Kanzlersprecher zu aktuellem Wissensstand um Nord-Stream-Sprengung: „Bundesregierung hat damit gar nichts zu tun“

Kanzlersprecher zu aktuellem Wissensstand um Nord-Stream-Sprengung: „Bundesregierung hat damit gar nichts zu tun“

Kanzlersprecher zu aktuellem Wissensstand um Nord-Stream-Sprengung: „Bundesregierung hat damit gar nichts zu tun“

Florian Warweg
Ein Artikel von: Florian Warweg

Fast zwei Jahre sind seit dem Terroranschlag auf die rund 20 Milliarden Euro schwere zivile Energie-Infrastruktur Nord Stream vergangen. Schweden und Dänemark haben ihre Ermittlungen mittlerweile ergebnislos eingestellt. Ähnlich zeigt sich die Situation in Deutschland. Der weisungsgebundene Generalbundesanwalt hat bis heute noch nicht einmal ein Zwischenergebnis präsentieren können oder dürfen. Anfragen von Fraktionen und einzelnen Bundestagsabgeordneten an die Bundesregierung bleiben mit Verweis auf angebliche „Staatswohl“-Gefährdung unbeantwortet. Ebenso lehnt die Bundesregierung den Vorschlag der Chinesischen Volksrepublik ab, die Ermittlungen unter Führerschaft der Vereinten Nationen weiterzuführen. Die NachDenkSeiten wollten vor diesem Hintergrund ihr Glück nochmals versuchen und fragten den aktuellen Kenntnisstand der Bundesregierung zur Causa Nord-Stream-Anschlag ab. Von Florian Warweg.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Bundesregierung und ihre westlichen Verbündeten zeigen nach wie vor keinerlei Interesse an Aufklärung

Als der UN-Sicherheitsrat vor mehr als einem Jahr, im Februar 2023, über die schleppenden Ermittlungen zur Sprengung der Nord-Stream-Pipelines debattierte, forderten Russland, China und Brasilien bereits eine internationale Untersuchung des Anschlags unter Leitung der Vereinten Nationen. Diese Forderung wurde aber vehement sowohl von der Bundesregierung, der EU als auch den USA mit der Begründung abgelehnt, dass die laufenden Untersuchungen der Anrainerstaaten Deutschland, Dänemark und Schweden (mittlerweile alles NATO-Mitglieder) bereits ausreichend seien und „sicherlich bald zu abschließenden Ergebnissen“ führen würden. Doch dem war nicht so. Die Untersuchungen Dänemarks und Schwedens sind im Februar 2024 wie bereits erwähnt ergebnislos eingestellt worden. Im Falle Deutschlands sieht es nicht viel besser aus. 

Zwar dauern, im Gegensatz zu Dänemark und Schweden, die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft zumindest offiziell noch an, allerdings wurde auch nach 21 Monaten noch nicht einmal ein Zwischenbericht zum Ermittlungsstand von der Bundesanwaltschaft präsentiert.

Die fragwürde Rolle der Leitmedien

Was es gab, war das Durchstechen von Informationen an bestimmte Medien wie ZDF und SPIEGEL, die dann in angeblichen „Exklusiv“-Stories davon berichten durften, dass nach bisherigem Ermittlungsstand die Nord-Stream-Pipelines von ein paar ukrainischen Hobbytauchern an Bord eines Segelschiffchens (15 Meter Länge, 4 Meter Breite) gesprengt wurden. In diesem Zusammenhang wurde dann nochmal betont, dass es weder einen staatlichen Auftraggeber noch eine Mittäterschaft von staatlichen Akteuren gegeben hätte. Beim ZDF liest sich das seit Monaten beispielsweise unter dem Titel „Nord-Stream-Anschläge: Fahnder vermuten “Andromeda”-Crew in Ukraine“ so: 

Die Hinweise verdichten sich: Hinter den Anschlägen auf die Nord-Stream-Pipelines könnten Täter mit Verbindungen in die Ukraine stecken. Offiziell ermittelt die Bundesanwaltschaft weiter gegen Unbekannt. Doch nach Informationen von ZDF frontal und “Spiegel” halten mit Ermittlungen Vertraute vor allem die Spuren in die Ukraine für überzeugend. Zu Tatverdächtigen aus Russland gebe es keine belastbaren Belege.

Die bisher vorliegenden Erkenntnisse der Ermittler wiesen klar in Richtung Ukraine, hieß es. Im Fokus der Fahnder steht weiter ein sechsköpfiges Kommando an Bord der Segeljacht “Andromeda”. Vor und nach den Explosionen in der Ostsee soll sich die Gruppe in der Ukraine aufgehalten haben. Darauf deuteten technische Daten hin, die die Fahnder auswerten konnten. Das erfuhren “Spiegel” und ZDF aus Sicherheitskreisen.“

Jens Berger hatte bereits in diesem Artikel ausgeführt, dass die beiden britischen Versicherungsgesellschaften der Nord-Stream-Pipelines, Lloyd’s of London und Arch, sich weigern, für den Schaden zu zahlen, mit Verweis darauf, dass ihrer Einschätzung nach der Angriff gegen Nord Stream, den sie als „Kriegsschäden“ werten, von einem staatlichen Täter durchgeführt wurde:

„In ihrer Antwortschrift zur Nord-Stream-Klage, die mittlerweile auch öffentlich vorliegt, verweisen die Versicherer darauf, dass der Versicherungsvertrag mit Nord Stream Kriegsschäden ausdrücklich ausschließe. Solche „Kriegsklauseln“ sind übrigens bei privaten Versicherungen vollkommen normal, die Definition, was ein Kriegsschaden ist und was nicht, ist jedoch strittig. Lloyd’s und Arch verweisen darauf, dass die Sprengung von Nord Stream 1 „nur – oder mit hoher Wahrscheinlichkeit – von einer Regierung oder auf deren Befehl hin verursacht werden konnte“. Dies stehe in direktem Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg und sei demnach ein kriegerischer und kein terroristischer Akt; gegen Letzteren wäre die Pipeline sehr wohl versichert.“

Die beiden britischen Versicherungskonzerne widersprechen damit der von deutschen und US-amerikanischen Medien mit Nachdruck vertretenen Hypothese, nach der die beiden Pipelines ohne Auftrag und ohne Mithilfe eines staatlichen Akteurs gesprengt worden wären.

Bundesregierung wehrt sich vehement gegen eine UN-geführte Ermittlung

Angesichts des beschriebenen ernüchternden Ermittlungsstandes hatte der stellvertretende chinesische UN-Botschafter Gen Shuang am 26. April vor dem UN-Sicherheitsrat erklärt, man könne „keine konkreten Fortschritte bei den Ermittlungen erkennen“, und den beteiligten Ländern eine „versteckte Absicht“ unterstellt: 

In dieser Situation kann man nur vermuten, dass sich hinter dem Widerstand gegen eine internationale Untersuchung eine versteckte Absicht verbirgt, während man gleichzeitig die mögliche Vertuschung und den Verlust einer großen Menge zwingender Beweise beklagt.“

China forderte in Folge „die betroffenen Länder auf, aktiv mit Russland zu kommunizieren und mit ihm bei der gemeinsamen Untersuchung zusammenzuarbeiten“, und gab der Hoffnung Ausdruck, „dass eine baldige Einigung über den Entwurf erzielt werden kann, so dass der Rat sich so bald wie möglich zu diesem Thema äußern kann“. Abschließend erklärte der chinesische UN-Vertreter damals: 

Wir bekräftigen unsere Forderung nach der baldigen Einleitung einer internationalen Untersuchung unter der Leitung der UNO, um die Wahrheit für die internationale Gemeinschaft ans Licht zu bringen.“

Angesichts des geschilderten Status Quo beim bisherigen Ermittlungsstand sei an die zynische Antwort der Vertreterin des Auswärtigen Amts am 6. Mai in der Bundespressekonferenz erinnert, die erklärte, dass aus Sicht der Bundesregierung keine Notwendigkeit bestände, „entsprechende Ermittlungen zu duplizieren“.

Wortprotokoll von der Regierungspressekonferenz vom 12. Juni 2024

Frage Dr. Rinke (Reuters)
Herr Wagner, vielleicht könnten Sie uns noch etwas zur Lage im Ostseeraum sagen. Die von Russland vorgenommenen Kennzeichnungen im Seegebiet zu Estland wurden wieder entfernt. Wo stehen wir? Gibt es mittlerweile auch mit anderen EU-Ländern Probleme in Abgrenzungsfragen, etwa mit Finnland?

Dazu auch eine Frage an das Verteidigungsministerium. Es gab auch Berichte über Jamming im Ostseeraum. Können Sie bitte sagen, wie diesbezüglich der Stand ist? Gibt es diese Probleme weiterhin? Sie wurden ja auf Russland zurückgeführt.

Wagner (AA)
Herr Rinke, auch im Ostseeraum sind wir mit komplexen, hybriden Bedrohungen vonseiten Russlands konfrontiert. Sie haben einen Fall angesprochen. Es gab aber auch das GPS-Jamming und noch andere Sachverhalte. Insofern wird das auch bei diesem Treffen der Außenministerinnen und Außenminister des Ostseerats ein wichtiges Thema sein. Alle diese Staaten sind NATO-Mitglieder, und wir setzen uns natürlich vor allen Dingen im Rahmen der NATO mit diesen Bedrohungen auseinander und sprechen über sie. Insofern habe ich jetzt keinen ganz neuen Stand zu berichten, aber dass diese hybriden, komplexen Bedrohungen bestehen, ist weiterhin Fakt.

Müller (BMVg)
Wir haben uns schon im Februar zu dieser Thematik geäußert und damals bestätigt, dass wir in der Region durchaus Jamming wahrnehmen. Selbstverständlich ist nicht nur auf unser Ressort betroffen, sondern zum Beispiel auch der Verkehrssektor und der Reisesektor. Weitere Details möchte und kann ich aus Gründen der militärischen Sicherheit nicht nennen.

Die Systeme der Bundeswehr sind redundant ausgelegt. Wir haben nicht nur im Bereich des zivilen GPS, sondern auch, was Träger- und Navigationssysteme und anderes angeht, vielfältige Möglichkeiten, sodass wir unsere Einsatzbereitschaft durch dieses Phänomen nicht gefährdet sehen, dieses aber selbstverständlich weiter beobachten werden.

Zusatzfrage Dr. Rinke
Sie haben auf den Februar verwiesen. Jetzt haben wir Juni. Können Sie zumindest einen Hinweis geben, ob die Jamming-Aktivitäten abgenommen oder zugenommen haben?

Müller (BMVg)
Nein, das kann ich nicht. Das ist Teil der Analyse, und die Analyse ist in der Regel nicht öffentlich.

Frage Warweg
Wenn wir gerade beim Thema „Ostseeraum“ sind. Die Terroranschläge gegen Nord Stream 1 und 2 jähren sich bald zum zweiten Mal. Gibt es mittlerweile eine Art Zwischenbericht, den die Bundesregierung präsentieren kann?

Regierungssprecher Hebestreit
Herr Warweg, die Bundesregierung hat damit gar nichts zu tun, sondern, wie wir Ihnen hier schon verschiedentlich gesagt haben, der Generalbundesanwalt. Stellen Sie Ihre Fragen bitte dort. Dort laufen die Ermittlungen, und weitere Ermittlungsschritte oder auch Handlungen würden dann von dort zu verkünden und darzustellen sein, aber nicht in der Bundespressekonferenz.

Zusatzfrage Warweg
Aber bisher gibt es nachweislich noch keinen veröffentlichten Zwischenbericht der Generalbundesanwaltschaft. Da sie weisungsgebunden ist und es ja sicherlich trotzdem einen informellen Austausch geben wird, frage ich, ob der Bundesregierung diesbezüglich neue Erkenntnisse vorliegen.

Hebestreit
Nur zur Erklärung: Es ist die Bundesanwaltschaft und nicht die Generalbundesanwaltschaft. Aber der Generalbundesanwalt, der diese Behörde leitet, leitet sie unabhängig. Es gibt ein Weisungsrecht, das bezieht sich aber nicht auf die einzelnen Ermittlungen, sondern auf einen grundsätzlicheren Fall. Insofern liegen die Informationen, die es gibt, bei ihm, und er ist der Einzige, der darüber öffentlich reden darf.  So läuft es.

Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 12.06.2024

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