„Erpressung!“ werfen SPD und CDU Sahra Wagenknecht vor. Warum? Weil Wagenknecht einen Nerv getroffen hat. Gerade sagte sie nämlich, das BSW mache die Ablehnung der Stationierung von US-Raketen in Deutschland zur Bedingung für eine Regierungskoalition auf Landesebene. Da die „Volksparteien“ im Osten unter Druck sind, aber in weiten Teilen ideologisch hinter der Stationierung der Raketen stehen, ist die Empörung groß. Unterm Strich bedeutet die Ausrichtung des BSW nämlich: CDU und Co könnten nach den Wahlen keine Koalition mit dem BSW eingehen. Die Parteien spüren ihren Machtverlust. Gut, dass sich das BSW in der Frage so klar positioniert. Ein Kommentar von Marcus Klöckner.
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„Das BSW wird sich nur an einer Landesregierung beteiligen, die die US-Raketenpläne, die die Kriegsgefahr für Deutschland massiv erhöhen, klar ablehnt“ – das sagte gerade Sahra Wagenknecht in einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Diese Aussage war wichtig. So wird deutlich: Das BSW stellt Friedenspolitik vor die politische Machtfrage. Und diese Positionierung einer Partei ist dringend notwendig. Die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland birgt nämlich eine enorme Gefahr. Die Standorte der Raketen, die atomar bestückbar sind, könnten im Kriegsfall zur Zielscheibe werden. Die Stationierung der Raketen ist unverantwortlich gegenüber den Bürgern Deutschlands.
„Diese Waffen schließen keine Verteidigungslücke“, so Wagenknecht, „sondern sind Angriffswaffen, die Deutschland zu einem primären Ziel russischer Atomraketen machen würden“. Das BSW werde nur dann in eine Regierungskoalition eintreten, wenn diese „klar Position für Diplomatie und gegen Kriegsvorbereitungen“ beziehe.
Aussagen wie diese reichen offensichtlich aus, um eine enorme Nervosität bei jenen Parteien auszulösen, die sich ganz der „Zeitenwende“ verschrieben haben. „Das sind Erpressungsversuche, die insbesondere die CDU auf eine Zerreißprobe stellen und damit schwächen sollen“, sagte etwa der thüringische Innenminister und SPD-Spitzenkandidat Georg Maier gegenüber dem Tagesspiegel. Und der CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt warf Wagenknecht vor, die Landtagswahl als „Spielball für die eigene bundespolitischen Profilierung“ zu nutzen.
Wie „hoch“ der Realitätsgehalt solcher Aussagen ist, lässt sich anhand nachfolgender Äußerungen des CDU-Politikers rasch ablesen. „Die CDU ist nicht erst seit Helmut Kohl die größte Friedenspartei Europas“, schreibt Voigt. Was die Konfrontationspolitik der CDU gegenüber Russland mit einer Friedenspartei zu tun haben soll, erschließt sich dem Betrachter selbst nach reiflicher Überlegung nicht. Aber wer weiß, vielleicht betrachtet Voigt ja auch die Aussagen seines Parteikollegen Roderich Kiesewetter, der sagte: „Wir müssen den Krieg nach Russland tragen“ , als eine dem Friedensnobelpreis würdige Friedensinitiative.
Der Öffentlichkeit hingegen erschließt sich, dass CDU und SPD Gift und Galle spucken. Und dafür haben sie allen Grund. Ihre politische Luft auf Landesebene wird im Osten immer dünner. In Umfragen lassen sowohl das BSW als auch die AfD erahnen, was da für ein politisches Erdbeben zu erwarten ist, während die sogenannten „großen“ Parteien zum Schatten ihrer selbst werden. Mit der Ansage zur Raketenstationierung baut Wagenknecht Druck auf – und zwar sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene. Bundes-CDU und -SPD werden so erneut öffentlich mit ihrer geradezu skandalträchtigen Positionierung zur „Raketenfrage“ konfrontiert.
Am Montag sah sich die SPD-Spitze wohl genötigt, öffentlich Stellung zu beziehen. Laut Spiegel befürworteten die Sozialdemokraten die Stationierung der Raketen – in Westdeutschland, aber nicht im Osten. Die halbherzige SPD – für jeden Wähler zu erkennen. Und auch die Landespolitiker von CDU und SPD sehen sich einer Situation ausgesetzt, in der sie sich schon alleine aufgrund der jeweiligen eigenen Machtfragen in den Bundesländern mit der bundespolitischen Ausrichtung ihrer Parteien auseinandersetzen müssen.
Die Reaktionen verdeutlichen: Wagenknecht hat einen neuralgischen Punkt getroffen. Sie zeigen aber der Öffentlichkeit auch, wie selbst auf Landesebene Politiker von CDU und SPD mit Zähnen und Klauen die mit der Realität brechende Politik der „Zeitenwende“ verteidigen. Was sie dabei nicht begreifen: Ein beachtlicher Teil der Wähler will eine Politik des Friedens. Dazu gehören Verhandlungen, Diplomatie und guter Wille. Was nicht dazugehört sind: Waffen! Und schon gar keine Mittelstreckenraketen auf deutschem Boden. CDU- oder SPD-Politiker müssen das nicht verstehen. Sie dürfen selbstverständlich auch dem festen Glauben verfallen sein, dass ihnen bizarre Wahlwerbespots, etwa über Kaffee, Salz und Zucker, einen Erdrutschsieg bescheren werden. Ein feierliches Aufwachen aus dem Realitätsverlust wird es dann für die Parteien am Wahlabend allerdings nicht geben.
Titelbild: zef art / Shutterstock