Philippinen: Marcos‘ Krebsgänge im Fadenkreuz politischer Rivalitäten & konkurrierender Großmächte

Philippinen: Marcos‘ Krebsgänge im Fadenkreuz politischer Rivalitäten & konkurrierender Großmächte

Philippinen: Marcos‘ Krebsgänge im Fadenkreuz politischer Rivalitäten & konkurrierender Großmächte

Rainer Werning
Ein Artikel von Rainer Werning

Seit zwei Jahren residiert der philippinische Präsident Ferdinand R. Marcos Jr. im Malacañang-Palast zu Manila und hat damit ein Drittel der verfassungsmäßig festgeschriebenen Amtszeit hinter sich gebracht. Eine reichlich turbulente Zeit – sowohl innen- wie auch außenpolitisch. Innenpolitisch ist ein Rosenkrieg Filipino Style in vollem Gange, wiewohl sich Marcos und seine Vizepräsidentin Sara Duterte, die Tochter des Marcos-Vorgängers Rodrigo R. Duterte, im Wahlkampf 2022 als unerschütterliches UniTeam geriert hatten. Außenpolitisch vollzog Marcos eine Kehrtwende und favorisiert im Gegensatz zu seinem Vorgänger einen dezidiert proamerikanischen Kurs – von dem Marcos‘ Kritiker befürchten, dass die Republik 78 Jahre nach Erlangung der Unabhängigkeit von den USA am 4. Juli 1946 unversehens Gefahr läuft, ins Räderwerk hegemonialer Großmachtbestrebungen im und um das Südchinesische Meer zu geraten. Am 22. Juli hielt Marcos seine mittlerweile dritte Rede zur Lage der Nation (SONA) – ein jährliches Ereignis, bei dem der amtierende Präsident der Nation Bericht über seine Leistungen als Regierungschef erstattet. Eine Zwischenbilanz unseres Südost- & Ostasienexperten Rainer Werning.

Schaulaufen der Hautevolee

Vorweg: Schon seit Jahren bedeutet die SONA im politischen Manila längst nicht mehr das, was sie in früheren Zeiten einmal war – eine zumindest streckenweise kämpferische Rede, die auch schon mal versuchte, visionäre Konturen zu zeichnen. In den vergangenen Jahren ist ebendiese SONA immer mehr zu einem Großereignis auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten verkommen, wo sich die Schönen, Reichen und Mächtigen des Inselstaates ein pittoreskes Stelldichein geben. Das Ereignis atmet auch noch den Geist längst verflossen geglaubter kastilischer Grandezza und (neo-)feudaler Devotheit, indem es an Zeiten erinnert, in denen die Spanier die Inseln knapp dreieinhalb Jahrhunderte bis 1898 als Konquistadoren knechteten.

Marcos Junior – in den Medien kurz BBM genannt, was für Bongbong (sein Spitzname) Marcos steht – ist selbst der Spross eines gewichtigen politischen Clans und einer Familiendynastie, die Marcos Senior im Jahre 1965 begründet hatte. Dieser wurde zwar mit Schimpf und Schande im Februar 1986 aus dem Malacañang-Palast gejagt, was freilich den Sohn des verhassten Despoten nicht daran hindern konnte, just 36 Jahre später in ebendiesem Palast wieder sein Domizil aufzuschlagen – dank einer von Amnesie gezeichneten, vorwiegend jungen Bevölkerung und seiner von ihm vergötterten Mutter, der Ex-First-Lady Imelda R. Marcos. Sie sorgte sich intensiv um den einzigen Sohn, der lange Zeit in einem Ambiente aufwachsen konnte, das in den Philippinen noch immer als „imeldific“ gilt – eine Welt voller Glanz & Glamour, Verschwendung & Extravaganzen inklusive imposanter Schuhkollektionen.

(Land-)Wirtschaft, Infrastruktur, Kommunikation & Verkehr – wohlgesetzte Worte & viele Versprechungen

Marcos begann seine Rede mit einer Prise an Selbstkritik, als er betonte, dass Zahlen, Daten und Statistiken für Menschen wenig aussagekräftig sind, die mit hohen Nahrungsmittelpreisen und sogar Hunger zu kämpfen haben. Wenngleich sein Land in der Region wirtschaftlich vergleichswiese gut dastünde, so Marcos, bedeute das wenig für einen Filipino, der für ein Kilogramm Reis zwischen 45 und 65 Pesos (der aktuelle Peso-Euro-Kurs beträgt knapp 64:1) berappen müsse. Nun war der Präsident in den ersten Monaten seiner Amtszeit in Personalunion gleichzeitig auch Landwirtschaftsminister, bevor er im November 2023 diesen Posten seinem früheren Wahlkampfmanager überantwortete. In dieser Funktion hatte der Präsident größte Schwierigkeiten, die Preise für etliche landwirtschaftliche Produkte – darunter eben und gerade auch das Grundnahrungsmittel Reis – halbwegs unter Kontrolle zu bringen. Das Problem waren, sind und bleiben gut organisierte Agrarkartelle und Schmugglersyndikate, die ungehindert – teils mit Rückendeckung staatlicher Sicherheitskräfte – dubiosen Geschäften nachgehen und auf diese Weise Reibach machen.

Dem aufmerksamen Beobachter der jeweiligen SONAs musste diesmal auffallen, dass der Präsident mit keinem Sterbenswörtchen jenes Projekt erwähnte, dem er in seiner letztjährigen zweiten SONA so viel Raum, Zeit und Bedeutung beigemessen hatte – dem sogenannten Maharlika-Investitionsfonds (MIF – das Tagalog-WortMaharlika“ meint in diesem Kontext „Freiheit“ und „Unabhängigkeit“), der quasi als Staatsfonds aufgebaut wird und als Lokomotive ambitionierter Großprojekte und Infrastrukturmaßnahmen dienen soll. Kritiker des im Sommer letzten Jahres in Kraft getretenen MIF monieren vor allem, dass der Fonds im internationalen Vergleich viel zu spät und zu schnell in Kraft gesetzt worden sei, während andere Länder für deren Aufbau mehrere Jahre benötigt hätten. Überdies, so bemängeln Wirtschaftswissenschaftler der staatlichen University of the Philippines, sei der MIF auf den Weg gebracht worden, ohne die Öffentlichkeit zu konsultieren, deren Gelder schließlich in den Fonds fließen. Außerdem verstoße Maharlika „gegen grundlegende Wirtschafts- und Finanzprinzipien und birgt ernsthafte Risiken für die Wirtschaft und den öffentlichen Sektor”.

Es sei sehr besorgniserregend, so die Kritiker weiter, dass der MIF-Gesetzentwurf keine Bestimmungen über Konkurs und Abwicklung enthalte:

Dies könnte bedeuten, dass die philippinische Regierung am Ende immer noch alle Verbindlichkeiten oder Verluste schultern wird, die sich aus dem MIF ergeben könnten (…) und könnte sehr wohl die ohnehin enorme Schuldenlast des Landes erhöhen und Mittel für wichtige Regierungsprogramme und Investitionen kappen.“

Dass Marcos sein Lieblingsprojekt des Maharlika Investment Fund während seiner SONA gänzlich unerwähnt ließ, wurde in Manilas Medien allgemein bemängelt. Ana Marie Pamintuan, Kolumnistin des Philippine Star, echauffierte sich beispielsweise in ihrem Kommentar am 24. Juli 2024 mit den Worten, dass „er (der MIF – RW) die Steuerzahler Millionen an monatlichen fetten Gehältern für seine Manager kostet, während der Fonds darum kämpft, sich über Wasser zu halten.“

Insgesamt bleiben für die philippinische Wirtschaft unter Marcos Jr. folgende Gefahrensignale bestehen: vage Vorstellungen, was die Umsetzung des laufenden mittelfristigen Entwicklungsplans PDP 2023-2028 betrifft; anhaltend große Einkommensungleichheit und wenig konkrete Hinweise darauf, wie die aktuell mit offiziell 16 Prozent ausgewiesene Armut laut Plan bis zum Jahre 2026 auf acht bis neun Prozent reduziert werden soll; anhaltend hohes Niveau des Zahlungs- und Handelsbilanzdefizits sowie der Auslandsverschuldung; mangelnde Vorkehrungen, um die vielfältigen Auswirkungen von Naturkatastrophen (Erdbeben und Vulkanausbrüche) beziehungsweise des Klimawandels halbwegs in den Griff zu bekommen – abgesehen von den ohnehin hohen Schäden und Verlusten im landwirtschaftlichen Sektor infolge der etwa 20 Taifune, die alljährlich über die Inseln hinwegfegen; Sättigung der Exportmärkte für die Overseas Filipino Workers (OFW), deren Überweisungen aus Übersee laut Statistiken der Philippinischen Zentralbank umgerechnet immerhin annähernd 40 Milliarden US-Dollar ausmachen. Schließlich kennzeichnen provisorische Lösungen und inkohärente Maßnahmen anhaltende Schwächen in der Landwirtschaft – insbesondere bei Reis und Zucker, Gemüse, Geflügel und Fleisch sowie in der Fischerei.

Wenngleich der Präsident in den Bereichen Tourismus, Transport und Kommunikation sowie im Infrastruktursektor hochfliegende Pläne verkündete – darunter den Bau von nicht weniger als 350 Häfen und Flughäfen einschließlich einer umfassenden Renovierung des Ninoy Aquino International Airport (NAIA) bis zum Jahre 2028 –, bleiben die alltäglichen Leiden der Menschen im Großraum Manila bestehen. Die City zählt zu jenen Städten mit den weltweit längsten Staus und rangiert einzig vor der nigerianischen Metropole Abuja auf Rang 59 von 60, was den Remote’s Global Life-Work Balance Index betrifft.

Armutsbekämpfung, Gesundheit und Bildung, Korruption, Menschenrechte, Friedensverhandlungen – wohlfeile Auslassungen & beredtes Beschweigen

Zwar wurde Marcos nicht müde, in seiner SONA Errungenschaften in den Bereichen Armutsbekämpfung, Jobsicherheit, Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und Minderung von Unterbeschäftigung aufzulisten. Doch das kontrastiert auffällig mit Untersuchungen unabhängiger Ökonomen und Denkfabriken wie der IBON Foundation. Als besonders perfide ist in diesem Zusammenhang die längst fällige Erhöhung des offiziell festgesetzten täglichen Mindestlohns in Stadt und Land zu werten: Wenige Tage vor der SONA wurde dieser im Großraum Manila geltende Tagessatz von 610 auf gerade einmal 645 Pesos angehoben. Und das, nachdem lange Zeit darum gerungen wurde, den täglichen Minimumlohn um mindestens 100 – im Gespräch waren sogar bis zu 300 – Pesos zu erhöhen!

Ein leidiges Thema bleibt seit Jahren der Zustand der Philippine Health Insurance Corp. (PhilHealth). Diese soll zwar ein solides und verlässliches Gesundheitssystem für alle Filipinos garantieren, doch ausgerechnet PhilHealth war in den vergangenen Jahren mehrfach ins Visier massiver öffentlicher Kritik geraten, weil immense Geldbeträge in den Taschen korrupter Vorstandsmitglieder und Politiker versickerten und/oder gnadenlos überteuerte Arzneimittelkäufe und fingierte kostspielige medizinische Behandlungen zu großen finanziellen Einbußen führten.

Allein während der COVID-19-Pandemie hatte es ein kleines, mit nur geringem Eigenkapital ausgestattetes Unternehmen wie die Pharmally Pharmaceutical Corp. auf wundersame Weise geschafft, Milliardenbeträge für Leistungen zu kassieren, die sie nie erbracht hatte. Der entstandene Schaden wird mit mindestens 47,6 Milliarden Pesos beziffert. Während als Hauptschuldige dieses Skandals Ex-Präsident Duterte und sein umtriebiger Gesundheitsminister Francisco Duque III. impliziert sind, blieben beide Personen bis dato unbehelligt und mussten sich nicht einmal einem Untersuchungsausschuss stellen.

Wenige Tage vor der SONA wurde zu allem Überdruss bekannt, dass PhilHealth „wegen ungenutzter Fonds“ annähernd 90 Milliarden Pesos an die Staatskasse zu überweisen gedenke. Für Kritiker dieses Deals besteht ein zusätzliches Ärgernis darin, dass PhilHealth die Höhe der zu leistenden Versicherungsbeiträge allein seit 2019 nahezu verdoppelte.

Strittige Gesetzesvorhaben – wie beispielsweise zur Einführung eines Scheidungsrechts, zur Wiedereinführung der Todesstrafe oder eine Verfassungsänderung hin zu einem föderalen anstelle des herrschenden präsidialen Systems – blieben allesamt sorgsam ausgeklammert, um Friktionen im Kongress nicht noch unnötig zu schüren. In beiden Kammern des Kongresses, im Abgeordnetenhaus und im Senat, brodelt es heftig, weil schon jetzt politische Terrains mit Blick auf die im Mai nächsten Jahres anstehenden Halbzeitwahlen (Midterm Elections) abgesteckt und neue Posten und Pfründe avisiert werden. Überdies haben mehrere Ergebnisse solcher Meinungsforschungsinstitute wie Pulse Asia Survey und Social Weather Stations (SWS) ergeben, dass der Löwenanteil der Filipinos (bis zu 88 Prozent) keinerlei Verfassungsänderung wünscht.

Benutzte Marcos in seiner letztjährigen SONA noch häufig den Slogan „Unity“, so war diesmal von Einheit und Einigkeit allerorten und allseits nichts mehr zu verspüren. Das vom Präsidenten mit Sara Duterte gebildete UnityTeam oder kurz UniTeam im Wahlkampf 2022 ist vollends in die Brüche gegangen. Diesmal hielt es die amtierende Vizepräsidentin und Tochter von Ex-Präsident Duterte nicht einmal für nötig, überhaupt an der SONA teilzunehmen. Aus ihrem Büro hieß es lapidar, sie werde sich die Rede auch nicht anhören. Stattdessen begab sie sich mit ihrer Familie zwei Tage später in einen Privaturlaub, der sie über den Mittleren Osten nach München führte. Da ihre Mutter deutschstämmig ist, werde man dort Verwandte und Bekannte besuchen; was in den sozialen Medien für einen Shitstorm sorgte, weil daheim – vor allem im Großraum Manila – der peitschende Taifun Carina (internationaler Name Gaemi) buchstäblich einmal mehr für Land unter sorgte.

Der Marcos-Duterte-Clinch entbrannte seit dem Jahreswechsel, als Frau Duterte sich darüber pikiert zeigte, keine neuen „confidential funds“ für ihr Büro zugewiesen zu bekommen, und ob des Verbleibs früherer Fonds keine Rechenschaft ablegte. Während der Duterte-Clan dazu überging, Marcos als „verweichlichten Sohn“ und „Kokser“ bar jeder Führungsqualität hinzustellen, fuhr Marcos eine Retourkutsche und beschuldigte seinen Vorgänger, wegen „ständiger Einnahme von Fentanyl“, eines starken Schmerzmittels, nicht mehr länger „kognitiv auf der Höhe zu sein“.

Die Familienfehde eskalierte so weit, dass Duterte und seine beiden Söhne – Sebastian ist Bürgermeister von Davao City und Paolo Kongressabgeordneter des 1. Distrikts von Davao – den Präsidenten zum Rückzug aufforderten und notfalls für die Lostrennung der südlichen Hauptinsel Mindanao aus dem philippinischen Staatsverband auf die Barrikaden gingen. Kein Wunder, dass die Vizepräsidentin und Duterte-Tochter kurz vor Marcos‘ SONA als Erziehungsministerin zurücktrat und aus seinem Kabinett ausschied. Um hier der Wahrheit Ehre zu verleihen: Eine nachgerade weise Entscheidung einer Lady, die für die Besetzung eines solch anspruchsvollen Ressorts nicht einmal das Minimum an Voraussetzungen mitbrachte.

Unerwähnt blieb in der SONA des Präsidenten auch der leidige Zustand der Korruption oder zumindest, was er mit dieser bürokratischen Krankheit zu tun gedenkt, die weiterhin die knappen Ressourcen des Landes durch sogenannte Entwicklungsprojekte, Infrastrukturentwicklung und andere Kanäle verschlingt. In ihrem Korruptionswahrnehmungsindex (CPI) 2023 stufte die in Berlin ansässige Überwachungsorganisation Transparency International (TI) die Philippinen auf Platz 115 von 180 Ländern ein – gegenüber dem Vorjahr eine Verbesserung um lediglich einen Platz.

Menschenrechte sind ein Thema, das unter Marcos Sr. in den 1970er-Jahren aufkam, als eine Kultur der Straflosigkeit bei staatlichen Gräueltaten zu einem nationalen und internationalen Problem wurde. In den vergangenen fünf Dekaden hat diese unsägliche Kultur, in die staatliche Sicherheitskräfte mit immer mehr Fällen von Menschenrechtsverletzungen verwickelt sind, zusätzlich einen Nährboden gefunden. Ein Beweis dafür, dass die Kultur der Straflosigkeit ungebrochen anhält, ist die Tatsache, dass außergerichtliche Hinrichtungen mutmaßlicher Drogenkonsumenten, an denen Polizeibehörden beteiligt sind, nicht aufhören. Allein in Marcos‘ erstem Amtsjahr (1. Juli 2022 bis zum 30. Juni 2023) wurden mindestens 342 drogenbedingte Tötungen registriert.

Bis heute gehen nationale wie internationale Menschen- und Bürgerrechtsorganisationen davon aus, dass Präsident Dutertes „Antidrogenkrieg“ bis zu 30.000 Menschen das Leben kostete. Marcos hingegen bekräftigte auch während der diesjährigen SONA, dass der Kampf der Regierung gegen illegale Drogen zwar weitergehe, aber „ein neues Gesicht bekommen” habe. Er erklärte, dieser Kampf sei nunmehr auf „gemeindebasierte Behandlung, Rehabilitation, Bildung und Wiedereingliederung“ ausgerichtet.

Familienangehörige von Opfern und Menschenrechtsorganisationen haben beim Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) Anklage wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegen Präsident Duterte und andere mutmaßliche Täter und Komplizen erhoben, darunter der ehemalige Polizeichef und heutige Senator Ronald dela Rosa. Der Fall ist ein juristisches Schlachtfeld, auf dem die philippinische Regierung eine einigermaßen uneinnehmbare Mauer errichtet hat, um Duterte vor dem Internationalen Strafgerichtshof zu schützen, durch den bereits mehrere angeklagte Staatsführer verurteilt wurden.

Der in Den Haag ansässige IStGH wies bereits einen Einspruch der Marcos-Regierung ab, der darauf abzielte, die Ermittlungen der Staatsanwälte in Bezug auf Dutertes blutigen „Antidrogenkrieg“ zu blockieren. IStGH-Richter Marc Perrin de Brichambaut erklärte, die Ablehnung durch das Haager Gericht bedeute, dass die Philippinen ihre Möglichkeiten zur Berufung ausgeschöpft hätten.

Die Philippinen waren 2014 durch Ratifizierung das 117. Mitglied des IStGH, bis Duterte die Mitgliedschaft des Landes 2018 zurückzog, nachdem das Gericht begonnen hatte, seinen „Antidrogenkrieg“ zu untersuchen. Gemäß den Austrittsmodalitäten des IStGH behält das Gericht jedoch die Zuständigkeit für Verbrechen, die während der Zeit der Mitgliedschaft eines Staates begangen wurden – in diesem Fall zwischen 2016 und 2019, als der Rückzug der Philippinen offiziell wurde. Bis dato widersetzt sich auch Marcos Jr. einer Intervention seitens des IStGH, da Manila dessen Autorität in Fragen der nationalen Souveränität nicht anerkennt. Das fragile philippinische Justizsystem erwies sich bis heute allerdings außerstande, engagierte Anwälte und Menschenrechtsaktivisten vor Übergriffen staatlicher Akteure und Instanzen angemessen zu schützen; was freilich nicht ausschließt, dass Marcos im Clinch mit den Dutertes ein Intervenieren des IStGH als politischen Joker ausspielt.

Gänzlich unerwähnt blieb während der diesjährigen SONA auch der Stand der Friedensverhandlungen zwischen der Regierung und dem politischen Untergrundbündnis in Gestalt der Nationalen Demokratischen Front der Philippinen (NDFP). Die Philippinen sind mittlerweile das einzige Land in ganz Südostasien, in dem noch eine von der kommunistischen Partei geführte Guerillaorganisation, die Neue Volksarmee (NPA), gegen die Zentralregierung in Manila einen seit 1968/69 andauernden Zermürbungskrieg führt.

Es gab etliche Aufs und Abs in diesen Verhandlungen, die immerhin dazu führten, dass sich beide Seiten nach einer Serie von Geheimtreffen in den Niederlanden sowie in Norwegen im November 2023 darauf verständigten, den offiziellen Gesprächsfaden wieder aufzunehmen. Bislang war seitens des Präsidenten indes kein klärendes Wort zu vernehmen, ob, wann und wo weiterverhandelt werden soll. Gleichzeitig dauert die knallharte antikommunistische Politik der Regierung unvermindert an: „Red-tagging“, das Brandmarken von Sozialaktivisten unterschiedlicher Couleur, drakonische Maßnahmen gegen Menschenrechts- und Umweltaktivisten, engagierte Gewerkschafter, Arbeiter, Bauernführer und Fischerleute sind an der Tagesordnung. Das entsprechende gesetzliche Regelwerk wie der Anti-Terror-Act von 2020 sowie die Logistik und Infrastruktur staatlicher „Counterinsurgency“ („Aufstandsbekämpfung“) hat Marcos von seinem Vorgänger Duterte nahtlos übernommen.

Pluspunkte & prosaisches Finale

Punkten konnte der Präsident in seiner SONA mit Ausführungen, die beide Bezug zum großen nördlichen Nachbarland China haben. In der VR China sind zwar Glücksspiele untersagt, doch deren Behörden unternehmen nichts, wenn diese im Ausland getätigt werden. Im Jahre 2003 begannen Chinesen und/oder chinesische Firmen, sich in den Philippinen als sogenannte Philippine Offshore Gaming Operators (POGO) registrieren zu lassen, wobei die entsprechenden Genehmigungen von der Philippine Amusement and Gaming Corporation (Pagcor) erteilt werden. Seit dem Amtsantritt von Präsident Duterte im Sommer 2016 erfuhren die POGO einen wahren Boom, deren Tentakeln sich rasch in dunkle Milieus erstreckten. Neben Glücksspielen und Wetten wurden POGO immer mehr in kriminelle Aktivitäten, Menschen- und Drogenhandel, Prostitution und organisiertes Verbrechen verstrickt.

Massive Kritik gegen die POGO hagelte es in den letzten Wochen und Monaten, als bekannt wurde, dass Chinesen auch in großem Stil Geburtsurkunden und andere wichtige Papiere buchstäblich gekauft hatten, um auf den Inseln unbehelligt ihren Geschäften nachzugehen oder selbst politische Ämter zu bekleiden. Es flossen auf diese Weise reichlich Bestechungsgelder an kollaborationswillige philippinische Beamte, wobei nach bisherigen Erkenntnissen zirka 300.000 Pesos (umgerechnet etwa 5.000 Euro) hingeblättert wurden, um in den Besitz eines wichtigen Dokuments zu gelangen. Ebendiesen POGO, so verkündete BBM es während seiner SONA, werde ab sofort ein Ende bereitet werden – eine ebenso populistische wie populäre Maßnahme, wobei freilich offenbleibt, wie genau dieser Schritt bis zum Jahresende vollzogen werden soll. Der philippinische Finanzminister Ralph Recto gab derweil bekannt, dass die POGO – anders als ursprünglich erwartet – dem Land weitaus größeren Schaden als Nutzen zugefügt hätten. Er und seine Regierung sicherten den Zigtausenden philippinischen Beschäftigten in diesen POGO jedenfalls Hilfe bei der Suche nach neuen Jobs zu.

Last, but not least sprach Marcos die anhaltenden Querelen mit der VR China im Südchinesischen Meer beziehungsweise im Westphilippinischen Meer oder in der Westphilippinischen See an. Dort hat es seit Jahresbeginn zig Fälle gegeben, wo es zu mehr oder minder heftigen Auseinandersetzungen zur See kam, in die Boote der chinesischen Küstenwache und philippinische Fischerboote verstrickt waren. Da die Philippinen als Amerikas einstige und einzige Kolonie in der Region (von 1898 bis 1946) enge Bande zu den USA pflegen und mit diesen durch ein Geflecht militärischer Verträge und Abkommen verbunden sind, besteht die Gefahr, dass das Land nach dem Korea- und Vietnamkrieg auch in künftige militärische Konfrontationen – zuvörderst mit der VR China – hineingezogen wird.

Allein das Enhanced Defense Cooperation Agreement (EDCA, 2014) öffnete philippinische Militäreinrichtungen für US-Streitkräfte und -Waffendepots – zunächst fünf Standorte und vier neue unter Marcos Jr., von denen sich drei in unmittelbarer Nähe der Straße von Taiwan befinden. Und erst jüngst unterzeichneten Manila und Tokio ein bilaterales Sicherheitsabkommen mit dem Namen Reciprocal Access Agreement (RAA), während kritisch-besorgte Stimmen vor einer erhöhten Militarisierung durch „NATO-Barbaren“ – so formulierte es unumwunden Alex Lo, der langjährige Kolumnist der in Hongkong erscheinenden Tageszeitung South China Morning Post – in der gesamten Indo-Pazifik-Region nach einem Ende des Krieges in der Ukraine warnen.

Gegen Ende seiner knapp eineinhalbstündigen Rede wurd’s prosaisch, als BBM den britischen Philosophen, Politiker und Ökonomen John Stuart Mill (1806-1873) zitierte:

Niemand sollte sein Gewissen mit der Illusion beruhigen, dass er keinen Schaden anrichten kann, wenn er sich nicht beteiligt und sich keine Meinung bildet. Böse Menschen brauchen nichts mehr, um ihre Ziele zu erreichen, als dass gute Menschen zusehen und nichts tun.“

Lasst uns stets gegen das Unrecht und das Böse kämpfen. Lasst uns immer für das kämpfen, was richtig und gut ist“, rief der Präsident zum Schluss aus und forderte seine Landsleute auf, die Philippinen und die Filipinos zu lieben. Wenigstens das eine unmissverständliche Botschaft: BBM hat euch alle lieb! Was die, wie stets bei diesen Anlässen, auf die Barrikaden gegangenen Kritiker und Gegner aus zahlreichen fortschrittlichen und linken Gruppierungen bei starkem Regen mit bitterbösem Hohn und den üblichen Verbrennungen von Marcos-Porträts bedachten.

Titelbild: Juergen Nowak/shutterstock.com

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