Transkript der Beckmann Sendung mit Blüm und Nina Ruge
Unsere Bitte, die Sendung abzuschreiben, hat sehr freundliche Reaktionen ausgelöst. Herzlichen Dank allen für das Angebot und jenen besonders, die sich gleich an die Arbeit gemacht haben. Die Abschrift des Gesprächs folgt unten. Nachlesen lohnt sich. Hier wird eine Sendung für Stimmungsmache zu Gunsten jener privaten Interessen benutzt, für die Beckmann und Nina Ruge als Testimonial engagiert sind bzw. waren. Siehe Tagebucheintrag vom 11.4. Es ist interessant zu sehen, wie gläubig oder eben interessengeleitet Beckmann und auch Nina Ruge die herrschenden Glaubenssätze nachbeten. Die ARD sollte ihren Moderatoren eine Pflicht-Fortbildung in Ökonomie verschreiben.
Vorher noch ein Hinweis auf einen anderen Link zu einem Beitrag eines Medienhandbuchs, der treffend mit der folgenden Überschrift versehen ist:
„Reinhold Beckmann wird Versicherungsvertreter“:
Transkript: Interview Beckmann (Be) mit Norbert Blüm (Bl). Ko-Moderatorin (??) Nina Ruge (Ru).
Weitere Gäste: Karl Moik, André Rieux.
ARD, 20. März 2006, 22.45 Uhr.
Bitte beachten: die Abschrift ist nicht autorisiert von der ARD, entspricht jedoch der Sendung:
Be: …dass er heute hier ist. Dr. Norbert Blüm.
Bl: Vorsicht, ich bin auf dem Kriegspfad.
Be: Ja, ich merke das. Das Gift, das Adrenalin, schießt nur so ‘rüber.
Bl: Von wegen, sechzehn Jahre gepennt…
Be: Er legt schon gleich los. Noch keine Frage gestellt…
Bl: Ah, das kann ja nur jemand… das ist das Papageien-Syndrom. Einer sagt’s, und alle reden’s nach, nicht wahr?
Be: Bisher hab’ ich noch gar nichts gesagt.
Bl: Ja, Sie haben’s ja zitiert. Sie haben ja nur Bild-Zeitung, täglich. Können die Rentner richtig…
Be: Die Bild-Zeitung lieben Sie inzwischen ganz besonders, ja? Was ist denn da los? Ich mein’, das sind ja Ihre Freunde früher gewesen!
Bl: Ja, für mich ist das nicht… das ist nicht das Blatt des “Kleinen Mannes”, sondern das Organ des großen Geldes, um es gleich mal grob zu sagen.
Be: Warum denn das?
Bl: Na, bleiben wir erst mal… nicht so viel durcheinander.
Be: O.k. Also kommen wir zur Bild-Zeitung später. Geben wir noch mal das Foto, das wir eben gesehen haben. [Blüm vor 20 Jahren an der Litfaß-Säule beim Kleben eines Plakats:”Die Renten sind sicher”].
Bl: Gehn wir erst mal… die erste Behauptung…
Be: [unterbricht] Moment, darf ich eine Frage stellen? Dieses Foto ist zwanzig Jahre alt, aber jetzt wieder in allen Zeitungen natürlich zu finden, denn eins ist “sischer”, wie Sie damals gesagt haben – die Rente. Dieser Satz gilt heute fast als Inbegriff der Volkstäuschung. Würden Sie ihn heute noch mal so sagen, oder tut er Ihnen leid?
Bl: Das ist das… ich will ihn so sagen, wie ich ihn damals auch gesagt haBe: Es gibt nichts Sichereres als unser Rentensystem. Allerdings hab’ ich keine Riester-Rente gemacht, die die Sache verunsichert hat, ich habe auch nicht die Rücklage zurück genommen auf ein Fünftel der Monatsausgabe, das ist… wenn Sie das Thermostat falsch einstellen – zu niedrig einstellen – dann wird’s im Zimmer kalt; da ist aber die Heizung nicht dran schuld, sondern das Thermostat. Und wenn man sagt, die Rentenbeiträge dürfen nie höher sein wie zwanzig Prozent, dann stürzen die Renten ab, und was soll denn die Lösung sein? Die Lösung soll sein: Versichert euch privat. Da bin ich auch dafür. Nur, die Privatversicherung kann die Rentenversicherung nicht ersetzen, das…
Be: [unterbricht] Gehen wir Stück für Stück durch, damit der Zuschauer es auch versteht. Wir haben eine veränderte Situation. [betont langsam und untermalt mit weit ausholender Gestik] Also, alle fragen sich, warum wussten unsere Politiker damals nicht, dass die Demographie eine andere sein wird, also die Überalterung der Gesellschaft, der Geburtenrückgang aufgrund der Babypille, und alles, was dazu kam. Die Politiker hätten doch wissen müssen, dass es demographisch darauf hinaus läuft, dass die Renten irgendwann nicht mehr finanzierbar sind. Was sagen Sie dazu?
Bl: Ja, bleiben wir bei dem Thema. Ich war kaum im Amt, als ich bereits reagiert habe. Die Marktplätze waren voll mit Demonstranten, wir haben den Krankenversicherungsbeitrag der Rentner eingeführt, wir haben die nettolohnbezogene Rente, das war die erste demographische Antwort, Herr Beckmann, falls es Ihnen entgangen ist.
Be: Ich höre Ihnen weiter sehr gern zu…
Bl: Ich bitte: Ganz langsam zum Mitschreiben. Die Netto… umkämpfte Nettolohnrente funktioniert so: Wenn der Beitrag der Jungen steigt, dann sinkt die Rentenanpassung. Das ist ein… auch eine demographische Antwort. Wenn aus demographischen Gründen der Beitrag steigt – aus Gründen auch der Arbeitslosigkeit – dann können die Rentner nicht mehr die gleichen Rentenerhöhungen haben wie früher. Wir haben die beitragsfreie Zeit reduziert, wir haben eine demographische Formel eingeführt, und, Herr Beckmann, selbst wenn die doppelte Anzahl von Kindern geboren wird, Sie und ich, wir wünschen uns das alle [lächelt]… ich finde eine Gesellschaft mit Kindern viel schöner, nicht nur aus Rentengründen. [laut] Selbst wenn die doppelte Anzahl von Kindern geboren wird, die Kinder aber keine Arbeit hätten, wäre gar nichts gewonnen. Wenn Kinderzahl die Rente retten würde, müssten sie in Indien eine hervorragende Alterssicherung haben. Afrika müsste ja eine glänzende Rentenversicherung haben…
Be: [unterbricht] Sie müssten Arbeit haben…
Bl: Also ist das das Hauptthema. Und was…
Be: [Einwurf] Beides.
Bl: Und was gibt die Privatversicherung da für eine Antwort? Die soll ja der Retter sein. Hören Sie mal, die hat für den Arbeitslosen überhaupt nix. Der hat nämlich keinen Beitrag. Der geht leer aus. Für den Erwerbsunfähigen, der mit dreißig Jahren erwerbsunfähig wird, der schaut in die Röhre, bei der Privatversicherung. In der Rentenversicherung wird er behandelt, als hätte er weiter Beitrag gezahlt. Ich sage nicht, dass Privatversicherung als Ergänzung [lässt ein zweites “nicht” aus] gut wäre. Aber ersetzen kann sie unsere Rentenversicherung nicht, und ich behaupte, dass die Rentenversicherung deshalb so madig gemacht wird, damit das Geld in der Kasse der Privatversicherung besser klingelt. Allianz ist der Gewinner der Bild-Kampagne. Und die Bild arbeitet ja auch mit Allianz zusammen…
Be: [unterbricht] Das heißt, Sie sprechen in jedem Fall von einer Kampagne.
Bl: Von einer Kampagne.
Be: Die gestartet wird, um die Privatversicherung auf die Art und Weise zu fördern…
Bl: [Einwurf] Durchgehend. Je mehr ihr die Rentenversicherung kaputt redet… wir sind ja insoweit… die wissen ja gar nicht, was die anrichten, die wissen gar nicht… jetzt… ja, mal langsam!
Be: [versucht zu unterbrechen]
Bl: Die wissen ja gar nicht, was sie anrichten. Das bringt mich deshalb so hoch: Ich kenne nämlich viele ältere Leute, die meinen, morgen wird die Rente nicht mehr bezahlt, die meinen, die wär’ zahlungsunfähig…
Be: [Einwurf] Völlig große Verunsicherung…
Bl: … und ich war ja ‘neunundachtzig, ich war ja ‘neunzig, als auch diese Plakate, auf die Sie sich berufen… ich war in der damals, der endenden DDR. Wissen Sie, was die Hauptsorge der älteren Generation war? Dass sie noch eine Rente bekommt. Die sind vom Adolf betrogen worden, vom Honecker, und jetzt haben die Angst gehabt, dass sie in dem vereinten Deutschland keine Rente mehr bekommen. Um auch denen Vertrauenswerbung zu machen, ohne, dass ich die Probleme wegrede … rede ich nicht weg…
Be: Dann lassen Sie uns mal anfangen, über die Probleme zu reden.
Bl: [Einwurf] Bitte.
Be: Herr Doktor Blüm, Nullrunden seit 2004, die Nullrunden hören nicht auf. Die Inflation wächst und wächst. Also: Können Sie verstehen, dass die Rentner natürlich verunsichert sind, dass sie Angst haben, dass die Rente nicht mehr so stabil ist, wie sie mal war?
Bl: Ja, und wenn das so stimmt, unser System, wie es angelegt ist, dass Jung und Alt in einem Boot sitzen: Wenn die Löhne nicht steigen, dann steigen die Renten auch nicht. Nur – so, wie es die Bild-Zeitung gemacht hat, bleiben wir bei der. Die hat gerechnet, für die nächsten dreißig Jahre…
Be: [unterbricht] Nee, ich möchte, dass…
Bl: [ungehalten] Ja, doch!…
Be: … Sie auf meine Frage antworten, und nicht irgendwie die Bild-Zeitung – die legen wir jetzt erst mal beiseite..
Bl: [unterbricht] Ja, doch, das ist… woll’n wir jetzt mal Aufklärung betreiben, wo soll ich das denn sonst machen? – Zwei Prozent Preissteigerung rechnen die den Leuten vor. Dreißig Jahre, jedes Jahr zwei Prozent. Und gleichzeitig ein Prozent [Steigerung der] Löhne. Wenn das eintritt, dass die Löhne ein Prozent steigen und die realen Einkommen sinken, weil die Preise höher [steigen]. Dann wird…
Be: [unterbricht] Wem erzählen Sie das?
Bl: Ja, ich schätze jetzt, allen. Das kann man gar nicht genug erzählen. Dann ist nicht nur die Rente gefährdet, dann ist die Bild-Zeitung auch gefährdet. Dann gibt’s nämlich niemanden mehr, der die Bild-Zeitung kaufen kann.
Be: [unterbricht] Herr… also… jetzt müssen wir erst mal eins klarstellen… Herr Doktor Blüm, es ist doch nicht nur die Bild-Zeitung, es ist eine Sorge, die sich bei allen breit macht…
Bl: [Einwürfe] Später … Jawohl … Richtig … Ich versteh’ die Sorgen.
Be: Ich weiß, Sie haben jetzt Ihr persönliches Feindbild mit der Bild-Zeitung gefunden…
Bl: [Einwurf] Nein, gar nicht!
Be: …lasst uns bitte allgemein darüber reden – es ist doch ein Gefühl, das überall zu spüren ist. Und aufgrund der demographischen Entwicklung, die Frank Schirrmacher vor anderthalb, zwei Jahren beschrieben hat in seinem Buch:”Das Methusalem-Komplott”, ist es ja beschrieben, dass die Rente in der Form nicht mehr finanzierbar ist, weil [weit ausholendes Gestikulieren] durch die Überalterung der Gesellschaft oben ganz, ganz Viele sind und unten ganz, ganz Wenige, die das finanzieren können. Glauben Sie noch weiter, dass das finanzierbar ist?
Bl: Und sagen Sie mir, welches System anstelle unserer Rentenversicherung das…
Be: [unterbricht] Das war nicht die Frage.
Bl: Doch. Es ist ja nicht damit zu tun, zu sagen, ja, ja, die Rente kann’s nicht zahlen – wer soll’s denn zahlen? Die Privatversicherung ist genau so abhängig von der demograph…
Ru: [unterbricht] Aber das würd’ mich jetzt echt interessieren, die Antwort auf seine Frage. Glauben Sie tatsächlich, dass das finanzierbar ist, das System jetzt?
Bl: Ja. Ja…
Ru: [dreht sich zu Beckmann] Wie viel Milliarden hat der Bund jetzt schon letztes Jahr dazu geschossen?
Be: Zugebuttert laufend in den letzten Jahren. jetzt verhält sich der Beitrag von 19,4 auf 19,9…
Bl: Das will ich auch Ihnen erklären. Dieser Bundeszuschuss ist Abgeltung der versicherungsfremden Leistungen. Die Rentenversicherung zahlt nämlich Leistung, die gar nicht ihr Aufgabengebiet ist. Insofern entgeltet der Bund…
Ru: [unterbricht] Fein, aber die Milliarde ist gezahlt worden. Und das wird jedes Jahr mehr. Ich bitte Sie, also so lässt sich alles locker finanzieren. Es ist nur… ich bin genau so neugierig wie Sie…
Bl, Be: [Einwürfe] Ja, Sie müssen doch… Ja, und wohin…
Be: Herr Doktor Blüm, wo soll das Geld herkommen? Es kann demographisch nicht funktionieren. Sollen die Beiträge über zwanzig Prozent?
Bl: [Einwürfe] Ja… Ja…
Be: Über zwanzig Prozent?
Bl: Ja, natürlich…
Be: [aufgebracht] Warum denn das? Wer soll das alles bezahlen? Lohnnebenkosten schießen wieder nach oben, macht die Arbeit in Deutschland unattraktiv wie sonstwas…
Bl: [unterbricht] Herr Beckmann… Herr Beck… Also es gibt keinen…
Ru: [unterbricht] Erzählen Sie das mal den Fünfundzwanzigjährigen…
Bl: Ja, ich will’s ja gerade sogar Fünfzigjährigen erklären. Wenn Arbeitslosigkeit ist, dann gibt’s kein System der Welt, das das in Null auflösen kann. Und so wird auch denen – wenn Sie sagen, zwanzig Prozent ist das Höchste, heißt ja die Empfehlung – wenn du dann Renteneinkünfte brauchst, musst [du] dich privat zusatzversichern. [zu Ruge] Jetzt erzählen Sie mir mal, wo die Verkäuferin, mit tausend Euro vielleicht, wie die vier Prozent abzweigen kann. Die sagen dauernd, und das regt mich so auf, zwanzig Prozent ist das Höchste. Aber was man dann privat ersatzweise bezahlen soll, wird doch nicht vom lieben Gott bezahlt. Und das ist teurer als die Rentenversicherung. Denn fünfundzwanzig Prozent, zwischen fünfzehn und fünfundzwanzig Prozent der Privatversicherung sind schon mal Verwaltungskosten. Bei der Rentenversicherung sind’s eins komma fünf. Sie müssen die ganzen Drückerkompanien ja mitbezahlen. Sie müssen die Aktionäre bezahlen. Und wenn… das ist ja vom Kapital abhängig. Sehen Sie sich mal den internationalen Kapitalmarkt an. Auf dem deutschen Kapitalmarkt sind in achtzehn Monaten sechshundert Milliarden durch den Kamin gerauscht. Vernichtet. Können Sie sich vorstellen, in der Rentenversicherung wären sechshundert Millionen… sechshundert Milliarden, drei Jahresausgaben, vernichtet worden?
Ru: Schauen Sie sich doch einfach mal in den USA an, die großen Pensionsfonds…
Bl: [Einwurf] Sind alle am Wackeln.
Ru: … sind alle kapitalgestützt, sind überhaupt nicht alle am Wackeln…
Bl: Von hundert… Da hab’ ich Zahlen. [auf Geste von Ruge] Die sind schon verlässlich. Von hunderteinunddreißigtausend Pensionsfonds der Vereinigten Staaten haben gerade mal sechsunddreißigtausend überlebt. Der letzte, der wackelt, ist gerade der Pensionsfonds von General Motors. Die können weltweit…
Ru: [Einwurf] Das hat aber andere Ursachen…
Bl: Ja, wie auch immer – da verlassen sich die Leute drauf!
Be: Lasst uns doch…
Bl: Zahlungsunfähig! Die Rente ist gezahlt worden bei Währungsreform, im Krieg, bei Inflation…
Be: [unterbricht] Das will auch keiner bezweifeln. Das will keiner bezweifeln. Lassen Sie mich doch…
Bl: Arbeit ist das Thema.
Be: Jaaa, aber lassen Sie mich über die deutsche Situation sprechen. Wenn also die Schwierigkeit, und das hat Müntefering ja jetzt erklärt bei der Vorstellung des Rentenberichts, den er jetzt geliefert hat, wenn also die Finanzierung der Rente so nicht gesichert ist, ist ja die Aufforderung gegeben von der Bundesregierung, dass die Menschen sich zusätzlich privat eine Absicherung besorgen sollen…
Bl: [Einwurf] Das kostet auch Geld!
Be: … So, warum sprechen Sie so dagegen, dass die Bundesregierung hier ein klares Wort spricht und sagt, es wird in Zukunft nicht mehr gewährleistet sein, dass die staatliche Rente…
Bl: [unterbricht und greift sich an den Kopf] Ich versteh’ die Logik nicht, Herr Beckmann. Sie sagen, sie sollen sich privat versichern, das kostet ja Geld…
Be: [Einwurf] Zusätzlich.
Bl: …aber über zwanzig Prozent darf nicht bezahlt werden. Ich sage… das kostet doch beides Geld! Und wenn Sie sagen, Arbeitgeber… angenommen, wir würden mal den Arbeitgeberbeitrag zur Sozialversicherung, das sind insgesamt zwanzig Prozent, den würde man wegfallen lassen…
Be: War denn die Äußerung von Müntefering unverantwortlich, ist er auch ein Handlanger der Privatversicherer?
Bl: Nein, das ist… das System fährt man wider die Wand, wenn man mit Höchstgrenzen arbeitet. Sicherlich, das hab’ ich ja auch verlangt, die Renten steigen nicht mehr so, und wenn es Nullrunden bei den Löhnen gibt, gibt es auch Nullrunden bei den Rentnern. Ich würde bei den Löhnen allerdings auch nicht, wie bei der Rente, nicht vergessen, dass Löhne nicht nur Kosten sind, sondern auch Kaufkraft. Und wenn die Leute kein Geld mehr haben, was zu kaufen, dann nützt Ihnen die ganze Reform nichts. Wir haben inzwischen eine Volkswirtschaft, wo die Leute so in Angst und Schrecken versetzt wurden – selbst die Rentner, die Geld haben, geben kein Geld mehr aus, weil sie Angst haben.
Be: Wenn man Ihre Position sieht – in der CDU sind ja keine Geißlers, keine Blüms mehr zu finden, in der SPD fast auch nicht, was Sie jetzt sagen, Löhne rauf, Rentenbeiträge rauf, alles rauf, das klingt ja fast…
Bl: [unterbricht] Alles rauf, das hab’ ich ja gar nicht…
Be: Doch, so ähnlich haben Sie eben formuliert, das klingt ja fast wie Lafo…
Bl: Nein, ich habe so…
Be: Das klingt ja fast wie Lafontaine!
Bl: Ja, wo er recht hat, hat er recht. Ich hab’ ja nicht gesagt.. [Lachen von Ruge] … ich hab’ ja nicht gesagt, hoch, hoch und immer hoch…ich mein’, ich hab’ ja Reformen gemacht, und zwar mehr als alle meine Nachfolger, das nur mal nebenbei. Die Renten wären 2030 dreißig Prozent höher ohne die Reformen, die ich gemacht habe. Wir haben den Rentnern, offenbar unter Ausschluss der Öffentlichkeit, viele Opfer zugemutet. Freilich auch den Jungen. Und ich sage nicht: Beiträge auf Teufel komm ‘raus. Nur – Sie dürfen das nicht so festschreiben, weil Sie ja dann von den Leuten verlangen, dass das, was die Rentenversicherung nicht leistet, sollte dann die Privatversicherung leisten. Diese Privatversicherung – soll ich’s noch mal sagen? – kostet Geld. Und zwar mehr Geld – und ist unsicherer. Von sechsunddreißig Lebensversicherungen sechsundachtzig…
Be: [unterbricht] Ja, ja… das wissen wir ja jetzt, das…
Bl: … haben nur, das hab’ ich ja noch nicht… [jovial] hab’ meine ganze Bombe ja noch nicht abgeladen…[Beckmann, Ruge lachen] … von sechsundachtzig Lebensversicherungen haben in Deutschland sechsunddreißig den Stress-Test nicht bestanden.
Be: Den Stress-Test.
Bl: Den Stress, Sie… also, mit anderen Worten, die sind in Gefahr, wenn die Situation… – haben Sie da in irgend einer Zeitung was davon gelesen?
Be: Doch. Les’ ich was davon…
Bl: Das muss aber ‘ne Geheimzeitung sein.
Be: Ninneinneinnein, also ich hab’noch ne… hier ist noch ‘ne kleine Bombe. Mehrere Politiker wie Norbert Geist von der CSU – Kurt Biedenkopf übrigens auch, ja – haben gefordert: Wer keine Kinder hat, [langsam, eindringlich] soll auch weniger Rente bekommen. Oder halt mehr einzahlen. Nina: Es war letzte Woche ein Thema. Karrierefrauen. In Deutschland. Beispielhaft standest du auch mit auf Seite eins. Muss Kinderlosigkeit – ich sag’s mal so brutal – bestraft werden, indem zum Beispiel also weniger Rente dann nachher gezahlt wird oder Sie müssen mehr einzahlen? Was hältst du von diesem Vorschlag?
Ru: Ich find’ diese ganze Diskussion, das ist … ich glaube, dass wir in eine Zeit hinein laufen, in der wir alle mehr Eigenverantwortung übernehmen müssen und uns dem stellen müssen. Dass nicht mehr alles staatlich geregelt wird. Dass weder Kinderlosigkeit bestraft wird, noch, dass man sich mit zweiundzwanzig überlegen muss, ob man sein Leben lang fünfundzwanzig Prozent oder sechsundzwanzig Prozent in die Rentenkasse einzahlt, oder ob man nicht vielleicht sagt, ich bekomm’ von meinen Eltern ein Haus geerbt, und ich möcht’ eigentlich nicht so viel für meine Alterssicherung einzahlen, und ich möchte die Wahl haben… dass der Sozialstaat…
Bl: [Einwurf] Also jedem selbst zu überlassen?
Ru: Nein… also eine Grundsicherung muss auf jeden Fall da sein., gerade für diejenigen, die sehr, sehr, sehr wenig verdienen oder die durch’s soziale Netz aus irgendwelchen anderen Gründen fallen. Aber dass wir alles über-regeln, bis hin zu wer keine Kinder hat oder wer Kinder hat, oder was…
Bl: [Einwurf] Über-Regeln will ich auch nicht.
Ru: … das halt’ ich einfach für schwierig. Und das halte ich in Zeiten der Globalisierung für besonders schwierig, weil es verdammt viele Länder gibt, in denen es anders läuft, in denen es anders auch nicht mit dem Level der Sicherheit läuft, das ist völlig klar, das muss man sich bewusst sein…
Bl: [Einwurf] Amerika!
Ru: Es gibt viele Länder, die uns im Augenblick angreifen in der Wirtschaft politisch, und mit Power! Schauen Sie sich einfach an, wer hier auch… äh… auch Finnland oder Irland, was die hingelegt haben im Vergleich zu uns.
Bl: Aber Amerika… Eigenverantwortung. Haste in New Orleans gesehen. Die Eigenverantwortlichen haben sich ins Auto gesetzt, sind weggefahren, die anderen sind in den…
Ru: Das ist absolut schändlich. Ja.
Bl: Sind in dem Wasser ertrunken. Ich bin für Eigenverantwortung…
Be: [Einwurf] Es gibt kein soziales Netz in der Form in Amerika, das ist klar…
Bl: …aber ohne… ohne Solidarität funktioniert keine Gesellschaft.
Be: Ein Vorschlag. Einen Vorschlag, Herr Doktor Blüm. Sie leben es ja vor als Nebenerwerbs-Schauspieler. [salbungsvoll] Sie sind ja unterwegs auf den Bühnen, spielen bald in Worms, mal den Burgwächter bei der Inszenierung von Moritz Rinke, also Rente mit siebenundsechzig. Länger arbeiten statt auf Mallorca faulenzen – ist das das Programm? Ich mein’, für Sie persönlich ist es das ja.
Bl: Ich war immer dafür, die Altersgrenze frei zu geben, das nicht vom Staat zu reglementieren, wir müssen nur den Zeitpunkt festlegen, von dem [an] es Rentenzuschläge gibt…
Be: Ist das der richtige Vorschlag, den Müntefering jetzt gemacht hat?
Bl: Der hat… den Vorschlag hat er nicht gemacht, und der Vorschlag, den ich gemacht habe…
Be: … den Müntefering gemacht hat…
Bl: …müsst’ ich einmal erklären… freigeben, wissen Sie, an wem der gescheitert ist? – An der FDP und an den Arbeitgebern, weil dann der Betrieb sich nicht mehr verstecken kann hinter jemand…
Be: [unterbricht] Freigeben bis wie weit?
Bl: Freigeben die Altersgrenze und jeden Einzelnen bestimmen lassen, wann er in Rente geht. Allerdings – das Problem ist insofern im Moment relativ akademisch. Die Hälfte der Betriebe in Deutschland beschäftigt keinen Über-Fünfzig-Jährigen mehr. Und in einer solchen Situation, wo wir das Gesetz, das heute geltende Ziel, fünfundsechzig, nicht erreichen, siebenundsechzig anzugeben – Sie sind doch Sportreporter – das ist so ungefähr… ich reiße die Latte bei zwei Meter und sage: Zwei Meter habe ich nicht geschafft, deshalb lege ich sie jetzt auf zwei Meter dreißig. So ungefähr ist das. Da haben wir… da müssen wir doch erst mal sehen, dass Sie das jetzige Ziel erreichen, und wenn Sie das erreichen, dann können wir ja über Vieles reden. Aber wenn wir das jetzige Ziel nicht erreichen – und zumal muss ich sagen, dass es auch Berufe gibt, also tun Sie mal ‘nen Maurer in den fünften Stock mit siebenundsechzig schicken – ich mein’, das ist ja ein bisschen weltfern. Trotzdem sage ich: Das Hauptproblem sind nicht die Paragraphen. Das Hauptproblem ist, dass die jetzige Generation, ihre… die jetzt geltenden Altersgrenzen erreicht; ich mein’, die da entlassen werden; bei jedem Firmenzusammenschluss gibt’s ja Entlassungen… die machen das doch nicht aus Spaß!
Be: [unterbricht] Sollten die Politiker da ein bisschen demütiger und beispielhafter voran gehen? – Also im Zuge der knappen Rentenkassen werden die üppigen Pensionen der Politiker heftig kritisiert, können Sie den Unmut der Leute verstehen?
Bl: Jaa, deswegen war und bin ich dafür, damit der ganze Streit aufhört, das, was in Nordrhein-Westfalen ja auch geschehen ist, dass auch die Mandatsträger, also die Politiker, in die Rentenkasse einzahlen, damit…
Be: Keine ausgewiesene, üppige Pension mehr für die Politiker, sondern Einzahlen in die Rentenkasse.
Bl: Alle… ich mein’, dann haben wir den ganzen Streit weg, wenn wir eine Kasse haben, in der die Politiker auch einzahlen, die Rentenkasse, dann beschließen sie Renten, die sie selber betreffen.
Be: Wie gut sind Sie eigentlich versorgt?
Bl: Ich bin nicht…
Be: Lange Abgeordneter, sechzehn Jahre Minister…
Bl: Ich bin kein Rentenfall, der hier klagen müsste. Ich mein’, Sie brauchen das Thema auch nicht zu privatisieren. Es geht nicht um Norbert. Ich hab nicht… ich reg’ mich hier nicht auf, wegen… weil ich betroffen bin. Ich rege mich…
Be: [Einwurf] Haben Sie eine Privatversicherung noch zusätzlich angelegt?
Bl: Nö, hab’ ich nicht. Ich würd’ noch mal sagen: Ich hab’ gar nichts gegen Privatversicherung. Als Ergänzung, als Spielbein. Ich hab’ nur etwas dagegen, die Privatversicherung sozusagen zum Lebensretter der Alterssicherung zu machen. Das ist sie nicht für Arbeitslose, die haben kein Geld, das ist sie nicht für Geringverdienende, das ist sie nicht für Kranke, das ist sie nicht für Erwerbsunfähige, und für die brauchen wir unsere gute, alte Rentenversicherung – und die lass’ ich mir von niemandem, noch nicht einmal heut’ abend, kaputt machen [lacht].
Be: Und dies ist ein brillantes, ausgleichendes, fast harmonisches Schlusswort. Herr Doktor Blüm, ich bedanke mich für das Gespräch, ich bedanke mich für den Besuch, und ich merke, Sie sind mit viel Adrenalin unterwegs, um sich zu wehren gegen all die Vorwürfe, die da auf Sie niederprallen im Moment. Und das wollt’ ich als nächstes, was für freie Radikale setzen sich da gerade in Gang… [zu Ruge] das sind ja alles kleine Stressboten…
Ru: […]
Be: Abmoderation, Ankündigung der nächsten Sendung.
Transkription: Fabian Helms, 12. April 2006