Kriegsspiele im Kopf: taz-Autor würde Deutschland im Schützengraben verteidigen

Kriegsspiele im Kopf: taz-Autor würde Deutschland im Schützengraben verteidigen

Kriegsspiele im Kopf: taz-Autor würde Deutschland im Schützengraben verteidigen

Ein Artikel von Marcus Klöckner

Die taz war einmal eine richtig gute Zeitung. Das ist lange her. Heute veröffentlicht das Berliner Blatt Beiträge, die in ihrem intellektuellen Dilettantismus atemberaubend sind. Und mittlerweile publiziert die Redaktion sogar einen Kampfaufruf gegen Russland: „Kämpfen für Deutschland: Zu den Waffen, Genossen!“ lautet die Überschrift eines aktuellen Artikels, der gerade wegen seiner eigenen Beschränktheit tief blicken lässt. Früher hat die taz ausgezeichnet, dass ihre Autoren fundamentalkritisch vorherrschende „Wahrheiten“ hinterfragt haben. Heute tanzt die taz mit der Macht Tango – und merkt es nicht einmal. Ein Kommentar von Marcus Klöckner.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Sollte ein Journalist in einer deutschen Zeitung darüber schreiben dürfen, dass er im Kriegsfall zu den Waffen greifen würde? Sollte eine Zeitung ihren Journalisten die Möglichkeit bieten, einer breiten Öffentlichkeit von ihren Kriegsspielen im Kopf erzählen zu dürfen? Die innere Pressefreiheit ist wichtig. Jeder Journalist sollte seine Gedanken im eigenen Blatt frei äußern können. Das versteht sich von selbst. Wie weit die jeweiligen Blätter dabei darauf achten, dass gewisse intellektuelle Standards nicht unterschritten werden, bleibt selbstverständlich den Entscheidern in den Redaktionen überlassen. Gerade von Redaktionen, die sich mit der großen Politik befassen, darf ein gewisses intellektuelles Niveau erwartet werden. Wirklichkeitsvorstellungen und „Analysen“, die nur die Vorderbühne betrachten, sind vielleicht noch etwas für eine Schülerzeitung. Für ein Medium, das ganz vorne in der politischen Diskussion dabei sein möchte, sind eindimensionale Stellungnahmen von Redakteuren im Blatt ein Armutszeugnis – einerseits. Andererseits gilt im deutschen Journalismus heute: Je eindimensionaler, desto besser. Fundamentalkritisch vorherrschende Wahrheiten hinterfragen? Wie etwa, dass der Feind im Osten sitzt? Die Qualitätspresse kann, nein: will! mit derlei „wirren“ Ansätzen nichts anfangen.

„Seriöse“ Medien achten darauf, dass das Feindbild richtig sitzt. Und: dass Redakteure, todesmutig, im eigenen Blatt darüber schreiben können, wie sie im „Verteidigungsfall“ mit der Waffe in der Hand, im Schützengraben liegend, gegen die Russen kämpfen, ist doch eine Selbstverständlichkeit. Der taz-Autor Leon Holly zeigt, wie das dann aussieht. Als Leser erfahren wir: „Ob ich an der Waffe „kriegstüchtig“ wäre, wie der Verteidigungsminister sich das wünscht, weiß ich nicht. Ich habe nicht gedient, bin nie durch den Schlamm gerobbt und hatte auch noch kein G36-Sturmgewehr in der Hand. Wenn es hart kommt, könnte ich die Verteidigung auf anderem Wege womöglich besser unter­stützen. Aber verabschieden will ich mich nicht.“

Und natürlich würde der wackere taz-Autor sein eigenes Leben auf Spiel setzen, „für jene, die nicht kämpfen oder fliehen können. Weil sie zu alt oder zu schwach sind, oder den falschen Pass haben und gar nicht aus Deutschland ausreisen dürfen.“

Die Sinnwelt des Artikels ist eine hypothetische. Sie besticht durch den Konjunktiv, die Möglichkeitsform. „Was wäre, wenn …?“ Oder anders gesagt: Wenn der Hund nicht geschissen hätte, hätte er den Hasen gekriegt. Soll so das Niveau im politischen Diskurs der bundesdeutschen Presse aussehen? Nein, so soll es gewiss nicht aussehen. Aber wer das Ausgeworfene deutscher Spitzenmedien bisweilen noch betrachtet, weiß: so ist – von Ausnahmen abgesehen – das Niveau.

Wer als Journalist den Konjunktiv zu seinem Zauberstab macht, kann Harry Potter mit einem Streich zum Kindergartenjungen degradieren. Mit der Möglichkeitsform lässt sich eine eigene Welt, ja: ein ganzes Universum im Handumdrehen erschaffen. Zeile für Zeile vermag ein Autor seine Fantasiewelt auf- und auszubauen – und wenn er es gut macht, glaubt vielleicht so mancher Leser auch noch, die Märchenwelt könnte Realität sein. Und hier liegt der Hase im Pfeffer. Märchen, Fiktion, Fantasie? Das ist nicht die Welt von Journalisten. Der Journalist und die Verwendung des Konjunktivs? Manchmal angebracht, aber bitte: sparsam verwenden. Schließlich sollen Journalisten „sagen, was ist“, das heißt, sie sollen Realität erfassen, wiedergeben. Das ist doch mit eine ihrer Kernkompetenzen. Von Journalisten erwarten Gesellschaft und Demokratie, dass sie aufgrund ihrer hohen schulischen und akademischen Qualifikation über ein großes Wissen verfügen und sich deshalb öffentlich besser, dezidierter äußern können, als es vielleicht der „einfache Bürger“ vermag.

Doch dann ist da die taz mit diesem Artikel. Der Autor zieht die intellektuelle Schublade auf, lässt die Leser wissen, dass er bisher „mit dem Krieg [konfrontiert] wurde (…) durch Bücher: Remarque und Jünger, der Erste Weltkrieg, ein sinnloses Abschlachten. Aber dann war da jemand wie George Orwell, der 1936 nach Spanien fuhr, sich einer trotzkistischen Miliz anschloss, um die Republik gegen den Ansturm des Franco-Faschismus zu verteidigen.“ Erich Maria Remarque? Im Westen nichts Neues? Ernst Jünger? In Stahlgewittern? Bravo! – möchte man dem taz-Autor zurufen.

Das ist doch eine gute Grundlage, um kriegskritisch zu sein – das heißt, wenn man die Bücher auch tatsächlich gelesen und verstanden hat. Doch in der Welt des Autors sticht Orwells Streifzug mit der Miliz – für die gute Sache, selbstverständlich – Jünger. Und Remarque allemal. Tragisch ist das, sehr tragisch. Eine Naivität kommt zum Vorschein, die der von Remarques Protagonisten ähnelt. Eine Naivität bahnt sich ihren Weg, die an die Naivität eines Teenager-Soldaten erinnert, der nicht ohne Stolz mit der Waffe in der Hand in den Krieg zieht. Manipuliert von Medien und Kriegspropaganda, glaubten junge Heroen schon immer, für das Gute zu kämpfen. Dass sie sich in Wirklichkeit vor den Karren einer eiskalten 3-D-Machtpolitik spannen lassen, die sie nicht einmal in Ansätzen verstehen, erschließt sich ihnen nicht. Die Wahrheiten hinter den „Wahrheiten“, die Komplexität von Kriegssituationen, der verdeckte Raum tiefenpolitischer und geostrategischer Koordinaten: Er ist nicht im Bewusstsein. Hat etwa Russland nicht die Ukraine überfallen? Na, sehen Sie! Ende, aus, Micky Maus. So einfach sind jene gefälligen Wahrheiten, auf die „die Macht“ setzt.

An dieser Stelle wird ein Journalist aus dem Mainstream wohl sofort eine Kerze anzünden. „Die Macht“? „Um Himmelswillen! Das ist so ein verschwörungstheoretisches Raunen!“ Der Schutzmantel um die eigenen sitzt in vielen Redaktionen leider sehr fest. Aufgabe von Journalisten, die dem Beruf tatsächlich gewachsen sind, wäre es, wie ein Elefant durch den Raum der gefälligen (Kriegs-)Wahrheiten zu trampeln – so, wie die taz das mal gemacht hat … in der Vergangenheit. Stattdessen schreibt ihr Autor etwas von einem „reaktionären russischen Mafiakapitalismus“, der nicht davor zurückschrecken würde, „Zivilist:innen in Potsdam massakrieren zu lassen“ – „wenn der Kyjiwer Vorort Butscha als Beispiel dienen darf“.

Uff! In manchen Sinn-Enklaven ist der Raum für den Zweifel an grundlegenden „Wahrheiten“ in einem Stahltresor verschlossen. Mit der Veröffentlichung dieses Artikels hat die taz dem Autor keinen Gefallen getan – und schon gar nicht sich selbst.

Titelbild: Screenshot taz.de

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