lässt, weiß man auch seit langem. Dazu bedarf es keiner Neuorientierung der Wirtschaftswissenschaften. Es bedarf des Ausmistens des Stalls, in dem sich die meinungsführenden Ökonomen tummeln.
Es besteht die Gefahr, dass die bisher bestimmenden Ökonomen mit ein bisschen deklarierter Korrektur weitermachen wie bisher. Deshalb muss das Versagen der bisher bestimmenden Kräfte auf den Tisch.
Dass diese Gefahr besteht, ist manifest: Jens Weidman, dem nicht einmal kleine Korrekturen notwendig erscheinen, sitzt fest im Sattel des Präsidenten der Deutschen Bundesbank, Jörg Assmussen sitzt im Direktorium der EZB, Hans-Werner Sinn sitzt fest als Professor und als Präsident des Ifo-Instituts, Michael Hüther ist – soweit erkennbar – unangefochten Chef des Instituts der Deutschen Wirtschaft.
Im Feld der Publizistik, die den Irrweg der herrschenden Ökonomie bisher begleitet hat, ist auch keine grundlegende Änderung erkennbar. Chefredakteur des Handelsblatts, das die Konferenz in Frankfurt mitträgt, ist nach wie vor Gabor Steingart. Dieser hatte sich wie auch Hans-Werner Sinn im Jahre 2003 mit fürchterlichen Warnungen vor dem Verlust der industriellen Wettbewerbsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland hervorgetan. Ein diagnostischer Missgriff, der seinesgleichen sucht. Aber ohne Wirkung.
Alle diese Leute werden weitermachen wollen. Mit ein bisschen Wendehalserei allenfalls.
Ein paar positive Zeichen gibt es auch
Beispielhaft gestern in der Financial Times. Siehe PDF hier [PDF – 778 KB].
Dort beschreiben vier Wirtschaftswissenschaftler aus verschiedenen europäischen Ländern, was nötig ist und dringlich ist, um die „Implosion“ der Eurozone zu vermeiden: die Reduzierung der Schulden verletzlicher Staaten, die Reduzierung der Leistungsbilanzungleichgewichte und die Verteilung der Last der Anpassung auf alle Schultern. Und sie erklären, warum das Ergebnis des Brüsseler Gipfels vom 9. Dezember alle notwendigen Kriterien verletzt.
So endet dieser Beitrag:
Hier zum Schluss noch ein Link auf eine Linksammlung zur Ökonomen-Debatte.