So wirkt Sinns menschenverachtender Ökonomismus auf einen Bürger der ehemaligen DDR
Am 02.04.06 haben wir uns auf den NachDenkSeiten mit einem Streitgespräch des Leipziger Pfarrers Christian Führer mit dem Münchner Ifo-Chef Hans-Werner Sinn auseinandergesetzt. Ein Leser aus dem Osten Deutschlands hat uns dazu einen Brief geschrieben, der uns sehr nachdenklich macht. Er belegt, wie Sinn mit seinem ökonomistischen „Alternativ-Radikalismus“ zum früheren „real existierenden Sozialismus“ den Bürgern in der ehemaligen DDR, die die erste friedliche Revolution auf deutschem Boden getragen haben, ihre Hoffnungen nimmt. Wir halten die Enttäuschung, die aus diesem biografischen Brief spricht, deshalb für dramatisch, nicht weil wir den Wichtigtuer Sinn für so wichtig halten, sondern weil daraus deutlich wird, wie sehr die Gesinnungsgenossen von Sinn mit ihrem neoliberalen Weltbild, die innere Einheit Deutschlands sabotieren.
„Ich habe selten einen solchen ideologisch verblendeten, arroganten Unfug gelesen. Den Pfarrer Führer wird Herr Sinn nie begreifen, geschweige denn den Osten dieses Landes.
Die Meinung, früher im Osten zufriedener gelebt haben zu können, darf man sowieso nicht laut äußern. Da man diese, ohne sie tiefer auszuleuchten, nur den SED-Apparatschiks als Erkennungsmerkmal zubilligt, und sie so zur Stigmatisierung kritischer Meinungen benutzt.
Aber mit der Meinung, dass da noch etwas fertig zu stellen ist, ist Herr Führer hier im Osten nicht allein.
Den Ärmsten der Armen hier geht es immer noch viel besser, als es dem Durchschnittsbürger im Kommunismus ging, auch wenn heute die Ungleichheit viel größer ist.
Ich glaube eher oder besser noch – ich weiß es -, dass jeder die Möglichkeit hatte, ein auskömmliches Leben zu führen. Auch würde ich das Gesellschaftsmodell, was wir erleben mussten, nicht als „Kommunismus“ bezeichnen. Honecker und Co. bezeichneten das Modell merkwürdigerweise als “real existierenden” Sozialismus. Ich glaube, Führer zielt auf diesen Sachverhalt ab: “Wir haben uns nicht für eine Wirtschaftsform entschieden. Wir gingen gegen ein politisch ungerechtes und menschenunwürdiges System auf die Straße.”
Die Leute sind 1989 auch auf die Straßen gegangen, nicht weil die Sparkonten leer waren – sondern eher, weil es für das Geld nichts zu kaufen gab. Die Probleme der Rentner waren mehr gesundheitlicher Art. Meine Urgroßmutter musste nicht bis 67 arbeiten, sie durfte aus freien Stücken – weil sie gern arbeitete – dies bis achtzig tun. Dann ist sie an einer Lungenentzündung verstorben, nicht weil sie sich die Behandlung nicht leisten konnte. Dass es dem Durchschnittsbürger schlechter ging, lasse ich nur für das Angebot in den Läden gelten. Wir hatten schon “kostenlose” Kinderkrippen und -gärten, Reihenuntersuchungen, Krebsregister…..
Wir waren drei Kinder zu Hause, meine Mutter hat halbe Tage gearbeitet, mein Vater nicht sonderlich verdient.
Damit war es aber möglich, drei Kindern eine Schulausbildung mit Abitur zu gewähren, zwei haben einen Hochschulabschluss erworben.
Die Schwester hat eine andere berufliche Entwicklung eingeschlagen, die Ihr im Gegensatz zu ihren Brüdern in diesem Staat in einem Amt eine durchaus als gesichert geltende Existenz beschert hat. Wir Brüder haben uns dummerweise einen Bauberuf (Beruf mit Zukunft….) ausgesucht. Von dem relativ wenigen Geld haben meine Eltern noch das Haus unterhalten, die zwei vermieteten Wohnungen haben nie die Miete eingebracht, um die Unterhaltung zu sichern. Das war sicherlich nicht in Ordnung und für einen Vermieter ungerecht. Aber es stand nie zur Debatte, zu Ostzeiten bei allen Schwierigkeiten, das Haus zu verlieren. Die Chance hat dafür jetzt mein Bruder, nämlich durch Arbeitslosigkeit das Lebenswerk meiner Eltern zu verlieren.
Meine Frau konnte genauso wie ich studieren, einen guten Beruf ergreifen und diesen lange Jahre ausüben.
Jedoch jetzt haben wir infolge wiederholter und bereits langjähriger Arbeitslosigkeit nur noch das Einkommen meiner Frau zur Verfügung, unterhalb der Kriterien von Harztz IV für eine vierköpfige Familie. Leben und die Ausbildung unserer Kinder finanzieren wir heute vom Gesparten. Wir messen einer guten Ausbildung, dem Drängen nach Wissen, nach wie vor einen höheren Rang als materiellen Dingen zu. Hierbei geht es nicht vordergründig um “Karriere”.
Herr Sinn sollte mal denjenigen in der DDR zeigen, einschließlich dem Mindestrentner, der wesentliche Dinge zum Leben von seinem Ersparten finanzieren musste!!
Je niedriger der Lohn, desto mehr Arbeit ist da.
Wenn der Mensch billiger ist als der Automat, dann wird er nicht ersetzt.
Herr Sinn schlägt, ohne im Detail darauf eingehen zu wollen, zur Behebung der Probleme merkwürdigerweise schlicht und einfach die alten “DDR-Werkzeuge” vor. Das vermeintliche Ergebnis beschreibt er ja allerdings dann in schillernden abschreckenden Farben….. (Als Ökonom hat er offenbar die DDR nie begriffen, insbesondere nicht die ökonomischen Ursachen des Untergangs dieses Landes.) Das lässt mich sehr an seiner Kompetenz zweifeln. Sein Credo fördert Zurückbleiben in der Entwicklung!!
Ist doch absurd, oder?“