Deutsche Panzer rollen wieder in Russland – bei der „PR-Schlacht” in Kursk

Deutsche Panzer rollen wieder in Russland – bei der „PR-Schlacht” in Kursk

Deutsche Panzer rollen wieder in Russland – bei der „PR-Schlacht” in Kursk

Tobias Riegel
Ein Artikel von: Tobias Riegel

Die ukrainische Offensive auf russischem Gebiet gibt Rätsel auf: Sie erscheint militärisch irrelevant und darum wie eine drastische Form der Durchhalte-Propaganda – auch mit dem Ziel, Verhandlungen über einen Waffenstillstand weiter unmöglich zu machen. Dass im Zuge der Kursk-Offensive nun wieder deutsche Panzer auf russische Städte zurollen, ist unerträglich: Das ist ein Schlag gegen alle Lehren aus der deutschen Geschichte – und es ist ein Schlag gegen eine friedliche Zukunft in Europa. Ein Kommentar von Tobias Riegel.

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Die Offensive der Ukraine um die russische Stadt Kursk erscheint militärisch (zumindest langfristig) bedeutungslos und sie ist mit vielen Opfern und taktischen Unsicherheiten verbunden. Für mich entsteht der Eindruck, dass es hier vermutlich um eine drastische Form der Propaganda im Sinne eines „Durchhaltens“ geht: Eine rein symbolische militärische Aktion soll den entmutigten Soldaten in der Ukraine sowie dem Wahlvolk in Europa noch einmal die Illusion eines Vorrückens simulieren. Seht her: Die unmoralische westliche Taktik der Kriegsverlängerung durch Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet geht trotz aller Unkenrufe auf, die Ukrainer rücken sogar vor!

Ich möchte mich als militärischer Laie aber nicht festlegen: Vielleicht ist die Kursk-Offensive ja auch eine geniale Kriegslist der Ukrainer, die die russische Armee in echte Bedrängnis bringen wird. Aber auch dann, wenn die Offensive also eine echte militärische Relevanz hätte, wäre das alles andere als ein Grund zum Jubeln: Je mehr sich die Russen tatsächlich irgendwann von den NATO/Ukraine-Kräften auf eigenem Boden in die Ecke gedrängt sehen sollten, umso gefährlicher wäre das für Resteuropa, weil dann irgendwann der Einsatz von Atomwaffen akut würde. Insofern ist eine westliche Freude über die Kursk-Offensive in jeder Hinsicht absurd. Es ist wohl nicht ganz klar, ob das Vorgehen der Ukraine im Vorfeld mit den westlichen Unterstützern abgesprochen war, ich halte aber eine so „selbstständige“ Offensive der Ukraine für unwahrscheinlich.

Offensive gegen Waffenstillstand

Neben der Wirkung als mutmaßliche PR-Aktion und Durchhalteparole trägt die Offensive die destruktive Wirkung gegen Verhandlungen zu einem Waffenstillstand in sich. Das scheint für manche Beobachter bereits ein Wert an sich: Hauptsache, es geht erstmal weiter mit dem Krieg!

Mit welchem Horror diese neue Variante der Verlängerung des Kriegs aber erkauft wird, das wird möglichst unter den Teppich gekehrt: Für die militärisch mutmaßlich irrelevanten „Eroberungen“ bei Kursk werden (auf beiden Seiten) zahlreiche Menschenleben geopfert.

Die Aussage, „dann soll Russland eben die Ukraine verlassen, dann ist doch Frieden“, ist unter anderem aus folgenden Gründen obsolet: 1. Trotz intensiver Wiederholung des Satzes wird sein Inhalt nicht realistischer – selbst wenn die alleinige Schuldzuweisung in Richtung Russland auf der moralischen Ebene zutreffend wäre, was sie nicht ist, bedeutet das Beharren auf einem nicht zu erwartenden russischen Totalrückzug als Vorbedingung für Verhandlungen, dass man ein Beenden des Tötens bewusst für lange Zeit ausschließt. 2. Der Krieg hätte von westlicher Seite im Vorfeld verhindert werden können durch ein taktisches Zugehen auf nachvollziehbare russische Sicherheitsbedenken (z.B. Verzicht auf NATO-Osterweiterung, neutrale Ukraine). 3. Es geht konkret vor allem um einen Regionalkonflikt um Donbass und Krim – diesen Regionalkonflikt vorsätzlich und unnötig zu einem globalen Konflikt auszuweiten und ihn mit Waffenlieferungen immer weiter am Leben zu erhalten, ist moralisch zu verurteilen. 4. Völlig unabhängig von moralischen Urteilen und der Schuldfrage muss das Töten sofort mit einem Waffenstillstand zumindest unterbrochen werden. 5. Die Behauptung, „wenn Putin in der Ukraine nicht verliert, dann macht er einfach weiter“, ist genau das: eine reine Behauptung.

Deutsche Panzer in Russland!

Aus deutscher Perspektive hat der Vorgang noch eine ganz spezielle Ebene: Bei der Offensive nutzt die Ukraine auch deutsche Panzer, Medien berichten über entsprechende Drohnenaufnahmen. Der bis vor kurzem noch unvorstellbare Zustand, dass sich jetzt wieder deutsche Panzer auf russische Städte zubewegen, ruft jedoch kaum angemessene Reaktionen in den großen deutschen Medien hervor. Hier ist die geistige „Zeitenwende“ vorbildlich vollzogen worden. Auf die historische Dimension der ukrainischen Offensive auf russischem Boden auch mit deutschen Waffen weist das Medium Lost In Europe in diesem Artikel hin:

„Um Kursk tobte 1943 die größte Panzerschlacht des 2. Weltkriegs. 81 Jahre später rollen wieder deutsche Panzer auf die russische Stadt zu.“

Die Lehren aus dem Zweiten Weltkrieg scheinen in Deutschland weitgehend vergessen zu sein oder sie werden als irrelevant empfunden. Das ist ein großer Fehler. Diese aggressive Geschichtsvergessenheit richtet sich nicht nur gegen alle Lehren der Geschichtsschreibung, sondern auch gegen eine friedliche Zukunft in Europa: Die Symbolik der deutschen Panzer in Russland wird eine (für eine europäische Friedensordnung unverzichtbare) langfristige Entspannung gegenüber Russland nochmals zusätzlich erschweren.

Aber etwa der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Marcus Faber (FDP), sieht laut Medienberichten kein Problem darin, wenn die Ukraine von Deutschland gelieferte Waffen für ihren aktuellen Vorstoß auf russischem Gebiet nutzt. „Mit der Übergabe an die Ukraine sind es ukrainische Waffen“, sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Das gelte „für jegliches Material“, auch den Kampfpanzer Leopard 2.

Moskau zufolge sind „bis zu tausend“ ukrainische Soldaten sowie dutzende Panzer und gepanzerte Fahrzeuge an dem Angriff beteiligt. „Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine ist das Territorium beider Staaten Kriegsgebiet“, erläuterte Faber seine Position. „Der Einsatz der Waffen unterliegt den Bestimmungen des Völkerrechts.“ Laut Lost In Europe ist aber beispielsweise der Einsatz von deutschen Marder-Panzern auf russischem Boden „durch keinen EU- oder Nato-Beschluss gedeckt“.

Die EU sagt dagegen: „Wir sind der Meinung, dass die Ukraine einen rechtmäßigen Verteidigungskrieg gegen eine illegale Aggression führt“, so ein Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell in Brüssel. Das Recht auf Selbstverteidigung schließe auch das Recht ein, den Feind auf dessen Territorium anzugreifen. Die EU stehe voll und ganz hinter den Bemühungen der Ukraine, ihre territoriale Integrität und Souveränität wiederherzustellen und die illegale Aggression Russlands zu bekämpfen.

Das „militärische Ende der Ukraine“?

Der Militär- und Osteuropa-Experte Gustav Gressel vom European Council on Foreign Relations warnte im Spiegel aber auch vor Gefahrenpotenzialen, die von der Kursk-Offensive für die Ukraine ausgehen. Die Stellung in Kursk über mehrere Monate zu halten, würde enorme militärische Kosten bedeuten, die für die Ukraine „kaum tragbar“ seien. Außerdem hätte eine potenzielle Verlängerung der Frontlinie in erster Linie Vorteile für Russland. „Es hat mehr Waffen, Munition und Personal, die es an einer längeren Front einsetzen kann. Der Überraschungsvorteil der Ukraine könnte sich schnell zum Nachteil verwandeln“, führt Gressel aus. „Das Kursk-Manöver könnte das militärische Ende der Ukraine einleiten“, gibt er zu bedenken.

Am meisten ist an der Kursk-Offensive der schlimme Blutzoll zu beklagen, der dafür nötig ist. Für diesen Blutzoll werden weitere ukrainische Soldaten gebraucht – das lenkt den Blick auf einen weiteren Skandal: Im Zusammenhang mit Rekrutierungen in der Ukraine berichtet etwa die Junge Welt, dass es deutsche Behörden als ihre Aufgabe zu betrachten scheinen, „der Ukraine neue Soldaten zuzuführen, die sie an der Front verheizen kann“. So hätten Vertreter der Bundesländer laut Evangelischem Pressedienst erklärt, dass es für wehrpflichtige ukrainische Männer in Deutschland mit abgelaufenem Pass zumutbar sei, zur Passbeschaffung in die Ukraine zu reisen und der Wehrpflicht nachzukommen.

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Titelbild: Mike Mareen / Shutterstock