Wagenknechts Wagnis – Eine teilnehmende Beobachtung zur Entstehungsgeschichte des BSW, Teil 4

Wagenknechts Wagnis – Eine teilnehmende Beobachtung zur Entstehungsgeschichte des BSW, Teil 4

Wagenknechts Wagnis – Eine teilnehmende Beobachtung zur Entstehungsgeschichte des BSW, Teil 4

Ein Artikel von Ramon Schack

Das Bündnis Sahra Wagenknecht geht Anfang 2024 an den Start. Der Journalist Ramon Schack beobachtet das BSW aus nächster Nähe, ist von Anfang an dabei. Durch präzise Beobachtungen im Wahlkampf und auf Parteitagen, im Gespräch mit Aktivisten, der Parteiprominenz und Gegnern dieser neuen politischen Kraft, flankiert von den fortlaufenden Wahlkämpfen des Jahres, entsteht eine teilnehmende Beobachtung zu den gravierenden politischen Verschiebungen, denen sich das bundesdeutsche Parteiensystem, ja das Establishment der Republik in Medien und Politik ausgesetzt sieht. Nach dem ersten Teil, dem zweiten Teil und Teil 3 können Sie hier nun einen weiteren Artikel dieser Serie lesen.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

„Malchin liegt mir am Herzen“, berichtet Lehmann freimütig bei einem Kaffee in seinem Garten. Gerold Lehmann, Jahrgang 1971, wurde als das jüngste von 5 Kindern geboren. Sein Vater war Lehrausbilder in einem Betonwerk, während seine Mutter als Buchhalterin tätig war. Die politische Wende von 1989 wurde in der Familie zunächst positiv aufgenommen, der BSW-Politiker erinnert sich an Demonstrationen auf dem Marktplatz und seine damaligen Sympathien für die CDU. Während der folgenden Jahre, flankiert von den einschneidenden Transformationsprozessen, als die Jugend in Scharen die ostdeutschen Kleinstädte in Richtung Westen verließ, blieb Gerold Lehmann.

„Klar war ich viel auf Montage unterwegs, in Hamburg und andernorts“, erzählt der Kommunalpolitiker, während er eine Zigarette im Aschenbecher ausdrückt. „Aber ich kann die jungen Leute auch verstehen, wenn die sich den Wind um die Nase wehen lassen müssen, vor allem aber, wenn es beruflich weitergehen soll.“ Seine Ehefrau, die bei Rossmann als Verkäuferin tätig ist, nickt und verweist auf den ältesten Sohn des Paares, der gerade nach Berlin gezogen ist und dort eine berufliche Laufbahn in der Immobilienbranche einschlägt, wobei etwas Wehmut in ihrer Stimme mitklingt, ein wenig mütterliche Sorge, dass eines der beiden Kinder jetzt in der Hauptstadt lebt, die weit mehr als das Doppelte an Einwohnern zählt als Mecklenburg-Vorpommern insgesamt.

Malchin, Innenstadt, Foto: Ramon Schack

Lehmann bricht auf in Richtung des BSW-Büros in der Malchiner Innenstadt. Heute Abend findet dort eine Lesung statt. Vor dem Büro haben sich schon einige Interessenten eingefunden.

Eine Frau erregt sich darüber, dass die AfD ausgerechnet hier, direkt vor dem Büro, eines ihrer Plakate aufgehängt hat

Die bevorstehenden Kommunalwahlen, die am gleichen Tag wie die Europawahlen stattfinden, bilden dabei das dominierende Gesprächsthema der Anwesenden. Wilfried Böhme, ein gebürtiger Hamburger, der seit dem Jahr 2000 in Malchin lebt, kandidiert als BSW-Kandidat für den Kreistag. Zusammen mit Gerold Lehmann war Böhme Ende letzten Jahres aus der örtlichen Linken ausgetreten.

Weiter linke Kommunalpolitik

Damals war im Nordkurier zu Lehmanns Motiven zu lesen:

„Die Entscheidung, bei den Linken auszutreten, habe er sich nicht leicht gemacht. Lehmann führt dafür vor allem zwei Gründe an: die Frage von Krieg und Frieden in der Ukraine und die soziale Gerechtigkeit. „Bei der Friedensfrage halte ich die Position der Linken für zu schwammig. Ich bin klar gegen Waffenlieferungen an die Ukraine und für Verhandlungen“, so der Malchiner. Dafür würde er auch in Kauf nehmen, dass die Ukraine die von Russland besetzten Gebiete abtritt.“

Gerold Lehmann im BSW-Büro in Malchin; © Ramon Schack

„„Auf jeden Fall will ich weiter linke Kommunalpolitik in Malchin machen“, äußert er, zitiert dabei den Sänger Tino Eisbrenner mit den Worten: „Jetzt gibt es zwei linke Parteien, also eine Verdopplung. Lasst euch nicht zu Feinden machen.“ Zumindest auf kommunaler Ebene wären die neue Partei BSW und die Linken doch gut beraten, zusammenzuarbeiten, meint Lehmann.“

Böhme nickt: „Es wäre doch albern, wenn die Linke und wir uns jetzt gegenseitig ignorieren würden.!“

Einige Tage später, es ist der 9. Juni, der Tag der Europawahl. Gerold Lehmann und Winfried Böhme sind zusammen mit einigen Parteifreunden nach Berlin gefahren, um an der BSW-Wahlparty teilzunehmen. Das Kino Kosmos, wo im Januar auch der Gründungsparteitag stattfand, füllt sich mit seinen Gästen. „Wir fahren heute wieder nach Hause“, sagt Lehmann, „aber das Event hier konnten wir uns nicht entgehen lassen“.

Alexander King begrüßt die BSW-Unterstützer aus Schleswig-Holstein, die auch gerade in den Veranstaltungssaal strömen, unter ihnen Diana Djorović und Sahin Ercan, die beiden Lübecker, die aktiv am Aufbau des Landesverbandes Schleswig-Holstein beteiligt sind.

Judith Benda ist mit Mann und Kindern eingetroffen und erklärt, wie aufgeregt sie sei. Wie die anderen Kandidaten zum EU-Parlament hatte sie in den vergangenen Wochen aktiv am Wahlkampf teilgenommen, auch an den Auftritten von Sahra Wagenknecht, wobei die Medien diese Ereignisse stiefmütterlich nur als Randerscheinungen behandelten.

„Wissen Sie, ich bin wirklich erstaunt“, äußert eine Besucherin, während sie an einer Weißwein-Schorle nippt und betont:

„Diese Wahlparty unterscheidet sich wirklich fundamental von einer der Linken, es ist so ein ganz anderes Milieu, sehr elegant, fast bürgerlich.“

In der Tat, Kellner in weißen Hemden reichen Canapés und Drinks, viele der Besucherinnen tragen elegante Kostüme, die Herren Jacketts oder gar Anzüge. „Schauen Sie nur dort, wie mondän“, während ihr Blick auf eine Gruppe gerichtet ist, die aus dem ehemaligen Düsseldorfer Oberbürgermeister Thomas Geisel und seiner Familie besteht.

Geisel geht wenig später auf die Bühne, berichtet von seinen Wahlkampf-Erfahrungen, wo er in Düsseldorf Deutsche mit marokkanischem Migrationshintergrund für das BSW begeistern konnte, die kein „Multikulti-Geschwätz hören wollten“, wie er berichtet, sondern konkrete Antworten auf die Probleme der Zeit.

Blitzlichtgewitter und Tumult, Sahra Wagenknecht ist eingetroffen und wird von ihren Anhängern umringt. Gleich werden die ersten Prognosen präsentiert, im Saal steigt die Spannung.

Foto: Sahin Ercan

Die Eröffnung des Abends übernimmt Amid Rabieh als Moderator. Der Jurist aus Bochum war anderthalb Jahrzehnte lang Mitglied der Linkspartei und fungiert nun als stellvertretender Generalsekretär.

Jubel ertönt, die Prognose sieht das BSW bei 6 Prozent. Das amtliche Endergebnis für das BSWE bei der EU-Wahl wird bei 6,2 Prozent liegen und damit signifikant höher als das der Linkspartei aber auch der Regierungspartei FDP.

Fortsetzung folgt …

Titelbild: BSW-Wahlparty am 9. Juni 2024 – Quelle: Florian Warweg

Die NachDenkSeiten sind für eine kritische Meinungsbildung wichtig, das sagen uns sehr, sehr viele - aber sie kosten auch Geld und deshalb bitten wir Sie, liebe Leser, um Ihre Unterstützung.
Herzlichen Dank!