Nullrunden für Rentner, weil die Rentenkassen klamm sind, aber Franz Müntefering will auf bis zu 61 Milliarden Euro Rentenversicherungsbeiträge von scheinselbständigen „GmbH-Chefs“ verzichten.
Das Bundessozialgericht (BSG) hat in einem erst jetzt veröffentlichten Urteil entschieden, dass ein Allein-Geschäftsführer einer Ein-Mann-GmbH als „arbeitnehmerähnlicher Selbständiger“ anzusehen ist und damit der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht unterliegt. Schätzungsweise eine halbe Million Geschäftsführer, die ausschließlich für ihre eigene GmbH arbeiten könnten nach diesem Urteil versicherungspflichtig werden. Nachzahlungen bis zu über 60.000 Euro pro Kopf und einem Gesamtvolumen von 61 Milliarden Euro für die Rentenkasse könnten fällig werden. Doch statt – wie vor allem von Sozialdemokraten gefordert – die Rentenkasse durch eine Ausdehnung des Personenkreises der Beitragszahler zu entlasten, will Sozialminister Franz Müntefering auf diese Milliardeneinnahmen durch eine „gesetzliche Klarstellung“ verzichten. Zur „Sanierung“ der Rentenkasse verlangt man lieber Opfer von den Rentnern, etwa durch Nullrunden bis 2009 oder Rentenkürzungen ab 2012 durch die Einführung des „Nachhaltigkeitsfaktors“, sogar eine Kürzung der Bundeszuschüsse für die Rentenkasse ist geplant.
Das Bundessozialgericht (BSG) stützt sein Urteil vom 24.11. 2005 [PDF – 24 KB], das erst im März 2006 veröffentlicht wurde, auf § 2 Satz 1 Nr. 9 Sozialgesetzbuch VI. Diese Vorschrift wurde zum 01.01.1999 eingeführt. Sie besagt, dass der „Selbständige“, der selbst keine Arbeitnehmer beschäftigt und der im Wesentlichen selbst nur für einen Auftraggeber arbeitet, der gesetzlichen Rentenversicherung unterliegt. Betroffen von dieser Regelung sind also alle diejenigen „GmbH-Chefs“, die bisher aufgrund ihrer Beteiligung an der GmbH (also so genannte Gesellschafter-Geschäftsführer), nicht als Arbeitnehmer sondern als Selbständiger eingestuft wurden. Hat dieser „selbständige“ Gesellschafter-Geschäftsführer selbst keine Angestellten und arbeitet er selbst nur für seine GmbH, so soll er nach der Entscheidung des BSG der gesetzlichen Rentenversicherung unterliegen.
Da die Beiträge auch rückwirkend für die letzten vier Jahre hätten verlangt werden können, fürchteten viele Selbstständige fünfstellige Nachforderungen der Rentenkassen. Das löste einen Proteststurm der Wirtschaftsverbände und natürlich auch der FDP aus, vor dem die Bundesregierung jetzt offenbar eingeknickt ist.
Den weit über 20 Millionen Beziehern von Rentenleistungen scheint die Bundesregierung jedenfalls eher „Opfer“ zumuten zu können, als die Heranziehung einer halben Million scheinselbständiger Geschäftsführer ihrer eigenen GmbH zur gesetzlichen Rente.
Deshalb wird wohl dieses Thema auch nicht breit öffentlich diskutiert, sondern kommt nur in kleinen Meldungen etwa der FR vom 5.4.06 oder in der FTD vor.
Man mag daraus seine Schlüsse ziehen, wie ernsthaft die Forderung der SPD nach einer Erweiterung des Personenkreises und der Heranziehung von Kapitaleinkommen nach dem Modell der Bürgerversicherung im Gesundheitswesen bei der anstehenden Kompromisssuche für die demnächst anstehende neuerliche „Reform“ der Gesundheitsreform vertreten werden dürfte.
Gegen die rückwirkende Zahlungspflicht könnte man einwenden, damit würden viele Existenzen ruiniert. Das abzuwägen ist berechtigt. Aber eine solche Abwägung erklärt nicht, warum für die Zukunft die Meinung des Bundessozialgerichts nicht ernst genommen werden sollte.