„Hessen stellt ukrainischen Männern zwischen 18 und 60 Jahren keine Ersatzpapiere mehr aus“, heißt es gerade in Medienberichten. Demnach soll es „zumutbar“ sein, „zur Passbeschaffung in die Ukraine zu reisen und der Wehrpflicht nachzukommen“. Zumutbar? Wirklich? Teenager, die nicht töten oder getötet werden wollen, sollen dorthin gehen, wo sie in den Krieg geschickt werden? Das ist Monströses, verpackt in eiskalte technokratische Worte. Was das hessische Ministerium für Arbeit und Soziales hier zumutbar bezeichnet, ist nicht zumutbar. Vielmehr ist die Positionierung des Ministeriums für die Werte einer Demokratie eine Zumutung. Ein Kommentar von Marcus Klöckner.
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Die Politik ist sehr geschickt darin, monströse Weichenstellungen von der Bürokratie ausführen zu lassen. Das ist praktisch. Denn in der Welt der Bürokratie existieren keine Emotionen. Und wo keine Emotionen sind, gibt es auch kein Mitgefühl und keine Menschlichkeit. Kein Mitgefühl und keine Menschlichkeit? Das ist der perfekte Nährboden, auf dem das Ungeheuerliche gedeihen kann. Etwa die Entscheidung, Teenager zurück in ein Land zu schicken, in dem die Staatsführung „Menschenmaterial“ für einen Krieg benötigt. In der Sprache der Bürokratie spiegelt sich die Eiseskälte ihrer Welt wider. „Zumutbar“ – das ist so ein Wort, das in seiner bürokratischen Aufladung Unerhörtes transportieren kann. Ein Amt hat die Macht darüber zu entscheiden, ob eine Arbeit für einen Bürgergeldbezieher „zumutbar“ ist. Und das Hessische Ministerium für Arbeit und Soziales kann die Auffassung vertreten, dass die Rückreise von ukrainischen Männern im wehrfähigen Alter zwecks der Beschaffung von Papieren zumutbar ist. Die AfD-Fraktion im Wiesbadener Landtag hatte eine entsprechende Anfrage gestellt, das Ministerium hat sich positioniert. Die Entscheidung ist zutiefst politisch – im negativsten Sinne.
Seit geraumer Zeit sind immer wieder Stimmen zu hören, die davon sprechen, dass wehrfähige Ukrainer in Deutschland zurückgeschickt werden sollten. Diese Vorstöße, genauso wie die aktuelle Positionierung des Ministeriums in Hessen zeigen unfreiwillig das Dilemma, in dem sich die „Guten“ befinden. Einerseits muss der Westen die als „Unterstützung“ angepriesenen Waffenlieferungen als moralisch und ethisch angebracht verkaufen. Dazu muss sich die Politik einen menschlichen Anstrich geben. Sie stellt Verweise auf Gräueltaten der russischen Armee und Verweise auf das Leid der Ukrainer in den Fokus. Auf die moralische Pflicht, den Angegriffenen zu „helfen“, kommt der naive Zuschauer dann von allein. Andererseits: Wie mit wehrpflichtigen Ukrainern in einem tiefenpolitisch, geostrategisch aufgeladenen Stellvertreterkrieg umgehen, bei dem man selbst nicht frei von Interesse ist?
Stünde die Menschlichkeit tatsächlich im Vordergrund, dann würden Spitzenpolitiker keine Sekunde nachdenken, wehrpflichtige Ukrainer dem Krieg auszuliefern. Und das Ministerium würde ohne zu zucken die benötigten Papiere ausstellen. Doch so wie bisweilen die Propaganda des Westens über ihre eigenen Füße stolpert, so entlarvt sich nun einmal mehr auch die geheuchelte Menschlichkeit.
Der Öffentlichkeit ist bekannt: Selenskyj sucht händeringend nach mehr Soldaten. Denn Hunderttausende sind mittlerweile tot, verstümmelt, schwer traumatisiert. Deutschland weiß um die Interessen der „Wertepartner“ in dem Krieg. Den Krieg aus Gründen am Laufen halten, aber gleichzeitig geflüchtete Wehrpflichtige bei einem zunehmenden Mangel an Soldaten zurückhalten? Das passt nicht zusammen. Und schon wird die Hülle der Menschlichkeit abgestreift, die Kaltblütigkeit kommt zum Vorschein. Das Ministerium meint, Teenager der Gefahr eines Kriegstotes auszusetzen, sei „zumutbar“? Nein, das ist es nicht. Vielmehr ist eine solche Entscheidung für die Werte der Demokratie eine Zumutung!
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