Jürgen Elsässer und sein Team können das Compact-Magazin zunächst weiter herausgeben. Die Auswirkungen der martialischen Aktion von Bundesministerin Nancy Faeser wurden vom Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss von gestern zunächst einmal gestoppt. Warum dieser Etappensieg für die Presse- und Meinungsfreiheit uns nicht vollständig entspannt zurücklassen sollte und welcher Handlungsauftrag darin besteht, erläutert Maike Gosch im folgenden Kommentar.
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Gestern Mittag, am 14.8.2024, vermeldete Jürgen Elsässer, dass das Bundesverwaltungsgericht den Sofortvollzug des Compact-Verbots teilweise ausgesetzt hat. Die Compact Magazin GmbH war vorher vom Innenministerium verboten und der unmittelbare Vollzug angeordnet worden, was bedeutet, dass bis zu einer ordentlichen gerichtlichen Klärung im Hauptsacheverfahren (das sicher erst in ca. 2 bis 3 Jahren zu erwarten ist) das Verbot zunächst vollziehbar war. Hiergegen haben sich die Betroffenen mit einer Klage im Hauptsacheverfahren, aber auch mit einem Eilantrag zur Aufhebung des Sofortvollzugs gewandt. Diesem Eilantrag wurde jetzt stattgegeben. Das „teilweise“ bezieht sich nicht auf den Inhalt des Verbotes, sondern darauf, dass es noch weitere Antragsteller neben der GmbH und Jürgen Elsässer persönlich gab, die ebenfalls Anträge gestellt haben (in der Pressemeldung des Gerichts als „Mitglieder“ bezeichnet, wahrscheinlich die Mitarbeiter), diese wurden abgelehnt.
Diese Niederlage von Frau Innenministerin Faeser und dem Ministerium für Inneres und Heimat wurde im Netz zu Recht als Sieg für die Pressefreiheit gefeiert. Auch ich muss sagen, dass ich sehr erleichtert aufgeatmet habe, als ich die Nachricht gelesen habe. Ich hatte gehofft, dass es so ausgehen würde, weil meiner Meinung nach unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung ein deutlicher Schlag versetzt worden wäre, wenn das Gericht anders entschieden hätte. Herr Elsässer und sein Team können jetzt also die Arbeit wieder aufnehmen und sowohl die Gelder als auch die Laptops, Tische, Stühle und alle Arbeitsgeräte, die in der Großaktion mit deutscher Gründlichkeit samt und sonders beschlagnahmt wurden, müssten jetzt zurückgegeben werden – soweit sie nicht noch für die Auswertung benötigt werden.
Die Freude über diese Entscheidung ist aber nicht ganz ungetrübt. Denn das Gericht hat leider auch Folgendes erklärt:
„Zwar bestehen keine Bedenken gegen die Anwendbarkeit des Vereinsgesetzes auf die in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung organisierte und als Presse- und Medienunternehmen tätige Antragstellerin zu 1. Alles spricht auch dafür, dass die Verbotsverfügung formell rechtmäßig ist.“
Was hier gemeint ist, ist, dass das Vereinsrecht auch auf eine GmbH anwendbar ist, die Zeitschriften oder Zeitungen herausgibt. Nicht adressiert wird aber leider vom Gericht – und ich hoffe, das wird es im Hauptsacheverfahren noch oder spätestens dann vor dem Bundesverfassungsgericht, sollte es dazu kommen – die heikle Frage der Anwendung des Vereinsrechts zur Umgehung von presserechtlichen Vorschriften und der Gesetzessystematik in Bezug auf Presse- und Medienerzeugnisse, die die Presse- und Meinungsfreiheit in Deutschland besonders schützen und sichern sollen. Diesen Punkt halte ich aber für zentral. Ähnliche Gedanken äußerte auch Prof. Ulrich Vosgerau aus dem Anwaltsteam von Jürgen Elsässer und der Compact-GmbH. Es bleibt also spannend.
Begründet wurde der Beschluss mit der mangelnden Verhältnismäßigkeit des Verbots und dem Vorliegen möglicher milderer Mittel (wie etwa presse- und medienrechtliche Maßnahmen gegen einzelne Artikel, Veranstaltungsverbote, etc.) und damit, dass das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin das öffentliche Interesse zur sofortigen Vollziehung überwiegt. Glücklicherweise wird hier auch das besondere Gewicht der Grundrechte auf Meinungs- und Pressefreiheit immerhin erwähnt und anerkannt.
Auf X und in den alternativen Medien häufen sich seitdem die Rufe nach einem Rücktritt der Innenministerin, mit dem ich aber nicht rechne, obwohl sogar Wolfgang Kubicki vom Koalitionspartner FDP ihr einen solchen nahelegt. Denn wenn wir eins in der Regierungsphase der Ampel-Regierung gelernt haben, dann ist es das unglaubliche Beharrungsvermögen von Ministern und die sagenhafte, ja zaghafte Zurückhaltung des Bundeskanzlers (der sie ja auch entlassen könnte), egal wie groß die Verfehlungen sein mögen. In früheren Zeiten hätte das, was viele aktuelle Regierungsmitglieder sich in den letzten Jahren geleistet haben, zehnmal für einen Rücktritt gereicht. Man kann nur vermuten, dass hier eine Art „Domino-Theorie“ vertreten wird, das heißt, die Sorge vorherrscht, dass, wenn man einen einzigen Rücktritt zulässt, die ganze Mannschaft wie Dominosteine nacheinander umkippen könnte.
Aber zurück zu uns, den Bürgern. Was machen wir aus dem Geschehen? Gestern kam mir tatsächlich ein sehr optimistischer Gedanke: Was, wenn diese Krise der Meinungs- und Pressefreiheit, in der wir uns in Deutschland befinden, auch eine Chance beinhaltet? Wir leben in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg für mich als Westdeutsche gefühlt in einer Art „betreuter“ Demokratie. Es herrschte immer ein Art Gefühl von: Die Demokratie wurde uns gegeben, wir haben sie nicht selbst erkämpft (wie es die Ostdeutschen 1989 getan haben). 1990 war so eine Chance, sie uns wirklich zu eigen zu machen, sie mit noch mehr Leben zu erfüllen. Diese Chance haben wir verspielt oder sie wurde uns genommen.
Auch die Meinungs- und Pressefreiheit hat eine große Mehrheit von uns (ich entschuldige mich bei meinen ostdeutschen Lesern, auch das wieder aus deutlich westdeutscher Perspektive) vielleicht viel zu lange für selbstverständlich genommen. Wir dachten nicht, dass wir für sie kämpfen müssen. Wir haben den Schutz unserer Demokratie und der Grundrechte weitgehend dem „Staat“ überlassen. Seit der Corona-Krise haben Viele bemerkt, dass das so nicht (mehr) funktioniert und sich sehr mutig und auch unter großen Risiken für unsere Grundrechte eingesetzt. Dafür wurden sie von den Medien, den Politikern und auch großen Teilen der Bevölkerung mit Spott und Häme überschüttet. Aber jetzt erkennen langsam immer mehr, dass sie recht hatten.
Es gibt eine großartige Rede des U.S.-amerikanischen Dissidenten Ehren Watada, einem ehemaligen Offizier der Armee, der den Einsatzbefehl für den Irakkrieg verweigerte, weil er ihn (zu Recht) für einen unmoralischen und rechtswidrigen Angriffskrieg hielt und dafür mit Gefängnis bedroht war. In dieser Rede sagte er die folgenden Worte:
„Democracy is not a spectator sport. In a Democracy, everyone is a politician.“
(„Demokratie ist kein Zuschauersport. In einer Demokratie sind wir alle Politiker.“)
Ich weiß noch, wie ich damals beim Zuhören (im Jahr 2007) so etwas wie einen Energieschub verspürte und gleichzeitig bemerkte, wie wenig das, was er schilderte, meiner Wahrnehmung – und die vieler Mitbürger – von der politischen Atmosphäre in Deutschland entsprach.
Vielleicht sind diese Angriffe auf die Meinungs- und Pressefreiheit, die sich in letzter Zeit häufen und verschärfen, eine Chance für noch mehr von uns, aus den Zuschauersesseln aufzustehen und unseren Platz auf dem Spielfeld einzunehmen. Denn diese Verschärfung der Maßnahmen sind meiner Meinung nach auch aus einer großen Angst und Überforderung der Politiker geboren, die wir vielleicht aus dieser Passivität heraus zu sehr mit der großen Aufgabe alleingelassen haben, unsere Demokratie zu gestalten und zu leben und zu schützen.
Die Bundesregierung hat ja vor kurzem die Strategie „Gemeinsam für Demokratie und gegen Extremismus“ beschlossen. Gut so!, sage ich. So soll es sein. Aber nicht als Initiative, die von oben nach unten wirkt (wie es aktuell läuft) und große Teile der Bevölkerung und der politischen Landschaft ausschließt und als Extremisten etikettiert. Sondern als Aufgabe, die von uns als Bürger und Bürgerinnen selbst erfüllt wird. Im olympischen Geist gesprochen: „Let the Games begin!“
Titelbild: Matthias Roehe / Shutterstock