Wir leben in ausufernden Zeiten. Alles, was mit unserem Leben zu tun hat, wird dem Konsum unterworfen, das heißt: Alles kostet. Geld, Geld, Geld. Für alles wird ein Preis aufgerufen, eine sehnsuchtsvolle, gesellschaftlich anerkannte Nachfrage geweckt, die zu stillen ist. Wenn diese größer wird, so die Mär, steigt folglich auch der Preis. Pech. Das mit dem Angebot gleich Nachfrage ist eine Art Lüge. Besser wäre zu sagen, dass einfach mehr Kasse gemacht wird, sobald eine Konsumgelegenheit dem Konsumenten keine Alternativen bietet. Kauf oder Du bist draußen. Alles wird marktwirtschaftlich orientierten Strategien unterworfen, dem Marketing, die unbedingte Wichtigkeit hervorgehoben, Wünsche zu wecken. Auch und gerade des Menschen wichtige Lebensstationen werden diesem Markt, diesem Mechanismus unterworfen: so wie der Schulanfang. Ein Beitrag von Frank Blenz.
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Der Tag der Abc-Kinder – ein teurer Spaß
Es ist Sommer. Schon ist es in den folgenden Wochen von Bundesland zu Bundesland wieder so weit: Der erste Schultag nähert sich vielen kleinen künftigen Abc-Schützen. Das Lied „Bald bin ich ein Schulkind“ tönt und kündet von der Freude der nun ehemaligen Kindergartenbesucher über eine neue, spannende Lebensphase. Auch die Vorfreude auf eine schöne, unvergessliche Schulanfangsfeier steigt. Die Aufregung ist groß. In den Familien herrscht Vorbereitungsstress. Was es auch alles zu bedenken gibt.
Die Liste ist lang, die Positionen zusammengezählt, es kommen schließlich Kosten zusammen, die ganz und gar nicht ohne sind. Wichtig ist zu sagen: Die Zuckertüte und die Geschenke gehören zu den schönsten Dingen dieses Tages.
Das erste Schuljahr und die vorangehende Schulanfangsfeier mit allem Drum und Dran wird für Kinder und Eltern dann aber echt zu einem „Spaß“, welcher immer und immer teurer wird, weil es ja diese Nachfrage gibt, die entsprechend höhere Preise rechtfertigt. Die Schulanfangseuphorie bündelt sich mit der Beschaffungseuphorie, die kleinen und großen Leute werden in einen Konsumsog gezogen – wohl deshalb, weil Menschen diesen Hype mitmachen im Ringen um gesellschaftliches Dabeisein, um Prestige. Das Ganze fängt schon beim Kauf eines einfachen Schulranzens an, der heutzutage für Abc-Kinder wie bei den Erwachsenen Markenware sein muss.
Warum muss ein Schulranzen 300 Euro kosten?
Die Liste der Schulmaterialien für ein kleines Kind, das ab Herbst Montag bis Freitag zur Schule geht, um zu lernen – Lesen, Schreiben, Rechnen, mehr und mehr über das Leben –, ist lang, sehr lang. All diese Posten zu beschaffen, ist aufwändig und ein teures Unterfangen, stellen Eltern fest – egal, wie voll deren Geldbörse ist. Denen, die nicht über große Budgets verfügen, vergeht derweil die Laune und Freude auf den Schulanfang. Die Vorbereitungen nehmen Fahrt auf, und die Eltern merken, wie sie in die Mühle der Wichtigtuerei geraten – wie ihnen vorgeführt wird, dass ihr Kind enorm viel braucht zum Lernen. Alternativlos. Man macht sich so die Mühe, die wichtigen, unentbehrlichen Dinge zusammenzufassen, um in der Schule dazuzugehören, einen perfekten Lehrablauf zu gewährleisten. Es reicht kein DIN-A4-Blatt.
Beispiele: Brotdose, Trinkflasche, Schreibmäppchen mit Bleistiften, Radiergummi, Lineal, Farbstifte. Bei diversen Ratgeber-Internetseiten wird schon mal empfohlen, stets Markenprodukte zu kaufen. Zeichenblock, Zeichenmappe. Farbkasten. Pinsel. Hausaufgabenheft. Hefter, Ordner, mehrfach. Mäppchen zum Basteln, Schere, Klebestift. Malkittel. Turnbeutel. Sportzeug, zweifach. Sportschuhe mit heller Sohle wegen des Hallenbodens. Und, ach ja, elektronische Lernmittel sind noch gar nicht berücksichtigt.
Wäre da noch der Schulranzen … Bei diesem Teil geht es hier nicht mehr einfach um eine Tasche, die man nach der Schule als Kind mal eben so frei und froh auf dem Schulhof in die Ecke schmeißt und mit den Kameraden Fangen spielt. Nein, die Schultasche, der Ranzen ist in unseren ausufernden Konsumzeiten scheinbar zu einer Art Ferrari bei den Kindern (oder eher bei den Eltern?) hochstilisiert worden. Diese heftige Erwartung, diese Sehnsucht, dieses „Das muss es sein“ haben gewirkt – gut gemacht, Marketing-Abteilung.
Bei der Sichtung in Sachen Ranzen in Fachgeschäften, Kaufhäusern und im Internet bleibt einem der Mund offen: An die 300 Euro kostet ein solches Teil – im Durchschnitt! Einzig bei einem internationalen Anbieter namens Temu kostet der Spaß keine 20 Euro. Das würde eigentlich auch reichen – oder ein Rucksack, der einfach zum Ranzen umfunktioniert wird. Oder ganz anders, mal so erwähnt: In vielen Schulen gibt es auf den Korridoren Spinde für die Schüler, in denen sie ihre Sachen deponieren können – ortsnah und bequem. Die Schlepperei des vollen Ranzens wäre damit überflüssig, oder? Dass die Spinde von Schülern angemietet werden müssen, ist eine andere Sache.
Kostenfalle Schule
Bildung kostet nix – hat mir mal ein Verwandter erzählt. Wir kamen bei intensiverer Debatte überein, dass „Bildung kostet nix“ ein Gesellschaftsziel sein muss, welches bei uns in Deutschland jedoch noch in weiter Ferne liegt. Mit „kostet nix“ ist nicht gemeint, dass „nicht bezahlt“ werden muss – vielmehr wird von unserer an sich reichen Gesellschaft das Bezahlen erwirtschaftet, Bildung ist kein Kostenfaktor, Bildung und das Sich-darum-Kümmern ist eine Investition, ein Geschenk von uns an uns.
Der Alltag der Bildung ist jedoch grau – und er kostet. Die Abc-Schützen und ihre Schulkameraden in den höheren Jahrgängen erleben es: Schulessen kostet. Schulbusfahren kostet. Die Klassenausfahrt kostet. So lang in den Familien genug Geld dafür aufgebracht werden kann, scheinen all das Bezahlen, all diese Kosten kein Thema zu sein. Wenn aber die Familienkasse keine Sprünge zulässt, dann? Ja dann gibt es gnädigerweise staatliche Leistungen aus Bildungs- und Teilhabepaketen, die beantragt werden müssen.
Geldmaschine: zu Beginn die Abc-Feier, zum Finale der Abschlussball
Die Abc-Feier gelang, sie war unvergesslich schön, sie war – zugegeben – teuer. Und bald, nach vielen Jahren Schulbankdrücken und weiteren Schulranzen und trendigen Taschen und vielen Dingen, die unbedingt gekauft werden mussten, damit man ein anerkannter Schüler war, wird es wieder Zeit zum Feiern. Wenn denn der Schulabschluss geschafft und ordentlich gefeiert werden soll – klar, das kostet, Stichwort Abschlussball.
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