Die AfD und der Schraubenschlüssel im Getriebe

Die AfD und der Schraubenschlüssel im Getriebe

Die AfD und der Schraubenschlüssel im Getriebe

Jens Berger
Ein Artikel von: Jens Berger

Das gute Wahlergebnis der AfD bei den Europawahlen ist einmal mehr der große politische Aufreger. Die Protagonisten aus Politik und Medien schwanken dabei mal wieder zwischen Wählerbeschimpfung und Dämonisierung und zeigen damit, dass sie nichts verstanden haben. Eingespielte Empörungsrituale. So paradox es sich anhören mag: Die Erfolge der AfD lassen sich in weiten Teilen mit ebenjenen Kampagnen erklären, mit denen die Partei dämonisiert werden soll. Wer die AfD wählt, zeigt dem Establishment an der Wahlurne den Stinkefinger, er wirft den Schraubenschlüssel ins Getriebe des politischen Systems und wird mit der auch nun wieder in den Medien zelebrierten Aufregung dafür belohnt. Stellt sich nur die Frage, ob das Establishment das nicht sehen kann oder nicht sehen will. Vielleicht ist es ja auch ganz anders und die AfD ist ein elementarer Schlüssel zum Erhalt des Systems. Ein Kommentar von Jens Berger.

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Die Punks der 80er demonstrierten ihre Ablehnung des „Schweinesystems“ durch Irokesenschnitt, Piercings oder Ratten als Begleittiere … damit konnte man das Establishment damals halt noch schocken. Heute gibt sich das Establishment übertolerant und reagiert seinerseits vor allem auf Intoleranz intolerant. Wer „gegen Ausländer“, „gegen Schwule“ oder komplett anachronistisch „für den Diesel“ und „gegen Klimahysterie“ ist, ist daher wohl der Punk von heute und treibt das Establishment zur Weißglut. Wir dürfen halt nicht vergessen, dass das Establishment sich heute von ganz anderen Dingen triggern lässt, wie man es wohl Neudeutsch formulieren würde. Und wenn man das Establishment an der Wahlurne tatsächlich so einfach triggern kann und es sich dann eifrig über die Wahlergebnisse der AfD echauffiert – um so schöner, Ziel erreicht.

Aber das versteht die Berliner Blase ja offenbar nicht. Man reflektiert nicht und geht davon aus, dass der eigene Wertekanon universell ist. Und da man selbst kosmopolitisch und weltoffen ist, weist man die Leserschaft darauf hin, dass die AfD nationalistisch und völkisch unterwegs ist. Ei der Daus! Wer das noch nicht mitbekommen hat, hat wohl die letzten zehn Jahre im Koma gelegen. Nun könnte man ja mal was Neues probieren und die AfD über ihre wirtschaftsliberalen Positionen stellen, die sicherlich bei einem Großteil ihrer Wähler nicht so gut ankommen. Eine Partei, die sich anti-elitär gibt und eine im Kern zutiefst elitäre Wirtschafts- und Sozialpolitik propagiert – das ist doch mal ein Widerspruch und wäre ein kommunikativer Ansatz, wenn man die AfD denn wirklich „kleinhalten“ wollte. Doch davon liest und hört man nichts. Warum? Wahrscheinlich, weil das mediale Establishment durch diese Positionen selbst nicht getriggert wird. Wirtschafts- und sozialpolitisch passt die AfD halt zum Wertekanon der Berliner Blase.

Stimmen für die AfD sind in großen Teilen auch ein Anzeichen für Unzufriedenheit. Unzufriedenheit ist in der medialen Debatte freilich kein Tabu. Doch es gibt gute und schlechte Unzufriedenheit. Die Unzufriedenheit mit der Klimapolitik der Regierung ist in der medialen Deutung beispielsweise eine „gute Unzufriedenheit“, während Unzufriedenheit mit der Migrationspolitik eine „schlechte Unzufriedenheit“ darstellt. Was nun genau gut und schlecht ist, entscheiden die Gralshüter des politischen Diskurses in den Redaktionsstuben, und zwar nicht nach demokratischen, sondern nach sehr subjektiven Maßstäben. Wer nach Meinung der Berliner Blase das Recht auf Unzufriedenheit hat, dem wird diese auch zugestanden. Wer jedoch in den „falschen“ Politikfeldern unzufrieden ist, der wird bestenfalls belächelt und schulmeisterlich eines Besseren belehrt oder schlimmstenfalls dämonisiert. Das war bei Corona so, das ist bei der Migrationsthematik so und das ist auch beim Themenbereich Krieg und Frieden so. Früher mag diese Strategie noch funktioniert haben. Heute ist das nicht mehr so und vor allem dann, wenn die Medien die ganz großen Empörungsrituale starten, verkehrt sich der Effekt bei denen, die am liebsten einen Schraubenschlüssel ins Getriebe werfen wollen, ins genaue Gegenteil. Man denke nur an den „Aiwanger-Effekt“.*

Ist das wirklich so schwer zu verstehen? Oder geht es eigentlich um etwas ganz anderes? Könnte es nicht vielleicht auch sein, dass zumindest die Strategen der Meinungsmache ganz genau wissen, dass sie mit jeder gespielten Empörung die Menschen in die Arme der AfD treiben? Machen wir uns nichts vor, die AfD erfüllt als kanalisiertes Auffangbecken für Unzufriedene letztlich ja keine systemdestablisierende, sondern eine sytemerhaltende Funktion. Wer sich über realitätsferne „Remigrationspläne“ oder die Frage, ob jeder SS-Mann ein Verbrecher war, die Köpfe einschlägt, diskutiert nicht zeitgleich über den Mindestlohn, die Mieten oder das Rentensystem. Am Ende wirft der AfD-Wähler also gar keinen Schraubenschlüssel ins System, sondern spielt auch nur seine Rolle in einem Theaterstück, das von den harten, sozioökonomischen Themen ablenken soll. Zugegeben, das ist nur eine Idee. Aber liege ich da vollkommen falsch? Oder könnte an dieser kühnen These vielleicht etwas dran sein?

* Gemeint ist damit der Umstand, dass die „Flugblatt-Affäre“ rund um den FW-Chef Hubert Aiwanger ihm trotz maximaler Empörung seitens der Medien bei den letzten bayerischen Landtagswahlen nicht etwa geschadet, sondern sogar genutzt hat – die Freien Wähler holten mehr Stimmen, als ihnen in den Umfragen vor der „Affäre“ prognostiziert wurden.

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Titelbild: Sergey Nivens/shutterstock.com

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