Allen Beschwörungen zur baldigen „Erholung“ der deutschen Wirtschaft zum Trotz wird in einer Publikation aus dem Hause Habecks eingeräumt, dass „die aktuellen Konjunktur- und Stimmungsindikatoren überwiegend schwach ausgefallen sind“. Vor diesem Hintergrund ist die schon im Titel angekündigte „Wachstumsinitiative der Bundesregierung“ zu begrüßen. Ob die dazu in dem Papier vorgestellten „angebotspolitischen Schritte“ die Wirtschaftsschwäche Deutschlands zu überwinden erlauben, lässt sich allerdings bezweifeln. Von Paul Steinhardt.
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So viel ist klar: Ohne eine Beantwortung der Frage, was die Rezession Deutschlands erklärt, lassen sich keine zielführenden wirtschaftspolitischen Maßnahmen formulieren. Und klar ist auch, dass die deutsche Wirtschaft nur dann wieder wachsen kann, wenn deutsche Unternehmen mehr Güter verkaufen können. Deutsche Güter nun können von heimischen Konsumenten, dem Ausland und dem Staat gekauft werden. In diesem Zusammenhang wird in der Publikation des Bundeswirtschaftsministeriums konstatiert, dass die „Ausfuhren für Waren und Dienstleistungen“, insbesondere ins außereuropäische Ausland, sich „spürbar verringert haben“ und der „Einzelhandel Umsatzeinbußen zu verzeichnen“ hat.
Vor diesem Hintergrund fragt man sich, wie neoliberale Steckenpferde wie die steuerlich begünstigte „Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte“, „Prämien“ zum „Aufschieben des Renteneintritts“ und „im Sinne des Förderns und Forderns die Pflichtverletzungen von Mitwirkungspflichten durch Bürgergeldbeziehende verschärft zu sanktionieren“ in der Lage sein sollen, die Unterauslastung gegebener Produktionskapazitäten zu überwinden. Anders gesagt, die „angebotspolitischen Schritte“ adressieren nicht das Problem der mangelnden Nachfrage nach Gütern Made in Germany.
Es gilt also zu fragen, warum die Nachfrage nach deutschen Gütern sich verringert hat. Die Antwort liegt auf der Hand. Die „wertegeleitete“ deutsche Außenpolitik, die sich im Kampf gegen die Feinde der Demokratie unter Anleitung der USA vermehrt des Instruments der „Wirtschaftssanktionen“ bedient, ist mit dem exportorientierten Wirtschaftsmodell Deutschlands nicht verträglich. Denn dieses ist von ausreichend zahlungskräftigen ausländischen Absatzmärkten und ausreichend günstigen Importen von Rohstoffen und Energieträgern aus dem Ausland abhängig.
Die gefeierte Befreiung von der Abhängigkeit von russischen Energieträgern ist also ein Problem für das deutsche exportorientierte Wirtschaftsmodell, weil sie zu erhöhten Energiekosten führt, die die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft verschlechtert. Und mit „Wirtschaftssanktionen“, die es deutschen Unternehmen erschweren, Güter ins „feindliche“ Ausland zu verkaufen, schneidet man sich ganz offensichtlich ins eigene Fleisch. Wenn dann noch der große Freund Deutschlands „America“ wieder „great“ machen möchte und dazu vor protektionistischen Maßnahmen nicht zurückschreckt, dann stellt sich die Frage nach der Zukunftsfähigkeit des deutschen Wirtschaftsmodells.
Anders gesagt, in Zeiten der Deglobalisierung sind alle wirtschaftspolitischen Maßnahmen, die auf einen Erhalt des deutschen Wirtschaftsmodells zielen, zum Scheitern verurteilt. Eine „Wachstumsinitiative“, die diesen Namen verdient, muss sich deshalb auf eine Stärkung der deutschen Binnenwirtschaft richten. Nicht ausreichend ist es, auf eine „Belebung des privaten Konsums angesichts steigender Löhne und rückläufiger Inflationsraten“ – also auf höhere Reallöhne – zu hoffen. Es gilt zu erkennen, dass die auffällig schwache Reallohnentwicklung in Deutschland ein institutionell verfestigtes Merkmal des exportorientierten deutschen Wirtschaftsmodells ist. Daher ist es unabdingbar, dass der deutsche Staat zusätzliche Ausgaben für die Reparatur der verrotteten deutschen Infrastruktur und für die Verbesserung des mangelhaften Bildungswesens sowie der inadäquaten Altenpflege tätigt – nicht zuletzt auch, um damit höhere Löhne im öffentlichen Dienstleistungssektor bezahlen zu können.
Zusätzliche staatliche Ausgaben will man aber lieber für „Strompreiskompensationen“ für Unternehmen tätigen, die in erster Linie den energieintensiven und stark exportorientierten Wirtschaftssektoren zugutekommen werden. Wie aber sollen diese und viele andere Unternehmenssubventionen finanziert werden? Mit einer Erhöhung des Steueraufkommens jedenfalls nicht. Ganz im Gegenteil spricht man sich für „günstigere Abschreibungsbedingungen“ aus, die das Unternehmenssteueraufkommen reduzieren werden.
Zur Schließung von Finanzierungslücken setzt man auf das Prinzip Hoffnung. Es gelte, die „Diskussionen bezüglich einer Modernisierung der Finanzverfassung zu konkretisieren“. Wenig konkret wird man aber bei der Frage, wie man sich eine solche „Modernisierung“ – aka Reform der Schuldenbremsen – vorzustellen hat und vor allem, wo konkret sich die dafür notwendigen politischen Mehrheiten auf der nationalen, aber vor allem auf der europäischen Ebene finden lassen sollen.
Bis dahin soll ein „leistungsfähigerer Finanzmarkt“ der deutschen Wirtschaft auf die Sprünge helfen – womit unterstellt wird, es mangele ihr an „Kapital“. An Kapitalmangel leidet zweifelsohne die Finanzierung der genannten Kollektivgüter. Dieses Problem aber lässt sich nicht mit einer „ehrgeizigen Agenda zur Vollendung der Kapitalmarktunion“ lösen, sondern erfordert vom Gesetzgeber, im Rahmen der geltenden Finanzverfassung entsprechende Abgaben und Steuern zu erhöhen.
Nur noch zum Lachen ist, wenn man (ernsthaft?) vorschlägt, der Wirtschaft mit einem „Bürokratieabbau“ auf die Beine helfen zu wollen und dazu den „Bürgerinnen und Bürgern sowie Unternehmen die Möglichkeit einräumen will, konkrete Vorschläge zum Bürokratieabbau einzureichen“. Nicht mehr zum Lachen ist, dass der wirtschaftliche Sachverstand im für unsere Wirtschaft zuständigen Ministerium offensichtlich noch nicht einmal ausreicht, um die Veröffentlichung eines inhaltlich so peinlichen Papiers zu verhindern.
Titelbild: penofoto/shutterstock.com