Auch in Frankreich ist ein Buch über den „Machtwahn“ erschienen: „1788 – Versuch über die Schlechtdemokratie“ von Roger-Gérard Schwartzenberg.
In der Spalte „Buch des Tages“ stellt in Le Monde vom 10. Juni 2006 Patrick Roger eine Neuerscheinung von Roger-Gérard Schwartzenberg „1788 – Versuch über die Schlechtdemokratie“ vor. Der Autor, der in der Regierung Lionel Jospin Ende der 90er Jahre Forschungsminister war und heute als Abgeordneter der Linksradikalen im Parlament sitzt, zeichnet, ohne zu beschönigen das Bild einer kranken Demokratie und eines Systems am Rande des Zusammenbruchs. Im Gegensatz zu Deutschland scheinen die französischen Politiker den Riss durch die Gesellschaft aber noch wahrzunehmen, die Franzosen führen ihnen diese Kluft auch massenhaft vor Augen. Josef Martin hat uns die Rezension übertragen.
Kenntnisreich beschreibt er die Abläufe der Macht und die Wirklichkeit dieser „zusammengeschweißten Elite, die alle strategischen Posten innehat“. „Eine zahlenmäßig beschränkte, geschlossene Kaste, die die Macht auf allen Gebieten für sich beansprucht.“ Diese Kaste „gleicht der Aristokratie des Ancien Régime, die sich an alle Privilegien klammert“.
Dass ein Riss durch die Gesellschaft geht, stellte Jacques Chirac schon in seinem Präsidentschaftswahlkampf von 1994 fest, als er bemerkte, „das Volk habe das Vertrauen verloren, seine Verwirrung treibe es in die Resignation, sie könne es zornig werden lassen“.
Auch der amtierende Ministerpräsident Dominique de Villepin glaubte schon 2002 [1] feststellen zu müssen: „Wie 1788 oder Anfang 1848 stehen wir mit dem Rücken zur Wand. (..) alles knirscht und geht aus den Fugen, das Land des Gesetzes, das wirkliche Land, das Volk und seine Vertretung“.
Für das Wahljahr 2007 gibt es für Schwartzenberg nur die Alternative „Hoffnung auf eine wirkliche Reform oder die Gefahr einer unechten Revolution“. In Anlehnung an die Schrift des Revolutionärs Abbé Sieyès „Qu’est-ce que le Tiers Etat?“ stellt er die Frage: „Was ist der dritte Stand heute?“ Seine Antwort: „Ein Volk, das von oben und aus der Ferne regiert wird, das sich dem herrschenden System entfremdet fühlt“. Die derzeitige Demokratie gebäre Ausschluss. „Mindestens ein Viertel bis ein Drittel der Bevölkerung – das heißt 15 bis 20 Millionen Bürger – leben dauerhaft unter Bedingungen extremer Schwierigkeiten“, „Frankreich ist gesellschaftlich ruiniert“, „heute äußert schon ein Teil des Frankreichs der Mitte Unzufriedenheit über die Gesellschaft“. Die, die Rolle der Mittler haben sollten (die Parteien, die Gewerkschaften, das einflusslose Parlament, die Medien, deren Machstruktur verwischt ist, die Politik und die Wirtschaft) spielen ihre Rolle nicht mehr.
Die Macht, so Schwartzenberg, lebe „irgendwo“. Dieses „irgendwo“ sieht er angesiedelt in einem „Dreieck der Macht, dessen drei Seiten die Obere Verwaltung, die Politik und die Wirtschafts- und Finanzkreise seien, die das Land abseits der Wahlurnen und der Parlamente regierten“.
Schwartzenberg muss es wissen: er gehört dem Parlament an, hat einen Sitz im Staatlichen Verwaltungsrat, ist Mitglied des „Jahrhundertclubs“, der als Super-Elite der Eliten gilt und dessen Mitglieder die Schlüsselpositionen im heutige Frankreich besetzt halten.
„Während die Eliten von einem anderen Volk träumen, wächst die Zahl der Verweigerer – derer, die die Legitimität ihrer politischen Vertreter in Frage stellen – mit jedem Tag.“
1788 – Essai sur la Maldémocratie de Roger Gérard Schwartzenberg, Fayard
[«1] Dominique de Villepin : Le cri de la gargouille, Albin Michel, 2002