Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) hat seine Bedingungen für mögliche Eintritte in Regierungen konkretisiert: Die Partei macht Koalitionen in ostdeutschen Bundesländern auch von der Haltung der Partner zum Krieg in der Ukraine abhängig. Der Vorstoß ist inhaltlich und taktisch genau richtig – viele Reaktionen sind entsprechend wütend. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download
Die Parteichefin des BSW, Sahra Wagenknecht, sagte gerade laut Medienberichten: „Wir werden uns nur an einer Landesregierung beteiligen, die auch bundespolitisch klar Position für Diplomatie und gegen Kriegsvorbereitung bezieht.“ Denn es sei klar, „dass ein neues Wettrüsten Milliarden verschlingt, die dringend für Schulen, Krankenhäuser, Wohnungen und höhere Renten gebraucht werden“.
Neben dem schwachen Argument, auf Landesebene würde ja gar nicht über Krieg und Frieden entschieden, wurden teils scharfe Reaktionen gegen diese BSW-Position vorgebracht – das war zu erwarten, schließlich soll das Eintreten für Diplomatie und Waffenstillstand in Deutschland momentan unter einer massiven Welle der militaristischen Propaganda in allen großen Medien begraben werden. Und wenn das nicht reicht, dann kommen noch polemische Behauptungen von umstrittenen Politikern dazu, wie gerade vom CDU-Bundestagsabgeordneten Roderich Kiesewetter. Der sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland zur aktuellen BSW-Aussage:
„Für uns als CDU muss klar sein, dass eine Zusammenarbeit auf jeder Ebene mit diesem Kreml-Ableger undenkbar ist. Frau Wagenknecht macht damit klar, dass das BSW zum Ziel hat, russische Interessen zu deutscher Politik zu machen.“
Wenn Diplomatie zum Skandal erklärt wird
Die Junge Welt zitiert unter der treffenden Überschrift „Frieden als Skandal“ weitere Reaktionen und schließt daraus, dass das BSW kaum in eine Landesregierung wird eintreten können, wenn es in dieser Frage „stabil“ bleibe. Laut dem Bericht warf Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Wagenknecht (und der AfD) Unehrlichkeit vor: „Sie sagen, sie wollten Frieden, aber eigentlich geht es ihnen nicht um einen gerechten Frieden in der Ukraine oder Frieden mit Russland, sondern darum, dass man selbst in Frieden gelassen wird“, sagte sie gegenüber dpa. Wagenknechts „Rezepte“ liefen „auf eine Instabilität der Region und damit auf eine Verlängerung des Krieges hinaus“. Der Thüringer SPD-Chef Georg Maier erklärte demnach, „keine ernstzunehmende Partei im Bund“ werde sich „dahingehend erpressen lassen, die Unterstützung für ein demokratisches Land einzustellen, das von Russland brutal überfallen wurde“.
Zur weiteren Wirkung des BSW-Vorstoßes schreibt die Junge Welt:
„Die Ampelparteien, die Union, deren Bundesparteispitze beim Thema Russland/Ukraine noch aggressiver agiert als die Regierung, und die Linkspartei haben alle ein Interesse daran, dass das Friedensthema nicht die Landtagswahlkämpfe beherrscht. Dieses Kalkül durchkreuzt Wagenknecht. Sie macht es damit auch der AfD unmöglich, das Friedensthema allein zu besetzen.“
Selbst die taz hat auch Lob für das taktische Vorgehen des BSW – auch wenn sie sich dabei eben der harten Wählerbeschimpfung bedient, die sie dann als kontraproduktiv bezeichnet:
„Zugleich schärft sie damit ihr Profil in der ‚Friedensfrage‘, denn das ist ihr Trumpf. Die AfD schlägt zwar vergleichbare Töne an, aber deren ‚Markenkern’ ist die Migration. Das BSW dagegen spricht all jene an, die den Kurs der anderen Parteien gegenüber Russland ablehnen oder skeptisch sehen – sei es aus ehrlicher Angst vor einer Eskalation, aus Sympathien für Diktator Putin oder Antiamerikanismus. Oder einfach aus Egoismus, weil einem der persönliche Wohlstand wichtiger ist als das Schicksal der Ukraine. Das kann man zynisch finden. Aber mit Wählerbeschimpfung wird man niemanden überzeugen können, der mit dem BSW sympathisiert. Und auch nicht, indem man die Ukrainepolitik der Bundesregierung als alternativlos darstellt. Mit ihrem kompromisslosen Anti-Kurs spricht Wagenknecht viele Wähler an. Sollte ihr am Ende die Rolle einer Königsmacherin zufallen, kann sie es sich ja noch mal anders überlegen und zum Beispiel eine Minderheitsregierung tolerieren. Hauptsache, sie bestimmt den Preis dafür.“
Latte für Koalitionen sehr hoch – angemessen hoch
Ich finde die aktuellen Koalitionsaussagen von Wagenknecht inhaltlich und strategisch sehr gut. Inhaltlich haben sich die NachDenkSeiten schon lange für den Weg der Diplomatie, des Waffenstillstands und der möglich gewesenen Kriegsverhinderung im Vorfeld des Ukrainekriegs starkgemacht: Diplomatie bleibt der einzig sinnvolle und moralisch vertretbare Weg. Die Verweigerung durch die Bundesregierung und die CDU ist skandalös und gefährlich.
Strategisch legt die BSW-Aussage die Latte für Koalitionen sehr hoch – angemessen hoch, finde ich. Mit den aktuellen Vorstößen werden auch Koalitionsaussagen des BSW von Mitte Juni wieder relativiert, die manchen BSW-Anhängern möglicherweise zu weitgehend und zu früh und mit zu wenigen konkreten Bedingungen verknüpft erschienen waren. Damals hatte laut Medien die BSW-Ko-Vorsitzende Amira Mohamed Ali gesagt, dass die Partei bereit sei, nach den Landtagswahlen im Herbst Koalitionen mit der CDU einzugehen. Man sei offen für Gespräche. Sie hatte ergänzt: „Selbstverständlich wissen wir, dass, wenn wir in die Landtage mit entsprechender Stärke einziehen, wir da auch eine Verantwortung haben.“ Allerdings sei ihre Partei kein Steigbügelhalter. Man werde keine Politik unterstützen, bei der es einfach so weitergehe wie bisher, so Ali. Dieser wichtige Zusatz am Ende, der bisher etwas untergegangen war, wurde nun aktualisiert und verstärkt. Das war nötig.
Viele Anhänger des BSW stellen sich vermutlich auch die grundsätzliche Frage: Sollte das BSW überhaupt jetzt schon in Regierungen eintreten? Oder sollte die Partei erstmal eine konsequente Opposition sein, um die vielen wichtigen Themen oppositionell zu bearbeiten, die dort bisher nicht oder nur von der AfD besetzt werden? Mit der jetzigen Aussage zu der Koalitionsbedingung „Diplomatie“ könnte zumindest theoretisch auch bei einem sehr guten Wahlergebnis des BSW ein solcher Verbleib der Partei in der Opposition noch nachvollziehbar erklärt werden. Dieses Kalkül vermutet auch die Hamburger Morgenpost:
„Nimmt man Wagenknechts Bedingungen ernst, blieben – mit Ausnahme von Sachsens CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer – kaum Koalitionspartner übrig. Und genau das ist möglicherweise auch die Absicht.“
Die Leipziger Volkszeitung behauptet dreist:
„Die Volte ist ein Beleg für Wagenknechts Ferne zum demokratischen Westen und ihre Nähe zu Russland, die jener der AfD kaum nachsteht. Typisch ist überdies die Dreistigkeit, mit der Wagenknecht agiert. Sie erhebt eine Forderung, die den Grundwerten potenzieller Partner widerläuft. Dabei instrumentalisiert sie hemmungslos Stimmungen in der Bevölkerung.“
Aufregung hatte die folgende Aussage von Thüringens CDU-Chef Mario Voigt ausgelöst, die manche Beobachter laut Medien wohl als ein Zugehen auf das BSW verstanden hatten:
„Deutschland war immer eine diplomatische Macht und das, was ich von einer Bundesregierung erwarte, ist, dass sie mehr diplomatische Initiativen startet, damit wir auch zu Lösungen kommen.“
Was hat der Krieg denn mit der Landtagswahl zu tun?
Über Krieg und Frieden wird nicht auf Landesebene entschieden: Das stimmt. Aber auch Landtagswahlen (ebenso wie EU-Wahlen) sind wichtige Möglichkeiten, die politische Stimmung vieler Bürger auszudrücken (auch gegenüber der Bundespolitik), wenn diese Stimmung in den Medien gar nicht oder nur verzerrt dargestellt wird – etwa die Tatsache, dass massenhaft Bürger den von Ampelregierung und CDU vertretenen Kriegskurs fundamental ablehnen, da er zulasten der hiesigen und der ukrainischen Bürger geht und eine unmoralische und sinnlose Verlängerung eines Kriegs darstellt, der im Vorfeld leicht von westlicher Seite hätte verhindert werden können. Für solche Zeichen sind auch Landtagswahlen gut geeignet. Und es ist legitim, sie dafür zu nutzen.
Außerdem strahlt die auf nationaler Ebene verantwortete Kriegspolitik allein durch die für Rüstung verwendeten Unsummen in alle Winkel jedes Bundeslandes. Die Folge der Aufrüstung sind soziale Kürzungen, die mindestens indirekt auch teilweise auf die Landesebene durchschlagen – dagegen „darf“ man sich auch in den Ländern stellen.
SPD: Koalition mit BSW im Bund wegen „prorussischer Haltung“ ausgeschlossen
CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann schließt Koalitionen seiner Partei mit dem BSW auf Landesebene nicht grundsätzlich aus, wie Medien berichten. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte dazu: In den Ländern werde über Koalitionen „immer vor Ort entschieden“. Eine Koalition mit dem BSW im Bund hat der Kanzler dagegen ausgeschlossen, wie Medien berichten:
„Auf Bundesebene halte ich eine solche Koalition angesichts der prorussischen Haltung des BSW nicht für möglich.“
In dieser Frage muss sich aber die SPD bewegen und nicht das BSW – dann gäbe es auch für die SPD vielleicht wieder etwas Hoffnung.
Leserbriefe zu diesem Beitrag finden Sie hier.
Titelbild: Shutterstock / Gorloff-KV