Skandal im Bildungsministerium geht in die nächste Runde: Unwahrheiten und Alibi-Rücktritte

Skandal im Bildungsministerium geht in die nächste Runde: Unwahrheiten und Alibi-Rücktritte

Skandal im Bildungsministerium geht in die nächste Runde: Unwahrheiten und Alibi-Rücktritte

Florian Warweg
Ein Artikel von: Florian Warweg

Letzte Woche hatten die NachDenkSeiten auf der Bundespressekonferenz zum Skandal um die autoritären Fantasien der amtierenden Bundesbildungsministerin nachgefragt, die prüfen ließ, wie man 393 Hochschullehrer und Dozenten an Berliner Universitäten, die einen Offenen Brief unterzeichnet hatten, der Bettina Stark-Watzinger nicht gefiel, bestrafen könne. Ihre Sprecherin hatte am 12. Juni erklärt, „formale Konsequenzen“ seien kein Thema und ein Entzug der Fördermittel hätte nie zur Debatte gestanden. Wenige Tage später musste Staatssekretärin Sabine Döring ihren Hut nehmen und die Ministerin offiziell einräumen, „dass eine Prüfung potentieller förderrechtlicher Konsequenzen bei den zuständigen Fachreferaten in der Tat erbeten wurde“. Also genau das Gegenteil von dem, was zuvor auf der BPK verkündet wurde. Die NDS wollten wissen, wie sich dieser eklatante Widerspruch erklärt. Von Florian Warweg.

Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 17. Juni 2024

Frage Warweg
Frau Wagemann, auf der Regierungspressekonferenz vergangenen Mittwoch hatten Sie noch dargelegt, dass sich zum einen Diskussionen über formale Konsequenzen erledigen würden und dass zum anderen der Entzug der Fördermittel nie zur Debatte gestanden hätte. Wenige Tage später sitzen wir wieder hier. Die verantwortliche Staatssekretärin Döring muss ihren Hut nehmen. Die Ministerin selbst erklärte öffentlich:

„Fest steht, dass eine Prüfung potentieller förderrechtlicher Konsequenzen bei den zuständigen Fachreferaten in der Tat erbeten wurde.“

Das ist genau das Gegenteil dessen, was Sie uns am Mittwoch hier darlegten.

Was hat sich in der Wahrnehmung der Ministerin, deren Haltung Sie uns hier am Mittwoch bereits dargelegt haben, so um 360 Grad im baerbockschen Sinne gewendet, dass wir jetzt vor der Situation stehen, die ich gerade geschildert habe?

Wagemann (BMBF)
Der Ministerin war vergangenen Dienstag die betreffende E-Mail aus der Fachebene des Ministeriums zur Kenntnis gebracht worden, in der die Prüfung förderrechtlicher Konsequenzen thematisiert wurde. Da die Ministerin eine solche Prüfung weder beauftragt noch gewollt hat, hat sie dann veranlasst, dass der Sachstand aufgeklärt wird. Im Zuge dieser noch laufenden Sachstandsaufklärung ist sie zu der Überzeugung gelangt, dass eine ausreichende Vertrauensbasis zu Staatssekretärin Döring für die weitere Zusammenarbeit nicht mehr gegeben ist. Deshalb hat sie heute durch ein Schreiben an den Bundeskanzler Frau Dörings Versetzung in den einstweiligen Ruhestand eingeleitet.

Zusatzfrage Warweg
Das heißt, wenn ich Sie richtig verstanden habe, dass die eingeforderte Prüfung strafrechtlicher und förderrechtlicher Konsequenzen für die Unterzeichner des offenen Briefes, der der Ministerin nicht gefallen hat – das hat sie auch gegenüber Springer sehr offen kundgetan -, von der Staatssekretärin ohne Wissen und Einwilligung der Ministerin durchgeführt worden ist. Denn ansonsten würde ein Rücktritt nur der Staatssekretärin keinen Sinn ergeben.

Habe ich Ihre Ausführungen richtig verstanden?

Wagemann (BMBF)
Die Ministerin hat es weder beauftragt noch gewollt und hat in ihrer gestrigen Erklärung auch darauf hingewiesen, dass Staatssekretärin Döring, die sozusagen fachlich zuständig war, den Prüfauftrag veranlasst und sich dabei offensichtlich missverständlich ausgedrückt hat, sodass auf jeden Fall der Eindruck erweckt wurde, als sollten auf Basis dieses offenen Briefes förderrechtliche Konsequenzen erwogen werden. Dazu hat die Ministerin ganz klar gesagt:

„Prüfungen förderrechtlicher Konsequenzen wegen von der Meinungsfreiheit gedeckten Äußerungen finden nicht statt.“

„Wissenschaftsförderung erfolgt nach wissenschaftlichen Kriterien, nicht nach politischer Weltanschauung.“

Frage Kurz (ARD-Korrespondentin im Hauptstadtstudio)
Das heißt, die Staatssekretärin hat selbstverantwortlich gearbeitet. Gab es keine Kontrolle im Ministerium?

Wagemann (BMBF)
Die Staatssekretärin selbst hat den Prüfauftrag erteilt, ja.

Frage Jung
Frau Wagemann, Sie haben ja am Mittwoch die Unwahrheit gesagt, am Freitag Frau Reichelt auch noch mal, entgegen den Tatsachen, die in den geleakten Mails schon zu sehen waren. Sie sind trotzdem dabei geblieben, dass Sie das leugnen. Möchten Sie hier vielleicht mal zu Ihrer Unwahrheit etwas beitragen?

Wagemann (BMBF)
Weder meine Kollegin noch ich haben hier die Unwahrheit gesagt. Wir haben mehrfach auf das Statement der Staatssekretärin verwiesen. Ich denke, dass sich das jetzt hinreichend aufgeklärt hat.

Zusatzfrage Jung
Das finde ich jetzt aber krass, weil, wir haben es gerade gehört: Sie haben hier mehrfach betont, genau wie Ihre Kollegin, dass der Entzug von Fördermitteln nicht zur Debatte gestanden habe. Die Ministerin hat es selbst eingeräumt. Sie haben das immer wieder betont. Es war die Unwahrheit, es ist die Unwahrheit, und Sie bleiben jetzt dabei. Verstehe ich das richtig?

Vorsitzender Detjen
Ich würde gern darauf hinweisen, dass wir uns hier dazu verpflichtet haben, eine sachliche Fragerunde zu machen.

Zusatz Jung
Ja, eben!

Vorsitzender Detjen
Die Frage, ob irgendwelche Antworten „krass“ sind, und auch die Frage, ob hier Unwahrheiten zum Besten gegeben werden, ist in der Regel ein Thema für Kommentierungen, die wir danach nachvornehmen.

Zusatz Jung

Aber – – –

Vorsitzender Detjen
Ich will einfach nur darauf achten, dass wir uns jetzt nicht hochschaukeln. Stellen Sie Ihre Zusatzfrage!

Zusatzfrage Jung
Wir alle sind daran interessiert, dass wir ein vertrauensvolles Verhältnis auch zu den Sprechern haben, dass man dem trauen kann, was sie hier sagen. Wenn hier die Unwahrheit gesagt wurde, dann erwarte ich zumindest, dass das Ministerium das einräumt und, keine Ahnung, um Verzeihung bittet.

Wie sollen wir Ihnen künftig vertrauen?

Wagemann (BMBF)
Der Satz, den Sie zitiert haben, ist ein Satz aus dem Statement der Staatssekretärin,

(Zuruf Jung: Den Sie wiederholt haben!

den wir hier wiedergegeben haben. Ich habe Ihnen jetzt mitgeteilt, dass eine Sachstandsaufklärung im Haus läuft und die Ministerin schon im laufenden Verfahren eine Konsequenz gezogen hat, indem die Staatssekretärin in den einstweiligen Ruhestand versetzt wird.

Frage Jessen (freier Journalist, Mitarbeit bei Jung und Naiv)
Unwahrheit ist ein anderer Begriff als Lüge. Der Begriff „Lüge“ wurde nicht verwendet. „Unwahrheit“ bezeichnet üblicherweise eine Nichtübereinstimmung von Aussage und Sachverhalt. Ich denke, darüber haben wir einiges erfahren.

Meine Frage ist folgende: Frau Döring ist Ethikerin. Das, was sie veranlasst hat und nach Auffassung der Ministerin gar nicht hätte machen dürfen, nämlich die Prüfung, ob Fördermittel entzogen werden, ist eine zutiefst wissenschaftsethische Frage. Können Sie uns etwas darüber sagen, ob in einem direkten Gespräch zwischen Ministerin und Staatssekretärin darüber geredet wurde, wie es zu dieser ethischen Fehlentscheidung oder zu diesem ethischen Fehlverhalten kommen konnte?

Wagemann (BMBF)
Zu direkten Gesprächen zwischen der Ministerin und der Staatssekretärin kann ich Ihnen keine Auskunft geben, möchte aber noch einmal darauf hinweisen, dass die Ministerin in ihrer Erklärung gestern ausdrücklich die Bedeutung der Wissenschaftsfreiheit und der wissenschaftsgeleiteten Forschungsförderung betont hat. Insofern können Sie davon ausgehen, dass das ihre Haltung ist und sie sie auch intern vertritt.

Zusatzfrage Jessen (freier Journalist, Mitarbeit bei Jung und Naiv)
Deswegen frage ich. Denn das, was Frau Döring getan hat, wie wir jetzt erfahren, aus eigenem Antrieb, unabgesprochen, ist, wie auch die Ministerin nachträglich erklärte, ein Verstoß gegen Prinzipien der Wissenschaftsfreiheit.

Können Sie uns nichts darüber sagen, in welcher Weise die Staatssekretärin dieses Verhalten gegenüber der Ministerin begründet hat?

Wagemann (BMBF)
Nein, dazu kann ich nichts sagen. Das ist im Grunde eine Art von Personalgespräch. Dazu kann ich öffentlich keine Auskunft.

Frage Warweg
Ich habe es aus Ihren Äußerungen für mich noch nicht ganz klarbekommen. Hat Staatssekretärin Döring in diesem Fall tatsächlich ohne Wissen der Ministerin gehandelt? Angesichts der ganzen offiziellen Darlegungen der Ministerin verwundert das. Könnten Sie dazu noch Ja oder Nein sagen? Hat Frau Döring diese Mail mit dem Verweis auf strafrechtliche und förderrechtliche Sanktionierung aufgesetzt, ohne dass die Ministerin darüber informiert war?

Wagemann (BMBF)
Ja, Frau Döring hat diese Prüfung beauftragt, wobei sie sich missverständlich ausgedrückt hat. Das hat sie selbst auch dargestellt. Die Ministerin hat von dieser Mail am vergangenen Dienstag erfahren.

Zusatzfrage Warweg
Noch eine Verständnisfrage; das hatten wir letzten Mittwoch auch nicht klären können: Direkt in den internen E-Mails wird auch ausgeführt:

„In der Kommunikation der Leitung wurde auch angezweifelt, dass die Hochschullehrer auf dem Boden des Grundgesetzes stehen.“

Bleibt die Ministerin bei der Haltung, dass die Hochschullehrer, weil sie eine andere Haltung einnehmen als sie, nicht mehr auf dem Boden des Grundgesetzes stehen?

Wagemann (BMBF)
Dazu würde ich auf das verweisen, was ich am Mittwoch genau zu der Passage gesagt habe. Sie hat die Vorbildfunktionen der Dozenten angesprochen, aber nicht insinuiert, dass sie nicht auf dem Boden des Grundgesetzes stünden. Aber ich denke, das habe ich am Mittwoch schon ausführlich erläutert.

Zusatzfrage Warweg
Am Mittwoch kannten Sie aber die Mail anscheinend noch nicht. Damals referierten Sie auf die Wiedergabe in der „BILD“-Zeitung. Ich frage wiederum zu den geleakten Mails. Den gleichen Fall hatten wir Mittwoch auch. Aber Sie beantworten meine Frage nicht, wenn ich Bezug nehme auf die internen Mails, die an „Panorama“ geleakt worden sind und Sie mir mit Äußerungen der Ministerin in der „BILD“-Zeitung kommen.

Wagemann (BMBF)
Dann habe ich Sie vielleicht falsch verstanden. Die Bemerkung in den Mails bezieht sich auf das Zitat in der „BILD“-Zeitung. Wenn ich den Kontext erläutere, dann muss ich deshalb auf das das Zitat verweisen, weil das der Bezugspunkt ist.

Frage Güler (taz)
Es gibt noch einen Brief mehrerer Hochschulprofessoren, die einen Rücktritt der Ministerin fordern. Wie wird das bei Ihnen aufgefasst?

Wagemann (BMBF)
Damit halte ich es so, wie es hier in der Bundesregierung gehalten wird, dass wir offene Briefe nicht kommentieren.

Frage Eckstein (ARD-Hauptstadtstudio)
Herr Hebestreit, gab es mit dem Kanzleramt Kommunikation, bevor die Versetzung in den Ruhestand gewünscht wurde?

Regierungssprecher Hebestreit
Ich denke, dann muss ich aufklären, dass die Bitte von Frau Stark-Watzinger, die Staatssekretärin in den Ruhestand zu versetzen, natürlich an den Bundespräsidenten geht. Aber vorher wird man Einvernehmen mit dem Bundeskanzleramt herstellen. Das ist der erste Schritt. Das Bundeskanzleramt kann die Begründung von Frau Stark-Watzinger nachvollziehen. Dann wird das Einvernehmen hergestellt. Dann geht das formal zum Bundespräsidenten, der den Erlass zur Versetzung in den einstweiligen Ruhestand ausstellen muss.

Zusatzfrage Eckstein (ARD-Hauptstadtstudio)
Sie können die Begründung nachvollziehen. Das ist nach der PM. Gab es denn im Vorfeld dazu Kommunikation oder vielleicht auch Hinweise?

Hebestreit
Sie haben Ihre Frage auf das Kanzleramt bezogen. Im Laufe des Wochenendes gab es auf jeden Fall die Information an das Kanzleramt in dieser Causa am gestrigen Tag. Aber an wen das gegangen ist, ob das einfach eine Mail oder eine Information war oder ob man gesprochen hat, kann ich nicht genau sagen. Das muss ich nachliefern. Es tut mir leid.

Frage Jung
Frau Wagemann, haben Sie gerade wirklich gesagt, dass Sie offene Briefe nicht kommentieren? Es geht in diesem ganzen Fall um die Kommentierung des offenen Briefes!

Wagemann (BMBF)
Ja. Es war eine Entscheidung der Ministerin, sich zu diesem Brief zu äußern. Aber ich kann nicht für unser Haus den offenen Brief der Professoren kommentieren.

Zusatzfrage Jung
Dann zitiere ich die Ministerin noch einmal aus der „BILD“-Zeitung. Da hat sie gesagt:

„Dass es sich bei den Unterstützern um Lehrende handelt, ist eine neue Qualität. Gerade sie müssen auf dem Boden des Grundgesetzes stehen.“

Jeder Mensch in Deutschland hat das so verstanden, dass sie insinuiert, dass die Unterzeichnenden nicht auf dem Boden des Grundgesetzes stünden. Sie behaupten hier das Gegenteil. Warum?

Wagemann (BMBF)
Weil es das ist, was die Ministerin zum Ausdruck bringen wollte. Sie wollte zum Ausdruck bringen, dass Dozenten eine Vorbildfunktion haben und deshalb gerade sie auf dem Boden des Grundgesetzes stehen müssen.

Frage Güler (taz)
Wird es denn jetzt irgendetwas geben, Unterhaltungen zwischen der Ministerin und den Professoren, um das Vertrauen, das offensichtlich zu Bruch gegangen ist, wie jetzt auch der neue offene Brief zeigt, wiederherzustellen?

Wagemann (BMBF)
Sie ist sowieso kontinuierlich mit Wissenschaftlern und Hochschulvertretern im Gespräch. Im Moment läuft noch die Sachstandsaufklärung. Deren Ergebnis gilt es abzuwarten.

Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 17.06.2024