EU-Dienstleistungsrichtlinie und Bildung
Werden demnächst slowakische Degree-Mills – also Doktor-Fabriken, britische Fernstudienangebote und niederländische Franchise-Hochschulen den deutschen Hochschulmarkt aufmischen? Das wäre durchaus im Sinne der Wettbewerbsphilosophie der Europäischen Union. Gerade ein Wachstumsmarkt wie Bildung müsse dem internationalen Wettbewerb vollständig geöffnet werden, so erklärte jüngst der Leiter der EU-Vertretung in Deutschland, Gerhard Sabathil vor dem Wissenschaftsausschuss des Bundestages. Ein Beitrag von Karl Heinz Heinemann.
Schon heute sind ausländische Hochschulen auf dem deutschen Markt aktiv. Niederländische und Britische Hochschulen müssen sich ihr Geld selbst verdienen. Durch die Standardisierung der Abschlüsse nach den Bachelor- und Master-Muster öffnen sich den Hochschulen ganz neue Möglichkeiten, über nationale Grenzen hinweg zu operieren und ihre Degrees europaweit zu vertickern. Sie bieten MBA-Studiengänge an wie zum Beispiel die International Business School in Lippstadt in Zusammenarbeit mit einer englischen „University of Surrey“, von der man sonst noch nie etwas gehört hat. Niederländische Hochschulen haben sich auf den Vertrieb von beruflichen Studiengängen spezialisiert: Die Hogeschool van Utrecht bildet zusammen mit der Europafachhochschule Fresenius Physiotherapeuten und Logopäden aus. Die Studiengänge kosten ca. 30 000 Euro.
Die Dienstleistungsrichtlinie bringt weitere Erleichterungen für internationale Studienanbieter. Für sie gilt das Herkunftslandprinzip. Es besagt für den Bildungsbereich: Eine Hochschule muss lediglich in ihrem Herkunftsland als solche anerkannt sein und ihre Studiengänge nach dortigem Recht genehmigen lassen, um auch in Deutschland tätig sein zu dürfen. Hochschulen, die ihren Stammsitz in einem anderen Land haben, und sei es auch nur ein Briefkasten, sind nicht an deutsche Vorschriften gebunden. Jedes Land hat sein eigenes Verfahren, um die Qualität eines Studienangebots zu überprüfen und Studiengänge zuzulassen – in Deutschland gibt es dafür Akkreditierungsagenturen. Wer sie umgehen will, muss nur mit einer Hochschule in einem EU-Land kooperieren, in dem dieses Verfahren nicht gilt, etwa Großbritannien oder selbst seinen Firmensitz dorthin verlegen – schon gelten die deutschen Qualitätsstandards nicht mehr.
Die Brüsseler Gläubigen der „unsichtbaren Hand“ wollen die letzten Rudimente einer ohnehin schon weitgehende abgebauten Bildungsplanung vernichten. Die Richtlinie verbietet ausdrücklich, dass der Staat die Zulassung von Schulen, Kindergärten und Hochschulen – oder deren Verweigerung – von Gesichtspunkten des Bedarfs abhängig macht. Ihre Existenzberechtigung muss sich im freien Spiel des Marktes herausstellen. Buchstäblich alle Zulassungsregeln werden einem „screening“ unterzogen. Das heißt, die EU-Kommission, also die Brüsseler Verwaltung, überprüft sie darauf hin, ob sie in ihren Augen notwendig sind. Die Dienstleistungsrichtlinie setzt eine Abwärtsspirale bei den Qualitätsstandards, wie bei den Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen in Gang.
Die Weiterbildung wird längst in einem privaten Bildungsmarkt abgewickelt. Da gibt es die großen Versandhäuser für Fernlehrangebote: „Akad“ von der Cornelsen-Gruppe oder „ils“ von Klett. Noch unterliegt der deutsche Markt für Fernlehre dem „Fernunterrichtsschutzgesetz“. Das schreibt vor, dass alle Kurse von der Zentralstelle für Fernunterricht zertifiziert werden müssen. Belegt jemand einen Techniker- oder Kaufmannslehrgang, der in Deutschland zugelassen ist, so soll er oder sie sich auf das Angebot verlassen können – egal woher der Anbieter kommt. Bisher. Nun argumentiert die EU-Kommission: Es sei den Anbietern von Dienstleistungen nicht zuzumuten, eigene Rechtsabteilungen zu unterhalten, nur um sich auf 25 verschiedene Rechtssysteme einlassen zu können,. Deshalb soll künftig nur noch das Recht des Herkunftslandes gelten. Dann wird der „Kunde“ die 25 verschiedenen Rechtssysteme durchschauen müssen, wenn er wissen will, welche Konditionen eigentlich gelten. Verraucherrechte werden abgebaut, damit der Markt freundlicher und transparenter für die Anbieter wird.
Die Richtlinie gelte nur für Bildungsdienstleistungen, die gegen Entgelt angeboten werden, versucht der EU-Vertreter Sabathil zu beruhigen. Doch wie unterscheidet man die: Auch Privatschulen werden staatlich bezuschusst und unterliegen der staatlichen Aufsicht. Andererseits: Staatliche Hochschulen nehmen demnächst saftige Studiengebühren. Sie berufen sich darauf, dass sie eine Dienstleistung verkaufen. Damit würde der gesamte akademische Ausbildungssektor den von der EU diktierten Marktprinzipien unterworfen. Staatliche Zuschüsse für öffentliche Hochschulen wären dann eine Wettbewerbsverzerrung, wenn sie nicht allen Hochschulen gleichermaßen gewährt würden. Welche Studiengänge angeboten werden und welche nicht, zu welchen Preisen und auf welchem Niveau – all das wird künftig einer demokratisch legitimierten, politischen Kontrolle entzogen. Die Dienstleistungsrichtlinie wird eine Entwicklung vollenden, die hierzulande schon mit neuen Hochschulgesetzen und Studiengebühren in Gang gesetzt wurde – die Bildung von einem öffentlichen Gut zu einer Ware zu machen.