Im Herbst jährt sich das Ereignis der friedlichen Revolution in der damaligen DDR 1989 zum 35. Mal. Aufmerksam erleben Bundesbürger im vereinten Deutschland, dass die der damaligen Trennung folgende Wiedervereinigung, der Beginn und die Entwicklung des Zusammenlebens voll von Herausforderungen, Problemen, Höhen, Tiefen, Leistungen und Fehlern in allen Lebensbereichen war und bis heute ist. Nüchtern betrachtet muss bilanziert werden: Bei all diesen Prozessen geriet die DDR, salopp gesagt, ziemlich unter die Räder, an den Rand der neuen Bundesrepublik, mitunter sogar bis hin zur Vergessenheit. So erging und ergeht es auch der Kunst, der DDR-Kunst, die im heutigen Deutschland immer noch einen eher vernachlässigten Stellenwert innehat. Und nein, Westkuratoren müssen nicht erläutern, was gute und was schlechte DDR-Kunst ist, finden selbst Westkuratoren. Ein Zwischenruf von Frank Blenz.
Die vielen Werke, berühmte wie vergessene, das Wirken und die Persönlichkeiten geförderter wie benachteiligter Künstlerinnen und Künstler aus DDR-Zeiten gehören bis heute zu unserer wichtigen Erinnerung und sind Teil der Identität von DDR-Bürgern und ihrer Nachkommen. Die DDR-Kunst gehört dabei ebenso zu all den anderen Mitmenschen in Gesamtdeutschland, meine ich. Das Aussortieren, Vergessen, Geringschätzen ist nicht gerechtfertigt, finde ich. Mehr noch, Kunst ist nicht nur Teil unserer Vergangenheit, sie ist Erfahrung und gedanklicher Ansatz, wie der zum Handeln, im Hier und Heute – egal in welchem Landesteil – entstanden.
Doch ist zu sehen: DDR-Kunst wird bis heute nicht wirklich, nicht richtig ernsthaft ins Haus Deutschland aufgenommen, gehegt und gepflegt. Wie in anderen Lebensbereichen auch blieb und bleibt damit Ostdeutschland mit all seinen Facetten der Platz am Rande des gemeinsamen Tisches.
Es erscheint längst an der Zeit und überfällig, hochaktuell und wichtig, diese latente Ignoranz, dieses Ausbremsen der Facetten aus dem kleineren, ja vergangenen Teil des Landes zu beenden, um schließlich nach und nach vielleicht doch eine gelungene, gelebte Einheit zu bewirken, in der man – wie am Beispiel Kunst – den würdigen und berechtigten Stellenwert dieser reichen, vielfältigen, streitbaren DDR-Kunst und ostdeutschen Kunst heute realisiert und akzeptiert und in unser bundesdeutsches Gemeinwesen, in unser Leben einbindet. Das ist nichts Spektakuläres, das sollte Norm sein, wie es für alles aus der alten Bundesrepublik auch selbstverständlich ist, oder?
Wichtige Umfrage als Teil der Diskussion
Der ARD-Sender MDR hat zum Thema passend jüngst eine Frage gestellt: Wie soll mit Kunst aus der DDR umgegangen werden? Die Redaktion MDR Kultur hörte von kompetenten Akteuren in Kunstmuseen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen und von Museumsbesuchern unter anderem, dass Kunst aus der DDR weiterhin und fortgesetzt in Ausstellungen zu sehen sein müsse. Drei Viertel der Befragten sprachen sich dafür aus. Die Redaktion erfuhr noch mehr: dass DDR-Kunst in der öffentlichen Wahrnehmung nicht ausreichend stattfände, in der Museumslandschaft nicht ausreichend gezeigt werde, dass es eine intensive, bisweilen belehrende Diskussion darüber gäbe, wer gezeigt werden soll und wer nicht, dass das Schaffen gerade von Künstlerinnen der DDR unterrepräsentiert sei und so weiter.
DDR-Kunst gehört in die Museen und nicht in den Speicher
Vor einiger Zeit besuchte ich das wundervolle Albertinum, eine herausragende museale Adresse in Dresden. Im Beitrag auf den NachDenkSeiten kritisierte ich den Umgang mit Ost-Kunst und mit dem Osten generell. Ich sah viele Exponate aus vergangenen DDR-Zeiten und spürte, wie wichtig deren Öffentlichkeit ist. Ich erfuhr, dass das Albertinum im Jahr 2017 Objekt eines in der Region berühmt gewordenen „Dresdner Bilderstreits“ war, der in seiner Tiefe offenbarte, was die DDR-Kunst-Seele seinerzeit bis heute bewegt: Es ist falsch, ostdeutsche Kunst zu benachteiligen und auszusortieren.
So heißt es bei MDR über Hilke Wagner, Direktorin des Albertinum, und den Streit, der schließlich nach einer intensiven Diskussion beendet wurde:
Dabei stand sie [Hilke Wagner] 2017 im Zentrum des „Dresdner Bilderstreits“, ausgelöst durch einen Beitrag des Kunstwissenschaftlers Paul Kaiser in der „Sächsischen Zeitung“, der monierte, die Dauerausstellung im Albertinum würde ständig umgeräumt und die ostdeutsche Kunst aus der Zeit zwischen 1945 und 1989 sukzessive ins Depot „entsorgt“. Aufgebrachte Dresdner unterstellten der seit 2014 amtierenden Direktorin, 1972 in Hessen geboren, denn auch, die kulturelle Ost-Vergangenheit bewusst zu ignorieren. Das Albertinum lud zur großen „Tafelrunde“, um die Wogen im Bilderstreit zu glätten. 16 Experten und 600 Dresdnerinnen und Dresdner kamen.
(Quelle: MDR)
Wenn Westkuratoren Ostbürgern den Wert von Ost-Kunst erklären
Die Albertinum-Chefin Wagner, geboren in Kassel (Hessen), hörte ich am Wochenende im Hörfunk. Sie hatte Gelegenheit, während eines angenehmen wie spannenden Dialogs mit MDR-Moderator Carsten Tesch über den Stellenwert von DDR-Kunst im musealen bundesdeutschen Alltag zu erzählen. Sie verhehlte nicht, dass sie wahrnehme, wie Bürger aus dem östlichen Deutschland mitunter nicht erfreut sind, wenn Westkuratoren ihnen Ost-Kunst erläutern. Sie denkt ebenso, sagte sie, und sie forderte etwas Wichtiges: Kunst aus der DDR müsse rückwirkend sogar erweitert werden. Es fiel das Stichwort Ankäufe.
Wenige Finanzmittel zum Ankauf von DDR-Kunst, volle Depots, finanzstarke Amis
Kunst muss in der Vielfalt abbildbar sein, das erfordert Aufwand und Hingabe. Es sei indes enttäuschend, dass es schwer ist, an Mittel zu kommen, so Wagner, die erzählte, dass US-Museen (wie das Getty Museum) im Gegensatz zu Deutschland finanzstark agierten und ganze Nachlässe aufkauften. Man kann daraus schließen, dass man in den USA mehr Sinn für DDR-Kunst hat als bei uns. Für Ostdeutschland heißt das weiter, die musealen Einrichtungen können nur punktuell ankaufen, unter anderem auch, weil die Depots voll seien. Ein weiterer Grund steht im Weg: DDR-Kunst aufkaufen scheitere, weil hierzulande wenig Fördermittel zur Verfügung stünden.
DDR-Kunst ist überall, in Museen, Galerien wie im öffentlichen Raum
Dass es geht, DDR-Kunst, DDR-Vergangenheit in unsere gemeinsame Gegenwart einzubinden, zu würdigen und als Teil unseres Ganzen zu sehen, sehe ich, um ein kleines Beispiel zu nennen, gern und froh bei einem historischen Gebäude in meiner Heimatstadt Plauen. Für mich ist das Objekt, das Neue Rathaus, über viele Jahre seit der Wende Teil eines kleinen Wunders, das seinen Lauf nahm, als es darum ging, es abzureißen und durch ein anderes Gebäude zu ersetzen.
Das jetzige Neue Rathaus (es gibt ein Gegenüber, das Alte Rathaus) ist eines der Kunst, der Politik, der Kultur, der Architektur – ein Wunderwerk als grandiose Einheit dieses Prozesses der Auseinandersetzung mit der Frage „Erhalten oder weg damit?“. Das „Wunder Neues Rathaus“ ist für mich ein Beleg dafür, was herauskommt, wenn progressive Ideen, der Sinn für Vergangenheitspflege und für Respekt mit engagiertem Widerstand vereint werden gegen rückschrittliche, überkommen traditionelle bis revisionistische Vorstellungen und vor allem gegen das Ziel, DDR-Erinnerung per se auszublenden.
Das neue Neue Rathaus, die Fassade, das Innenleben – es sieht mit einigen moderaten Veränderungen und modernen Details tatsächlich fast so aus wie einst und zeigt zudem noch ein viele Jahre verstecktes, beinah vergessenes Kunstwerk made in DDR im Eingangsbereich. Das alles gäbe es nicht, hätten sich damals die Befürworter für ein klassizistisches Bauwerk durchsetzen können.
Jetzt, wo das neue Bauwerk glanzvoll dasteht, die imposante Wandmalerei für alle sichtbar ist und zum Diskutieren einlädt und man stets sagen kann: „Schau her, das stammt aus den 1970ern, damals zu DDR-Zeiten“, bestätigt sich für mich in Dankbarkeit und richtungsweisend, dass es enorm wichtig ist, unsere Geschichte, unsere Geschichten zu erhalten – auch in der Kunst.
Titelbild: Achim Wagner/shutterstock.com