Die autoritären Bestrafungsfantasien der FDP-Bildungsministerin für nicht genehmen „Offenen Brief“

Die autoritären Bestrafungsfantasien der FDP-Bildungsministerin für nicht genehmen „Offenen Brief“

Die autoritären Bestrafungsfantasien der FDP-Bildungsministerin für nicht genehmen „Offenen Brief“

Florian Warweg
Ein Artikel von: Florian Warweg

Das ARD-Magazin Panorama hat am 11. Juni geleakte interne Unterlagen des Bundesbildungsministeriums (BMBF) veröffentlicht. Aus denen geht hervor, dass Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger prüfen ließ, ob und wie man 393 Hochschullehrer und Dozenten an Berliner Universitäten, die einen Offenen Brief unterzeichnet hatten, der der Ministerin nicht gefiel, straf- und förderrechtlich sanktionieren kann. Die Wegnahme von Forschungsmitteln wegen einer der Ministerin nicht genehmen Meinungsäußerung stellt einen Bruch mit allen liberal-demokratischen Wissenschaftstraditionen der Bundesrepublik dar. Die NachDenkSeiten wollten vor diesem Hintergrund unter anderem wissen, wie die Ministerin diesen eklatanten Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit rechtfertigt und welche konkreten Passagen in dem „Offenen Brief“, wie von Stark-Watzinger behauptet, nicht grundgesetzkonform seien. Die Antworten gerieten zu einem Offenbarungseid. Von Florian Warweg.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Hintergrund

Am 7. Mai 2024 besetzten rund 150 Studenten einen Teil des Uni-Geländes der FU Berlin aus Protest gegen das militärische Vorgehen Israels in Gaza und die deutsche Unterstützung dessen. Zu diesem Zeitpunkt hatte das israelische Militär laut UN-Angaben bereits über 34.000 Palästinenser getötet, davon mehrheitlich Kinder (14.500) und Frauen (9.500). Die Uni-Leitung schaltete umgehend, ohne jeden Versuch zuvor in Dialog mit den Protestierenden zu treten, die Polizei ein und ließ das Protestcamp räumen. 79 Personen wurden vorübergehend festgenommen. Es wurden 80 Strafermittlungsverfahren und 79 Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet. Daraufhin veröffentlichten 393 Professoren und Dozenten von mehreren Berliner Hochschulen einen Offenen Brief. Darin heißt es:

„Unabhängig davon, ob wir mit den konkreten Forderungen des Protestcamps einverstanden sind, stellen wir uns vor unsere Studierenden und verteidigen ihr Recht auf friedlichen Protest, das auch die Besetzung von Uni-Gelände einschließt.“

Zudem wird noch betont, „das verfassungsmäßig geschützte Recht, sich friedlich zu versammeln, gilt unabhängig von der geäußerten Meinung.“

Das war offensichtlich zu viel für die amtierende Bundesbildungsministerin mit FDP-Parteibuch. Sie setzte sich an die Spitze einer Hetzkampagne der BILD-Zeitung gegen die Wissenschaftler, die den Offenen Brief unterzeichnet hatten, und unterstellte diesen via dem Springer-Blatt, nicht auf dem Boden des Grundgesetzes zu stehen.

Als Bundesbildungsministerin die Verfassungstreue von Hochschullehrern in dieser Form pauschal anzuzweifeln, stellt an sich schon einen Skandal dar. Doch die jetzt veröffentlichten internen Dokumente aus dem Bundesbildungsministerium belegen, dass die Ministerin und ihre Staatssekretäre es nicht nur bei verbalen Einschüchterungen via der Springer-Presse beließen, sondern prüfen ließen, ob und wie man den 393 Erstunterzeichnern des Briefes sowohl zugesagte Fördermittel wieder entziehen als auch strafrechtlich für den Brief belangen könnte. Ein klarer Fall von Machtmissbrauch einer Bundesministerin. Hoffnung gibt allerdings, dass die Ministerin und ihre Gehilfen für diesen autoritären Versuch der Bestrafung von nicht genehmer Meinung Gegenwind aus der eigenen Ministerialbürokratie erhielten, wie sich aus dem folgendem Mail-Wechsel anschaulich ergibt:

Abschließend bleibt festzuhalten, die Einzigen der in dieser Angelegenheit involvierten Personen, die tatsächlich nicht auf dem Boden des Grundgesetzes stehen, sind nachweislich die Leitungsebene des Bundesbildungsministeriums, also Bildungsministerin Stark-Watzinger und ihre Staatssekretäre. Zum Wohle des sowieso schon stark angeschlagenen Rufes Deutschlands als Wissenschaftsstandort mit offener und freier Debatte sollte mindestens die Ministerin mit ihren autoritären und rechtswidrigen Bestrafungsfantasien ihren Hut nehmen.

Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 12. Juni 2024

Frage Balzer (Deutschlandfunk)
Ich habe eine Frage an das – BMBF. Es gibt Recherchen des Magazins „Panorama“, die nahelegen, dass im Ministerium – Fördermittel – mit der Haltung von Forschenden zu Palästina-Camps verbunden wurden. Inwieweit sind diese Recherchen zutreffend? Können Sie bestätigen, was Sie dort lesen und hören? Und wie weit ist die politische Aufarbeitung dazu gediehen?

Wagemann (BMBF)
Unsere Staatssekretärin Sabine Döring hat sich gestern – auch auf Twitter – dazu geäußert. Ich kann das gern kurz zusammenfassen.

Das Ministerium hat den offenen Brief von Berliner Lehrenden vor dem Hintergrund der öffentlichen Debatte über die Verfassungsmäßigkeit einzelner Aussagen auf rechtliche Aspekte hin geprüft. Die Hausleitung hat sehr zeitnah nach Erteilung des Prüfauftrags allerdings klargestellt, dass zuwendungsrechtliche Aspekte nicht Bestandteil dieser rechtlichen Prüfung sein sollen. Die rechtliche Überprüfung hat dann ergeben, dass der Inhalt des Briefes von der Meinungsfreiheit gedeckt ist. Damit erübrigen sich Diskussionen über formale Konsequenzen. Und: Der Entzug von Fördermitteln in Reaktion auf den offenen Brief stand in der Hausleitung nicht zur Debatte.

Wir wollen aber gleichzeitig darauf hinweisen, dass der Inhalt dieses Briefes im BMBF unverändert kritisch gesehen wird, da er sich mit keinem Wort zum terroristischen Angriff der Hamas auf Israel am 7. – Oktober verhält, pauschal – in Anführungszeichen – – „Polizeigewalt” nahelegt und suggeriert, dass Hochschulen quasi ein rechtsfreier Raum seien.

Zusatzfrage Balzer
Es gibt durchaus auch Stimmen aus der Ampel, die das sehr kritisch sehen. Wir hören Abgeordnete von der SPD, wir hören grüne Abgeordnete, die diesen Vorgang sehr kritisch sehen. Es gibt auch Rücktrittsforderungen, die natürlich nicht aus der Ampel, sondern aus anderen politischen Ecken kommen. Inwieweit wird das weiter aufgearbeitet? Im Moment hört man von der Ministerin wenig. Aber sie ist politisch verantwortlich für den Vorgang.

Wagemann (BMBF)
Die Staatssekretärin hat sich umfassend dazu geäußert und die verschiedenen Aspekte, die in der Debatte angesprochen sind, in ihrer Erklärung aufgegriffen. Insofern haben wir umfassend reagiert.

Frage Jung
Frau Wagenmann, danke, dass Sie die Stellungnahme der Staatssekretärin – noch einmal – vorgelesen haben. Sie haben gesagt, der Entzug von Fördermitteln habe nicht zur Debatte gestanden. Aber in den E-Mails steht explizit, dass die Ministeriumsleitung prüfen lassen will, ob der Entzug der Förderung möglich ist. Das ist das Gegenteil von dem, was Sie gerade gesagt haben. Bleiben Sie dabei?

Wagemann (BMBF)
Ja, die Staatssekretärin bleibt bei ihren Äußerungen.

Zusatzfrage Jung
Sind diese Mails, in denen genau das steht, was Sie hier gegenteilig behaupten, etwa gefälscht?

Wagemann (BMBF)
Ich möchte es Ihnen ersparen, die Erklärung noch einmal vorzulesen, aber wenn Sie es noch einmal genau durchgehen, dann wird es, glaube ich, klar. Ich denke, das kann ich für sich stehen lassen.

Zusatzfrage Jung
Sie haben gerade – – –

Vorsitzende Wefers
Herr Warweg hat das Wort!

Frage Warweg
Zu der Argumentation des Kollegen: In den Mails wird ganz klar formuliert, dass die Ministerin, weil ihr ein offener Brief nicht gefallen hat, eruieren lässt, wie man die 393 Unterzeichnenden oder Lehrenden an der FU Berlin sowohl förder- als auch strafrechtlich sanktionieren kann. Das ist ein eklatanter Bruch mit allen bekannten liberalen Traditionen des deutschen Wissenschaftsbetriebes. Daher würde mich schon interessieren, wie sie diesen Versuch, politisch in die Wissenschaftsfreiheit einzugreifen, rechtfertigt.

Wagemann (BMBF)
Dann wiederhole ich gern zwei Sätze, weil es vielleicht ein bisschen lang war: Das BMBF hat den offenen Brief auf die Verfassungsmäßigkeit einzelner Aussagen, auf rechtliche Aspekte hin, überprüft. Die Hausleitung hat sehr zeitnah nach Erteilung des Prüfauftrags klargestellt, dass zuwendungsrechtliche Aspekte nicht Bestandteil dieser rechtlichen Prüfung sein sollen.

Zusatzfrage Warweg
In dem Mail-Austausch wird zudem klar dargelegt, dass die Ministerin zu dem Schluss gekommen sei, dass die Hochschullehrer mit der Unterzeichnung des Briefes nicht grundgesetzkonform agiert hätten. Dieser offene Brief – er ist ja öffentlich und für alle einsehbar – enthält lediglich die Bitte um einen Dialog mit den Protestierenden und noch einmal die Betonung, dass friedlicher Protest im Rahmen der Universität erlaubt sein sollte. Welche konkrete Passage des Briefes deutet für die Ministerin darauf hin, dass die unterzeichnenden Hochschullehrer nicht auf Basis des Grundgesetzes agierten, als sie ihn unterzeichnet haben?

Wagemann (BMBF)
Die Ministerin hat nicht insinuiert, dass die Unterzeichnenden nicht auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. Sie hatte sich in der „BILD“-Zeitung geäußert – darauf geht das ja zurück – und hate dort nur den Satz gesagt, gerade Professoren und Dozenten müssten auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. Sie hat also die Vorbildfunktion von Universitätsdozenten herausgestellt.

Frage Jessen
Sie haben eben mehrfach betont, die Staatssekretärin habe erklärt, dass zeitnah nach dem Prüfauftrag geklärt worden sei, dass es keine förderrechtliche Prüfung geben solle. Beinhaltet das, dass der ursprüngliche Prüfauftrag sehr wohl eine förderrechtliche Prüfung umfasste – das geht aus dem Text unter Punkt zwei hervor – und dass das „zeitnah“ sozusagen eine Reaktion ist, nachdem man im Haus festgestellt hat, dass der ursprüngliche Prüfauftrag in dem Punkt falsch war, oder können Sie mir irgendeine andere Erklärung dessen vorschlagen, was Sie und die Staatssekretärin gesagt haben?

Wagemann (BMBF)
Ich habe der Erklärung nichts hinzuzufügen. Ich werde jetzt nicht in eine Textexegese einzelner Wörter oder Halbsätze einsteigen, sondern die Erklärung ist, denke ich, sehr klar formuliert und verständlich.

Zusatz Jessen
Es ist Ihr Wort, weswegen ich nachfrage, das Wort „zeitnah“. „Zeitnah“ bedeutet, dass ein zeitlicher Unterschied zwischen dem ursprünglichen Prüfauftrag und der Erklärung besteht. Wenn ich frage: „Kann das etwas anderes bedeuten, als dass Sie von dem Inhalt des ursprünglichen Prüfauftrags ‚zeitnah‘ abgerückt sind?“, dann hätte ich gern eine Antwort darauf. Das steht eben nicht für sich selbst.

Wagemann (BMBF)
Meines Erachtens ist diese Erklärung klar und verständlich, und ich werde sie nicht weiter erläutern.

Frage Jung
Frau Döring hat auch gesagt, dass es die Prüfung vor dem Hintergrund einer öffentlichen Debatte über die Verfassungsmäßigkeit des offenen Briefes gegeben habe. Korrigieren Sie mich, wenn nötig, aber hat nicht die Ministerin als Allererste diesen Verdacht in den Raum gestellt? Davor gab es gar keine öffentliche Debatte.

Wagemann (BMBF)
Dazu kann ich mich aus dem Gedächtnis nicht konkret zeitlich festlegen. Wer sich zuallererst und in welcher Weise zu dem Brief geäußert hat, das kann ich nicht mehr sagen. Dass die Ministerin die Allererste gewesen ist, bin ich mir nicht sicher.

Zusatz Jung
Sie haben gerade selbst gesagt, dass sie in der „BILD“-Zeitung diese Aktion losgetreten hat.

Wagemann (BMBF)
Nein, ich habe gesagt, sie habe sich in der „BILD“-Zeitung geäußert. Aber erstens war sie nicht die einzige, und außerdem gibt es nicht nur die „BILD“-Zeitung. Deshalb kann ich das leider nicht genau sagen.

Zusatzfrage Jung
2024 ist laut BMBF das Wissenschaftsjahr. Das Leitthema dieses Wissenschaftsjahres lautet Freiheit. Wie passt die aktuelle Handlungsweise der Ministerin und ihres Hauses mit Wissenschaftsfreiheit zusammen? Können Sie bei diesem Motto bleiben?

Wagemann (BMBF)
Ja, wir bleiben bei dem Motto „Wissenschaftsjahr 2024: Freiheit“. Es ist sehr umfassend angelegt. Es geht nicht nur um Wissenschaftsfreiheit. Es geht um Freiheit insgesamt. Anlass sind das 75-jährige Bestehen des Grundgesetzes und das Jubiläum des Mauerfalls.

Es steht in keinem Widerspruch. Wissenschaftsfreiheit und Hochschulautonomie sind hohe Güter. Das sieht auch die Ministerin so, und das gilt auch im BMBF. Auf alles andere hat, denke ich, unsere Staatssekretärin ausreichend hingewiesen.

Frage Warweg
Frau Wagemann, bei allem Respekt bezweifle ich mittlerweile, dass Sie diese Mails gelesen haben. Ich möchte, wenn ich darf, ganz kurz zitieren, E-Mail vom 13. – Mai, 11 – Uhr:

„In der Kommunikation der Leitung wurde auch angezweifelt, dass die Hochschullehrer auf dem Boden des GG stehen.“

GG steht in diesem Fall für Grundgesetz. – Das heißt, im Gegensatz zu Ihrer Aussage kommt das in diesen Mails explizit vor.

Welche Passagen in dem offenen Brief führen laut der Ministerin dazu, dass die Hochschullehrer, die das gezeichnet haben, angeblich nicht auf dem Boden des Grundgesetzes agiert haben?

Wagemann (BMBF)
Ich könnte meine Antwort von eben wiederholen. Aber das hilft ja nicht viel. Ich habe gesagt, wie das Zitat der Ministerin lautete. Dabei bleibt es.

Zusatzfrage Warweg
Ich habe nicht nach dem gefragt, was sie der „BILD“-Zeitung erzählt hat, sondern nach dem, was explizit in diesen internen Mails steht. Darauf hätte ich gern eine Antwort.

Auch auffällig ist, dass von der Ministerin zunächst versucht wird, zu eruieren, inwieweit sie die Unterzeichnenden als Einzelpersonen strafrechtlich und auch förderrechtlich sanktionieren kann. Das führt mich zu der Nachfrage, ob der Ministerin bewusst ist, dass Bundesmittel des Bildungsministeriums ausschließlich an Institutionen und niemals an Einzelpersonen vergeben werden. Ist der Ministerin auch bewusst, dass ein Hochschullehrer oder auch ein angestellter dem Land Berlin untersteht, auch was das Disziplinarrecht angeht, und nicht dem Bundesministerium?

Wagemann (BMBF)
Wie gesagt, habe ich die Erklärung der Staatssekretärin hier vorgetragen. Sie hat sich zu den Aspekten, die zur Debatte stehen, geäußert. Dabei möchte ich es gern belassen.

Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 12.06.2024