Videohinweis: Leo Ensel im Gespräch über die gegenwärtige Kriegsgefahr und warum es keine ernst zu nehmende Friedensbewegung mehr gibt

Videohinweis: Leo Ensel im Gespräch über die gegenwärtige Kriegsgefahr und warum es keine ernst zu nehmende Friedensbewegung mehr gibt

Videohinweis: Leo Ensel im Gespräch über die gegenwärtige Kriegsgefahr und warum es keine ernst zu nehmende Friedensbewegung mehr gibt

Ein Artikel von Christian Goldbrunner

Außer der Reihe der gewohnten Videohinweise möchten wir Sie auf ein aktuelles Interview unseres Gastautors Leo Ensel auf dem Kanal von Flavio von Witzleben aufmerksam machen. Inhaltlich geht es um die Totalverweigerung des „Westens“ in Sachen Diplomatie auf der einen Seite und um die eingeschlafene Friedensbewegung („der kümmerliche Rest“) auf der anderen Seite. Ensel spricht über die aktuellen Gefahren für die globale Sicherheit – auch durch die geplante Neustationierung von „Mittelstreckenraketen“ –, über die sogenannte nukleare Teilhabe und die latente Kriegsgefahr. Außerdem thematisiert Ensel „qualitative Schritte in Richtung Eskalation“, die der Westen seiner Meinung nach in den letzten Wochen und Monaten ausgeübt habe. Von Christian Goldbrunner.

Wie real ist die Gefahr eines Atomkrieges? // Konfliktforscher Leo Ensel
Dr. Leo Ensel ist Konfliktforscher und interkultureller Trainer mit Schwerpunkt auf dem postsowjetischen Raum sowie Mittel- und Osteuropa. Er hat zu den Themen „Angst und atomare Aufrüstung“, zur Sozialpsychologie der Wiedervereinigung sowie über die Deutschlandbilder im postsowjetischen Raum publiziert. Im Interview geht es um die sozialpsychologische Seite der gegenwärtigen Kriegsgefahr in Europa und die Frage, warum ein Großteil der Menschen apathisch und desinteressiert auf die eskalierenden Spannungen blickt. Außerdem thematisiert Ensel, warum es in Deutschland keine ernst zu nehmende Friedensbewegung gibt.
Quelle: Flavio von Witzleben, 09.08.2024

Wir haben einige Auszüge aus dem Gespräch für Sie transkribiert:

Leo Ensel: „Das wäre auch eine Aufgabe für gute Diplomatie, die Herausforderung, dem Gegner einen Ausstieg zu ermöglichen aus dieser falschen Logik, der ihm einen Gesichtsverlust erspart.“

„Ich bin zumindest erleichtert, dass wenigstens ein Politiker der Europäischen Union solche Schritte unternimmt. […] Viktor Orban ist in fast allen seinen Aktivitäten überhaupt nicht mein Fall. Man kann die Rechnung aber auch mal andersrum aufmachen: Wenn die ganze Mehrheit der Politiker, die uns permanent etwas von Werten erzählen, in Diplomatie nichts tut, dann kann ja vielleicht ein Mann, den ich in vielen Punkten sehr schräg finde, der aber etwas tut, ein gutes, ein kleines notwendiges Gegengewicht sein. Ich habe mal für mich einen sehr saloppen Satz formuliert: Vor Gott und vor den Psychoanalytikern gelten Motive, vor den Menschen gelten Effekte. Das heißt, mir ist es ziemlich egal, welcher ‘Lump’ etwas zum Besseren bewirkt, Hauptsache er bewirkt etwas.“

„Einerseits sollen wir Angst haben, das wird uns jeden Tag von unseren Leitmedien eingehämmert, nämlich: ‘Putin ist ein zweiter Hitler, wenn wir ihn jetzt nicht stoppen, dann wird er morgen das Baltikum und Polen überfallen und übermorgen sind russische Panzer wieder unter dem Brandenburger Tor’. Das ist die Logik. Das heißt, Angst wird erzeugt, Angst sollen wir auch haben. Ich denke nur, das ist die falsche Angst. Die richtige Angst […] orientiert sich an der größten überhaupt nur möglichen Gefahr, nämlich der Vernichtung unseres Planetens durch menschliches Handeln. Das ist die Gefahr, vor der wir Angst haben müssen und diese Angst müssen wir erst wieder lernen. Das ist nicht schön und es ist eigentlich eine Zumutung für jeden einzelnen. […] Wir müssen uns klar machen, wie ernst die Gefahr schon längst ist, in der wir sind und wir müssen lernen, eins und eins zusammenzuzählen, was passieren kann, vielleicht passieren wird, wenn dieser Zug nicht rechtzeitig gestoppt wird. […] Man ist schon einen Schritt weiter, wenn man erstmal auf der rationalen Ebene versucht, das zu sehen. Und solche Leute wie wir machen uns dabei nicht unbedingt beliebt, denn wir müssen ja Menschen aus dieser Komfortzone aufrütteln. Das hören die Menschen nicht gerne und diejenigen, die sozusagen Kassandra spielen, die werden entsprechend behandelt. Aber ich denke, wir sind in einer Situation, wo wir uns Weggucken nicht mehr leisten können. Wir müssen lernen hinzugucken und wir müssen uns zusammenschließen gegen die Gefahr. Wenn man mich vor 40 Jahren gefragt hätte, was soll ich denn tun in so einer Situation, dann hätte ich gesagt: Geh in deine nächste Friedensgruppe und guck, was du vor Ort machen kannst. Diese Infrastruktur müssen wir jetzt erst wieder aufbauen.“