Wagenknechts Wagnis – Eine teilnehmende Beobachtung zur Entstehungsgeschichte des BSW, Teil 1

Wagenknechts Wagnis – Eine teilnehmende Beobachtung zur Entstehungsgeschichte des BSW, Teil 1

Wagenknechts Wagnis – Eine teilnehmende Beobachtung zur Entstehungsgeschichte des BSW, Teil 1

Ein Artikel von Ramon Schack

Das Bündnis Sahra Wagenknecht geht Anfang 2024 an den Start. Handelt es sich hierbei um eine „Partei neuen Typus“, eine Linke 2.0, oder gar eine ernsthafte Konkurrenz zur SPD, eine politische Bewegung, die sich auf die außenpolitischen Grundsätze von Egon Bahr und Willy Brandt beruft? Medien und politologische Einordnungen gleiten am BSW bisher ab. Handelt es sich also um einen dynamischen Prozess, welcher diese Parteineugründung flankiert? Der Journalist Ramon Schack beobachtet das BSW aus nächster Nähe, ist von Anfang an dabei. Durch präzise Beobachtungen im Wahlkampf und auf Parteitagen, im Gespräch mit Aktivisten, der Parteiprominenz und Gegnern dieser neuen politischen Kraft, flankiert von den fortlaufenden Wahlkämpfen des Jahres, entsteht eine teilnehmende Beobachtung zu den gravierenden politischen Verschiebungen, denen sich das bundesdeutsche Parteiensystem, ja das Establishment der Republik in Medien und Politik ausgesetzt sieht. Lesen Sie heute den ersten Teil des Berichts von Ramon Schack.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Trabrennbahn Berlin-Karlshorst. In der Wetthalle herrscht dichtes Gedränge, die Sitzplätze sind schnell belegt. Die historische, 37 Hektar große Anlage für Pferderennen im Ortsteil Karlshorst dient an diesem 24. April als Schauplatz und Tagungsort des ersten berlinweiten Unterstützertreffens des BSW. Am Eingang werden die Gäste unter anderem von Jutta Matuschek begrüßt, einer BSW-Kandidatin für das Europaparlament, die bis 2016 für die Linke im Berliner Abgeordnetenhaus gesessen hatte.

Cebrail Beyazgül ist zusammen mit seinem jungen Team für den Saalschutz verantwortlich, welches aus Mitgliedern des Fair Boxen Vereins – ansässig in Lichtenrade – besteht und von Beyazgül einst gegründet wurde.

Alle gesellschaftlichen Schichten

Unter den Anwesenden sind alle gesellschaftlichen Schichten vertreten – Akademiker und Arbeiter, Menschen mit und ohne Migrationshintergrund, Ossis und Wessis, aus allen Altersstufen.

Seltener ist allerdings der Typus des Lifestyle-Linken, den Sahra Wagenknecht in ihrem Buch „Die Selbstgerechten“ kritisierte, zu identifizieren, durchaus aber Menschen aus den innerstädtischen und hippen Quartieren, Besserverdienende mit kosmopolitischer Grundhaltung, die politisch heimatlos geworden sind, seit sich die bürgerliche Mitte radikalisiert und bisweilen von einem unseriösen politischen Personal vertreten wird. „Von so einer Partei habe ich immer geträumt!“, ruft ein junger Mann aus, ein Medizin-Student, dessen Eltern aus Syrien stammen. „Eine echte Alternative zu den Altparteien und der AfD!“ Seine Begleiterin, eine Grundschullehrerin, die aus dem brandenburgischen Templin stammt, ergänzt: „Ich war jahrelang Anhängerin der Linken, aber seit diese Partei auch für Waffenlieferungen plädiert, war der Ofen für mich aus!”

Gastgeber Norman Wolf

Sahra Wagenknecht hatte sich im Vorfeld entschuldigt, dafür fungiert Norman Wolf als Gastgeber, denn immerhin findet das Treffen in seinem Bezirk statt, wo das BSW schon seit Februar in Fraktionsstärke in der dortigen Bezirksverordnetenversammlung vertreten ist. Der Berliner Kurier schrieb damals:

Zuvor hatten drei frühere Linke-Abgeordnete den Austritt aus ihrer bisherigen Fraktion und die Gründung einer BSW-Fraktion bekannt gegeben, wie der neue Fraktionschef Norman Wolf am Dienstag der dpa sagte. Neben Wolf gehören die einstigen Linke-Abgeordneten Michael Niedworok und Tino Hempel der Fraktion der Partei von Sahra Wagenknecht in Lichtenberg an.”

Eine Partei ohne Apparat

Wolf tritt dann auch ans Rednerpult, welches ein BSW-Mitarbeiter am Sonntag noch aus seinem Keller zum Veranstaltungsort transportierte – vielleicht ein Ausdruck für die Jugend dieser Partei, die bisher ohne perfekt laufenden Apparat agiert. Wolf begrüßt die Anwesenden. Auf Facebook schrieb er am gleichen Abend:

Heute waren wir fast 700. BSW hatte zum ersten berlinweiten Unterstützer-Treffen auf der Trabrennbahn Karlshorst eingeladen. Wenn das Treffen eines gezeigt hat: Auch in Berlin kommt man am BSW nicht vorbei. Wir waren uns einig: die Ampelregierung ist das größte Sicherheitsrisiko für unser Land. Keinen Tag länger sollten uns diese Politiker regieren. Ein Kinderbuchautor, der uns in den wirtschaftlichen Ruin regiert, und eine Außenministerin und eine Strack Rheinmetall, die uns verantwortungslos in einen Krieg verwickeln wollen, erfordern eine neue politische Kraft. Wie stehen bereit!“

Eine Dame, die sich selbst als Akademikerin im freien Beruf zu bezeichnen pflegt, klatscht heftig Beifall. Die Endvierzigerin, die aus Tegel, tief im Westen der Hauptstadt, angereist ist, äußert: „Ich war jahrelang SPD-Mitglied, aber diese Sche…-Scholz-Partei ist alles andere als sozialdemokratisch, für mich ist das BSW die bessere SPD!“ Ihr Sitznachbar nickt zustimmend. „Dit ist doch die Partei mit dem jesunden Menschenverstand“, gibt der 56-jährige Tischler zu bedenken, der nur fünf Gehminuten vom Tagungsort zu Hause ist. „Die wissen noch, wie die kleenen Leute ticken und wat wir für Probleme haben, wa. Bei der Europawahl stimm‘ icke für das BSW, bei den Kandidaten.“ Just in diesem Moment, ein wenig verspätet, betritt Amira Mohamed Ali den Raum – in Begleitung des Europa-Spitzenkandidaten Fabio Di Masi und Friederike Benda, der stellvertretenden Parteivorsitzenden.

Vom stürmischen Beifall unterbrochen, begrüßt Alexander King, der Berliner Parteivorsitzende und einzige BSW-Abgeordnete im Abgeordnetenhaus, die prominenten Gäste. Kurz zuvor hatte schon die Außenpolitik-Expertin der Partei Sevim Dagdelen mit ihrer leidenschaftlichen Kritik an der Außenpolitik der Ampelregierung den Saal in Stimmung gebracht. „Die NATO – eine Abrechnung mit dem Wertebündnis!“ heißt das neue Buch der Bundestagsabgeordneten, welches schon in die SPIEGEL-Bestsellerlisten aufgestiegen ist.

Der Abend endete damit, dass sich die Unterstützer des BSW im Saal verteilen, gemäß ihren Wohnorten nach Regionalgruppen, die in diesem Fall für Berlin in Mitte, Ost, West und Süd aufgeteilt wurden. „Die Regionalverantwortlichen werden versuchen, sich schnellstmöglich mit Ihnen in Verbindung zu setzen“, heißt es dazu begleitend im Begrüßungsschreiben. Die Parteiprominenz verlässt den Tagungsort, ohne sich noch einmal den versammelten Unterstützern zuzuwenden, was für Enttäuschungen sorgt. „Wenigstens freundlich nicken hätten die mal können, das ist doch wieder diese Bundestagsabgeordneten-Mentalität, die wir nicht mehr haben wollten“, schimpft eine ältere Dame, wofür sie stummes Kopfnicken erntet. „Das sind Kinderkrankheiten“, wendet ein junger Mann ein. „Wer eine perfekte Partei sucht, der bleibt parteilos!“, fügt er hinzu, während draußen Amira Mohamed Ali in ihren Dienstwagen steigt.

Das Bündnis Sahra Wagenknecht ist erst wenige Wochen alt. Handelt es sich hierbei um eine „Partei neuen Typus“, eine Linke 2.0, oder gar eine ernsthafte Konkurrenz für die SPD, eine politische Bewegung, die sich auf die außenpolitischen Grundsätze von Egon Bahr und Willy Brandt beruft? Medien und politologische Einordnungen gleiten am BSW bisher ab. Handelt es sich also um einen dynamischen Prozess, welcher diese Parteineugründung flankiert?

Unabhängig davon: Das Bündnis Sahra Wagenknecht strebt an, als neue politische Kraft das deutsche Parteiensystem grundlegend zu verändern, und es könnte angesichts des Vertrauensverlusts in etablierte Parteien und einer sozialen Krise bei den nächsten Wahlen erfolgreich sein.

Zwei Wochen später

Neumünster liegt verkehrstechnisch günstig im Zentrum Schleswig-Holsteins. Kein Wunder also, dass die Stadt als Tagungsort des ersten Unterstützertreffens des Bündnis Sahra Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit im nördlichsten Bundesland fungiert.

Der Tagungsort, das „Kiek in“ – plattdeutsch für „Schau mal rein“ –, bildet dabei so etwas wie die historische Kulisse, denn hier im hohen Norden fanden die ideologischen Grabenkämpfe der Linken statt, in dem die Partei sich zerlegte, die insgesamt drei Jahre im Landtag in Kiel vertreten war.

Aber an diesem Sonntag Anfang Mai, einem Tag des wechselhaften Wetters, an dem die dunkle Wolkendecke regelmäßig von Sonnenschein durchbrochen wird, welcher sich mit kurzen Schauern abwechselt, sind die Besucher aus allen Regionen Schleswig-Holsteins eingetroffen und scheinen nicht auf Krawall gebürstet. Viel eher betreten viele bedächtig den Saal – leicht zögernd, sich unsicher umschauend – und werden dabei freundlich Diana Djorovic aus Lübeck begrüßt, welche die Besucher mit einem strahlenden Lächeln empfängt.

Djorovic, die zuvor nie in einer anderen Partei aktiv gewesen ist, engagiert sich seit einigen Monaten beim BSW. Politisiert wurde die Mitarbeiterin der AWO in der Hansestadt aber schon als junge Frau in den 1990er-Jahren, als sie aufgrund der serbischen Herkunft ihrer Eltern offen von einem ihrer Lehrer diskriminiert wurde. Unterstützt wird Djorovic dabei von Sahin Ercan, einem Restaurantfachmann Ende 30, der ebenfalls aus Lübeck stammt. Djorovic fungiert als Regionalverantwortliche für Schleswig-Holstein Ost, Ercan ist ihr Stellvertreter. Man merkt den beiden BSW-Politikern an, dass sie nicht aus einem seit Jahrzehnten gewachsenen Parteiapparat stammen, dafür aber fest im Leben stehen.

Mehr noch als in Berlin-Karlshorst wird an diesem Sonntag in Neumünster sichtbar, dass sich Menschen aus allen Teilen der Gesellschaft für das BSW zu interessieren beginnen. Schleswig-Holstein, in dessen beiden größten Städten Kiel und Lübeck jahrzehntelang die SPD einen Besenstiel hätte aufstellen können, der dann auch gewählt worden wäre, während das Land außerhalb, mit seinen Kleinstädten und Dörfern, eher konservativ tickte, scheint eigentlich kein fruchtbarer Acker für eine neue Partei, die aus der Linken hervorgegangen ist. Doch die Besucher spiegeln den Querschnitt der Bevölkerung des Landes zwischen den Meeren wider. Da sind die mittelständischen Familienväter aus dem Hamburger Umland, mit seinem hohen Pro-Kopf-Einkommen, neben Aktivisten der zahlenmäßig überschaubaren Friedensbewegung, neben Deutschen mit Migrationshintergrund, denen der gesellschaftliche Aufstieg gelungen ist.

Simon G. aus Ratzeburg zum Beispiel, Familienvater und Mitarbeiter eines Weltkonzerns, bekennt, dass er früher FDP-Wähler war, während der 16-jährige Botan, ein aufgeweckter Schüler, Erstwähler und Sohn kurdischer Einwanderer, sich für Fragen der Integration interessiert.

Titelbild: BSW-Treffen in Neumünster – Foto: Ramon Schack

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