„Karrierecamp der Bundeswehr: Schnupperwoche für Schüler“ – so lautet die Überschrift eines aktuellen Beitrags aus dem Morgenmagazin (Moma) im „Ersten“. Nach der Sichtung Beitrags stellt sich die Frage: Wäre es vielleicht angebracht, dass der ARD-Senderverbund gleich in die Pressestelle der Bundeswehr einzieht? Was hier mit den Gebührengeldern an „Journalismus“ abgeliefert wurde, ist unerträglich. Was als Journalismus getarnt ist, erscheint bei Lichte betrachtet wie ein Rekrutierungswerbevideo. Eine Kurzanalyse von Marcus Klöckner.
„Zwo, drei, vier“ tönt die Stimme eines Bundeswehrsoldaten, während die Kamera eine Gruppe junger Menschen zeigt, die in Bundeswehruniform und mit von Tarnfarbe bedeckten Gesichtern durch den Wald laufen. „Es ist der Klang der Bundeswehr – genau für diese prägnanten Ansagen sind Sie hierhergekommen“, heißt es kommentierend in dem Bericht der Redakteurin Wiebke Schindler.
Schon in den ersten Sekunden wird deutlich: Was jetzt folgt, ist kein neutraler Bericht – von einem Beitrag, der die Bundeswehr und das Soldatentum kritisch beleuchtet, ganz zu schweigen. 60 Schülerinnen und Schüler, so ist zu hören, wollten innerhalb einer Woche erleben, „was es heißt, Soldat oder Soldatin zu sein“. Zu Wort kommt die 17-jährige Greta. Greta sagt, dass sich die Tage „superlang anfühlen“, und zwar „nicht, weil es keinen Spaß macht“, „sondern (…), weil eigentlich immer durchgehend Action ist“. Zu erwarten wäre an dieser Stelle, dass ein öffentlich-rechtlicher Sender, der seinem Auftrag zur kritischen Berichterstattung nachkommen will, spätestens an dieser Stelle einhakt.
Was, zum Beispiel, kann denn das Soldatensein in der Realität an der Front bedeuten? Was heißt denn hier gegebenenfalls „Action“? Wie sieht ein Kamerad aus, dem gerade der halbe Kopf weggeschossen wurde oder dem seine Beine weggesprengt wurden? Mit welch einer seelischen Belastung können es Soldaten zu tun haben? Könnte der ÖRR vielleicht jemanden aus der Friedensbewegung zu Wort kommen lassen, der den „Dienst an der Waffe“ kritisch beleuchtet? Zu Wort kommt stattdessen Oberst Axel Hermeling, Schulkommandeur Unteroffiziersschule des Heeres. „Viele junge Menschen haben überhaupt keinen Bezug mehr zur Bundeswehr. (…) Das ist ein Weg, wie man die jungen Menschen an uns, an die Bundeswehr heranführen kann.“
Der Informationswert dieser Aussage liegt bei null. Diese Worte waren schon beim Lesen der Überschrift zu erwarten. Der Beitrag, das sollte man erwähnen, ist mit 2:13 Minuten kurz. Hier muss eine Journalistin selbstverständlich überlegen: Wer kommt zu Wort? Wie wäre es mit Pia Fuhrhop von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, einer aus Bundesmitteln finanzierten Denkfabrik? Auftritt Fuhrhop: Die Bundeswehr soll „aufwachsen“. „Diesen Aufwuchs hinzubekommen, das ist der Bundeswehr bislang nicht gelungen.“
Wird hier einer kritischen Stimme Raum gegeben? Nein, wieder hat die Redaktion diese Möglichkeit vertan. Zum Abschluss des Beitrags kommt wieder Greta zu Wort. Der Ukraine-Krieg mache ihr schon Angst, doch sie wolle sich „nicht abschrecken lassen“, heißt es kommentierend. Und: „Das Camp hier hat sie in ihrem Berufswunsch bestärkt. Nach dem Abitur will sie Soldatin werden.“
Der Zuschauer fragt sich: Warum kommt hier gerade ein Mädchen zu Wort, dessen Fazit zum Berufsbild Soldat positiv ausfällt? Zufall? Und: Warum spricht von den 60 Teilnehmern niemand vor der Kamera, der es vielleicht anders sieht?
Vielleicht entscheiden sich aber so ja dann Sandra, Nicole, Michael und Stefan, die den Beitrag zu Hause vor dem Fernseher sehen, dazu, es Greta gleich zu tun? Wäre das nicht toll?
Politik und Bundeswehr wollen also „Aufwuchs“. Und der staatsferne, kritische ÖRR? Er liefert einen Beitrag ab, der im Gleichschritt mitmarschiert, und zeigt, wie der Nachwuchs „schnuppert“. Die Pressestelle der Bundeswehr dürfte Applaus spenden.
Titelbild: Screenshot Moma