„Waffen, auch aus Deutschland, helfen, pazifistische Grundsätze durchzusetzen.“ Und: „Wer sich dem aber verweigert, macht sich mitschuldig am immer länger laufenden Krieg Russlands gegen die Ukraine.“ Ein aktueller Kommentar im Deutschlandfunk zu den auf russischem Boden eingesetzten deutschen Panzern lässt einen sprachlos zurück. Viele Beiträge im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zur Kriegsfrage markieren einen neuen Tiefpunkt für den Journalismus – und die Bürger müssen das auch noch bezahlen. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
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Im Deutschlandfunk (DLF) ist ein aktueller Kommentar zur Kursk-Offensive der Ukraine in Russland zu lesen. Ich empfinde den Beitrag als stilistisch fragwürdig und inhaltlich verzerrend – damit passt er sich gut ein in die harte Kriegstreiberei, die in anderen öffentlich-rechtlichen und großen privaten Medien momentan praktiziert wird. Thomas Franke schreibt im DLF:
„Seit 2014, das sind zehneinhalb Jahre, führen Russlands Soldaten Krieg in der Ukraine. Noch länger baut die russische Propaganda die NATO und die EU zu Feindbildern auf, trichtert den Menschen in Russland ein, der Westen wolle sie vernichten. Russland bricht Völkerrecht und stationiert nicht weit von der EU- und NATO-Außengrenze Raketen, die Berlin, Warschau und noch ein paar andere westeuropäische Metropolen erreichen können.“
Hier ist anzumerken: Der inner-ukrainische Krieg wurde 2014 von Kiew unter dem Label eines „Anti-Terror-Einsatzes“ gegen die Bürger im Donbass begonnen. Im Donbass gab es starke Widerstände gegen die aus dem rechtsradikalen Maidan-Umsturz hervorgegangene Regierung in Kiew – dieser Widerstand sollte (unter anderem mithilfe von freiwilligen Nazi-Regimenten) durch Beschuss der Region vonseiten Kiewer Truppen gebrochen werden. Russland hat dann eingegriffen – der inner-ukrainische Krieg wurde aber ursprünglich von Kiew losgetreten. Das geradezu betrügerische Vorgehen westlicher Regierungen im Zusammenhang mit den Friedensbemühungen von Minsk haben die NachDenkSeiten unter anderem in diesem Artikel beschrieben. Auch die Behauptung im DLF zur russischen Raketen-Stationierung lässt zahlreiche relevante Aspekte der Entwicklung der letzten Jahre unter den Tisch fallen.
„Eroberung der Krim“
An anderer Stelle schreibt Franke von einer „Eroberung der Krim“ durch Russland – auch diese Ausdrucksweise wird, freundlich ausgedrückt, den realen Vorgängen nicht gerecht. Ein ukrainischer Vormarsch auch auf russischem Gebiet sei jedenfalls „überfällig“, so die Folgerung. Im Artikel „Deutsche Panzer rollen wieder in Russland – bei der ‘PR-Schlacht’ in Kursk” hatte ich zur fragwürdigen Begeisterung über die ukrainische Kursk-Offensive geschrieben:
„Aber auch dann, wenn die Offensive also eine echte militärische Relevanz hätte, wäre das alles andere als ein Grund zum Jubeln: Je mehr sich die Russen tatsächlich irgendwann von den NATO/Ukraine-Kräften auf eigenem Boden in die Ecke gedrängt sehen sollten, umso gefährlicher wäre das für Resteuropa, weil dann irgendwann der Einsatz von Atomwaffen akut würde. Insofern ist eine westliche Freude über die Kursk-Offensive in jeder Hinsicht absurd.“
Richtig absurd wird der DLF-Text, wenn es um die Vergangenheit geht. Franke behauptet:
„Hätten die vergangenen Bundesregierungen bereits 2014 konsequent gehandelt, gäbe es den Krieg in der Form wahrscheinlich nicht.“
Einerseits stimmt es: Der Krieg hätte leicht von westlicher Seite verhindert werden können – aber so ist die Aussage mutmaßlich nicht gemeint. Im Gegenteil, der Satz soll wohl zugespitzt ausdrücken, dass etwa die Bundesregierungen seit 2014 mehr Härte gegen Russland hätten entfalten sollen, dann hätten wir nun keinen Krieg. Das Gegenteil ist richtig, wie etwa die zahlreichen Zitate im aktuellen Text von Bernhard Trautvetter belegen: Seit den 1990er-Jahren (und verstärkt seit 2014) haben seriöse westliche Stimmen immer wieder betont: Wenn der Westen seine konfrontative Politik gegenüber Russland so weitertreibt, dann wird irgendwann ein Krieg aus russischer Sicht unvermeidlich werden – und zwar unabhängig von der jeweiligen russischen Führung. Diese Mahnungen wurden ignoriert und auch darum ist nun Krieg in Europa.
Die – hinzugefügten – Lehren aus der Vergangenheit
Fragwürdig wird vom DLF auch mit den Lehren aus der deutschen Vergangenheit umgegangen: „Der gesellschaftliche Konsens in der Bundesrepublik nach 1945 lautete: Nie wieder Krieg. Das heißt: Von deutschem Boden darf nie wieder ein Krieg ausgehen“ – so weit, so zutreffend.
Doch dann dichtet der Kommentar einfach weitere angebliche historische Lehren hinein: „Nie wieder bedeutet auch, dass nie wieder jemand einen Vernichtungskrieg gegen jemand anderen führen darf.“ Da hätte Deutschland aber viel zu tun, wenn es nun alle „Vernichtungskriege“ auf der Welt mit Waffenlieferungen beeinflussen wollte. Und hätte nach dieser Logik nicht schon seit Jahrzehnten ein hartes Sanktionsregime die USA treffen müssen wegen ihrer diversen Angriffskriege? Egal: Logik zählt prinzipiell in der aktuellen Meinungsmache für die abzulehnende militaristische „Zeitenwende“ nicht viel. Im konkreten Kommentar wird eine Verlängerung des Tötens als Folge unrealistischer Maximalforderungen indirekt in Kauf genommen:
„Wer also ruft: ‚Der Krieg muss gestoppt werden‘, der muss die Ukraine stärken. Russland wird seine Truppen nicht ohne maximalen Druck zurückziehen. Jede Verzögerung schadet dem Opfer und bestärkt das Regime in Moskau.“
Hier erklingt indirekt die zynische Feststellung, dass der Krieg erst dann „gestoppt“ werden könne, wenn Russland seine Truppen aus der Ukraine zurückgezogen hat. Unabhängig von der Schuldfrage ist ein solcher Rückzug in absehbarer Zeit extrem unwahrscheinlich, auch wenn man die Forderung und die angeblich dahinterstehende moralische Eindeutigkeit noch hundert Mal betont. Wer trotz dieser Realität auf einem russischen Rückzug als Vorbedingung etwa für einen Waffenstillstand beharrt, fordert indirekt eine Verlängerung der Kämpfe mit entsprechend vielen Toten (auch Ukrainern).
Am Ende landet der Kommentar sinngemäß bei George Orwell und der verdrehten Logik, dass gegen Russland eingesetzte deutsche Waffen Pazifismus stärken würden – wer das nicht kapiert, verweigert schmerzhafte Erkenntnisse und macht sich dadurch mitschuldig:
„In der Praxis sieht das so aus: Waffen, auch aus Deutschland, helfen, pazifistische Grundsätze durchzusetzen. Es ist schmerzhaft, das anzuerkennen. Wer sich dem aber verweigert, macht sich mitschuldig am immer länger laufenden Krieg Russlands gegen die Ukraine.“
Rundfunk muss reformiert werden!
Ich lehne eine Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks immer noch ab – ich denke, dass die deutsche Medienlandschaft nicht besser würde, wenn es nur noch Privatmedien geben würde. Aber der hier besprochene Kommentar, der nur einer unter zahllosen fragwürdigen öffentlich-rechtlichen Beiträgen zum Thema Krieg ist – sowie die Tatsache, dass die Bürger für die fortgesetzte Kriegstreiberei in solchen Beiträgen Rundfunkgebühr bezahlen müssen – erinnert einmal mehr daran, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk dringend und grundlegend reformiert werden muss.
Titelbild: Jose Luis Carrascosa / Shutterstock