China: Neuer Partner und Konkurrent in der Weltwirtschaft
Von Joachim Jahnke.
China ist innerhalb kürzester Zeit zu einem “global player” geworden und ist damit ein interessanter Partner für den deutschen Export, aber zugleich zunehmend auch ein Konkurrent. Mit seit vielen Jahren durchschnittlich mehr oder weniger zweistelligen Wachstumsraten verdoppelt sich die Wirtschaftsleistung alle sieben Jahre. In Kaufkraft ausgedrückt bestritt China in den vergangenen drei Jahren etwa ein Drittel des Wachstums der Weltwirtschaft und etwa 60 Prozent des Zuwachses an weltweitem Investitionsvolumen. Zum Beispiel werden zwei Drittel aller Photokopierer, Mikrowellenöfen, DVD-Spieler und Schuhe sowie mehr als die Hälfte aller digitalen Kameras und zwei Fünftel aller Tischcomputer heute in China gefertigt. Bei Spielzeug ist China inzwischen der weltgrößte Produzent. Nach Einschätzungen der deutschen Automobilindustrie werden in China im ersten Halbjahr 2005 erstmals mehr Personen- und Nutzfahrzeuge gebaut werden als in Deutschland und wird China Deutschland auf den vierten Rang der Automobilhersteller verdrängen. Im Juni 2005 wurde eine erste Ladung mit 150 Pkw des von Honda in China gefertigten Billig-Modells Jazz nach Deutschland verschifft; in diesem Jahr sollen noch 10.000 Jazz nach Europa geliefert werden. Das größte Handelshaus der Welt, der amerikanische Wall-Mart-Konzern, bezieht inzwischen mehr als 70 % seines Sortiments aus China.
Mangels gewerkschaftlicher Gegenmacht – und Streiks sind verboten -, verharren die Sozialverhältnisse in China auf niedrigstem Niveau, z.B. mit Frauenlöhnen von umgerechnet 70 bis 90 Euro pro Monat (als Beispiel siehe “Das Geheimnis der chinesischen Puppe”, Abb. 08011). Der chinesische Mindestlohn liegt bei umgerechnet nur 55 Euro pro Monat. Auch der durchschnittliche Monatslohn bei ausländischen Unternehmen von 155 Euro verspricht selbst bei geringerer Produktivität enorme Vorteile gegenüber den in Deutschland üblichen Arbeitskosten. Bezeichnenderweise werden im besonders exportorientierten Pearl-Delta, wo ein Großteil der ausländischen Unternehmen investiert hat, selbst für chinesische Verhältnisse besonders niedrige Löhne gezahlt. Hinzu kommt die Verbilligung der Arbeitskäfte durch eine total unzureichende Altersvorsorge der chinesischen Ein-Kind-Generation. Ebenso bedrückend sind die Umweltverhältnisse bei Luft und Wasser. Die Arbeitsschutzstandards sind oft äußerst lax; in dem in dieser Hinsicht besonders berüchtigten Kohlebergbau starben allein im 1. Quartal 2005 1.113 Kumpel, und diese Unglücksserie reißt leider nicht ab.
Außerdem profitiert der chinesische Export von einer erheblichen Unterbewertung der chinesischen Währung, weil China selbst bei hohen Überschüssen und Währungsreserven die feste Bindung an den Dollar (selbst bei dessen Abwertung seit 2001) bisher beibehalten hat. Gegenüber dem Euro hat sich der chinesische Remimbi seit Mitte Juni 2001 bis Juli 2005 bereits um 30% abgewertet (siehe 08007). Der US Senat hat ein Gesetz passieren lassen, daß Strafzölle in Höhe von 27,5 % androht.
Der kometenhafte Aufstieg der Volksrepublik China in die Spitzengruppe der Exportländer liefert ein beredtes Beispiel für die Wirkung niedrigster Löhne und Abgaben, sonst schlechter Sozialverhältnisse, stark unterbewerteter Währung sowie mangelnden Umweltschutzes (siehe 0801 und 08001). Hatte China 1980 einen Export, der nur 9 % des deutschen entsprach, so waren es im Jahre 2004 bereits 64 % (siehe 0802). Dabei fällt auf, wie viel schneller China seine Exporte in die Europäische Union, gemessen an seinen Importen von dort, entwickeln konnte (siehe 08005); der chinesische Überschuß schoß 2004 auf 79 Mrd Euro hoch.
Ebenso ungleichgewichtig zu Chinas Vorteil entwickelte sich der Handel mit Deutschland (siehe 0803 und 08013). Der Anteil Chinas an Deutschlands weltweiten Importen sprang über die letzten fünf Jahre bis 2004 um zwei Drittel auf fast fünf Prozent an, wobei im arbeitsplatzrelevanten Halb- und Fertigwarenbereich noch wesentlich höhere Anteile erreicht werden. Man rechnet nun damit, daß sich China innerhalb eines Jahrzehnts zum weltgrößten Exportland entwickeln und Deutschland von diesem Platz verdrängen wird. Schon im ersten Quartal 2005 wurde Japan nach einer chinesischen Exportsteigerung um 35 % vom dritten Platz der Weltexportländer abgelöst.
Ein aktuelles Beispiel der chinesischen Exportstrategie zeigt sich im Textil- und Bekleidungsbereich (siehe 08009 und 08012). Hier wird China der große Nutznießer des im GATT seinerzeit beschlossenen und Ende 2004 in Kraft getretenen quotafreien Handels sein. Die WTO rechnet mit einem Anstieg des chinesischen Weltmarktanteils an Textilien von 17 Prozent 2003 auf über die Hälfte in nur drei Jahren. Noch können im Notfall besondere Abwehrmaßnahmen gegen ein Überfluten der Textilmärkte getroffen werden – die USA und die EU haben vorläufige chinesische Selbstbeschränkungen erreicht -, doch endet diese Regelung in 2008.
Die chinesische Leistungsbilanz im Außenwirtschaftsverkehr ist 2004 auf ein Plus von 70 Mrd $ hochgesprungen (siehe 08006). Dank der Leistungsbilanzüberschüsse konnte die chinesische Zentralbank bereits Reserven in der Größenordnung von 614 Milliarden US Dollar anhäufen, vergleichbar dem Jahreseinkommen von 15 Millionen deutschen Arbeitnehmern. Nach Japan hat China damit die größten Devisenreserven der Welt (siehe 0804). Für 2006 wird nun mit einem Überspringen der 1.000 Milliarden US Dollar Marke gerechnet. Dies ist alles sehr ungewöhnlich, denn eigentlich müßte ein Land auf dem Entwicklungsstand von China eine negative Handelsbilanz haben, die es nach Entwicklungsfortschritten ausgleichen würde.
In den USA macht das Wort vom “China Price” die Runde: “Gib 30 Prozent nach oder verliere Deinen Kunden an die chinesische Konkurrenz”. Hierin lag eine der Hauptursachen, warum in den USA seit 2000 bereits 2,7 Millionen Industriearbeitsplätze verloren gegangen sind, davon seit 1989 mehr als 1,5 Millionen durch Verlagerung nach China (US-China Economic and Security Commission). Das besondere an dieser Konkurrenz ist, daß sie anders als nach dem Lehrbuch der komparativen Kostenvorteile und anders als in der Geschichte des internationalen Handels gleichzeitig überall zuschlägt und gewinnt, in niedrigwertiger Arbeit, aber auch am High-tech-Ende. Dabei fällt der 120 Dollar/Monat Fließbandarbeiter genauso ins Gewicht wie der 2.000 Dollar/Monat Chipdesigner. Jedes Jahr kommen an die 350.000 neu ausgebildete Ingenieure hinzu. Dabei verfolgt China eine strikte Strategie zur Stärkung seiner eigenen künftigen Technologie-Exporte, indem es im Gegenzug zur Öffnung des chinesischen Marktes von ausländischen Unternehmen die Errichtung von F&E-Zentren in China verlangt. Nach Wolfgang Hirn in “Herausforderung China” haben sich schon rund 400 der 500 größten Unternehmen der Welt (Auto-, Elektronik-, Pharma- oder Telekommunikationsfirmen) in diesem Sinne “erpressen” lassen, ohne die längerfristigen Folgen zu bedenken. Zudem erlaubt der einmalig große Heimatmarkt den Chinesen eine unerreichbare “economy of scale”, d.h. Kostenvorteile wegen der schieren Größe der Produktionsserien. Zahlreiche in erster Linie amerikanische Unternehmen erzielen durch Produktionsverlagerung nach China gegenwärtig reiche Profite zu Lasten amerikanischer Arbeitsplätze – ein Trend, der sich auch bei deutschen Unternehmen entsprechend anbahnt. Das Eigeninteresse dieser US und anderer internationaler Unternehmen schützt dann auch noch China politisch nicht selten vor sonst unvermeidbaren Sanktionen gegen unfaire Handelspraktiken.
Bisher noch können gegenüber Billigstimporten aus China Antidumping-Zölle auf der Basis eines Vergleichs chinesischer Preise mit denen anderer Schwellenländer, wie Indien, angewandt werden. Tatsächlich sind die meisten der Antidumping-Zölle der Europäischen Union und der USA gegen China gerichtet. Jedoch kämpft China um die Anerkennung als Land mit Marktwirtschaft, und hat dies in mehreren Ländern Asiens und Lateinamerikas, wie Brasilien und Argentinien, bereits erreicht. Erstmals hat die britische Regierung durch ihren Handelsminister nun die EU aufgefordert, China den Marktwirtschaftsstatus einzuräumen. Sollte China dies erreichen, und früher oder später wird es soweit sein, können Antidumping-Maßnahmen zum Schutz gegen chinesische Billigstimporte nur noch ergriffen werden, wenn die Preise und Kosten des chinesischen Exporteurs unter den allgemein in China üblichen Preisen und Kosten liegen – ein sehr schwer zu führender Beweis.
Die Süddeutsche Zeitung berichtete im Dezember 2004 über einen neuerlichen Chinabesuch des Bundeskanzlers mit großer Wirtschaftsdelegation. Der Bundeskanzler wurde mit den beruhigenden Worten zitiert: “Investitionen in China sichern auch Arbeitsplätze in Deutschland”. Der Koordinator des Asien-Pazifik Ausschusses der Deutschen Wirtschaft Strack dagegen meinte: “Noch gehen wir davon aus, daß der Handel mit China zusätzliche Arbeitsplätze schafft. Wir wissen nur nicht, wie lange noch”. Wohl wahr!
Der chinesische Exportboom verdrängt außerdem zunehmend Produkte der ärmeren Entwicklungsländer, vor allem im Textilbereich. Von 12 % im Jahre 2000 ist der chinesische Anteil an den gesamten Entwicklungsländerexporten bis 2004 auf über 21 % gestiegen und dürfte 2005 in die Größenordnung von einem Viertel kommen (Abb. 08014). China wird in seiner Exportentwicklung von hohen Auslandsinvestitionen unterstüzt (neue Investmentverpflichtungen in 2004 in der doppelten Höhe der gesamten Entwicklungshilfe der entwickelten Industrieländer an alle Länder der Welt, Abb. 08015). Im 1. Halbjahr 2005 konnte China erneut Auslandsinvestitionen im Wert von fast 29 Mrd. US Dollar mobilisieren, d.h. im Monatsdurchschnitt etwa das 1.3-fache der ausländischen Neuanlagen in Deutschland vom vergangenen Jahr.