Mit einem Privatjet mal eben zum Spiel der deutschen Nationalmannschaft nach Frankfurt fliegen, sich mit Gleichgesinnten auf der VIP-Tribüne amüsieren, ein paar Selfies machen und dann trotz Nachtflugverbot mit Ausnahmeregelung wieder mit dem Privatjet ab ins Luxushotel ins nicht einmal 200 Kilometer entfernte Luxemburg. So ungefähr stellt man sich den Lifestyle von Milliardären vor – exklusiv, elitär und abgehoben. Im konkreten Fall war es jedoch kein IT-Tycoon oder Investmentbanker, sondern unsere Außenministerin Annalena Baerbock – Politikerin der Grünen, die Privatjets und Kurzstreckenflüge am liebsten verbieten würden und dem gemeinen Volk so manche Last aufbürden, um die CO2-Emissionen zu senken. Der Begriff „Doppelmoral“ wäre wohl noch zu sanft, um diesen Widerspruch zu beschreiben. Doch es war nicht nur Annalena Baerbock. Auch andere Kabinettsmitglieder und Spitzenpolitiker bewiesen mit ihrem Privatausflug zum Fußballspiel, wie abgehoben sie sind. Ein Kommentar von Jens Berger.
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Bescheiden und volksnah – so wünscht man sich einen Politiker. Dass dieser Wunsch naiv ist, steht außer Frage. Das zeigt einmal mehr die zurzeit stattfindende Fußball-EM in Deutschland. So mancher Normalsterbliche hätte sich sicherlich gerne eines der Spiele der deutschen Mannschaft angeschaut. Doch Tickets sind nicht nur sehr knapp, sondern auch sehr teuer. An- und Abreise stellen für die allermeisten ebenfalls eine Hürde dar und wer berufstätig ist, dürfte ohnehin Probleme haben, Freizeitspaß und Termine unter einen Hut zu bringen. Für Mitglieder der Bundesregierung gilt dies offensichtlich nicht. VIP-Karten sind kein Problem und wofür hat man denn die Flugbereitschaft der Bundeswehr, die einen schnell und kostenlos auch zu privaten Spaßterminen wie einem Fußballspiel fliegt? Und wenn das Spiel mal etwas länger dauert? Kein Problem! Für die Fußballtouristen der Ampel wird selbstverständlich auch das Nachtflugverbot ausgesetzt.
So geschehen am 23. Juni beim Vorrundenspiel Deutschland gegen die Schweiz in Frankfurt. Neben Annalena Baerbock sind auf der Ehrentribüne, eingerahmt von Funktionären, noch Bundeskanzler Olaf Scholz, Innenministerin Nancy Faeser, Gesundheitsminister Karl Lauterbach, Bildungsministerin Stark-Watzinger, Grünen-Chef Omid Nouripour, FDP-Fraktionsvorsitzender Christian Dürr, Bundestagspräsidentin Bärbel Bas und auch Kulturstaatsministerin Claudia Roth zu sehen.
© Imago / MIS
Medienberichten zu Folge sind die Politiker mit der Flugbereitschaft aus Berlin nach Frankfurt gekommen und nach dem Spiel – trotz Nachtflugverbot – um 23.39 Uhr wieder nach Berlin zurückgeflogen. Annalena Baerbock nahm eine zweite Maschine der Flugbereitschaft, die sie ins lediglich 184 Kilometer entfernte Luxemburg brachte, wo sie am nächsten Tag einen beruflichen Termin hatte. Bus und Bahn und sogar der angeblich klimaneutrale Dienstwagen waren anscheinend unter ihrer Würde.
Dieser Vorgang wurde gestern von zahlreichen Medien kritisiert – zu Recht, versteht sich. Die Kritik konzentrierte sich jedoch auf Baerbock. Warum kritisiert niemand die anderen Edelfans, die im Stil von Milliardären auf Steuerzahlerkosten das Spiel auf der Ehrentribüne verfolgten und es auch noch wie Karl Lauterbach zur schamlosen Selbstprofilierung nutzten? Welche der genannten Politiker haben die Tickets und die Reise selbst bezahlt? Sicher keiner.
Und das Spiel in Frankfurt war kein Einzelfall. Auch am letzten Samstag, beim Achtelfinalspiel gegen Dänemark, waren – diesmal in Dortmund – wieder zahlreiche Regierungsmitglieder vor Ort – darunter einmal mehr Olaf Scholz, Annalena Baerbock, Nancy Faeser, Bärbel Bas und Karl Lauterbach, der auch diesmal wieder fleißig twitterte.
2:0!!!!!!! Musiala Spieler des Tages. Kaum zu halten ohne Foul! pic.twitter.com/64ahsp060B
— Prof. Karl Lauterbach (@Karl_Lauterbach) June 29, 2024
Wie die Regierungsmitglieder nach Dortmund und wie wieder zurück nach Berlin gekommen sind, ist unbekannt; genauso wie die Frage, wer bei diesem Spiel die Karten für sie bezahlt hat. Wahrscheinlich wurde auch für diesen Temin die Flugbereitschaft genutzt.
Um es klar zu sagen: Es gehört nicht zu den hoheitlichen Aufgaben der Bundesregierung, sich Fußballspiele anzuschauen. Das ist ein Privatvergnügen und sollte demzufolge auch privat bezahlt werden – das gilt vor allem für die An- und Abreise. Wofür haben Abgeordnete denn eine Bahncard 100? Wer privat die Flugbereitschaft der Bundeswehr nutzt, nutzt sie wie einen Privatjet – so wie es sonst nur Superreiche tun und dafür von ebenjenen Politikern kritisiert werden, die anscheinend selbst für ihr privates Vergnügen gerne im „eigenen“ – vom Steuerzahler finanzierten – Jet fliegen.
Während „die da unten“ den Gürtel enger schnallen und das Klima retten sollen, hat sich bei der politischen Elite ein Lifestyle eingeschlichen, der mit dem Bild eines volksnahen Politikers nicht einmal mehr im Ansatz zu vergleichen ist. Das ist scharf zu kritisieren. Wie soll ein Minister, der selbst wie ein Milliardär lebt, verstehen, wie es den Menschen geht, die er regiert? Wie soll er Gesetze machen, die für sehr viele normale Menschen hohe Belastungen mit sich bringen, die oft sogar ganze Lebensentwürfe zerstören, wenn er selbst in einer luxuriösen Parallelwelt lebt, in der man mal eben aus Jux und Tollerei mit einem Privatjet zum Fußball jettet? Diese Politiker haben die Bodenhaftung verloren, sie sind nicht nur sprichwörtlich abgehoben.
Anhang (12:45)
Zum Artikel erreichte uns ein Leserbrief mit einer ganz interessanten Zusatzinformation:
Lieber Jens Berger,
vielen Dank für Ihren Artikel in der heutigen Ausgabe zur Teilnahme der Politikerkaste bei den EM-Spielen, hier in Frankfurt gegen die Schweiz. Könnten Sie auf dem eindrucksvollen Agenturbild der einschlägigen Zuschauer(“ehren-“)tribüne oben in der Mitte offensichtlich wohl Stefan Harbarth, den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts (?), übersehen haben (dann: auch der höchste Repräsentant der Dritten Gewalt genießt ersichtlich solche Privilegien …!).
Beste Grüße
Ernst Burger
Regensburg
Anmerkung Jens Berger: Herr Burger hat recht. Neben Herrn Harbarth sind übrigens noch Regierungssprecher Steffen Hebestreit, der hessische Ministerpräsident Boris Rhein samt Frau und Hans-Joachim Watzke, der Geschäftsführer von Borussia Dortmund, der Rheinmetall als Sponsor aufnahm, zu sehen. Bei Hebestreit ist anzunehmen, dass auch er mit der Flugbereitschaft an- und abgereist ist.
Titelbild: Karl Lauterbach via X