Entzauberung von einem ohne Zauber – Torsten Teichert über den einstigen Weggefährten Olaf Scholz

Entzauberung von einem ohne Zauber – Torsten Teichert über den einstigen Weggefährten Olaf Scholz

Entzauberung von einem ohne Zauber – Torsten Teichert über den einstigen Weggefährten Olaf Scholz

Ein Artikel von Diether Dehm

Von Hermann Hesse stammt: „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“. Für diese For-ever-young-Faszination giert der greisenhafte Imperialismus ständig nach „Neuanfängen“ – wie der Teufel nach der armen Seele. Dazu inszeniert er sich unter Zauber-Flöckchen als Bäumchen-wechsel-dich. Mit Themen, Parteinamen Parlamenten und Gesichtern. Wozu er sich in den Siebzigern beim 68er Reservoir von Jungen Liberalen und Jungsozialisten bediente. Später bei grünen Terroristen (wie Joschka Fischer). Für seine Tapetenwechsel würde der Imperialismus auch schnell und ohne Skrupel auf AfD- und BSW-Kader zurückgreifen, soweit dort nur genug Charakterlosigkeit und Koalitionsbereitschaft für die bewährten Kriegs- und Renditetreiber in CDU, SPD und FDP eingeschliffen werden können. Wozu das System ja seinen „nachrichtendienstlich-medialen Komplex“ unterhält (auch gelegentlich „tiefer Staat“ genannt). Eine Buchbesprechung von Diether Dehm.

Insofern schreibt der Autor über den Kanzler als eigentlich einem „Ausnahmetalent“. Einem, der keinen Neuanfang je kündete und dem darum auch nie Zauber innewohnte. Als Hamburger Genosse beobachtete Teichert, nämlich von der Spitze der Handelskammer, als Chef der Filmförderung und als Leiter des Bürgermeisterbüros von Dohnanyi, die gemeine SPD-Diagonalkarriere des Olaf Scholz „von links unten nach rechts oben“. Vom Juso-Hochkrabbler zum Steuerverkürz-Manager, vom „Hardcore-Leninisten“ (mit schweren Marx-Wissenslücken) bis zum Regierungschef (mit Cum-Ex-Erinnerungslöchern) – bis tief in den Abtritt der SPD.

Von Tony Blair über Gerhard Schröder spannt Teichert den parteigeschichtlichen Bogen bei der strategischen Entsorgung der Arbeiterbewegung als radikaldemokratischer Hauptstütze innerhalb moderner Klassengesellschaften (sogar bis hin zur nahezu gesamten europäischen Linken heute). Statt marktradikaler Essays lieferte Scholz zum sozialdemokratischen Niedergang eher Schweigen und Grinsen. Deren Funktion Teichert jetzt mit köstlichem Spott verarbeitet.

Handfest geht das Buch im Kapitel „Hamburg, seine Perle. Pannen und Skandale in der selbstzufriedenen Stadt“ zur Sache. Die exquisite Fingerfood-Gastronomie der Hansemetropole dürfte, wenn man Teichert folgt, eine der Brutstätten für jene elitäre Wokeness gewesen sein, die Sahra Wagenknecht später in ihrem Buch „Die Selbstgerechten“ kulinarisch karikiert hat.

In Hamburg konvertierte Scholz vom Friedensaktivisten des „Krefelder Appells“ zum Macher des 100-Milliarden-Sondervermögens der Bundeswehr, vom NATO-Gegner zum Anführer der aktuellen Weltkriegs-Koalition von Ampel bis Merz. Gescheiterte Sozialwohnprojekte, eingefrorene Grundschulzeiten, aufblühende anachronistische Gymnasien sowie Bauruinen pflastern seinen Weg nach oben. Und natürlich auch, von Teichert haarklein nachgezeichnet: der als „Kurzer Olaf“ im Volksmund verulkte Elbtower. Ausgerechnet der österreichische Milliardenbetrüger Rene Benko „sollte nun dieses dauerhafte Denkmal für Olaf Scholz an den Hamburger Elbbrücken bauen. Was nur treibt Scholz zu solchen Typen?“ (Teichert).

Der Autor ist Unternehmer, betreibt den hochinformativen Podcast „Follow the Money“. So geht er immer auch den ökonomischen Tatbeständen auf den Grund. Die von Olaf Scholz 2017 als Erstem Bürgermeister eingeweihte „Elbphilharmonie“ war 2003 noch mit 77 Millionen Euro taxiert, stieg schließlich auf 866 und dann vermutlich auf eine Milliarde. Die Baustelle hatte Scholz 2011 nur teilweise geerbt. Teichert: „Er bezahlte einfach alles – Schuldenbremse hin oder her – was Hochtief gefordert hatte. Die Bazooka hatte er immer schon im Gepäck.“

Von Teichert erfahren wir ebenfalls Hintergründe, wie es in Hamburg 2017 zu vermeidbaren Krawallen, blutigen Köpfen und Bränden während des G-20-Gipfels und der Proteste dagegen kommen konnte. Aber auch der Cum-Ex-Skandal kam nicht irgendwie über einen ahnungslosen Scholz, wie es Teichert detailfreudig aufweist. SPD-Finanzminister Steinbrück wollte dieses Geschäftsmodell den Banditenbanken nicht verbieten und Scholz hätte es mit einer einfachen Weisung unterbinden können: „Christian Olearius (Chef der Warburg-Bank) wollte nicht klein beigeben. Als das Hamburger Finanzamt in den Jahren 2016 und 2017 darüber grübelte, ob man von der Warburg-Bank für die zurückliegende Veranlagung der Jahre 2009 und 2010 insgesamt 90 Millionen € zurückfordern sollte, suchte er das Gespräch mit Bürgermeister Olaf Scholz … Scholz stritt lange alle Kontakte ab, bis dann bei einer Hausdurchsuchung das konfiszierte Tagebuch des Warburgchefs, die Wahrheit scheibchenweise zu Tage förderte.“

„Scholz blieb still, als die SPD sich daran machte, ihre eigene Geschichte in Bezug auf Russland aufzuarbeiten. Er bleibt still, wenn sein Vorgänger Gerd Schröder aufgefordert wird, die Partei zu verlassen. Er lässt es geschehen, dass Deutschland in einen kalten Wirtschaftskrieg mit China schlittert – ohne dass China ein Nachbarland überfallen hätte. Er stimmt zu, wenn Deutschland seine Entwicklungshilfe reduziert. Wichtig ist ihm, dass seine demokratischen Freunde in den USA ihm die Richtung ausleuchten. Günstig für ihn ist, dass sich das deutsche Polit-Establishment in seinen Rufen nach mehr Waffen und gegen Russland tagein, tagaus überbietet. Wer den Mainstream nicht gestalten will, der muss ihm wenigstens folgen. Längst hat Olaf Scholz erkannt, dass zwar die Berliner Politik und die zentralen Medien der Republik einer Meinung sind, diese aber bei weitem nicht von allen Deutschen geteilt wird. Scholz lässt sich gerne Zeit, bevor er Entscheidungen trifft. Darin ähnelt er Angela Merkel.“

Es wurde lange Zeit darüber gestritten, ob die „Stamokap“-Gruppe, zu der sich Olaf Scholz früher ebenso bekannte wie der spätere SPD-Generalsekretär Klaus Uwe Benneter, der SPD-Wirtschaftspolitiker Matthias Machnik, die großartigen verstorbenen Kurt Neumann, Detlev Albers und Herbert Schui und mit der auch die Juso-Mehrheit um Gerhard Schröder lange verbandelt war, nun auf einer kommunistischen oder sozialdemokratischen Theorie gründet. Denn der Begriff des „Staatsmonopolistischen Kapitalismus“ (auch: „Stamokap“, „SMK“) ging zurück sowohl auf das Werk des „Weimarer“ SPD-Wirtschaftsministers Rudolf Hilferding „Das Finanzkapital“ als auch auf Lenins Schrift „Der Imperialismus – Höchststadium des Kapitalismus“. Nach beiden Analysen verbinden sich Industriekonzerne mit entsprechenden Banken zu Monopolkapital und erwirken aus dieser strukturell politischen Hegemonie massive Übergriffe auf Ressourcen der öffentlichen Hand (=„staatsmonopolistisch“). Was kapitalschwächere Unternehmensformationen so nicht vermögen.

Auch, weil diese Theorie ausleuchten hilft, wie höchste Renditen mit Aufrüstung und Kapitalexporten erzielt werden, macht sie heute sogar strategisch nachvollziehbar, wie imperialistischste Monopole (wie „Rheinmetall“ und „Lockheed“) in logischer Beziehung zu faschistischen, terroristisch-antiproletarischen Kriegsregimes nationalistisch und transnational agieren. Aber eben auch, wie diese von weniger imperialistischen (!) Monopolen gründlich zu unterscheiden sind. Somit können zivilere Konzerne und deren Politiken punktuell – wie im 2. Weltkrieg – zu Alliierten der Arbeiterbewegung gegen Faschismus werden. „Stamokap“ liefert darum den modernsten marxistischen Theorie-Ansatz – verwendbar in und für Arbeitsplätze, Hörsäle und selbst Stammtische – womit „Monopole“ sogar ins „Godesberger Programm“ und „Berliner SPD-Programm“ Eingang fanden; (populär genug, um damit auch den Hit „Monopoli“ zu schreiben).

Aus dieser Sicht (aus der ich mit Scholz und vielen anderen einst linken Sozialdemokraten jährlich an meinem osthessischen Bauernhof versucht hatte, Marxismus zu studieren) ist die einzige Schwäche dieser so lesenswerten „Flugschrift“, dass Teichert dort zu oft seine Scholz-Distanz als Distanz zur Theorie des „Staatsmonopolistischen Kapitalismus“ bekundet. Damit er sich mit seinem Hamburger BSW-Team der popularisierbaren SMK-Theorie neu bedienen möge, rufe ich ihm mit John Lennon zu: „I hope someday you’ll join us/ And the world will be as one“.

Gestritten wird im Buch auch darüber, ob der „Stamokap-Hardliner“ Olaf Scholz die ganze Theorie nur teilweise oder überhaupt nicht verstanden hatte, bevor er sie in Gänze fortwarf. Mit Teichert gelingt der Blick hinter des Kanzlers schelmisches Grinsen. Als sei Scholz seit jeher heimlicher Besitzer eines genialen Lebensplans – Drachen steigen gegen den Wind – die besonders aufrührerische Theorie nur solange hochzuhalten, bis er sie dann zeitgeistgerecht im Antriebskessel seiner Karriere verfeuern konnte. Abseits von jeglichem Zauber eines Neuanfangs. Was Teichert als besonderen Zynismus bei Scholz ausmacht, ist in Wahrheit nur jene in Parteistrukturen eingenistete Prinzipienlosigkeit, Aufstieg und Niedertracht eines gemeinen Konvertiten.

Die Entzauberung eines Kanzlers; Über das Scheitern der Berliner Politik, VSA Hamburg 2024, 108 Seiten, 12.- €;

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