Die folgende Geschichte ist eine für die herrschende politische Klasse sicher ganz und gar unbedeutende. In meiner Heimatstadt, in meiner Region (und nicht nur hier) trägt sich Tag für Tag Schicksalhaftes zu. Beispiel: Wieder (!) dreht eine traditionsreiche Bäckerfamilie den Schlüssel an der Tür ihres Unternehmens für immer um und schließt. Dieses Drama steht für den jämmerlichen, skandalösen Zustand unseres Landes, in dem voller negativer Energie stur und zynisch dem Aufrüsten in allen Bereichen Vorfahrt gewährt wird, während die Zivilgesellschaft, das tägliche Leben bis hin zum Backen unser aller täglich Brotes mehr und mehr vor die Hunde gehen. Die Politik hat dagegen lediglich Phrasen parat und wählt lieber eine neue Brotbotschafterin, die schön PR-tauglich in die Kamera lächelt und Brezelteig rollt. Ein Zwischenruf von Frank Blenz.
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Vor Tagen noch gingen hier Kuchen, Semmeln, Brot über den Tresen
An der Tür einer der wenigen Bäcker-Filialen eines Familienbetriebs in meiner Heimatstadt Plauen im Vogtland hängt seit einiger Zeit ein Schild: „Werte Kunden, ab Montag, 15. Juli, sind unsere Geschäfte aus wirtschaftlichen Gründen geschlossen. Wir bedanken uns von ganzem Herzen bei unseren treuen Kunden!“ Für Momente halten Menschen und Gemeinschaft betroffen inne. Schon wieder macht eine Bäckerei dicht, bedauern sie. Nach kurzem Aufschrei, ehrlicher Anteilnahme, herzlichem Bedauern wird indes wieder zur Tagesordnung übergegangen. Das Leben geht weiter. Was bleibt uns auch sonst übrig, denke ich. Unsere Ohnmacht wird offenbar.
Ein Gegensteuern, ein Aufbegehren gegen den zunehmenden Verfall durch das Engagement der Verantwortlichen, der mächtigen Entscheidungsträger an den wichtigen Stellschrauben unseres Gemeinwesens, in der Politik, das beobachte ich nicht. Ich lese nirgends etwas Überzeugendes über Kostenreduktion seitens der Behörden, der Ministerien, nichts über faire Wettbewerbsbedingungen, über dringend nötigen Bürokratieabbau, über die wirkliche Förderung des Handwerks. Über Pleiten schon, das ist dann halt die Marktwirtschaft. Ach so. So wächst die Zahl der Bäckereien, die in meiner heimischen Region dichtmachen, weiter und weiter – und ebenso anderswo, wenn ich in Medien nachforsche und erfolgreich nach Schlagzeilen suche wie „Bäckerei gibt auf“. In vielen anderen Bereichen der Wirtschaft sieht es ähnlich aus …
Der Freude einer Verkäuferin folgte nun der Schock. Vor ein paar Tagen noch sprach ich mit ihr, eine gute Bekannte, am Tresen einer der vier kleinen, jetzt geschlossenen Filialen. Ich fragte sie einfach mal, wie es denn so läuft. „Schön. Gutes Klima, liebe Kunden, ich war gerade im Urlaub“, antwortete sie mit einem Lächeln.
Tage später hat sie – erneut – ihre Arbeit verloren. Über die Jahre hat die gestandene Frau sich immer und immer wieder beworben und neu angefangen. Immer und immer wieder erlebte sie das Ende ihres Arbeitsverhältnisses, mal kurz vor Ablauf der Probezeit, mal aus betriebsbedingten Gründen, mal, weil sie etwas mehr Geld erbat … prekäre Verhältnisse eben. Die nun erneut ehemalige Bäckereiverkäuferin berichtete mir dann in einem Telefonat, dass alle ihre Kollegen wie sie auch geschockt seien. Sie hätten von der Schließung während einer kurzfristig anberaumten Betriebsversammlung erfahren: Unrentabel sei der Betrieb gewesen, lautete die Begründung. Derweil lief ohnehin ein Insolvenzverfahren. Doch auch neue Ideen, das tapfere Gegenstemmen der Bäckerfamilie, der Fleiß der Mitarbeiter halfen nichts mehr, sagte die Verkäuferin, und: „Das ist alles schlimm, ein Lebenswerk ist kaputt.“
Die Kosten erdrücken engagiertes Handwerk
Man stelle sich vor: Die Bäcker hierzulande liefern wundervolle Produkte. Die Kundschaft, mich eingeschlossen, liebt diese Semmeln, den Kuchen, die Torten, die weiteren vielfältigen Backwaren, die wirklich große Klasse sind. Das Bauchgefühl trügt nicht, die Erfahrung beim Genuss beweist die Qualitätsbehauptung. Und nein, bei allen Preiserhöhungen der letzten Jahre haben die Bäcker und Konditoreien ihre Waren immer noch erschwinglich gehalten. Ich sehe keine Krise im Verhältnis Bäcker vs. Kunden, ich erlebe, dass gerade in den kleinen Läden die Ware beizeiten ausverkauft ist, dass eine Renaissance, zum Bäcker zu gehen, zu erleben ist. Warum aber gehen die Bäckereien dennoch nach und nach in die Knie?
Ich beobachte sehr wohl, dass in Supermärkten ebenfalls nicht wenig Backwaren gekauft werden, die sind einerseits billiger (nicht besser). Weil die Lebensmittel mehr kosten, doch die Einkommen nicht höher werden, greifen Kunden gezwungenermaßen zu. Dass damit den normalen Bäckereien wirklich die Kundschaft verloren geht, beobachte ich hingegen nicht.
Die Probleme entstanden und bestehen woanders. Die Ursachen für die Schwierigkeiten, für Pleiten und für Geschäftsaufgaben sind unter anderen die vergangene katastrophale Pandemie, ihre bis heute schwelenden und offenen schwerwiegenden Folgen und die gemachte, die provozierte Energiekrise. Preise werden hochgetrieben, Kasse gemacht. Gier regiert.
Dreifacher Preis für notwendige Energie, um Brot zu backen
Ein Freund, ein stadtbekannter Bäcker und Konditormeister, hat mir zu Beginn der „Energiekrise“ ein Schreiben mit Preistabellen gezeigt. Das offenbarte die Tarife für Energie, die Monat für Monat in diesem und im kommenden Jahr fällig sind. Erst stand da 351 Euro für einen Monat. Dann wurden 1.328 Euro daraus. „Dieser Betrag steht allein für das Geschäftshaus“, erläuterte mir mein Freund. Die zweite Kostennote für den Backofen zeigte zunächst 521 Euro pro Monat an. Ab Oktober 2024 sollten monatlich 1.615 Euro überwiesen werden. Backen wird somit enorm teuer für den Bäcker, von den Nebenkosten für sein Kaffeehaus ganz zu schweigen. Wie soll man das auffangen? Preise hoch? Ich erinnere mich an seine Worte: „Ich bin sauer, wie es so weit kommen kann, dass gewisse Leute derart zulangen. Klar, das wird ja zugelassen, solch hohe Preise für Energie“, so der Handwerker, der nicht gelten lassen will, dass der Ukraine-Krieg immer und immer wieder als „Ursache“ genannt wird und die Preise in vielen Bereichen erhöht werden.
Am Ende des Monats ist jede Rechnung (noch) bezahlt – und dann bald folglich nichts für den Bäcker übrig. Da gibt man früher oder später auf. Von der Politik sind viele Menschen an der Basis, so eben auch Bäcker, restlos bedient. Nicht nur, dass die Preise steigen, auch die Rahmenbedingungen werden nicht besser. Die Bürokratie wuchert, Statistiken werden wichtiger und wichtiger, Verordnungen immer umfangreicher. Kleine Betriebe müssen Dokumentationspflichten erfüllen wie große Unternehmen, der Feuerlöscher in der Gewerbeeinheit reicht nicht mehr, es muss ein ausgebildeter Feuerverantwortlicher nachgewiesen werden. Die Liste der Kostenposten selbst in kleinen Firmen ist ellenlang, alles Pflichten, Beiträge, Abgaben. Das sind alles Ausgaben.
Schwafeln und aussitzen
In der großen Politik schwafeln wichtige, hochdotierte Politiker, Minister und Beamte gern von „man muss das große Ganze sehen“. Kalt und selbst nicht betroffen werden Statistiken wie die von Pleiten, Insolvenzen, vom Scheitern unternehmerischer Aktivitäten „eingeordnet“ und lapidar festgestellt, dass es da halt gerade eine Delle gibt, doch schwächt sich diese ab. Bald werde sich die Stimmung in der Wirtschaft wieder aufhellen, formuliert man geheuchelten Optimismus. Die Stimmung in den elitären Kreisen der politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen Klasse ist dabei ja sowieso in diesen Wochen und Monaten überaus gut, das Händereiben muss inzwischen wehtun, was Wunder, die Börsenkurse der produzierenden Kriegswirtschaft kennen nur eine Richtung: nach oben.
In der Zivilwirtschaft krempeln viele immer noch (wie lange noch?) tapfer die Ärmel hoch, wollen investieren. In Bäckereien wird über neue Backstubenkonzepte, effektivere Öfen, Öffnungszeiten, attraktive Bedingungen für Mitarbeiter nachgedacht, es werden Ideen umgesetzt. Sie machen. Die Politik unterstützt allein, indem von mehr Wertschätzung, die es braucht, geredet wird und der Mittelstand mitgenommen werden müsse. Mitgenommen, wohin?
Neue Botschafterin für Brot und der Widerspruch zwischen Reden und Tun
Deutschland hat für alles Mögliche einen Verantwortlichen, dachte ich, als ich vom Brotbotschafter las. Besser sind die Verhältnisse indes bisher nicht geworden. Diese Funktion, eine vom Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks geschaffene Position, hat seit dem Frühjahr Dorothee Bär, Vizefraktionschefin der CDU/CSU im Bundestag, inne. Die neue Brotbotschafterin ist vom Backen richtig begeistert:
„Es ist mir eine große Ehre und Freude, Botschafterin des Deutschen Brotes sein zu dürfen. Ich liebe Brot, und bei uns in der Familie wird sehr viel Brot gegessen. Zudem ist Brot wie kaum ein anderes Lebensmittel ein wichtiges Kulturgut in Deutschland“, betont Dorothee Bär. Für ihre Amtszeit nimmt sich die Bundestagsabgeordnete vor, möglichst viele Betriebe zu besuchen, um die einzigartige Vielfalt des Bäckerhandwerks noch besser kennen zu lernen und zu unterstützen. „Die Handwerksbäckerei ist gerade im ländlichen Raum ein wichtiger Treffpunkt für Jung und Alt. Die soziale Funktion der Handwerksbäcker kann man gar nicht hoch genug bewerten. Diese Struktur der Nahversorgung sollte unbedingt gestärkt und erhalten werden.“
(Quelle: Bäckerhandwerk)
Gern würden sicher die vielen Bäcker den hehren Worten der Brotliebhaberin folgen, allein reichen die große Freude, der Patriotismus der bayerischen Politikerin für das deutsche Brot und ihr großer Verbrauch eher nicht, um deren Rechnungen zu bezahlen. Und: Sie sollte sich in ihrer Amtszeit beeilen mit ihrem Vorhaben, viele Betriebe zu besuchen, so lange sie noch produzieren.
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