Mehr soziale Ungleichheit = Mehr Stagnation
Von Joachim Jahnke.
I.
Über die vergangenen vier bis fünf Jahre hat sich die Einkommens- und Vermögensverteilung in Deutschland immer ungleicher entwickelt. Die Unternehmens- und Vermögenseinkommen sind gestiegen, während der Anteil der Arbeitnehmerentgelte am Volkseinkommen gesunken ist (04027).
Der Lohnstückkostenvergleich innerhalb der Eurozone zeigt die Spuren der deutschen Lohnzurückhaltung (Abb. 03021). Der Unterschied in der Lohn- und Gehaltsentwicklung zu Frankreich ist symptomatisch (03023).
Die in großer Zahl hinzugekommenen Arbeitslosen- und vor allem Langzeitarbeitslosen sind völlig aus der Einkommenspyramide herausgekippt. Unglücklicherweise liegt der Arbeitslosenanteil derer unter 25 Jahren, also der gar nicht erst in die Einkommenspyramide hineinkommenden jungen Menschen, auf dem gleichen hohen Nivieau wie der der Älteren. Deutschland hat unter allen OECD-Ländern den höchsten Anteil an Langzeitarbeitslosen (Abb. 04022).
Bei Jahr für Jahr rückläufiger Vollzeitbeschäftigung (Abb. 04008) wächst die Zahl der Minijobs, was die soziale Symetrie weiter verzerrt und die Sozialversicherungssysteme beschädigt.
Die immer ungleichere Einkommenssituation überträgt sich natürlich auf die Vermögensverhältnisse. Der Anteil der nach amtlicher Einstufung von Armut betroffenen Haushalte wuchs laut Armutsbericht der Bundesregierung auf über 13 Prozent, wobei schon jedes fünfte Kind in Armut aufwächst. Nicht überraschend steigt die Zahl der Verbraucherinsolvenzen (Abb. 04028). Dagegen verfügen nach deutlichem Anstieg zehn Prozent der Haushalte nun bereits über 47 Prozent des gesamten deutschen Vermögens.
II.
Zwei direkte Folgen sind eindeutig: Erstens treibt die Angst vor sozialem Abstieg die Sparneigung hoch. Deutschland hat dementsprechend eine im internationalen Vergleich völlig ungewöhnlich hohe Sparquote (Abb. 04019).
2004 haben die Haushalte erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Kaufkraft an Banken und Versicherungen zurückgegeben (Abb. 04017).
All das schlägt negativ auf den Binnenkonsum durch. Zweitens kann der wachsende Teil der Wohlhabenden in der ungleicher werdenden Bevölkerung anteilig mehr sparen und verwendet daher einen kleineren Teil des Einkommens (oder Vermögens) nachfragestützend für die Binnenkonjunktur (Abb. 04026).
III.
Die so doppelt geschädigte Binnennachfrage kann auch durch Exporterfolge nicht ausgeglichen werden. Dazu ist ihre Bedeutung für das Bruttoinlandsprodukt viel zu hoch. Seit Jahren liegen die privaten Konsumausgaben flach am Boden (Abb. 04003). Kein Wunder bei dieser Lage, daß die deutsche Gesamtkonjunktur stagiert und die Wirtschaftsleistung pro Kopf immer weiter unter den Durchschnitt der übrigen EU-15 Länder abgerutscht ist (Abb. 1002).
All dies fällt in eine Zeit, in der noch hohe Kosten der Wiedervereinigung finanziert werden müssen und sich der Wettbewerb mit Niedrigstlohn- und Niedrigsteuerproduzenten in Asien und Osteuropa ständig verschärft. Umso dringlicher wird es, ein Mindestmaß an sozialer Symetrie im Sinne der Sozialen Marktwirtschaft wiederherzustellen.