Die Schuldenbremse als Fallbeispiel „postdemokratischer“ Entwicklung
Jan Wypich versucht in seiner Ausarbeitung darzustellen, dass der Ratifizierungs- und Realisierungsprozess der neuen Schuldenbremse im Bund und im Land Hessen der kritischen Analyse westlicher Demokratien entspricht, die der britische Politologe Colin Crouch unter dem Begriff „Postdemokratie“ beschrieben hat.
Wolfgang Lieb
Der Autor Jan Wypich fasst die Hauptannahmen Colin Crouchs wie folgt zusammen:
- Die nationalstaatlichen Demokratien leiden erheblich unter zentralen finanzwirtschaftlichen Akteuren, da diese einen hohen Druck auf die westlichen Regierungen und deren politische Entscheidungen ausüben.
- Die Interessen kleinerer Unternehmen und der Öffentlichkeit leiden zunehmend unter den politischen Entscheidungen zugunsten der Finanzwirtschaft.
- Die mediale Inszenierung politischer Entscheidungen wird geprägt durch finanzwirtschaftliche Interessen, was zu einem Verfall der Kommunikationsmöglichkeiten führt.
- Westliche Regierungen lassen sich bei fachlichen Entscheidungen von der Kompetenz mächtiger Einzelpersonen global agierender Unternehmen beeinflussen.
- Die Transformationsprozesse der Demokratie beinhalten einen ansteigenden Ausschluss der BürgerInnen aus den politischen Prozessen, was zu einem Verfall demokratischer Kultur führt.
Es wird in der Arbeit dargestellt in wie starkem Maße die Einführung der Schuldenbremse von Seiten der Unternehmen und Arbeitgeberseite gefordert und dabei Einfluss auf die Parteien ausgeübt haben. Die Politik sei bei ihren Entscheidungen vor allem über die Beratung durch sog. Experten aus dem Bereich der Wirtschaft beeinflusst worden. Obwohl es eine Vielzahl von wissenschaftlichen und öffentlichen Stimmen gegen die Einführung einer Schuldenbremse gegeben habe, seien diese im gesamten Prozess der Einführung der Schuldenbremse ins Grundgesetz und in die hessische Landesverfassung übergangen worden. Warnungen, dass die Schuldenbremse gerade nicht – wie behauptet – künftige Generationen entlaste, sondern umgekehrt zu ihren Lasten ginge, seien ignoriert worden. Neokeynesianische Ökonomen, die für eine antizyklischer Fiskalpolitik eintreten, seien nicht gehört worden, sondern man habe nahezu ausschließlich den Rat von wirtschaftsnahen Instituten gesucht.
Neoliberale Propaganda durch Lobbyorganisationen, wie etwa der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM) hätten durch ihren starken Einfluss auf die Medienlandschaft und damit auf die Politik die öffentliche Diskussion geprägt. Eine argumentative demokratische Auseinandersetzung habe kaum noch stattgefunden. Darin lasse sich der von Crouch diagnostizierte „Verfall der Kommunikationsmöglichkeiten“ ablesen.
Mit der populistischen Rhetorik, die Schuldenbremse müsse in Verantwortung für kommende Generationen eingeführt werden würden die Kritiker der Schuldenbremse geradezu mundtot gemacht. Bei der hessischen Volksabstimmung sollten die Bürgerinnen und Bürger über die „Aufnahme einer Schuldenbremse in Verantwortung für kommende Generationen“ abstimmen. Aus demokratischer und sozialstaatlicher Perspektive hingegen sei die Schuldenbremse kaum zu rechtfertigen, der dem Bund und den Ländern vorgegebene Sparzwang sei makroökonomisch kontraproduktiv. Es würden diejenigen bestraft, die indirekt für die durch Finanzspekulationen überschuldeten Kreditinstitute aufkommen müssten. Negative Auswirkungen auf die Öffentliche Hand würden kaum zu vermeiden sein.
Die Schuldenbremse sei ein Fallbeispiel für die von Colin Crouch entwickelte These einer postdemokratischen Entwicklung.
(Siehe dazu auch: „Verbarrikadierte Demokratie – Politik schafft sich ab“ )
Der Autor Jan Wypich hat uns seine Arbeit zur Verfügung gestellt [PDF – 4.8 MB].