Immobilienkrise, EZB und SPD – oh weh, oh weh!

Immobilienkrise, EZB und SPD – oh weh, oh weh!

Immobilienkrise, EZB und SPD – oh weh, oh weh!

Ein Artikel von Thomas Trares

Der Europäischen Zentralbank (EZB) wird gerne vorgeworfen, mit ihren Zinserhöhungen mehr Schaden anzurichten als Nutzen zu stiften. Insbesondere die Bau- und Immobilienwirtschaft kann ein Lied davon singen, die Branche befindet sich gerade im freien Fall. Die neuesten Schlagzeilen kommen von dem Gewerbeimmobilienkonzern Demire, dem offenen Immobilienfonds „UniImmo Wohnen ZBI“ und der Volksbank Dortmund-Nordwest. Zudem finden sich unter den Insolvenzfällen derzeit besonders viele Immobilienunternehmen. Äußerungen von Regierungsmitgliedern offenbaren jedoch eine bemerkenswerte Kenntnislosigkeit der Zusammenhänge. Von Thomas Trares.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Das Immobilienunternehmen Demire Deutsche Mittelstand Real Estate aus dem hessischen Langen erwirbt und bewirtschaftet Gewerbeimmobilien in mittelgroßen Städten und Ballungsgebieten in Deutschland. Ende Juni hat die Demire bekannt gegeben, dass vier ihrer Objektgesellschaften von der Insolvenz bedroht sind. [1] Ein Kredit bei der Immobilienbank DZ Hyp über 82 Millionen Euro ist fällig und konnte nicht verlängert werden. Betroffen sind ein Bürogebäude in Essen, eine gemischt genutzte Immobilie in Kassel sowie Bürogebäude in Aschheim bei München und in Köln. Den Konzernabschluss für 2023 hat Demire wegen der unsicheren Lage auch noch nicht vorgelegt. Laut vorläufiger Zahlen hat sich der Verlust vor Zinsen und Steuern auf fast 190 Millionen Euro verdoppelt. Das Immobilienportfolio verlor gegenüber Ende 2022 insgesamt 13,2 Prozent an Wert.

Schieflagen bei den Volks- und Raiffeisenbanken

Auch die Anleger des offenen Immobilienfonds „UniImmo Wohnen ZBI“ mussten sich gerade verwundert die Augen reiben. Der Fonds, der als vergleichsweise risikoarmes Investment angeboten wurde, meldete Ende Juni einen Wertverlust von rund 850 Millionen Euro – ein Minus von rund 17 Prozent. Aufgelegt wurde der Fonds 2017 von der Union Investment, der Fondsgesellschaft der Volks- und Raiffeisenbanken. Grund für das Debakel war der Wertverlust der im Fonds enthaltenen Wohnimmobilien. [2]

Und nun sorgt auch noch die Volksbank Dortmund-Nordwest für Negativschlagzeilen. Wie das Institut mit Sitz im westfälischen Mengede vergangene Woche bekannt gab, drohen Verluste in dreistelliger Millionenhöhe – bei einer Bilanzsumme von gerade mal 1,1 Milliarden Euro. Damit ist die Bank ein Sanierungsfall und muss von der Sicherungseinrichtung des Bundesverbands der Volks- und Raiffeisenbanken (BVR) gestützt werden. Die Garantien belaufen sich auf 134 Millionen Euro. Der Volksbank Dortmund-Nordwest wurden ihre hohen Investments in Immobilienfonds zum Verhängnis. [3]

Hiobsbotschaften aus der Immobilienbranche

Die Volksbank Dortmund-Nordwest, der „UniImmo Wohnen ZBI“ und die Demire sind freilich keine Einzelfälle, sondern nur die jüngsten Hiobsbotschaften aus einer Branche, die immer weiter in die Krise hineinschlittert. Wie eine Analyse der Restrukturierungsberatung Falkensteg zeigt, war im ersten Halbjahr 2024 kein anderer Sektor so stark von Insolvenzen großer Unternehmen betroffen wie die Immobilienbranche. [4] Als Beispiele nannte Falkensteg den Ratinger Projektentwickler Interboden und die Frankfurter Schoofs Immobilien. Bei den Baufirmen traf es die Gröner Group aus Berlin wie auch die Helma Eigenheimbau mit Sitz im niedersächsischen Lehrte. [5]

Fragt man nach den Gründen für die Misere, wird gerne auf die Zinspolitik der EZB verwiesen. „Die zu schnell gestiegenen Zinsen waren bisher echte Plagegeister für die Immobilienbranche“, sagte etwa Andreas Mattner, Präsident des Zentralen Immobilien Ausschusses (ZIA), kürzlich. [6] Wegen der hohen Inflation hatte die EZB zwischen Juli 2022 und September 2023 die Zinsen in zehn aufeinanderfolgenden Sitzungen um insgesamt 450 Basispunkte nach oben geschraubt. Dieser „Zinsschock“ hat der Bau- und Immobilienbranche einen schweren Schlag versetzt. Immobilienkredite verteuerten sich, Investitionen wurden auf Eis gelegt, der Immobilienbestand verlor schlagartig an Wert, der Markt kam quasi zum Erliegen. Erst Anfang Juni hat die EZB ein wenig Druck aus dem Kessel genommen und die Leitzinsen um 25 Basispunkte gesenkt.

Die Zinsen müssen runter“

Einer, der die EZB-Politik von Anfang an kritisiert hat, ist Heiner Flassbeck, der frühere Chefvolkswirt der UN-Handelsorganisation UNCTAD. „Die Zinsen müssen runter“, betonte er immer wieder. [7] Die Inflation hält Flassbeck nur für einen „temporären Schock“, für eine „einmalige Preissteigerung“, die komme und gehe. Dies könne die EZB gar nicht verhindern. Im Gegenteil, mit ihren Zinserhöhungen richte sie nur noch zusätzlichen Schaden an. „Betrachtet man die Gesamtkonstellation von Baunachfrage, Baukosten und Hauspreisen, kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Geldpolitik für den Absturz der Bauwirtschaft und des Häusermarktes mitverantwortlich ist“, erklärte Flassbeck bereits vor über einem Jahr auf seinem Blog „Relevante Ökonomik“. Die Überschrift des Artikels lautete bezeichnenderweise: „Als erste Branche fällt die Bauwirtschaft der Geldpolitik zum Opfer“. [8]

Flassbeck sollte recht behalten. Für den Bau war 2023 ein rabenschwarzes Jahr. Im Bauhauptgewerbe ging die Leistung preisbereinigt um gut fünf Prozent zurück. Beim Wohnungsbau war das Minus mit zwölf Prozent sogar zweistellig. [9] Die Zahl der neuen Genehmigungen brach um über ein Viertel auf 260.100 ein – der niedrigste Stand seit 2012. Die Branche rechnet damit, dass im laufenden Jahr etwa 10.000 Arbeitsplätze abgebaut werden. Das wäre der erste Beschäftigungsverlust seit der Finanzkrise. [10] Das Ziel der Bundesregierung, 400.000 neue Wohnungen im Jahr fertigzustellen, ist inzwischen in weite Ferne gerückt. Das Ifo-Institut schätzt, dass es 2024 lediglich 225.000 Wohnungen sein werden, 2026 dann womöglich gar nur noch 175.000. [11]

Unkenntnis der Zusammenhänge

Bemerkenswert ist jedoch, dass die Ampel-Regierung nicht nur ihre Ziele immer mehr aus den Augen verliert, sondern auch weit davon entfernt ist, diese Zusammenhänge überhaupt zu durchschauen. Das liegt unter anderem daran, dass selbst in der SPD makroökonomisches Wissen kaum noch vorhanden ist und somit auch niemand in der Partei in der Lage ist, die Problematik rund um die hohen Zinsen zu verstehen. Dabei war es der SPD-Wirtschaftsminister Karl Schiller, der 1967 das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz auf den Weg brachte, in dem sich der Staat – basierend auf der keynesianischen Lehre – erstmals zur gesamtwirtschaftlichen Verantwortung bekannte. Und Heiner Flassbeck war nicht nur Chefvolkswirt bei der UNCTAD, sondern auch 1998/99 für die SPD unter dem damaligen Finanzminister Oskar Lafontaine Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. In der Wirtschaftspolitik vertritt Flassbeck auch heute noch klar keynesianische Positionen.

Von dieser Tradition ist in der heutigen Sozialdemokratie jedoch so gut wie nichts mehr übrig geblieben. Statt fundierter Analysen gibt es jetzt ökonomische Binsenweisheiten und Wissen von der Stange. Bundesbauministerin Klara Geywitz etwa bezeichnete kürzlich in einem Interview mit der WirtschaftsWoche die aktuelle Insolvenzwelle im Immobiliensektor sinngemäß als normale Bereinigung auf dem Wohnungsmarkt. „Der Immobilienzyklus ist am Ende. Und wie immer erwischt es die als Erstes, die weniger Eigenkapital haben als die Konkurrenz“, sagte sie. [12] Und Bundeskanzler Olaf Scholz erklärte bei einem Bürgerdialog im brandenburgischen Stahnsdorf Anfang des Jahres gar, dass nicht der schnelle Zinsanstieg, sondern „ein psychologisches Problem durch den schnellen Zinsanstieg“ schuld am darbenden Wohnungsneubau sei. [13]

Habeck schießt den Vogel ab

Den Vogel an ökonomischem Unverstand schoss jedoch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen ab. Auf dem Wohnungsbautag 2024, der im April in Berlin stattfand, ließ er die versammelte Wohnungsbaubranche wissen, dass die Krise, in der sie sich gerade befindet, „zynisch gesprochen, geplant war“. Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine und den daraus resultierenden wirtschaftlichen Verwerfungen hätte die EZB zur Bekämpfung der Inflation die Leitzinsen anheben müssen. Der Effekt, dass dadurch Investitionen zurückgehalten würden, sei gewollt – und eingetreten, meinte Habeck. „Die Leidtragenden sind Sie. Aber da müssen wir durch“, fuhr er fort. [14]

Titelbild: Who is Danny/shutterstock.com


[«1] wiwo.de/finanzen/immobilien/immobilienkrise-toechtern-der-immobiliengesellschaft-demire-droht-insolvenz-/29875236.html

[«2] schwaebische.de/wirtschaft/immobilienfonds-der-union-investment-bricht-ein-2658341

[«3] handelsblatt.com/finanzen/banken-versicherungen/banken/banken-naechste-volksbank-benoetigt-hilfe-fusion-ist-moeglich-02/100054669.html

[«4] handelsblatt.com/inside/energie-und-immobilien/insolvenzen-233-prozent-mehr-grosspleiten-in-der-immobilienbranche/100051710.html

[«5] hna.de/wirtschaft/drohen-auf-der-strasse-zu-stehen-insolvenz-von-baufirma-helma-tausende-familien-zr-93053956.html

[«6] faz.net/aktuell/finanzen/was-die-ezb-zinsentscheidung-fuer-den-hauskauf-bedeutet-19772087.html

[«7] relevante-oekonomik.com/2023/10/31/zinsen-runter/

[«8] relevante-oekonomik.com/2023/03/29/als-erste-branche-faellt-die-bauwirtschaft-der-geldpolitik-zum-opfer/

[«9] zdb.de/meldungen/konjunkturentwicklung-bauhauptgewerbe-2023-baugewerbe-fordert-entschlossenes-handeln-gegen-wohnungsbaukrise

[«10] zeit.de/wirtschaft/2024-01/bauindustrie-wohnungsbau-arbeitsplaetze-hdb-abbau

[«11] haufe.de/immobilien/entwicklung-vermarktung/marktanalysen/studie-ende-des-booms-im-wohnungsbau-in-sicht_84324_487942.html

[«12] wiwo.de/my/politik/deutschland/klara-geywitz-jetzt-ist-dieser-immobilienzyklus-am-ende/29666762.html

[«13] welt.de/wirtschaft/article249992604/Immobilien-Hohe-Bauzinsen-eher-ein-psychologisches-Problem-Scholz-Satz-sorgt-fuer-Empoerung.html

[«14] merkur.de/wirtschaft/habecks-zynische-botschaft-an-die-baubranche-wir-muessen-da-jetzt-durch-zr-93005781.html