EU-weit ziemlich einmalig wird seit Jahren die Tageszeitung junge Welt vom deutschen Inlandsgeheimdienst überwacht und im jährlichen Verfassungsschutzbericht erwähnt. Dies hat massive Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage sowie redaktionelle Arbeit der Zeitung und in Folge auf den Meinungsbildungsprozess in Deutschland. Eine entsprechende Klage gegen dieses Vorgehen hatte das Berliner Verwaltungsgericht am 18. Juli abgelehnt mit direktem Bezug auf die „Erkenntnisse“ des Amtes für Verfassungsschutz (BfV). Bundesregierung und BfV erklären seit Jahren offen, dass mit diesen Maßnahmen der Zeitung „der Nährboden“ entzogen werden solle, da diese sich marxistische Kriterien für ihre Analyse zu eigen mache und das Wirtschaftssystem der Bundesrepublik Deutschland als kapitalistisch bezeichne. Die NachDenkSeiten fragten vor diesem Hintergrund nach dem Verständnis der Bundesregierung von Pressefreiheit. Von Florian Warweg.
Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 22. Juli 2024:
Frage Warweg
Die Tageszeitung „junge Welt“ wird in der EU – das ist ziemlich einmalig – seit Jahren vom Inlandsgeheimdienst überwacht und durch die Nennung im Verfassungsschutzbericht relativ massiv in ihren redaktionellen Möglichkeiten beschnitten. Dagegen hat sie geklagt. Die Klage wurde am 18. Juli unter anderem mit Verweis auf entsprechende Erkenntnisse des Verfassungsschutzes abgewiesen. Der Verfassungsschutz, der dem BMI untersteht, hatte unter anderem darauf verwiesen, dass es eine Fotomontage von Wladimir Iljitsch Lenin gibt, wie er die „junge Welt“ liest. Wladimir Iljitsch habe ja die freiheitlich-demokratische Grundordnung bekämpft. Lenin starb 1924. Welche demokratische Grundordnung hatte Lenin in der Zarenzeit denn bekämpft?
Funke (BMI)
Ich bin kein Sprecher für historische Vorgänge. Im Übrigen kommentieren wir von hier aus auch keine Entscheidungen unabhängiger Gerichte, sondern diese sind gerade dazu da, behördliches Handeln zu kontrollieren, was in diesem Fall geschehen ist. Dem habe ich nichts hinzuzufügen.
Zusatzfrage Warweg
Es ist mir klar, dass hier keine Entscheidungen der Judikative kommentiert werden. Aber der Verweis war explizit auf Erkenntnisse und Argumentationen des Verfassungsschutzes. Dieser hatte auf die Fotomontage verwiesen.
Aber dann machen wir es ganz konkret am Verfassungsschutz der Bundesregierung fest. Dieser hat mit Verweis darauf, dass sich die „junge Welt“ marxistische Kriterien für ihre Analyse zu eigen mache und das Wirtschaftssystem der Bundesrepublik Deutschland als kapitalistisch bezeichne, sehr offen gesagt, der „jungen Welt“ solle der Nährboden entzogen werden.
Auch eingedenk der Tatsache, dass sich jede US Ivy League (US-Eliteuniversitäten) ob der analytischen Breite einen neomarxistischen Lehrstuhl leistet, würde mich interessieren, wieso es nicht unter Presse- und Meinungsfreiheit in der Bundesrepublik fällt, wenn man Rückgriffe auf marxistische Analyse macht und das Wirtschaftssystem dieser Republik als kapitalistisch bezeichnet.
Funke (BMI)
Wie gesagt, wird das Bundesamt für Verfassungsschutz aufgrund seiner gesetzlichen Grundlage tätig. Seine Entscheidungen sind überprüfbar. Das, was zu der von Ihnen angesprochenen Tageszeitung verfügbar ist, ist auch im Bundesverfassungsschutzbericht nachlesbar. Dem habe ich von hier aus nichts hinzuzufügen.
Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 22.07.2024