Harris-Hype in den Medien – und wer nicht mitmacht, ist ein Frauenfeind

Harris-Hype in den Medien – und wer nicht mitmacht, ist ein Frauenfeind

Harris-Hype in den Medien – und wer nicht mitmacht, ist ein Frauenfeind

Jens Berger
Ein Artikel von: Jens Berger

Joe Biden hat das Feld freigemacht für Kamala Harris – eine Frau und ein Kind von Einwanderern. In amerikanischen und deutschen Medien hat diese Personalie einen wahren Hype ausgelöst. Jüngst fragte der SPIEGEL, ob „Amerika denn bereit für eine Frau sei“ und hat auch gleich eine Erklärung für den Fall parat, dass Harris scheitert – die „Misogynie“, also die Frauenfeindlichkeit, sei halt „allgegenwärtig“. Das ist kühn und geht am Thema vorbei. Wird der SPIEGEL im nächsten Jahr Sahra Wagenknecht und Alice Weidel bei den Bundestagswahlen auch derart gegen ihre „chauvinistischen“ Gegenkandidaten Merz, Scholz, Lindner und Habeck promoten? Wird er Marine Le Pen im Duell um die französische Präsidentschaft gegen ihren voraussichtlich männlichen Gegenkandidaten feiern? Oder sitzen in der SPIEGEL-Redaktion lauter Frauenfeinde? Eine Glosse von Jens Berger.

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Wenn der SPIEGEL einen Artikel als „Einordnung“ ankündigt, ist etwas faul im Staate Dänemark. Diesmal durfte die SPIEGEL-Redakteurin Ulrike Knöfel etwas einordnen – und zwar nichts weniger als die Frage, wer der wohl mächtigste Mann – oder eben die mächtigste Frau – der Welt werden soll. Für Knöfel stellt sich diese Frage aber nicht wirklich. Ihr Herz schlägt für Kamala Harris. Warum? Weil Harris eine Frau ist und es ja, so Knöfel, „fast wie eine Untertreibung erscheint“, hier „von einer historischen Zäsur zu sprechen“. Die „allgegenwärtige Misogynie“, die „eine eigene Spielart des Chauvinismus“ sei, habe das bislang verhindert. Die Präsidentschaftswahl wird so zum Gradmesser – sind die USA bereit für eine Frau oder sind sie ein Land der Frauenfeinde? Dazwischen gibt es offenbar nichts. Inhalte spielen keine Rolle. Willkommen in der postpolitischen Ära. Komplexe Fragen werden auf das Geschlecht der Kandidaten heruntergebrochen. Entweder ihr seid für uns, die guten Frauen, oder ihr seid Frauenfeinde. Bäm!

Dabei hätte Frau Knöfel durchaus im eigenen Blatt gute Gründe finden können, warum Harris eben nicht die beste aller denkbaren Kandidatinnen ist. Vor anderthalb Jahren – also lange bevor die deutschen Medien der kollektiven Harris-Besoffenheit verfielen – analysierte der SPIEGEL-US-Büroleiter René Pfister die Personalie Harris wenig schmeichelhaft. Unter der Überschrift „Verlieren lernen mit Kamala Harris“ beschreibt er sie als „Prototyp einer Politikerin, die einen Fehler nach dem anderen begeht“, von der aber „Parteifunktionäre und Medien [dennoch] glauben, sie müsse Erfolg haben“ – wegen ihres Geschlechts und ihrer Herkunft. Doch Harris habe „ein untrügliches Gespür dafür, Wähler vor den Kopf zu stoßen, die nicht zu einem akademisch gebildeten linken Milieu gehören“. Bäm!

Dass Harris die sich als linksliberal verorteten Leitartikler zu Begeisterungsstürmen animiert, ist wenig verwunderlich. Na klar – wer sich selbst auf der „richtigen“, progressiv-liberalen, Seite der Geschichte wähnt, ist gegen den alten weißen reaktionären Mann Donald Trump. Geschenkt. Doch was hat Kamala Harris außer ihrem Geschlecht und ihrer Herkunft zu bieten? Zu wenig. Und das sage nicht nur ich, sondern das sehen offenbar auch die Wähler in den USA so, die Harris’ Präsidentschaftskandidatur 2019 schon vor den ersten Vorwahlen zum Scheitern verurteilten – sicher alles Frauenfeinde!

Aber was interessieren die Leitartikler aus dem „akademisch gebildeten linken Milieu“ schon die gemeinen Wähler? Frauenfeinde! Ist das so? Was ist dann mit Sahra Palin, Sarah Huckabee Sanders, Kim Reynolds, Kay Ivey oder Kristi Noem? Allesamt erzkonservative Gouverneurinnen, die in den erzkonservativen Staaten Alaska, Arkansas, Iowa, Alabama und South Dakota ihre männlichen Gegenkandidaten besiegten. Aber halt! Erzkonservative Frauen zählen offenbar nicht und die Anhänger ihrer demokratischen Konkurrenten würde wohl kein Leitartikler als Frauenfeinde bezeichnen.

Wir lernen – Frauenfeinde sind nur Anhänger konservativer Männer, die gegen liberale Frauen antreten. Wenn konservative Frauen gegen liberale Männer antreten, spielt die Geschlechterfrage indes keine Rolle. Muss man das verstehen?

Spielen wir das Spiel doch mal an anderen Beispielen durch. Müsste der SPIEGEL nicht auch eine Wahlempfehlung für Sahra Wagenknecht und Alice Weidel aussprechen? Immerhin sind sie Frauen, Wagenknecht sogar mit einem gewissen Migrationshintergrund. Da müsste Frau Knöfel beim SPIEGEL doch vor lauter Freude juchzen und zum Kampf gegen die alten weißen Männer Merz, Scholz, Lindner und Habeck blasen. Wer CDU, SPD, FDP oder Grüne wählt, wäre dann ein Frauenfeind – ein Sexist, wie er im Buche steht! Die ganzen bösen Artikel im SPIEGEL gegen Wagenknecht und Weidel wären dann „eine Spielart des Chauvinismus“. SPIEGEL und Co. wären ein Hort der Frauenfeinde und Verteidiger des Patriarchats. Aber halt! Diese Erzählung werden wir aber sicherlich nicht mehr erleben.

Aber es geht ja auch um Kamala Harris. Sie ist der Darling deutscher Medien. Als Konsument könnte man glatt glauben, sie hätte den Sieg gegen Trump eigentlich schon in trockenen Tüchern. Was für eine Fehleinschätzung! Sämtliche jüngere Umfragen sehen in den sogenannten Battlegrounds Trump klar vor Harris und die US-Wahlen werden nicht in den liberalen Staaten Kalifornien oder New York, die wahrscheinlich sogar eine Vogelscheuche als demokratischer Kandidat gewinnen würde, entschieden, sondern in eben jenen Staaten, die mal republikanisch, mal demokratisch wählen. Und selbst in diesen Staaten kommt es weder auf die liberalen Überzeugungstäter noch auf die republikanischen Überzeugungstäter an, deren Stimme ebenfalls felsenfest dem Kandidaten ihrer Partei gehört. Entschieden werden US-Wahlen von den Wechselwählern in diesen als Swing- oder Battleground-States bezeichneten Staaten. Und warum sollte der Farmer oder Fabrikarbeiter in Georgia oder Pennsylvania Kamala Harris wählen? Weil sie eine Frau ist? Sicher nicht. Doch das werden Leitartikler sicher nie verstehen.

Titelbild: lev radin/shutterstock.com